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Asyl und Zuwanderung
Italienisch-Französischer Zwist

Guiseppe Conte und Emmanuel Macron treffen sich heute in Paris. Italien und Frankreich streiten seit langem über den Umgang mit Flüchtlingen. Zuletzt eskalierte der Ton, als Italien seine Häfen für das Schiff "Aquarius" schloss und in Paris von "Zynismus" die Rede war. Conte forderte von Macron eine Entschuldigung. Es wurde telefoniert, heute gibt es einen Händedruck, aber der Zwist bleibt.

Von Sabine Wachs |
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trifft Italiens Premier Guiseppe Conte währende des G7 Gipfels in Charlevoix in Kanada am 08.06.2018
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premier Guiseppe Conte (AFP/Ian Langsdon)
    Névache, ein kleines Örtchen, kaum 15 Kilometer von der italienischen Grenze entfernt. Das 300 Seelendorf in den französischen Alpen - im Winter ein beliebter Skiort, im Sommer Wanderparadies - hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht. Seit etwa zwei Jahren kommen hier, Sommer wie Winter, Geflüchtete aus Italien an. Zu Fuß laufen die Menschen über die mehr als 1700 Meter hohen Alpenpässe.
    "Im ersten Winter kamen nicht so viele. Im Frühling dann aber waren wir sehr überrascht. Jeden Tag kamen zwischen 40 und 50 Migranten hier an. Sie kommen aus Bardonecchia, aus Italien über den Pass, den Col de l’Echelle. Sie sind völlig erschöpft. Der Weg ist weit. Sie sind schlecht ausgerüstet und natürlich sehr erschöpft."
    Das Dorf hilft
    Bernard Liger ist einer der ersten, an dessen Tür vor gut zwei Jahren mitten in der Nacht auf einmal Geflüchtete klopften. Der 86-Jährige lebt in einem alten Bauernhaus, am Dorfrand, keine 50 Meter vom Fuß des Passes entfernt. Als immer mehr Menschen in immer kürzeren Abständen kommen, trommelt er die Dorfgemeinschaft zusammen, organisiert Hilfe. Unterstützt wird er von seinem Freund Jean-Gabriel. Der Bergführer lebt seit Jahren in Névache, er kennt die Pässe wie seine Westentasche, und er kennt auch die Gefahren, die unerfahrenen Menschen, wie den Geflüchteten in den Bergen drohen:
    "Wir nehmen die Migranten auf, die an unsere Tür klopfen. Und wenn wir hören, dass einer nicht runtergekommen ist, dann rufen wir die Bergrettung. Sechs Mal haben wir das allein im letzten Dezember gemacht."
    Vor allem im Winter kann aber auch die Bergrettung oft nicht mehr viel tun. Denn dann sinken die Temperaturen in der Nacht auf bis zu Minus 20 Grad. Das hält kein Körper über Stunden aus. Schon oft musste Bernard Liger jungen Geflüchteten sagen, dass ihre Freunde nicht gefunden wurden. Auch jetzt spricht er mit Jean-Gabriel über einen jungen Flüchtling, für den jede Hilfe zu spät kam:
    "Sie sind Abends in Bardonecchia los und müssen sich dann verlaufen haben. Es ist dunkel, und sie kennen den Weg nicht. Sie sind falsch abgebogen, haben dann umgedreht und sind den Col de l’Echelle hoch. Sie waren erschöpft, haben in einem Tunnel Rast gemacht. Damals waren es minus 18 Grad. Als es langsam hell wurde, war einer von ihnen zu schwach, um weiterzulaufen. Als die anderen ankamen, haben sie das direkt erzählt. Die Bergwacht hat ihn gesucht und sucht ihn noch immer."
    Der Schnee begräbt die Toten
    Denn der Schnee begräbt die Toten. Jetzt im Sommer, wenn er langsam wegtaut, werden einige Körper freigelegt. Dann sammelt die Bergwacht Leichen am Col de l’Echelle und an anderen Alpenpässen. Am 25. Mai wurde die Leiche des jungen Mannes, vom dem Liger erzählt hat, gefunden. Er hätte dort oben nicht sterben müssen:
    "Die Einsatzkräfte vor Ort könnten den Pass dicht machen. Die Polizei könnte diesen Weg absperren und niemand käme mehr durch. Dann wäre die Sache erledigt."
    Sagen Bernard Liger und Jean-Gabriel. Denn Polizei gibt es in der Grenzregion genug. Täglich patrouillieren Streifen der französischen Grenzpolizei an den Pässen, auch im Dorf Névache. Sie halten Ausschau nach Migranten, die über die grüne Grenze von Italien nach Frankreich kommen. Erwischen sie Menschen ohne Papiere, dann bringen sie sie auf direktem Weg im Polizeiauto zurück nach Italien, denn ohne gültige Einreisegenehmigung darf niemand nach Frankreich kommen:
    "Ich glaube, da muss einiges getan werden. Vor allem hier. Der Staat müsste diese Männer und Frauen aufnehmen und dann ihre Fälle prüfen. Alle. Mit Sicherheit gibt es den ein oder andere, der hier falsch ist, aber es sind Menschen. Die Zeit der Sklaverei ist vorbei. Diese Menschen brauchen Hilfe und müssen menschenwürdig untergebracht werden."
    Vor allem hier liegt das Problem, sagen Liger und sein Freund Jean-Gabriel: Frankreich mache seine Grenzen dicht, lasse Italien alleine.
    Beide erwarten, dass der französische Staat Migranten auf legalem Weg ins Land kommen lässt, auch wenn sie vorher schon in Italien oder anderen EU-Ländern registriert wurden. Es muss etwas passieren - nicht nur, aber auch in dem kleinen Ort Névache in den französischen Alpen. Dort sind allein im vergangenen Jahr fast 2000 Migranten illegal über die Berge gekommen, einige haben den Weg über die Alpenpässe nicht überlebt.