Jochen Spengler: Eigenlob stinkt. Das aber hält die Große Koalition nicht davon ab, sich selbst kräftig auf die Schulter zu klopfen. Der Asyl-Kompromiss von gestern Abend sei ein wichtiger Baustein, um die Verfahren und Abschiebungen zu beschleunigen, heißt es in Regierungskreisen. Zentrales Element des Kompromisses sind bis zu fünf besondere Aufnahmelager für jene Flüchtlinge, die nur geringe Bleibechancen haben. Dort sollen die Verfahren nur drei Wochen dauern. Die Oppositionsparteien Linke und Grüne kritisieren das Asylpaket. Es höhle den Rechtsstaat aus und helfe weder Deutschland, noch den Menschen. Wir wollen den Asyl-Kompromiss nun ein wenig auf den Prüfstand stellen, um herauszufinden, was seine praktischen Folgen sein könnten. Dabei helfen wird uns Barbara John. Sie war die erste Ausländerbeauftragte in Deutschland überhaupt und übte dieses Amt bis zum Jahr 2003 22 Jahre lang aus für das Land Berlin. Zurzeit ist sie unter anderem Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin. Guten Tag, Frau John.
Barbara John: Einen guten Tag, Herr Spengler.
Spengler: Frau John, wie lautet Ihr Urteil über den gestrigen Asyl-Kompromiss?
John: Ja, das war eigentlich lange fällig. Ob es viel bringt, das müssen wir sehen. Es ist mir vollkommen klar, dass die Regierungskoalition froh ist, weil nun alle Parteien, jedenfalls die großen Volksparteien sagen, wir sind doch in gleicher Weise dafür, dass irgendwie begrenzt wird. Ich glaube nicht, dass das die Beklemmung in Deutschland über die unbegrenzte Einwanderung wirklich abschwächen wird, denn wir haben ja im gleichen Moment die Nachricht bekommen, dass die EU damit rechnet, dass in den nächsten Jahren noch zwei bis drei Millionen kommen werden. - Das ist ein kleiner Baustein. Ob er funktioniert, wissen wir noch nicht.
"Unbegrenzte Zuwanderung bleibt das große Problem"
Spengler: Gehen wir mal der Reihe nach vor. Die Asylverfahren in den Registrierzentren, die sollen nur noch drei Wochen dauern. Halten Sie das nach Ihren Erfahrungen für realistisch?
John: Ja natürlich kann man das machen. Es gibt ja Länder, Norwegen, da dauert es zwei Tage. Warum sollten wir drei Wochen brauchen? Aber es läuft so ab: Die Leute kommen, jeder weiß, dass sie aus einem der sicheren Herkunftsstaaten kommen, wenn sie sich ausweisen. Das ist eine der großen Fragen. Viele werfen ja ihre Pässe weg, damit sie schwerer abgeschoben werden können, weil man dann erst eine Vereinbarung mit dem Herkunftsland, das man herausfinden muss, machen muss. Das ist die Frage: Gilt das noch, wenn die sich nicht zu erkennen geben? Aber nehmen wir an, jemand gibt sich zu erkennen. Man weiß, er kommt aus Mazedonien oder aus Serbien. Dann wird gesagt: Was steht der Behauptung oder unserer Erfahrung entgegen, dass es in Ihrem Land keine politische Verfolgung gibt? Dann kann er irgendetwas sagen und kann dann ins Klageverfahren gehen nach einer Woche etwa und dann kann eine aufschiebende Wirkung durch seinen Rechtsanwalt betrieben werden. Der muss dann im Eilverfahren stattgegeben werden. Sie sehen: Es gibt noch juristische Schwänze, die man da anhängen kann, und dann muss er eigentlich wieder nach Hause gehen. So sieht es dann aus.
Die große Frage ist: Was ist mit denen, die schon so lange da sind? Wir hatten ja die große Einwanderung aus diesen sechs Ländern in den vergangenen anderthalb Jahren. Da sind ja weit mehr als 100.000 gekommen. Werden die auch in diese Zentren genommen, oder gilt das nur für diejenigen, die jetzt kommen werden? - Eine offene Frage.
Die große Frage ist: Was ist mit denen, die schon so lange da sind? Wir hatten ja die große Einwanderung aus diesen sechs Ländern in den vergangenen anderthalb Jahren. Da sind ja weit mehr als 100.000 gekommen. Werden die auch in diese Zentren genommen, oder gilt das nur für diejenigen, die jetzt kommen werden? - Eine offene Frage.
Spengler: Nicht die einzige offene Frage. Eine offene Frage ist auch, wie man denn endgültig so viele Entscheider bekommt, die man eigentlich bräuchte, um das Verfahren zu beschleunigen.
John: Ja, das ist sicher auch eine Frage. Das kann man konzentrieren. Man kann das, was gesagt worden ist von den Asylbewerbern, auch per Internet an Entscheider schicken, die im BAMF sitzen oder woanders sitzen. Es gibt ja inzwischen schon vier Entscheidungszentren in den verschiedenen Bundesländern. Das könnte ich mir schon vorstellen, dass man das macht. Man muss dann natürlich Prioritäten setzen und sagen, das ist jetzt die erste Priorität. Dann wird es wieder bei anderen länger dauern. Der Versuch, doch Menschen gar nicht schneller wieder nach Hause zu bringen, weil sie im Asylrecht hier nichts zu suchen haben, ist daran gekoppelt, dass andere wieder länger warten müssen. Im Großen und Ganzen ist die nach wie vor unbegrenzte Zuwanderung das große Problem, an das sich niemand heranwagt.
"Es wird Begrenzungen geben, es wird sicher Absperrungen geben"
Spengler: Hätten Sie da eine Lösung, ein Rezept?
John: Ich glaube, dass jeder weiß, vor allem auch die linken Gruppen, Linke und Grüne, die ja auch diesen kleinen Kompromiss sehr kritisieren, sie wissen doch genau, dass über Jahre Deutschland das einzige Land weltweit mit einer offenen Grenze für jeden war, der sich als Flüchtling ausgibt. Das ist eine Unmöglichkeit. Es ist eine Heuchelei zu glauben, dass man das kann. Es wird Begrenzungen geben, es wird sicher Absperrungen geben, und ich denke, das ist keine Menschenrechtsverletzung, weil man dennoch den Leuten helfen kann, die in diesen Ländern in den großen Transitzonen oder in den großen Lagern leben. Da muss die Hilfe hin. Wir helfen doch hier nur bestimmten Leuten. In einer Welt, wo es Masseneinwanderung gibt wie jetzt bei uns, kann doch gar kein Asylverfahren mehr wirklich auf politische Verfolgung geprüft werden. Wir machen doch schon Asyl ohne Asylverfahren. In einem Tag wird das entschieden. Es ist alles vorbei! Man muss das neu ordnen. Aber das ist eine Diskussion, die schwierig zu führen ist. Bloß sie wird kommen müssen und sie wird auch kommen.
Spengler: Sie sagen, Begrenzungen sind nötig, Grenzen sind nötig. Aber wenn man das praktisch durchdekliniert, was bedeutet das dann, wenn dann Tausende vor der deutschen Grenze stehen und die Grenzbehörden sagen, ihr könnt wieder zurück nach Österreich, ihr könnt den ganzen Rückweg wieder antreten? Das geht doch praktisch wahrscheinlich auch nicht.
John: Natürlich geht das. Gut, wir können das durchspielen. Ich denke, dass die Signale, eine solche Entscheidung, die zu treffen ist, sofort in die ganze Welt gehen, dass man weiß, dass man sich nicht auf den Weg machen muss. Aber es muss natürlich auch mit Möglichkeiten verbunden werden, den Menschen, die da bleiben wo sie sind, und zwar nicht in Kriegsgebieten, sondern in angrenzenden Gebieten, dass diese Entscheidung gleich getroffen wird. Und natürlich müssen dann auch die Flüchtlinge, die sich trotzdem noch auf den Weg machen, irgendwo bleiben. Sie müssen dann auch wieder zurückgehen und dabei kann man ihnen ja helfen. Aber das ist sicher eine Sache, die wir erst im nächsten Jahr erleben werden. Ich denke, die Aufnahmezentren, die wir jetzt haben, die werden zeigen, wie das funktionieren kann. Das sind ja auch erste Möglichkeiten, das auszuprobieren.
"Eine annähernde Lösung unserer offenen Grenzen ist es nicht"
Spengler: Um noch mal auf den Kompromiss von gestern zurückzukommen. Der betrifft ja im Prinzip eigentlich nur die Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern. Das ist nur ein Bruchteil der gesamten Hilfesuchenden, vielleicht drei, vier, fünf Prozent. Im Grunde kann die Lösung gestern keinen großen Unterschied machen. Was müsste denn geschehen, damit alle Asylverfahren beschleunigt werden können?
John: Na ja, eigentlich müsste das geschehen, oder geschieht ja jetzt schon, dass man weitgehend ungeprüft Menschen aufnimmt, die aus einem bestimmten Land kommen. Darauf hat man sich ja schon verständigt. Menschen, die sagen, sie kommen aus Syrien - ob sie das nun nachweisen oder ob sie tatsächlich einen Pass haben, das spielt dann keine große Rolle mehr -, werden ja heute schon innerhalb eines Tages anerkannt und erhalten hier eine Registrierung als Flüchtlinge und werden versorgt. Das kann man relativ schnell machen natürlich. Aber das bedeutet natürlich auch, dass wir tatsächlich ein Land werden, das gar kein Asylverfahren mehr prüft, das auch nicht mehr unterscheidet zwischen den Menschen. Inzwischen gibt es ja Länder, wo sich dann Schlepperorganisationen ins Geschäft aufgemacht haben, zum Beispiel Afghanistan und Pakistan. Da werden wir viele, viele Menschen aufnehmen müssen, die sich jetzt auf den Weg machen. Und es werden sich übrigens auch Menschen aufmachen - auch das muss uns doch klar sein -, die hier gerne als Arbeitskräfte arbeiten würden. Aber wenn Sie diese komplizierten Verfahren wählen, das dauert lange. Man macht heute das Asylverfahren. Jeder, der hierher will und vielleicht auch ein Studium aufnehmen will, der geht am besten heute ins Asylverfahren. Das muss doch allen klar sein, so wie wir unser Asylverfahren jetzt geregelt haben. Das muss alles durchdacht werden und wir stehen nach wie vor vor einer schwierigen Aufgabe. Sie haben es gesagt. Das was hier heute gemacht worden ist, oder was gestern beschlossen worden ist, ist vielleicht eine kleine Entlastung, aber eine annähernde Lösung unserer offenen Grenzen ist es natürlich nicht.
Spengler: Danke für das Gespräch. - Das war Barbara John, die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin und langjährige Ausländerbeauftragte des Landes Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.