Bettina Klein: Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer, mit dem wir jetzt eine erste Einordnung dessen vornehmen können, was wir bereits wissen und gerade gehört haben. Guten Abend, Herr Neugebauer.
Gero Neugebauer: Guten Abend, Frau Klein.
Klein: Es wurde ja so ein wenig der Eindruck vermittelt, dass es eigentlich heute Abend darum gehen soll, den Beweis zu erbringen, dass diese Koalition nach den Streitereien der vergangenen Tage und Wochen überhaupt noch handlungsfähig ist. Ist der Beweis jetzt erbracht, Ihrer Meinung nach?
Neugebauer: Na ja. Es ist, nachdem die Koalition in den letzten Wochen ja viel Entwicklungshilfe für Populismus, AfD und andere Bewegungen geleistet hat, nun der Anschein erweckt worden, dass sie handlungsfähig sind. Aber wenn man die Ergebnisse abklopft, wird es auch wieder nicht dazu reichen, dass man sagen kann, sofort tritt diese oder jene Situation ein, sondern sie müssen etwas vorbereiten. Gut: Das hat schon zu tun mit den Prozessen in der Exekutive, dass was geleistet werden muss, dass man Stellen macht und dass man irgendwelche Verfahren abwälzt. Aber sowohl auf das eine als auf das andere gesehen: Es ist eine Ankündigung, dass was passieren soll. Ob diese Ankündigungen tatsächlich so schnell umgesetzt werden, dass auch die Erfolge dann sich so schnell zeigen, dass die Parteien davon profitieren, die Koalitionsparteien, na da wage ich noch ein bisschen Zweifel zu äußern.
"Die SPD kann sich keinen Koalitionsbuch leisten"
Klein: Schauen wir noch mal auf den einen oder anderen Punkt. Täuscht der Eindruck, oder hat sich da tatsächlich die CSU wirklich ziemlich durchgesetzt? Die zwei Jahre Stopp für den Familiennachzug, das war ja ihre Forderung und so ungefähr das Gegenteil von dem, was die SPD eigentlich wollte, die das Ganze nun mit guter Miene zum irgendwie bösen Spiel verkaufen muss?
Neugebauer: Na ja. Die SPD hatte ja seinerzeit gesagt, keine Einschränkung für syrische Flüchtlinge, sofern keine Einzelfallprüfung besteht. Herr de Maizière hat dann die Einzelfallprüfung eingeführt und damit Herrn Gabriel oder der Sozialdemokratie das Konzept schon versaut, und jetzt ist das eigentlich die konsequente Fortsetzung der Politik, die Sigmar Gabriel und die SPD in der Koalition machen können. Sie sind der kleinste Partner, sie haben zwei gegen sich und sie müssen aber auch Rücksicht nehmen auf ihre Wählerschaft. Das heißt: Sich hinzustellen und zu sagen, nein, machen wir nicht, und damit möglicherweise die Koalitionskrise soweit voranzutreiben, dass es zum Bruch kommt, das können sie sich nicht leisten. Keine Partei kann es sich im Moment leisten, diese Koalition aufzugeben.
"Die CSU hat nur die Familienzusammenführungsperre erreicht"
Klein: Aber was sagt das im Augenblick über die Statik, über die Machtverhältnisse aus zwischen diesen ja immerhin drei Partnern?
Neugebauer: Labil. Wir können, um noch mal auf die vorherige Frage zurückzugehen, sagen: Natürlich wird die CSU sich als Gewinnerin darstellen, insbesondere weil sie es nun geschafft hat, die zwei Jahre Familienzusammenführungssperre zu erreichen. Nur: Was hat sie von ihren anderen Sachen erreicht? Da ist nichts.
Die SPD macht ihre Konzessionen, aber kann zumindest ein Schmankerl für sich in Anspruch nehmen, dies mit der Zusammenführung für Kontingente zumindest erleichtert zu haben. Aber letztendlich ist da natürlich auch Frau Merkel, die sagt, ich zähle ja auch den Siegern. Es gibt nicht die Obergrenze und die Flüchtlingspolitik wird dadurch aber wiederum bestimmt, dass wir eine Einschränkung der Zahlen haben, dadurch, dass wir jetzt die sicheren Drittländer haben. Nur: Die müssen erst einmal kommen und dann hat jeder seinen Anspruch auf ein Verfahren, und wenn das abgelehnt wird, der Asylantrag, dann muss die Rückführung organisiert werden, und das dauert seine Zeit. Insofern denke ich mir: Eigentlich kann sich keine Partei hinstellen und sagen, wir sind die eigentlichen Gewinner, aber Herr Seehofer, geschult in der entsprechenden Rhetorik, wird das schon für die CSU in Anspruch nehmen.
"Frau Merkel die lachende Dritte"
Klein: Sie sprechen die Kanzlerin an. Es ist ja inzwischen schon viel über einen möglichen Machtverfall um sie herum spekuliert worden. Aber alle, die schon an den Untergang der Koalition oder auch der Regierungschefin gedacht haben, waren ein wenig voreilig, oder wie erscheint Ihnen das, Stand heute Abend?
Neugebauer: Ja. Frau Merkel hat es ja geschafft, wenn man einerseits sieht, wie die Auseinandersetzungen in der CDU laufen und andererseits in der Fraktionssitzung diskutiert wurde, jetzt den Eindruck erzeugen zu lassen, die CDU ist wieder relativ geschlossen hinter ihr. Aber man sieht ja an den Aussagen, dass sie sich darauf konzentrieren zu sagen, ist ja eigentlich ein europäisches Problem und da müssen wir es auch hinbringen. Sie hat eine bewährte Strategie angewendet heute, nämlich so nach dem Motto bei Wilhelm Busch im "Struwwelpeter" zitiert, und die Mutter blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum, schaute da umher und sah, wie sich zwei stritten und sozusagen daneben benahmen, und dann hat sie gewartet, bis die sich geeinigt haben, und gesagt, so wird es dann auch sein.
Und ich denke, das ist ein Verfahren, das sie immer wieder nutzt, um zu zeigen, sie ist die eigentliche, die letztendlich den entscheidenden Punkt bestimmt, nämlich hält diese Koalition oder hält sie nicht. Beide, Seehofer und Merkel, seien sie nun herzlich in Abneigung einander zugetan, wissen genau, dass sie aufeinander angewiesen sind, wenn sie 2017 die Wahl gewinnen wollen. Und Herr Gabriel weiß auch, dass er angewiesen ist darauf, einerseits nicht als der Pudel von Frau Merkel zu erscheinen, aber andererseits auch eine Politik zu machen, mit der er in der Sozialdemokratie noch genügend Zustimmung findet. Insofern keine leichte Situation, und da ist Frau Merkel die lachende Dritte.
Und ich denke, das ist ein Verfahren, das sie immer wieder nutzt, um zu zeigen, sie ist die eigentliche, die letztendlich den entscheidenden Punkt bestimmt, nämlich hält diese Koalition oder hält sie nicht. Beide, Seehofer und Merkel, seien sie nun herzlich in Abneigung einander zugetan, wissen genau, dass sie aufeinander angewiesen sind, wenn sie 2017 die Wahl gewinnen wollen. Und Herr Gabriel weiß auch, dass er angewiesen ist darauf, einerseits nicht als der Pudel von Frau Merkel zu erscheinen, aber andererseits auch eine Politik zu machen, mit der er in der Sozialdemokratie noch genügend Zustimmung findet. Insofern keine leichte Situation, und da ist Frau Merkel die lachende Dritte.
Die EU-Staaten werden Merkel noch ein wenig hängen lassen
Klein: Wir sehen heute eine Art Zwischenschritt auf jeden Fall. So verstehe ich Sie auch. Wir müssen auch noch schauen, was bei der Ministerpräsidentenkonferenz herauskommt. Auf jeden Fall ist zunächst mal offenbar etwas Zeit gewonnen und damit etwas Sicherheit innerhalb der Koalition eingekehrt. Aber unter dem Strich, wenn wir einen Schritt zurücktreten, andere wichtige Probleme im Zusammenhang mit der ganzen Flüchtlingsproblematik sind ja weiter nicht gelöst. Und sie haben es auch angesprochen: Eine europäische Einigung, davon ist weit und breit nichts zu sehen. Wie sehen Sie das im Augenblick, was diese Perspektive angeht?
Neugebauer: Wir werden in der Tat den 18. Februar abwarten müssen, wenn nämlich die Regierungschefs der EU sich treffen werden und dann möglicherweise auch feststellen, dass Frau Merkel, die in den vorangegangenen Jahren in der EU auch ihr Potenzial immer deshalb ausschöpfen konnte, weil sie auf geordnete Verhältnisse zuhause, in ihrer eigenen Partei, in der Regierung hinweisen konnte, diesmal nicht in einer vergleichbar starken Position ist. Sie wird da Rücksicht nehmen müssen. Aber man sieht ja auf der anderen Seite auch, dass sie Druck auf die EU ausübt, dadurch, dass sie auf Schengen hinweist, auf die Lastenverteilung, die angestrebt wird, auf geregelte Verfahren, auf die Sicherung der Außengrenzen. Nur ich denke, da wird sie mehr Schwierigkeiten haben als vorher und mittlerweile kann man ja auch daran zweifeln, ob dieses Beharren auf der europäischen Lösung in der Tat nun noch Hoffnung ausdrückt oder eher ein Indikator für ihre Verzweiflung ist, dass das nicht eintritt, und damit eigentlich auch ein Gratmesser für den Druck, dem sie sich ausgesetzt fühlt. Ich bin eher der Auffassung, dass die europäischen Staaten sie noch ein wenig hängen lassen werden, und dass möglicherweise erst Argumente, die allen gemeinsam sind und die sich dann vielleicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren lassen, nämlich man muss den Wirtschaftsraum aufrecht erhalten, dazu führen, dass man doch zur Einigung kommt. Aber das dauert auch alles seine Zeit.
Klein: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer heute Abend live bei uns im Deutschlandfunk mit einer ersten Einschätzung zu den Gesprächen heute Abend in Berlin in Sachen Asylpolitik. Es gab zumindest eine Einigung in der Koalition auf das sogenannte Asylpaket II. Herr Neugebauer, vielen Dank für das Gespräch und schönen Abend noch.
Neugebauer: Danke! Ihnen auch, Frau Klein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.