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Asylpolitik
"Außengrenzschutz sollte gesamteuropäische Verantwortung werden"

Der österreichische Europapolitiker Othmar Karas (ÖVP) plädiert für eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik. Insbesondere für den Außengrenzschutz sollten alle EU-Staaten einzahlen, sagte Karas im Dlf. Diejenigen, die handelten, sollten aus dem EU-Budget Geld bekommen.

Othmar Karas im Gespräch mit Silvia Engels |
    Othmar Karas 2013 im Europäischen Parlament vor einer Europaflagge.
    Othmar Karas sitzt für die Österreichische Volkspartei im Europäischen Parlament. (dpa /epa / Julien Warnand)
    Silvia Engels: Wenn die Union um die Frage streitet, ob Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können, dann ist das nicht nur ein rein innenpolitischer Streit. Und es ist keine Kleinigkeit, denn eine Zurückweisung hat Folgen für die Nachbarländer, letztlich auch für die Länder in der EU, in denen die meisten Flüchtlinge ankommen, also Italien, Griechenland oder Spanien.
    Bei der Frage, ob und unter welchen Umständen Flüchtlinge aus Deutschland abgewiesen werden, spielt auch Österreich eine wichtige Rolle. Am Telefon ist nun der österreichische EU-Parlamentarier Othmar Karas von der ÖVP, also der Partei von Bundeskanzler Kurz. Guten Tag, Herr Karas.
    Othmar Karas: Guten Tag!
    Engels: Markus Ferber, CSU-Europaparlamentarier, hat Österreich heute Früh im Deutschlandfunk vorgehalten, Flüchtlinge, die nach Österreich kämen, nicht immer zu registrieren, sondern auch mal in Richtung Deutschland weiterzuleiten. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
    Karas: Das alles zeigt nur, dass wir für eine gesamteuropäische Lösung und ein Gesamtpaket werben müssen, und das alles zeigt nur, wie wichtig der bevorstehende Gipfel der Staats- und Regierungschefs ist, wo die Asyl- und Migrationspolitik am Tisch liegt und beraten ist, und die kommende österreichische Ratspräsidentschaft hier Nägel mit Köpfen machen muss.
    "Binnengrenzen wieder freimachen"
    Engels: Bleiben wir aber noch mal bei dem konkreten Vorwurf. Ist es so, dass tatsächlich Österreich an der Grenze beispielsweise zu Ungarn oder auch zu Slowenien Flüchtlinge durchreisen lässt, die deutlich machen, dass sie eigentlich nach Deutschland wollen?
    Karas: Das sind gegenseitige Unterstellungen, die uns überhaupt nicht weiterbringen. Wir alle wissen doch sehr deutlich, dass wir nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, mit neuen Feindbildern oder mit einer Eskalation des Themas Flucht und Migration ein Problem lösen, sondern nur innenpolitisch Stimmung machen, sondern dass wir eine gesamteuropäische Lösung benötigen. Ich bin daher ganz auf der Seite der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ja darauf hingewiesen hat, dass wir eine gemeinsame Asylpolitik benötigen, dass wir eine gemeinsame Migrationspolitik benötigen, dass wir eine europäische Verantwortung für den Außengrenzschutz benötigen und dass wir die europäische Außenpolitik durch die Beseitigung der Einstimmigkeit handlungsfähiger machen müssen.
    Ich sitze gerade im Europäischen Parlament, wo der holländische Ministerpräsident Rutte gesprochen hat und der Vizepräsident der Kommission Timmermans. Alle weisen darauf hin, dass wir für Gesamtlösungen werben müssen, dass wir die Probleme gemeinsam nur lösen können und dass es keine Einzelmaßnahme gibt, die das Problem löst, sondern nur ein europäisches Gesamtpaket, und das steht ja auch auf der Tagesordnung des bevorstehenden Gipfels. Wir warten auf einen handlungsfähigen und entschlossenen Rat. Die Positionen des Parlaments und der Kommission liegen am Tisch.
    Außengrenzschutz, Frontex, Fluchtursachenbekämpfung
    Engels: Darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. Ich möchte doch noch einmal bei der Verantwortung Österreichs bleiben. Kann Österreich nicht auch jetzt schon mehr tun, indem an den eigenen Grenzen stärker kontrolliert wird und so sich der Druck gar nicht so aufbaut?
    Karas: Jeder einzelne Staat muss seine Verantwortung wahrnehmen. Ziel der Europäischen Union ist, dass wir die Binnengrenzen wieder freimachen, die Wartezeiten für die Bürgerinnen und Bürger an den Grenzen wieder freimachen und dass wir die europäischen Außengrenzen schützen. Nur die Fluchtfragen und Migrationsfragen beginnen nicht an der Außengrenze der Europäischen Union und enden nicht an der Außengrenze der Europäischen Union. Wir sind eine Rechtsgemeinschaft und eine Wertegemeinschaft. Wir haben das bestehende internationale und europäische Recht einzuhalten. Davon gehe ich aus. Nur die Gesamtherausforderungen, die uns in den nächsten Jahrzehnten bestehen bleiben, werden wir nicht an den Binnengrenzen lösen, sondern nur durch ein europäisches Gesamtpaket, und die werden wir nur lösen, indem wir Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gegen Wirtschaftsmigranten austauschen oder ausspielen, sondern differenzieren, analysieren und eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik zustande bringen. Das ist das eine und das andere ist natürlich die Frage des Zusammenhangs finanzieller Vorausschau, Außengrenzschutz als Gesamtverantwortung, Unterstützung von Frontex und Ursachenbekämpfung vor Ort. Das ist nicht auf die Frage Walserberg Österreich oder Deutschland und Binnengrenzschutz zu reduzieren. Das ist eine gesamteuropäische Verantwortung. Da macht man es sich zu leicht.
    "Es gibt keinen Anlass für eine Dramatisierung"
    Engels: Da macht man es sich zu leicht. – Hat es auch Österreich sich in dieser Thematik zu leicht gemacht, indem Menschen durchgeleitet wurden?
    Karas: Ich wundere mich jetzt, dass wir jetzt die Frage reduzieren auf Österreich und Deutschland, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen, zu denen die meisten Flüchtlinge wollen. Dass wir ein Problem an der Binnengrenze haben zeigt, dass der gesamteuropäische Asyl- und Migrationsmechanismus nicht funktioniert. Hier jetzt zwischen den Staaten Schuld zuzuschieben, oder mit neuen Grenzzäunen zu operieren, wäre ein Beitrag, der zeigen würde, dass wir aus den Ursachen der Probleme, die wir seit 2015 haben, nichts gelernt hätten und eine Dramatisierung herbeiführen zwischen den beiden Staaten, die der Tatsache nicht entspricht. Es gibt keinen Anlass für eine Dramatisierung. Es gibt keinen Anlass für Hysterie. Es gibt keinen Anlass für neue Grenzzäune und neue Grenzbarrieren innerhalb der Europäischen Union. Das zeigen uns auch die Zahlen der UNHCR und die Entwicklung der Asylanträge innerhalb der Europäischen Union. Sondern es gibt genügend Anlass, endlich ein Gesamtpaket zu schnüren und beim Gipfel Nägel mit Köpfen zu machen, um zu einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik zu kommen. Es gibt genügend Anlass, dass wir endlich im Zusammenhang mit der finanziellen Vorausschau die Gesamtverantwortung für den Außengrenzschutz übernehmen, der noch immer ein alleiniges Souveränitätsrecht der Mitgliedsstaaten ist, und es gibt genügend Anlass, den Ausbau von Frontex zu beschleunigen und die Einstimmigkeit in der Außenpolitik zu beseitigen, damit wir handlungsfähig sind.
    Evaluierung der Außengrenzen
    Engels: Da haben Sie einige Punkte jetzt genannt, auch was Sie vom EU-Gipfel Ende Juni erwarten: Besserer Schutz der Außengrenzen, mehr finanzielle Unterstützung der Länder, die die Außengrenzen der EU schützen, dann auch vielleicht Weggang vom Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik. Aber wie sehen Sie denn solche Vorstöße, wirklich gemeinsame Standards für Asylverfahren europaweit einzurichten, oder gar eine europäische Asylbehörde?
    Karas: Genau das habe ich gemeint, wenn ich von einer gemeinsamen Asylpolitik spreche. Genau das habe ich gemeint, wenn ich gesagt habe, dass ich die Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Gesamtpaket unterstütze. Ja, das benötigen wir. Wir sind eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Aber das ist nur ein Aspekt. Der Hauptpunkt ist der Außengrenzschutz und ist der Ausbau von Frontex und ist die Ursachenbekämpfung. Dafür benötigen wir Geld. Es geht mir aber nicht nur ums Geld; es geht mir vor allem um die Kompetenz. Außengrenzschutz sollte gesamteuropäische Verantwortung werden. Alle sollten einzahlen dafür. Und diejenigen, die handeln, sollten aus dem EU-Budget daraus das Geld bekommen. Das würde auch dazu führen, dass wir zu einer Evaluierung der Außengrenzen kommen und die Lücken gemeinsam schließen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.