Tobias Armbrüster: Die EU-Kommission, wir haben es gehört, will das Asylrecht in Europa vereinheitlichen und außerdem grundlegend überholen. Die große Frage ist: Lässt sich das wirklich realisieren und kriegt Europa damit die Flüchtlingskrise wirklich in den Griff? - Harald Glöde ist Vorstandsmitglied bei Borderline Europe. Diese Organisation setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte von Flüchtlingen ein. Und ich habe kurz vor der Sendung mit ihm gesprochen. - Schönen guten Abend, Herr Glöde.
Harald Glöde: Schönen guten Abend.
Armbrüster: Herr Glöde, sind die EU-Kommissare in Sachen Asylrecht schlauer und kompetenter als die Regierungen der EU-Mitgliedsländer?
Glöde: Nein, überhaupt nicht, würde ich sagen, weil das, was sie heute vorgelegt haben, ist aus meiner Sicht eher der Versuch, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren angesichts der Situation. Dabei müsste eigentlich allen Beteiligten klar sein: Das was da vorgeschlagen worden ist, das kann und das wird nicht funktionieren. Deswegen ist das mehr so eine Show-Nummer, die da durchgeführt wird.
Armbrüster: Warum wird das nicht funktionieren?
Glöde: Zum einen haben Sie ja festgestellt, dass diese Dublin-Regelung gescheitert ist. Es wurde auch höchste Zeit, dass sie das festgestellt haben, so nebenbei. Aber sie ziehen keinerlei Schlussfolgerung daraus, weswegen sie gescheitert ist. Wenn die Kommission vorschlägt, Flüchtlinge nach einem Quotensystem auf andere Staaten zu verteilen, dann haben sie zu allererst die Interessen und die Wünsche der Flüchtlinge überhaupt nicht berücksichtigt, die ja schon die ganze letzte Zeit dafür gesorgt haben, dass Dublin nicht funktioniert. Die wollen nicht meinetwegen in die Slowakei, nach Rumänien oder nach Bulgarien. Die Staaten selber wollen auch nicht. Die beiden, die eigentlich die Hauptbeteiligten und Betroffenen sind, die wollen beide nicht. Wie soll denn so ein System funktionieren?
Flüchtlinge suchen Länder mit Zukunftsperspektive
Armbrüster: Aber kann man das nicht einem Flüchtling zumuten, der aus einem Bürgerkriegsland zum Beispiel kommt, der um seinen Leib und sein Leben fürchten muss, der für seine Familie keine Sicherheit hat, wenn der nach Europa kommt, in eine Region völlig ohne Krieg, in der er versorgt wird? Muss man es ihm nicht zumuten können, dass man ihm sagen kann, Du gehst jetzt eben nicht in diesen EU-Mitgliedsstaat, sondern in einen anderen?
Glöde: Ich finde, dass das eine Zumutung ist, weil diese Flüchtlinge zum Teil ja auch aus Situationen kommen, oder die kommen aus Situationen, die sind vollkommen perspektivlos, und die wollen zum großen Teil ja auch ihr eigenes Leben wieder in die Hände nehmen. Das heißt, die wollen nicht versorgt werden, die wollen keine Almosen haben oder Ähnliches, sondern die wollen eine eigenständige Lebensperspektive aufbauen, und dazu gehören nun mal einfach bestimmte Integrationsmaßnahmen. Dazu gehört aber natürlich auch die Perspektive, irgendwann mal einen Job zu finden, von dem man den eigenen Lebensunterhalt finanzieren kann.
Armbrüster: Und das ist in einigen Regionen der Europäischen Union nicht möglich, einen Job finden?
Glöde: Das ist komplett ausgeschlossen. Welcher Flüchtling soll denn in Griechenland einen Job finden, oder in Italien, und auch die Situation in der Slowakei und Rumänien ist meines Wissens nach nicht grundsätzlich besser.
Armbrüster: Dann müssten aber alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen, eigentlich verteilt werden auf drei oder vier Länder.
Glöde: Das mag schon sein. Aber diese drei oder vier Länder, die könnten das, glaube ich, auch von ihrer ökonomischen Stärke her durchaus verkraften, und das wäre ja auf der EU-Ebene durchaus möglich, die Integrationskosten, die da einfach erst mal anfallen, über irgendwelche EU-Budgets zu decken. Dann würde das zumindest funktionieren. Dann würden die Flüchtlinge nicht dauernd versuchen, aus Ländern, wo sie hingezwungen werden, illegal auszureisen und dann wieder zurückgeschickt zu werden, wie das ja bei Dublin der Fall ist. Dann würden sie zumindest in diesen Ländern bleiben und könnten sich eine Perspektive aufbauen und würden, glaube ich, auf der Ebene dann auch durchaus zu dem gesellschaftlichen Reichtum beitragen und vor allen Dingen auch in einer Form, die ihren Interessen genügt.
"Politik setzt eher auf Abschottung und Abschreckung"
Armbrüster: Aber wenn wir uns mal ansehen, wie die Widerstände beispielsweise auch hier bei uns in Deutschland in den letzten Wochen gewachsen sind, ist dann eine solche Forderung, wie Sie sie da jetzt aufstellen, ist die nicht auch sehr unrealistisch, realitätsfern?
Glöde: Die ist, glaube ich, zum großen Teil deswegen realitätsfern, weil die Politik genau das nicht will, sondern immer das Gegenteil will und immer an allen Punkten eher auf Abschottung setzt. Schaut man sich nur die Situation an den Grenzen an, aber auch die Gesetzesverschärfungen, die es im Asylrecht im letzten Jahr wirklich im Eiltempo gegeben hat. Die sind doch alle ausgerichtet auf Abschreckung und Abschottung.
Armbrüster: Man könnte auch sagen, die ist darauf ausgerichtet, das Chaos an den Grenzen zu beenden und vor allen Dingen die Situation der Flüchtlinge sicherer zu machen und sie nicht länger in die Hände von Schleppern zu geben.
Glöde: Das Chaos, wenn ich mir die Situation in Idomeni angucke, das ist, glaube ich, durch die aktuellen Abschottungsmaßnahmen, durch den Grenzzaun in Mazedonien erst hervorgerufen worden. Und diesen Schlepperdiskurs, da wird auch bloß kaschiert mit, dass das eigentlich ein Vorgehen gegen die Flüchtlinge ist. Wenn die Flüchtlinge so eine legale Zugangsmöglichkeit hätten, dann gäbe es das ganze Schlepperproblem nicht. Aber mit dem, was da an Abschottungsmaßnahmen und an Grenzziehungen passiert, ich würde das durchaus als Konjunkturprogramm für die Schlepper bezeichnen.
Armbrüster: Aber wir haben ja zurzeit ein ziemliches Grenzchaos in Europa. Die Grenzkontrollen beispielsweise auch zwischen Deutschland und Österreich sind ja gerade auch wieder hier bei uns in Deutschland ein großes Thema. Ist es da nicht höchste Zeit, dass die EU, auch die EU-Kommission in Brüssel einschreitet und Pläne vorlegt?
Glöde: Mein Eindruck ist, dass das so ein Versuch ist, das von oben zu diktieren, und von oben heißt in dem Fall, deutlich spielt dann Deutschland eine ganz zentrale Rolle, und dass das nicht funktioniert. Das geht doch nur in einem gegenseitigen Einverständnis und in einem solidarischen Umgang, und da möchte ich einfach daran erinnern, dass Deutschland da lange Jahre die Solidarität hat krass vermissen lassen, weil nämlich durch diese Dublin-Regelung die Flüchtlinge eigentlich nach der Gesetzeslage hätten in Italien und Griechenland bleiben müssen. Alle Versuche, daran was zu verändern und da einen fairen Verteilmechanismus oder einen solidarischen Umgang mit zu finden, sind am Widerstand von Deutschland gescheitert. Dann darf sich Deutschland nicht wundern, dass jetzt mittlerweile die anderen Staaten, die so lange, ich sage mal, gegen die deutsche Wand gelaufen sind, dass die sich jetzt auch auf die Hinterbeine stellen.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Harald Glöde von der Flüchtlingsorganisation Borderline Europe. Vielen Dank, Herr Glöde, für das Gespräch.
Glöde: Ich danke auch. Schönen guten Abend noch.
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