Archiv

Asylpolitik
Ringen um Lösung bei Nachforderungen von Flüchtlingspaten

Sie wollen Geflüchtete eigentlich bei ihrer Ankunft in Deutschland unterstützen: Menschen, die eine Bürgschaft übernehmen. Wegen einer Gesetzesverschärfung 2016 fordern Jobcenter von den Flüchtlingspaten aber teilweise hohe Geldsummen nach. Niedersachsen arbeitet jetzt an einer politischen Lösung.

Von Alexander Budde |
    Der syrische Flüchtling Obayda Daoud (l) sitzt am 20.03.2015 in einem Büro der Nassauischen Wohnungsgesellschaft in Offenbach am Main (Hessen) neben Flüchtlingspatin Friedegard Enders und füllt zusammen mit ihr Formulare für den Erhalt einer Wohnung aus.
    Flüchtlinge werden immer noch oft von Ehrenamtlichen durch Bürgschaften unterstützt (dpa / picture-alliance / Christoph Schmidt)
    "Das ist mein Ordner der Verpflichtungserklärungen. Da ist der Name desjenigen, für den ich gebürgt habe. Die Verpflichtungserklärung, also bei mir hier Ende September 2014."
    Günter Schütte gehörte er zu den Ersten in Wolfsburg, die eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Ausländerbehörde unterzeichneten, um Menschen in größter Not zur Flucht aus dem syrischen Bürgerkrieg zu verhelfen. Womit wohl keiner der Bürgen rechnete: Der Staat fordert die vollen Unterhaltskosten seit Einreise der Schützlinge zurück. In ganz Deutschland haben die Jobcenter entsprechende Bescheide verschickt.
    "In meinem Fall sind das knapp 80.000 Euro, die für die fünf Menschen zusammenkommen."
    Jobcenter fordert 80.000 Euro für fünf Geflüchtete nach
    Schütte ist ein 67-jähriger Pädagoge im Ruhestand, der sich unter anderem als Schwimmlehrer für die Flüchtlingshilfe engagiert. Er erinnert sich noch gut an die Zeit vor dem großen Flüchtlingsstrom 2015. Mit den immer neuen Schreckensmeldungen aus dem Kriegsgebiet stieg damals der Druck auf die Politik.
    "Da bin ich von einem Freund angesprochen worden, ob ich nicht seiner Familie helfen könnte, auf einem ungefährlichen Weg nach Deutschland zu kommen. Mir persönlich waren die Bilder der Fluchtbewegung auf der Balkanroute vor Augen. Da gab es ja sehr eindrückliche Berichte, was diese Menschen auf dieser Flucht erlebten. Und es sind ja auch nicht wenige Menschen auf diesem gefährlichen Weg umgekommen."
    Schütte zögerte nicht lang, den fünf kurdischen Flüchtlingen aus dem Nordosten Syriens die sichere Einreise nach Deutschland zu ermöglichen – nicht mit Schlepper-Hilfe im Gummiboot, dafür mit Visum per Linienflug. Grundlage waren humanitäre Aufnahmeprogramme, die Niedersachsen und fast alle übrigen Bundesländer im Jahr 2013 aufgelegt hatten. Den hierzulande angekommenen Syrern sollte schnell und unbürokratisch geholfen werden, damit die ihre Familienangehörigen auf legalem Wege in Sicherheit bringen können. Bürgen wie Schütte, die ihre Schützlinge vielfach zunächst aus eigener Tasche versorgten, kamen da gerade recht.
    "Wir dachten: Wir bürgen für die Kosten, solange das Asylverfahren andauert"
    Viele Bürgen gingen davon aus, dass sie nur wenige Monate bis zum Abschluss des Asylverfahrens haften müssten, so steht es auch in der Urkunde:
    "Da heißt es nämlich: 'vom Tag der voraussichtlichen Einreise bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels'. Uns ist das damals erklärt worden von der Ausländerbehörde, dass das heißt: Wir bürgen für die Aufenthaltskosten, solange der Betreffende im Asylverfahren ist."
    Tatsächlich war die Rechtslage damals umstritten: Wie Niedersachsen gingen einige Bundesländer davon aus, dass die Bürgschaft erlischt und der Staat die Kosten übernimmt, sobald der Flüchtlingsstatus formell geklärt ist. Der Bund und einige andere Bundesländer wie Baden-Württemberg nahmen dagegen eine dauerhafte Verpflichtung der Bürgen an. 2016 änderte der Bundestag das Gesetz – für künftige Verpflichtungserklärungen stellte der Gesetzgeber ausdrücklich klar, dass diese auch nach der Asylanerkennung gelten. Dabei wurde die Dauer der Haftung auf fünf Jahre, bei Altfällen auf drei Jahre nach Einreise beschränkt.
    Auch Vereine, und Kirchengemeinden haben für Flüchtlinge gebürgt – und sehen sich nun ebenso mit horrenden Kostenbescheiden der Jobcenter konfrontiert. Bundesweit belaufen sich die Forderungen laut Bundessozialministerium auf mindestens 21 Millionen Euro. In Niedersachsen, wo Politiker besonders offensiv für Bürgschaften warben, wurden nach Recherchen der Neuen Osnabrücker Zeitung fast 1.000 Bescheide über knapp zehn Millionen Euro an Flüchtlingsbürgen geschickt. Vollstreckt werden die Forderungen bis auf weiteres nicht.
    "Wir haben auch in Einzelfällen Personen, bei denen die Summe sechsstellig ist, um die es geht. Es gab eine rechtliche Einschätzung des Innenministeriums, die geradezu dazu aufgefordert hat, weitere Bürgschaftserklärungen abzugeben. Diese sehr weitgehenden Erklärungen des Innenministeriums binden in unseren Augen die Politik und verpflichten sie auch hier eine Lösung für die Betroffenen herbeizuführen."
    Fordert der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Kai Weber.
    Mögliche Lösung: eine Art Hilfsfonds
    Tatsächlich ringen Bund und Länder seit Monaten um eine politische Lösung. Im Gespräch ist eine Art Hilfsfonds für betroffene Flüchtlingsbürgen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius von der SPD zeigte sich Ende Dezember vergangenen Jahres noch vorsichtig optimistisch, dass…
    "…wir vielleicht sogar noch vor Weihnachten eine gute Lösung hinbekommen. Dass die Menschen, um die es geht, in ihren Bürgschaften freigestellt werden - und sich Bund und Länder die Kosten teilen."
    Eine endgültige Einigung zeichnet sich bereits ab, scheitert derzeit aber noch an der Aufteilung der Kosten, deutet der Minister an.
    Günter Schütte begrüßt die jüngsten Signale, wonach der Staat den Bürgen wohl einen Großteil der Forderungen erlassen und die Kosten selbst übernehmen will.
    "Ich vertraue darauf – ansonsten bin ich mir sicher, dass wir auch vor den Gerichten Recht bekommen werden."
    Wie so viele Betroffene hat Schütte gegen den Bescheid geklagt. Allein in Niedersachsen sind mehrere Hundert Verfahren anhängig, in vielen Fällen haben Verwaltungsgerichte bereits zugunsten der Bürgen entscheiden – obwohl das Bundesverwaltungsgericht 2017 die Rechtslage in einem anderslautenden Grundsatzurteil klärte.
    Doch Schütte hofft auf eine versöhnliche Lösung – er fühlt sich in die Mühlen einer zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik geraten.