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Asylpolitik
"Verantwortungs-Pingpong nervt die Bürgerinnen und Bürger"

Der CDU-Innenpolitiker Marian Wendt hat kritisiert, dass sich Bundesländer gegen sogenannte Ankerzentren für Flüchtlinge sperren. Dort könnten alle Kompetenzen gebündelt werden, sagte Wendt im Dlf. Beim Thema Asyl gebe es derzeit zu viele Zuständigkeiten.

Marian Wendt im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Marian Wendt (CDU) redet bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude
    Marian Wendt, CDU-Innenpolitiker, spricht sich für Ankerzentren aus (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Sandra Schulz: So etwas wie sein politisches Gesellenstück wollte Innenminister Seehofer heute abliefern. Der CSU-Chef, der lange zu den profiliertesten Kritikern der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gehörte, der wollte heute seinen sogenannten "Masterplan für Asylpolitik" vorlegen. Für ihn und seine Partei, die in wenigen Monaten eine Landtagswahl in Bayern gewinnen will, ein wichtiger Pfeiler, um zu zeigen, in der Flüchtlingspolitik liefert die CSU. Gestern kam dann aber die Nachricht, der Masterplan wird heute doch nicht vorgestellt.
    Auch in den kommenden Minuten bleiben wir beim Thema. Am Telefon ist Marian Wendt, CDU-Abgeordneter aus Sachsen und im Bundestags-Innenausschuss. Schönen guten Morgen.
    Marian Wendt: Schönen guten Morgen.
    Schulz: Wie ist den Ihnen, den Bundestagsabgeordneten das kommuniziert worden, dass jetzt dieser sogenannte Masterplan zur Asylpolitik heute erst mal nicht vorgestellt wird?
    Wendt: Uns wurde auch mitgeteilt, dass der verschoben werden muss. Das bedauere ich natürlich grundsätzlich sehr. Jeder Tag, der uns beim Thema Asyl verloren geht, ist natürlich kein guter Tag. Wir müssen da, glaube ich, eine gute Lösung finden, so schnell wie möglich, im Sinne unseres Rechtsstaates, aber natürlich auch im Sinne der Betroffenen. Denn der jetzige Zustand ist zwar besser als der, den wir 2015 hatten, ganz klar, aber es gibt noch einiges zu verbessern.
    Schulz: Aber erleben wir jetzt nicht wieder das Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Merkel und Seehofer, wie wir es aus den Jahren 2015ff schon kennen?
    Wendt: Ich glaube, nicht ganz. Im Kern sind wir uns ja einig, dass die Flüchtlinge, die registriert wurden in anderen EU-Staaten, nicht in Deutschland das Asylverfahren durchlaufen sollen und auch nicht hier bleiben dürfen. Das ist ja Konsens. Nun ist die Frage, wie geht das Ganze technisch. Das Beste wäre natürlich einfach ein Transitzentrum. Wenn wir ein Transitzentrum an der Grenze hätten, wo wir feststellen, Du bist ein Dublin-Fall, Du wurdest bereits in Italien, Griechenland, Ungarn oder in einem anderen europäischen Land registriert, dann stellen wir das fest und schieben Dich von dort aus direkt in das betroffene Land ab. Das bringt natürlich auch im Kern, wenn wir alle nach Griechenland wieder zurückschicken, nicht die Lösung des Problems, weil Griechenland dann wieder wie 2014 gegebenenfalls kollabiert. Deswegen ist die europäische Lösung schon die richtige. Aber wir müssen, glaube ich, und da bin ich auch auf Horst Seehofers Seite ein Stück weit, klar machen, dass wir hier klare Grenzen haben, dass wir klare Regeln haben, und wer schon mal nach EU-Recht registriert ist, nicht einfach nach Deutschland wieder kommen kann.
    "Bürger, wollen dass das Problem gelöst wird"
    Schulz: Herr Wendt, jetzt ist die Diskussion um die sogenannten Transitzentren ja insofern weitergegangen, dass Horst Seehofer und auch, wenn ich es richtig verstanden habe, die anderen Koalitionäre die inzwischen Ankerzentren nennen. Nur, dass das ja auch nicht so richtig vorankommt, weil Horst Seehofer da abgesehen von Sachsen und Baden-Württemberg in den Ländern keine Verbündete findet.
    Wendt: Das ist leider im Kern das Problem. Wir haben erstens zu viele Zuständigkeiten für den Bereich Asyl und Ausländer. Das geht bei der Unterbringung los, das machen die Landratsämter. Die Aufenthaltsentscheidung machen die Landratsämter. Für die Abschiebungen sind die Länder zuständig. Für die Feststellung des Status, ob jemand Asyl bekommt oder nicht, oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention registriert wird, ist der Bund zuständig. Das muss perspektivisch endlich aufhören. Dieses Verantwortungs-Pingpong, das nervt auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Die wollen, dass das Problem gelöst wird.
    Aber ich sage mal, im Fall von Herrn Ali B., der war vollziehbar, der war sozusagen von Bundesseite her zügig entschieden binnen drei Monaten: aus Irak, kein Flüchtlingsstatus. Dann hing das Thema schon seit fünf Monaten beim Verwaltungsgericht. Das ist natürlich eine klare Länderaufgabe. Deswegen ist es richtig zu sagen, wir machen diese Ankerzentren, wo alle Kompetenzen gebündelt sind, und ich kann wirklich nicht nachvollziehen, dass man sich als Bundesland hiergegen sperrt, weil wir dadurch endlich zügige und glaubhafte Verfahren kriegen und vor allen Dingen am Ende auch gegenüber der Bevölkerung durch Taten glänzen. Denn ich glaube, Pläne sind gut und Ideen sind auch gut, aber was es jetzt wirklich braucht sind klare Taten und wirkliche Zeichen, dass wir hier zu einem rechtsstaatlichen, zügigen und geordneten Verfahren zurückgekommen sind.
    Schulz: Ist es denn so, dass die Zustände, die wir teilweise aus den Flüchtlingsunterkünften kennen, die ja noch kleiner sind als die geplanten Ankerzentren, dass die Mut darauf machen, dass Ankerzentren, wo sich auch nichts daran ändern wird, dass Verwaltungsgerichte nicht von heute auf morgen entscheiden, friedliche Orte werden?
    Wendt: Ich habe zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, in der EU und auch in Afrika und im Irak oder in Jordanien besucht. Was in Deutschland passiert mit der Unterbringung, ist wirklich sehr, sehr ordentlich. Alle Teilnehmer, alle Beteiligten sind darauf aus, dass dort Ruhe herrscht, dass dort Ordnung ist, dass man auch mit den gewissen kulturellen Unterschieden, die es gab, umgehen kann. Die waren am Anfang viel, viel stärker. Da gab es Messehallen, da gab es nur eine riesige Halle mit Messetrennwänden von 2000 Personen. Das kann man schon besser ordnen. Da kann man auch innerhalb eines Ankerzentrums entsprechende Zonen der verschiedenen Kulturen einrichten, die trennen. Und da muss man auch von Anfang an eine klare Ansage machen an diejenigen: Ihr wollt hier ein Gastrecht haben, ihr wollt hier Schutz haben, also benehmt euch auch. Und wenn ihr Probleme mit euren Nachbarn habt, aus kultureller oder religiöser Art oder wie auch immer, dann ist dieser Konflikt jetzt auch einmal zurückzustellen und dann müssen wir gegebenenfalls in diesen Ankerzentren, wo es Probleme gibt - mit wenigen Menschen ist das in der Regel ja nur der Fall, mit wenigen Personen -, zügig durchgreifen und da dürfen wir uns auch nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Ich halte aber diese Idee von diesen Einrichtungen schon gut. Wir dürfen nicht wieder anfangen, alle Asylbewerber, die keine Aussicht auf Schutz haben, wieder auf die Kommunen, ins kleinste Dorf zu verteilen, weil die dort erstens zu integrieren ohne Zielperspektive macht keinen Sinn. Und zum zweiten: Die Zuführung zum Verfahren ist dann immer sehr, sehr komplex, mit täglichen Fahrten verbunden, und das muss man aufhören. Es muss eine zügige Bearbeitung binnen einer Woche erfolgen. Das ist technisch möglich, das können auch deutsche Verwaltungen. Wenn der Wille da ist, funktioniert das schon, und es fehlt mir ein bisschen der Wille.
    Schulz: Herr Wendt, lassen Sie uns an der Stelle vielleicht den Punkt machen und noch mal zurückgehen zu dem Streit, worum er sich jetzt gerade dreht zwischen Seehofer und Merkel. Da geht es ja um diese Zurückweisungen. Wenn die Menschen an der Grenze zurückgeschickt werden nach Österreich, was ist dann die Idee? Was soll mit denen dann dort geschehen?
    Wendt: Es geht, glaube ich, nicht um eine rein nationale Lösung. Da bin ich auch bei Sebastian Kurz und ich finde es gut, dass wir uns den Tag mehr nehmen, auch mit ihm heute noch mal zu sprechen hier in Berlin über die Problematik der Zurückweisung. Es ist uns ja allen nicht geholfen, wenn wir einfach das Problem nach Österreich schieben. Dann staut sich das meinetwegen in Österreich oder in Ungarn oder auf der Balkan-Route, und dann wird der Druck wieder so hoch, dass wir wieder in die Situation vom September kommen. Das wollen wir nicht. Deswegen braucht es eine abgestimmte Lösung.
    "Es kann kein nationaler Alleingang sein"
    Schulz: Aber warum, Herr Wendt, geben Sie dann Horst Seehofer in diesem Konflikt recht, wenn es da diesen Logikbruch gibt, den Sie ja auch gerade skizzieren?
    Wendt: Nein! Ich meine, man kann nicht sagen, wir weisen in Österreich zurück, und dann gibt es im Rahmen eines abgestuften Verfahrens hinunter auch einen Quick Freeze, wo weitere Länder auch entsprechend zurückweisen. Es kann nicht ein nationaler Alleingang sein, aber es kann ein von Deutschland ausgelöster Vorgang sein, dem die anderen folgen, natürlich abgestimmt. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Natürlich ist unsere Schwachstelle die griechisch-türkische Position. Deswegen ist auch das Türkei-Abkommen richtig gewesen, und immer noch funktioniert dieses Abkommen, ich sage mal, relativ stabil. Dort muss entsprechend auch angesetzt werden. Wir müssen aber auch als Deutschland zeigen, wir sind bereit zurückzuweisen, gemeinsam auch mit den anderen Ländern. Das muss diese Mittellinie, glaube ich, zwischen Angela Merkels Position und Horst Seehofers Position sein. Wir können aber nicht einfach sagen, wir warten was kommt und wir machen gar nichts als Deutschland. Dann, glaube ich, machen sich andere Länder auch ein bisschen den schmalen Fuß und sagen, dann geht doch weiter. Es muss auch ein klares Signal innerhalb der Europäischen Union sein.
    Schulz: Die Mittellinie würde ich gerne noch ein bisschen genauer verstehen. Wenn Sie sagen, wenn wir zurückweisen, dann weisen die Österreicher auch zurück und dann bleibt das Problem bei Italien oder Griechenland hängen – das war ja einer Ihrer ersten Sätze, dass das gerade nicht sein darf -, wie sollen dann diese Zurückweisungen, die Horst Seehofer ja will, den europäischen Partnern erklärt werden?
    Wendt: Zunächst mal muss es gemeinsam miteinander erklärt werden, innerhalb eines Kontextes. Und es gibt schon positive Beispiele, dass dieser Quick Freeze auch funktioniert. Sebastian Kurz hat das ja erfolgreich organisiert gehabt im Frühjahr 2016.
    "Verschiedene Situation des Asylsozialrechts innerhalb der EU"
    Schulz: Sagen Sie allen, die sich nicht vorstellen können, was ein Quick Freeze ist, was das ist.
    Wendt: Das ist, wenn man kurzfristig durch verschiedene Grenzschließungen die Situation so einfriert, dass, sage ich mal, keiner mehr vor und zurück kommt und dass dadurch die Flüchtlinge, die sich in einem Land befinden, dann dort erfasst werden, registriert werden und dann nach den Verfahren entweder integriert oder natürlich abgeschoben werden in ihre Heimatländer.
    Wir haben natürlich das Problem, da waren wir uns auch ehrlich, dass wir verschiedene Situation des Asylsozialrechts haben innerhalb der EU. Deswegen ist es attraktiver, nach Deutschland zu kommen. Und es ist deswegen nicht für viele Länder attraktiv, für schnelle, zügige, rechtsstaatliche Verfahren zu sorgen. Das muss man auch klar feststellen. Deswegen wäre zu sagen: Erster Schritt, wir schließen gemeinsam unsere Grenze, geben uns jeweils ein humanitäres Kontingent. Wir haben 200.000, 220.000 in Deutschland. Das kann man auch für Österreich und Griechenland entsprechend runterbrechen. Dann muss es auch gemeinsam in der Grenzschutzagentur bis dahin an der europäischen Außengrenze Zurückweisungen geben. Dann kann es auch nicht sein, dass hier vermeintliche Rettungshilfsorganisationen bis quasi in die libyschen Hoheitsgewässer fahren und dort auch im Endeffekt quasi das Schlepperwesen mit in dem Sinne unterstützen, auch wenn die das natürlich nicht wollen, dass sie die Leute quasi von der libyschen Küste abholen. Da fängt dieser ganze Weg schon an. Wir werden das Grundproblem nicht.
    Schulz: Das ist ja alles viel diskutiert worden. Herr Wendt, wenn wir jetzt noch mal den Blick auf das Gesamtbild werfen. Jetzt hat Horst Seehofer, die CSU hat einen Wahlkampf vor sich. Horst Seehofer ist angetreten als neuer Innenminister, als Heimatminister mit dem Anspruch, dieses Asylthema jetzt wirklich mal anzugehen. Wie glaubwürdig ist nach diesem Eklat von gestern sein Macher-Image denn eigentlich noch?
    Wendt: Horst Seehofer will das umsetzen. Er ist motiviert. Das ist weiterhin aus meiner Sicht sehr hoch. Es kommt jetzt nicht auf wenige Tage an, ob das nun heute oder morgen ist. Es muss jetzt in den nächsten Wochen entscheidend was passieren. Es wird vor der Sommerpause, da bin ich mir sicher, dort noch einiges an Bewegung passieren. Wir wollen den Familiennachzug neu regeln. Da ist das Gesetz entsprechend eingebracht. Da gab es gestern die Anhörung. Das wird in den nächsten Wochen passieren und dann ist noch entsprechend Zeit bis zur Landtagswahl in Bayern, um diesen Worten auch Taten folgen zu lassen und dass die auch die Bevölkerung sieht. Ich glaube aber, um einen Satz dazu zu sagen, dass es nicht nur immer auf das Thema Flüchtlinge ankommt bei Wahlen. Es ist ein Katalysator für eine gewisse Stimmung. Es kommt auch auf Durchsetzungsfähigkeit im Rechtsstaat allgemein an, um die Entwicklung in ländlichen Räumen. Da wollen wir mehr machen. Um die Infrastruktur, um Breitbandanschluss; auch das sind wichtige Themen, die die Menschen im wirklichen Lebensalltag jeden Tag treffen.
    Schulz: Der CDU-Innenpolitiker Marian Wendt heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Danke ganz herzlich.
    Wendt: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.