Archiv

Asylstreit bei den Unionsparteien
"Ich erkenne das C in der CSU nicht wieder"

Hans Maier war bayerischer Kultusminister und Präsident des Zentralkomitees der Katholiken. Über seine Partei sagt der frühere CSU-Politiker: "Es gibt ein Klima des Kleinmuts und der Ängstlichkeit. Anstatt dass die Parteiführer dagegen halten, laufen sie diesem Trend nach. Sie haben Angst vor der AfD".

Hans Maier im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier.
    Der Politikwissenschaftler und frühere Politiker Hans Maier. (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Benedikt Schulz: Die Unionsparteien zerreiben sich im Asylstreit. Sogar vom möglichen Ende der Fraktionsgemeinschaft war zwischenzeitlich die Rede. Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte der Union, dass die beiden C-Parteien in einer Streit-Zwickmühle stecken beim Thema Flüchtlinge, bei der man schon mal vergessen kann, was diese beiden Parteien eigentlich verbindet – nämlich dieses C. Manche Beobachter haben sich in diesen Tagen erinnert an ein Ereignis, das schon etwas länger zurückliegt, nämlich gut 40 Jahre: Da hatte die CSU das Ende der Fraktionsgemeinschaft schon mal beschlossen – und es nach wenigen Wochen wieder einkassiert, 1976 war das. Einer, der in diesen Tagen daran erinnert hat, war damals als CSU-Politiker hautnah dabei, hat bereits damals daran Kritik geübt. Hans Maier, Politikwissenschaftler, ehemaliger Kultusminister in Bayern und lange Jahre Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Er hat in diesen Tagen an die Bundestagsabgeordneten der Unionsfraktion eine Nachricht geschickt, die mit den Worten beginnt: "Seid ihr denn alle verrückt geworden?" Die Verrücktheitsfrage will ich nicht stellen, aber ich will darüber reden, wie sehr das C, also die christliche Gesinnung, beide Parteien eigentlich noch verbindet. Hans Maier ist jetzt am Telefon – guten Morgen, Herr Maier!
    Hans Maier: Guten Morgen, Herr Schulz.
    Schulz: Das C in CSU und CDU, das ist eigentlich das einigende Band dieser Parteien, also die historische Errungenschaft, dass es da eine breite, christliche, überkonfessionelle, politische Bewegung gibt. Das ist etwas, was es vor Entstehung der Bundesrepublik so nicht gab – also nicht mehr Zentrum, sondern Union. Hält dieses C diese Parteien immer noch zusammen, auch im Jahr 2018?
    "Die christlichen Parteien sind auf das Eintreten für die Verfolgten verpflichtet"
    Maier: Ich hoffe! Im Augenblick ist leider eine Krise im Verhältnis der beiden Parteien CDU und CSU, ausgelöst, das möchte ich festhalten, durch die CSU. Und dass ausgerechnet die Flüchtlingspolitik jetzt als Scheidungsgrund hervortritt, das ist grotesk, das ist abenteuerlich. Denn die christlichen Parteien sind ja auf die Menschenwürde verpflichtet, auf das Eintreten für die Verfolgten, auf die Antriebe der zehn Gebote, die Botschaft Jesu. Der Sozialstaat wäre gewiss ohne den Impuls der Nächstenliebe nicht entstanden. Dass dieser Streit über das Asylrecht nun die beiden Parteien, die sich christlich nennen, trennt und entzweit, das kann ich überhaupt nicht verstehen.
    Im Übrigen, Sie haben schon erinnert an Kreuth: Damals gab es eine Auseinandersetzung zwischen Strauß und Kohl, aber Kohl hatte bereits die Weichen gestellt für den Einmarsch der CDU in Bayern. Diesmal könnte es ähnlich kommen. Dann wäre aber auch die langjährige Herrschaft der CSU zu Ende. Denn die CDU würde sicher in Franken und Schwaben eine Mehrheit bekommen.
    Schulz: Wenn Sie jetzt sagen, es ist gerade die Flüchtlingspolitik, die Scheidungsgrund sein könnte, kann man denn dann noch sagen, dass die CSU sich derzeit sehr christlich verhält, wenn sie diesen Streit ausgelöst hat?
    Maier: Ich vermisse die Sprache, die ich im Ohr habe seit meiner Jugend, von Adenauer, Schumann, De Gasperi, Spaak und anderen. Das war eine christliche Sprache. Sie haben schon daran erinnert, dass es eine Partei mit dem Namen "Christlich" vorher nicht gab – mit Ausnahme des kleinen Christlich-Sozialen Volksdienstes: Das war eine kleine evangelische Splitterpartei in der Weimarer Zeit. Aber sonst hatte man "Zentrum", hatte andere Namen. Christlich wagte man sich eigentlich erst zu nennen nach dem Dritten Reich, als Gegensatz, als Gegenpol zu dem, was man erlebt hatte, zu der Herrschaft des Unrechts, zum Totalstaat, zur Vernichtung. Und in den Verfassungen der Nachkriegszeit in den Ländern ist das ja deutlich artikuliert, dieser Gegensatz. Daraus lebten auch die CDU und die CSU. Sie war lange Zeit eine politische Kraft, ein Stabilitätsfaktor sowohl in der deutschen wie in der europäischen Politik. Wer sollte danach eine ähnliche Führungsrolle übernehmen? Das fragt heute Berthold Kohler in der Frankfurter Allgemeinen in einem Leitartikel. Ich kann das nur unterstreichen: Dass man jetzt, in dieser Situation Europas, eine Krise auslöst in der führenden und bisher die europäische Politik mitbestimmenden Partei, das begreife ich nicht. Und deswegen habe ich auch in meinem ersten Zorn geschrieben: "Seid ihr alle verrückt geworden?".
    "Die CSU hätte klar sagen sollen: Die AfD wählt man nicht"
    Schulz: Es gibt in der Politik natürlich immer eine Spannung, wenn eine religiöse Haltung – oder überhaupt eine Gesinnung – per Name die Richtschnur des Handelns sein soll, wie eben das C in CSU oder CDU. Wenn es um diese politisch offenbar so schwer lösbare Frage des Umgangs mit Flüchtlingen geht, also um Menschen, die aus individueller Not handeln, dann stehen ja doch die Verantwortung in der Politik, also die Verantwortung, die Gesellschaft zu gestalten, dann steht das doch in einem Spannungsverhältnis zur christlichen Gesinnung. Die hat ja, was unseren Umgang mit Notleidenden angeht, Sie haben das gerade schon angesprochen, die eine oder andere klare Antwort parat. Diese Spannung zwischen eben Realpolitik und Gesinnung, in diesem Fall christlicher Gesinnung, lässt sich die überhaupt immer auflösen?
    Maier: Ich glaube, zur Realpolitik gehört auch die Einsicht in die heutige Lage der Welt. Und da sind wir auf der einen Seite ein relativ reiches und mächtiges Land, wirtschaftlich stark, potent. Und auf der anderen Seite stehen viele Länder, die an der Armutsgrenze entlanggehen. Und man muss sich darüber klar sein, die Fluchtursachen liegen sehr tief – und sie können auch nicht von Europa allein beseitigt werden. Aber man muss diesen Horizont vor Augen haben. Und ich vermisse sehr, dass das nicht mehr geschieht. Wir hatten eine überwältigende Offenheit gegenüber Verfolgten und Vertriebenen 2015. Ich habe das, gerade in München, erlebt. Und das war ja so, dass Bayern da den Hauptstoß abbekam, weil es direkt an der Grenze liegt. Aber damals hat sich die Bevölkerung eigentlich positiv verhalten. Heute ist ein Klima der Ängstlichkeit und des Kleinmuts entstanden. Statt dass die führenden Leute, die Parteiführer, dagegen halten, sind sie nur besorgt, diesem Trend nachzulaufen - und sie haben Angst vor der AfD. Ich finde, die CSU hätte jetzt ihr Renommee zusammennehmen können und klar sagen sollen: Die AfD, die wählt man nicht. Stattdessen hat man sich in der Tonlage, in den Äußerungen, oft der AfD angepasst. Und das kann bei den Landtagswahlen nichts Gutes verheißen. Eine Partei muss erkennbar bleiben. Es ist nicht nur wichtig, dass sie handlungsfähig bleibt – das selbstverständlich auch. Aber sie muss erkennbar bleiben: ihre Sprache, ihr Tonfall, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, das alles muss identisch sein. Da erkenne ich in manchen Äußerungen, zum Beispiel in diesem unsäglichen Ruf nach einer "konservativen Revolution", die alte christliche Partei nicht wieder. Und ich meine, die CSU muss bei ihren Ursprüngen, bei ihren christlichen Ursprüngen bleiben, bei den Antrieben der zehn Gebote, bei der Botschaft Jesu – das ist ihr eigentliches Markenzeichen. Und das kann nicht durch ein anderes ersetzt werden.
    "Das Kreuze in der Öffentlichkeit gezeigt werden, ist positiv, aber es kann nicht verordnet werden"
    Schulz: Jetzt hat Markus Söder mit seinem Kreuzerlass das Christentum ja aber doch ganz deutlich in den Mittelpunkt gestellt. Was halten Sie denn von dieser Art von christlicher Identitätspolitik, so nenne ich das jetzt mal?
    Maier: Dass Kreuze in der Öffentlichkeit gezeigt werden, das ist positiv. Das habe ich auch seinerzeit, nach dem unsäglichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995, deutlich in der Öffentlichkeit bekundet. Aber dieser Anstoß muss von unten kommen, aus den Gemeinden. Er kann nicht sozusagen behördlich verordnet werden von oben. Und die Gefahr war auch, dass das sofort als eine Wahlkampfmaßnahme erscheint. Das hat die Sache getrübt. In der Sache, wie gesagt, bin ich durchaus der Meinung: Kreuze gehören in die Öffentlichkeit. Aber man muss in der heutigen Situation natürlich auch überlegen – auch die Muslime haben einen Anspruch auf Öffentlichkeit, die Juden selbstverständlich auch, und auch die Glaubenslosen. Das heißt, die Situation ist eine etwas andere als unmittelbar nach dem Krieg, als die christlichen Parteien Katholiken und Protestanten noch für die Mehrheit des Volkes standen.
    Schulz: Tragen die Unionsparteien das C im Jahr 2018 immer noch zu Recht oder sollten sie es konsequenterweise vielleicht einfach abgeben und sich für die nächsten Jahre einfach konservativ nennen, anstatt christlich?
    Maier: Ich meine, konservativ ist zwar ein Element der christlichen Parteien – aber niemals das Tragende. Ich habe ja meine Lebensarbeit der Erforschung der christlichen Demokratie gewidmet, und wenn man das verfolgt von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart, dann war immer ein liberal-progressives Element führend. Und das Konservative kam erst nachträglich nach. Also man kann nicht sagen, die Union, die Christlich-Sozialen und die christlichen Demokraten, sind von Hause aus konservative Parteien. Es ist ja auch bezeichnend, dass die englischen Konservativen sich nie der EVP im europäischen Parlament anschließen wollten – sie kannten den Unterschied genau. Umgekehrt kann eine christliche Partei niemals nur konservativ sein. Auch das Christentum ist kein konservatives Element, sondern ein Element ständiger Veränderung, ständiger Umwandlung. Die Nächstenliebe ist etwas Dynamisches und nicht etwas Konservatives.
    Schulz: Wie sehr hält das C, das Christentum, die Unionsparteien in Deutschland noch zusammen. Darüber habe ich gesprochen mit Hans Maier, Politikwissenschaftler, ehemaliger Kultusminister in Bayern und lange Jahre Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Herr Maier, ganz herzlichen Dank.
    Maier: Ja, ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.