Philipp May: Die Fronten bleiben verhärtet zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminister Horst Seehofer. Immerhin: Der CSU-Chef will der Kanzlerin noch eine Frist von zwei Wochen gewähren, bevor er Abweisungen an der Grenze anordnet, damit Merkel bilaterale Rücknahmeabkommen von bereits registrierten Migranten aushandeln kann mit Ländern wie Italien oder Griechenland. Das ist im Kern genau der Kompromissvorschlag, den Merkel Seehofer bereits letzte Woche angeboten hatte.
Am Telefon ist jetzt Armin Schuster, Obmann der Union im Innenausschuss, von der CDU - wichtig zu betonen. Guten Morgen, Herr Schuster.
Armin Schuster: Guten Morgen, Herr May.
May: Sind Sie dankbar, dass Ihre Schwesterpartei der Kanzlerin noch eine Gnadenfrist gewährt?
Schuster: Erstens: Das stimmt schon mal nicht. Ich war ja nun Mitglied der Fraktion auch am Donnerstag, und diese 14-Tages-Frist hat Angela Merkel sich selber gegeben. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich einer der ersten Redner war und ihr gesagt habe, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich ein beinhartes eigenes Ultimatum gestellt. Das wird nicht einfach. Da hat Herr Seehofer noch gar nicht davon gesprochen. Da muss man jetzt schon mal in der richtigen Reihenfolge bleiben.
May: Das haben wir gerade auch schon genau so gesagt. Nichtsdestotrotz: Die CSU hat das jetzt genau aufgenommen und spricht von einer Gnadenfrist.
Schuster: Für mich ist es keine Gnadenfrist, weil mir ist es im Moment zu viel Personenkult. Merkel und Seehofer sind nicht die Alleinagierenden in diesem Diskurs. Ich will mal darauf hinweisen, dass schon in den Koalitionsverhandlungen wir mit der SPD versucht haben, genau das Thema, um das es jetzt geht, nämlich Zurückweisung von Dublin-Fällen, in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. Das ist nicht gelungen. Ich war selber in dieser Arbeitsgruppe. Da gab es überhaupt keinen Dissens innerhalb der Unions-Verhandler. Es gab den Dissens mit der SPD.
Das wäre mir übrigens auch am liebsten, wenn wir nicht unionsintern streiten würden über ein Thema, was schon klar war, sondern mit der SPD. Von daher: Da war Seehofer nicht Innenminister. In der Gruppe saß auch nicht Angela Merkel. Wir hatten einen ganz klaren Verhandlungsplan, nämlich dieses Thema durchzusetzen. Das ging mit der SPD nicht. Da habe ich heute Hoffnung, dass es leichter wäre. Deswegen würde ich sogar den Koalitionsausschuss befürworten, den Frau Nahles beantragt hat.
"Ich analysiere eine totale Überforderung des BAMF"
May: Aber dann ist das Thema doch eigentlich schon durch. Steht nicht im Koalitionsvertrag, die SPD sagt, sie macht das nicht mit, warum dann dieser Scheinkrieg jetzt in der Union?
Schuster: Na ja, Politik besteht nicht daraus, dass ich nur Dinge formuliere, die dem Koalitionspartner gefallen.
May: Entschuldigung! Jetzt muss ich trotzdem noch mal nachfragen. Die Situation ist ja nun wirklich nicht dramatischer geworden. Es gibt jetzt gar keine Notwendigkeit, auf einmal dieses Thema auf die Agenda zu holen, außer möglicherweise eine Landtagswahl in Bayern.
Schuster: Doch! Es hat damit überhaupt gar nichts zu tun. Ich als CDU-Innenpolitiker interessiere mich jetzt nicht so sehr für die Landtagswahl in Bayern, aber für die Frage, wie kommen wir auf Dauer weit weg und weit unterhalb dieser 200.000-Grenze, von der wir nicht so weit entfernt sind bei den Aufnahmezahlen jährlich - erstens.
Zweitens: Ich sitze in der vierten Sondersitzung im Innenausschuss und analysiere eine totale Überforderung des BAMF, das unter anderem diese schwierigen Dublin-Fälle hat, wahrscheinlich die schwierigsten Fälle in dieser Behörde überhaupt - Fälle, wo auch der gesunde Menschenverstand einem sagt, nein, die müsste es nicht geben. Wir reden hier von 20.000, 30.000, 40.000 im Jahr, die längst ein Asylverfahren irgendwo laufen haben, aber nicht in Deutschland, und es trotzdem versuchen oder wiederholt versuchen.
Das kannst Du rechtlich nicht akzeptieren, das kannst Du lebenspraktisch nicht akzeptieren und ich möchte auch keinen Asyltourismus oder -Hopping in Europa erlauben. Wir brauchen Ordnung in diesen Verfahren und Entlastung im BAMF. Es gibt tausend und einen Grund, darüber unabhängig von der Landtagswahl in Bayern zu reden.
May: Herr Schuster, wir wissen, Sie finden das inhaltlich richtig, was Horst Seehofer vorschlägt. Sie haben sich ja auch bei der Fraktionssitzung vor einer Woche, als der Bruch zum ersten Mal offenkundig wurde, auf die Seite von Horst Seehofer geschlagen - per Wortmeldung. Aber dennoch: Darf eine Partei, namentlich die CDU, eine Kanzlerin, Ihre Kanzlerin, die Kanzlerin Ihrer Partei zu etwas zwingen, was sie ganz offensichtlich für Grund falsch hält?
Schuster: Das tun wir ja nicht und ich auch nicht.
"Merkel hat verstanden, dass Mehrheit der Fraktion einen anderen Kurs möchte"
May: Ich rede jetzt von der CSU.
Schuster: Ja, ja. Ich bin wieder nicht Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, Horst Seehofer, Horst Seehofer, Horst Seehofer. Ich bin jemand, der seit drei Jahren diese Forderung formuliert. Jetzt zugegebenermaßen: Ich bin eher der Abgeordnete in der Kategorie Tulpenschnecke. Aber die Forderung kommt nicht von Horst Seehofer. Das ist eine Diskussion, die wir in der Union und auch in der CDU seit drei Jahren haben und die jetzt sich wieder bahnbricht.
Ich bin der festen Überzeugung - und das ist jetzt das Positive an dieser Situation. Ohne die Dramaturgie des Wochenendes durch die CSU hätte ich jetzt gesagt, so nah waren wir noch nie an einer deutlichen Kursveränderung, was unsere Sicherheit an den Grenzen anbelangt. Deswegen bin ich eigentlich von Grund auf positiv gestimmt, vor allem nach der Fraktionssitzung letzten Dienstag, weil Angela Merkel verstanden hat, dass die Mehrheit der Fraktion einen anderen Kurs möchte und Donnerstag prompt uns auch einen Vorschlag präsentierte. Da bin ich eigentlich raus, wenn das mit der CSU nicht gewesen wäre, und hätte gesagt, …
May: Und dennoch pocht die Kanzlerin auf ihrer Richtlinienkompetenz.
Schuster: Ja, da hat sie auch recht. Ich war 30 Jahre in meinem Leben auch in Führungsfunktionen. Chef ist Chef! Für mich gibt es auch diesen Automatismus am 1. Juli nicht. Aber für mich gibt es harte Gespräche unter Umständen, und eins teile ich nicht - das sage ich Ihnen ganz offen, auch wenn das in der CDU-Parteizentrale so formuliert wurde: Dass nationale Maßnahmen gänzlich ausgeschlossen sind, halte ich auch verhandlungstaktisch für keine gute Idee.
Unsere europäischen Partner sollten ruhig wissen, dass wir unter Umständen auch diese Karte ziehen, von vornherein den Europäern zu sagen, wir verhandeln mit euch mal, aber wenn ihr nicht mitmacht, dann ist es uns auch egal.
"Merkel zutrauen, dass sie zu einer Lösung kommt"
May: Im Prinzip ist das eigentlich nur großer Zinnober, ein bisschen Schauspiel, um die Verhandlungsposition der Kanzlerin zu verbessern in der EU? So müssen wir das verstehen?
Schuster: Nein, nein! Aber ich bin, wenn ich in eine Verhandlung gehe - und übrigens wenn man Angela Merkel etwas zutrauen kann, dann, dass sie in solchen schwierigen Situationen zu einer Lösung kommt. Und wenn ich in eine solche Verhandlung gehe, dann gebe ich nicht freiwillig ein wichtiges Argument aus der Hand. Ob ich das jemals ziehe, diese Karte, das ist ja eine zweite Frage. Aber von vornherein auszuschließen, dass es zu nationalen Maßnahmen kommt, sollten die Europäer uns die kalte Schulter zeigen, dem würde ich nicht folgen.
Und ich glaube auch nicht, dass die Fraktion damit so ohne weiteres einverstanden ist. Es muss ja nicht zu Zurückweisungen kommen, Herr May. Das Wort wirkungsgleich übrigens kommt auch nicht von Herrn Seehofer, wie das ständig jetzt in der Presse gesagt wird. Darüber reden wir schon lange. Es gibt wirkungsgleiche Maßnahmen, die man sich vorstellen kann, die nicht stumpfe Zurückweisung bedeuten, aber eine ähnliche Situation hervorbringt.
May: Nichtsdestotrotz: Es kommt möglicherweise alles nicht von Horst Seehofer, aber die CSU ist jetzt genau die Partei, die Druck macht und die auch genau sagt, in 14 Tagen gibt es einen Automatismus, wenn es keine wirkungsgleiche Verhandlungslösung gibt. Wenn es in 14 Tagen dann zum Schwur kommt, wo stehen Sie?
Schuster: Ich stehe auf der Seite derer, die dann hart verhandeln. Aber dass es einen Automatismus gäbe, das sehe ich nicht. Ich sage Ihnen auch warum: So wie ich sozialisiert bin, könnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand meiner Mitarbeiter einen Alleingang macht gegen meinen Willen. Wozu das führt, können Sie sich vorstellen: Das würde unweigerlich in eine Entlassung münden, und das würde die Fraktionsgemeinschaft vermutlich aufheben.
Um Gottes willen! Da appelliere ich auch an die CSU. Ich bin bei jeder harten Verhandlung dabei, aber diese Frontstellung müssen wir aufgeben. Unser gemeinsamer politischer Wettbewerber heißt SPD, Grüne, FDP und nicht Union.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.