Christoph Heinemann: Am Telefon ist Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag!
Volker Beck: Guten Tag!
Heinemann: Herr Beck, Arbeitsagentur und Flüchtlingsverwaltung zusammenführen, ist das ein kluger Ansatz?
Beck: Na ja, das ist ambitioniert. Wenn der Vorgänger von Herrn Weise im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge es alleine nicht hingekriegt hat, dann soll es Herr Weise in Zukunft nebenher und dann besser mitmachen – das ist zumindest zweifelhaft. Ich wünsche Herrn Weise bei seiner neuen Aufgabe allen Erfolg, aber ich denke, wenn man sich zu viel auflädt, kann auch zu viel bei zwei großen Bundesbehörden falsch laufen. Das große Dilemma ist ja, dass der Vorgänger, Herr Schmidt, es nicht geschafft hat, die ihm zur Verfügung gestellten Mittel und Stellen umzusetzen. 420 Stellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind nicht besetzt, deshalb kommt es ... bei dem Stau von Asylanträgen bei der Bearbeitung geht es nicht voran. Und das ist ein großes Dilemma, und die Länder und Kommunen haben das dann auszubaden.
Heinemann: Aber ist es nicht vielversprechend, wenn man jetzt beides zusammen denkt, die Flüchtlingsverwaltung und eben den Arbeitsansatz?
Beck: Wissen Sie, die Idee immer in der Politik, Themen miteinander zu verbinden und dann zu sagen, das gibt doch einen unheimlich guten Sinn – am Ende handelt es sich um Verwaltungsbehörden, die muss man effizient führen. Und woran es ja gehapert hat beim BAMF, war, dass die Entscheider nicht eingestellt wurden. Und ob das erleichtert wird, wenn die Behörde, die die Arbeitsvermittlung macht, den gleichen Behördenchef hat, das überzeugt mich in der Sache nicht. Das Entscheidende ist jetzt, was getan wird. Und nicht, wie gut man Themen miteinander in Beziehung setzen kann. Und da erwarte ich, dass jetzt endlich vorangegangen wird, einerseits mit der Einstellung der zusätzlichen Entscheider, die der Haushaltsgesetzgeber dem BAMF zur Verfügung gestellt hat. Aber zum anderen auch, indem man unnötige Verfahren einfach schnell abschließt, indem man Menschen, die aus den Bürgerkriegsregionen kommen, schneller und unbürokratischer anerkennt – nach Überprüfung ihrer Identität, das reicht völlig aus, niemand wird jemanden nach Syrien oder in den Irak zurückschieben wollen oder können. Und man muss auch sehen, ob ...
Heinemann: Aber auf dem Westbalkan, Entschuldigung ...
Beck: ... Es noch Sinn macht in der jetzigen Situation ...
Heinemann: ... Auf den Westbalkan sollte schon zurückgeschoben werden? Auf den Westbalkan ...
Beck: Auf den Westbalkan soll derjenige zurückgeschoben werden, der nicht verfolgt ist. Aber ich bin gerade in Belgrad – wenn ich hier mit den Menschenrechtsverteidigern spreche, muss man halt sagen, der Westbalkan ist nicht sicher für drei Gruppen. Die größte Gruppe ist die der Roma, für Journalisten und Lesben, Schwule und Transsexuelle gibt es im Einzelfall Verfolgung von nicht staatlichen Akteuren, die dann vom Staat nicht hinreichend verfolgt wird, und das qualifiziert zum Schutz aufgrund von nichtstaatlicher Verfolgung. Wer da pauschal feststellt, das sei nicht so, stellt diesen Ländern zu Unrecht einen Persilschein für ihre zum Teil mangelhafte Menschenrechtslage aus und verhindert, dass Menschen den Schutz bekommen, der ihnen eigentlich nach dem Asylrecht zusteht.
Heinemann: Und andere sollten zurückgeschoben werden, haben Sie eben angedeutet, das heißt, da ist die grüne Multikulti-Romantik im jüngsten Sturm und Drang ein bisschen unter die Räder geraten.
Beck: Diese Multikulti-Romantik hat es immer nur bei den Journalisten im Reden über uns gegeben.
Heinemann: Und bei den Grünen.
Beck: Es geht darum, dass Menschen ... Nee, die hat's bei uns nicht gegeben, das ist ne Fantasie. Es geht darum, dass Menschen, die verfolgt werden, dass die Schutz bekommen. Und das muss gewährleistet sein. Und das wird durch rechtsstaatliche Verfahren gewährleistet. Und das ist eben, wenn ein Land als sicherer Herkunftsstaat eingestuft ist, nicht mehr vollumfänglich möglich, weil der Flüchtling dann Beweis antreten muss, dass die Annahme, dass er nicht verfolgt ist, falsch ist. Das ist sehr schwierig, weil man als Flüchtling nicht mit einem Aktenschrank voller Dokumente reist, sondern wenn man flieht, dann hat man nichts außer seinem Hemd am Leib. Und dann nachzuweisen, dass die Geschichte, die man erzählt, in einzelnen Punkten bewiesen werden kann, ist aus dem anderen Land heraus dann sehr schwer.
Heinemann: Herr Beck, aber auch Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann drückt ja aufs Tempo, sagt, das muss alles viel, viel schneller gehen – ist das auch ein bisschen Angst vor den Wählern? Im Südwesten wird ja im nächsten Jahr abgestimmt.
Beck: Nein, aber was schneller gehen muss und was auch vor allen Dingen planvoller vonseiten der Bundesregierung gehen muss, ist die Unterstützung der Länder und Kommunen, damit die die notwendigen Maßnahmen zur Unterbringung von Flüchtlingen ergreifen können. Und was wir auch machen müssen – wir haben jetzt Hunderttausende im Land –, wir müssen uns mal Klarheit darüber verschaffen, was für Qualifikationen bringen die mit. Und was müssen wir machen, um die im Arbeitsmarkt tatsächlich integrieren zu können. Das sind ja nicht alles Akademiker, das ist ein hoher Anteil von 20, 30 Prozent. Aber es sind auch viele Menschen ohne Berufsausbildung, die müssen schnell Sprachkurse bekommen. Und dann muss man überlegen, wie kann man sie durch berufsvorbereitende Kurse irgendeiner Qualifikation zuführen. Weil wenn man Hunderttausende von Menschen hat, die nichts zu tun haben, weil wir uns nicht drum gekümmert haben, dann haben wir da auch ein soziales Problem.
Heinemann: Und da sind wir ja wieder beim Anfang unseres Gesprächs, insofern doch ganz klug, da Flüchtlingsverwaltung und Arbeitsverwaltung vielleicht zusammenzubringen. Andere Frage noch mal: Was spricht dagegen – die Bundesregierung plant ja einige Änderungen –, offensichtlich unbegründete Asylbegehren schon an der Grenze zurückzuweisen?
Beck: Ob etwas offensichtlich unbegründet ist, kann man eigentlich nur in einem rechtlichen Verfahren richtig feststellen. Man sieht es den Leuten eben einfach schlichtweg nicht an. Und das bezieht sich ja in der Regel auf die Menschen hier aus dem Westbalkan. Ich war letztes Jahr hier unterwegs. Ich gehe jetzt gleich auch noch wieder ins Flüchtlingslager. Aber ich war letztes Jahr hier unterwegs und hab mir die Situation von Roma angeschaut. Hier gibt es wilde Roma-Siedlungen von Menschen ohne Papiere und ohne Zugang für irgendeine Leistung dieses Staates hier, die regelmäßig von Rechtsradikalen überfallen werden. Und die Polizei kommt da nicht, um die Täter zu ermitteln. Das ist Straflosigkeit, und das ist ein klassischer Fall von nichtstaatlicher Verfolgung. Es gibt 120 solcher Siedlungen in Serbien und zum Teil Menschen, die sogar vorher mal in Deutschland waren, weil sie nämlich aus dem Kosovo stammen, im Bürgerkrieg geflohen sind, dann von Deutschland zurückgeschoben wurden in den Kosovo, weitergeflohen sind nach Serbien, weil die Dörfer und Städte, in denen die Menschen mal gewohnt haben, heute nicht mehr existieren, weil sie im Bürgerkrieg verschwunden sind.
Heinemann: Gleichwohl hat sich herumgesprochen, dass Deutschland alle nicht aufnehmen kann. Was passiert mit Blick auf kommenden Mittwoch, wenn nichts passiert, das heißt, wenn sich die Staats- und Regierungschefs in der kommenden Woche nicht auf eine faire Verteilung von Flüchtlingen werden einigen können?
Beck: Also, ich denke, die Bundesregierung muss auch, indem sie Vorschläge macht, hier Bewegung in die Diskussion bringen. Es reicht einfach nicht aus, nur über die Verteilung zu sprechen, sondern es muss auch darüber gesprochen werden, was kann die EU leisten, um die Mitgliedsstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen, entsprechend zu unterstützen ...
Heinemann: Darüber wird doch längst gesprochen.
Beck: ... Und wie können wir zu einheitlichen Standards kommen. Da hat die Bundesregierung in der Vergangenheit bei anderen Diskussionen, wenn wir über den Euro reden und dergleichen, viel europäisches Porzellan zerschlagen und wundert sich jetzt, dass das mit der europäischen Solidarität so mangelhaft klappt. Aber wir werden die Verteilung dauerhaft nicht solidarisch hinkriegen, wenn wir nicht darüber reden, dass es sich nicht auszahlen darf, wenn ein Land sich an der Flüchtlingsaufnahme nicht beteiligt. Und das ist die gegenwärtige Situation. Hier muss noch viel gründlicher vonseiten der europäischen Innenminister nachgearbeitet werden, damit wir hier zu einem solidarischen System kommen, mit einheitlichen Standards sowohl bei der Versorgung der Flüchtlinge als auch bei rechtsstaatlichem Schutz im Verfahren.
Heinemann: Volker Beck, der Innen- und Rechtspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Beck: Wiederhören, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.