"Ich habe Bin Laden das erste Mal am 25. Mai 1998 in der afghanischen Stadt Khost getroffen. Niemand von uns hatte ein Visum. Nachts wurden wir heimlich über die Grenze geschleust. Die pakistanischen Grenzposten durften uns nicht bemerken. Drei Tage lang ließ man uns warten. Schließlich brachte man uns zu einem abgelegenen Winkel. Dort trafen wir Bin Laden, in einem seiner Camps."
Erinnert sich der pakistanische Starreporter Rahimullah Yusufsay.
"Dann saßen wir nachts zusammen und sprachen über eine Fülle von Dingen. Er wirkte auf mich wie ein überaus freundlicher Mann, ein bisschen schüchtern. Er wollte nicht so oft fotografiert werden. Als ich begann, Aufnahmen von ihm zu machen, gebot er mir nach einer Weile Einhalt und sagte. 'Bass, bass' - das ist ein paschtunisches Wort, das 'halt' bedeutet. Er sagte das sehr höflich."
So konnte es sich abspielen, damals, in den 1990er-Jahren, wenn man es unternahm, den bereits weltbekannten Chef der Terrororganisation Al-Kaida zu treffen. Allerdings gewährte Bin Laden nur muslimischen Journalisten Zugang, Arabern oder Pakistanis. Mit einer prominenten Ausnahme: dem US-Amerikaner Peter Bergen. Auch er wurde erwartet, gecheckt, eingeschleust, um am Ende einem schüchternen Vollbartträger gegenüberzusitzen. Seitdem, so offenbart Bergen in der Vorbemerkung sei seine Arbeit eigentlich nichts anderes gewesen, als die Vorarbeit zu diesem Buch. Der 1962 geborene, ein langjähriger Mitarbeiter von CNN, hat schon mehrfach, in Bild und Ton über Bin Laden publiziert. Was er jetzt abliefert, ist dennoch etwas Neues. Er hat mit Mitarbeitern des Planungsstabs gesprochen, die auf Bin Laden Jagd machten, Einblicke in Dokumente genommen, die man in dessen Versteck im pakistanischen Abottabad gefunden hat, US-Regierungsmitglieder interviewt, beteiligte Spezialsoldaten getroffen und auch vor Ort in Pakistan recherchiert. Daraus ergibt sich eine spannende Geschichte, die zwei Schwerpunkte aufweist: die Entwicklung von Al-Kaida und die Jagd auf deren Chef. Im Grunde, so kann Peter Bergen herausarbeiten, markiert der 11. September nicht den Höhepunkt, sondern den Niedergang der Organisation. Was bis dahin ein gut organisiertes, schwer zu ortendes, recht effizient arbeitendes Netzwerk mit Finanzabteilung, Planungsstab und internationalen Filialen war, geriet durch die US-geführte Terrorbekämpfung unter einen enormen Druck.
Tatsache ist, dass Bin Laden und seinen Leuten seit dem 7. Juli 2005, den Attentaten auf das Londoner Transportsystem, kein Terroranschlag mehr geglückt ist.
Gleich drauf beging der lokale Ableger im Irak verhängnisvolle Fehler. Bin-Laden-Gefolgsmann Zarkawi verprellte die wichtigsten Verbündeten dort, die Sunnitenstämme, und legte eine solch sinnlose Grausamkeit an den Tag, dass das Image der Organisation selbst unter radikalisierten Muslimen einen irreparablen Schaden erhielt. Das Programm der Drohnenattacken, die gezielte Tötung von Al-Kaida-Führern, dezimierte zudem den Kreis der Planer, Ideologen, Cheftechniker. Ein wichtiger Bin-Laden-Mitarbeiter nach dem anderen starb.
Zwar gelangen Organisationen, die sich von Bin Ladens Ideologie inspiriert fühlten, bis in die jüngste Vergangenheit noch spektakuläre Coups - Attentate, wie das von 2008 in Bombay etwa. Aber Bin Laden selber wurde zusehends in dem Versteck isoliert, in dem er seit 2005 im Kreise seiner Familie hauste. Dort geriet er zu einer Figur, die, so zitiert Bergen einen der Bin-Laden-Jäger, an Hitlers letzte Tage im Führerbunker erinnerte. Nur dass sich diese letzten Tage über Jahre hinzogen. Den anderen Schwerpunkt des Buches bildet die Suche nach dem untergetauchten Terrorchef. Eine der Überraschungen, die das Buch enthüllt, betrifft die pakistanische Regierung. Bis heute sind sich viele Beobachter sicher, dass sich Bin Laden nur mit ihrem Wissen unweit Islamabads aufhalten konnte. Doch, so Bergen:
Die Einschätzung amerikanischer Geheimdienstkreise einige Wochen nach der Aktion in Abottabad lautete (...), dass es keine offizielle pakistanische Unterstützung für Bin Ladens Aufenthalt gegeben hatte. Nichts in der "Schatztruhe" (von Dokumenten), die im Haus geborgen worden war, lieferte Hinweise darauf, dass Bin Laden von pakistanischen Behörden Hilfe erhalten hatte.
Tatsächlich war es eine fast geniale Kaltschnäuzigkeit, die Bin Ladens wichtigsten Vertrauensmann, al Kuwaiti, zwischen 2004 und 2005 inspirierte, unweit der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ein Grundstück zu erwerben, um dort einen unscheinbaren Mehrfamilienkomplex errichten zu lassen.
Erweiterte Verhörmethoden, oder im Klartext: die Aussagen gefolterter Guantanamo-Häftlinge, brachten die CIA-Ermittler auf die Spur al Kuwaitis, der als Mittler zwischen Bin Laden und der Außenwelt fungierte. Doch erst Jahre später, Anfang 2010, benutzte al Kuwaiti sein Handy so unvorsichtig, dass die Ortungstechniker der CIA ihn schließlich bis nach Abottabad verfolgen konnten.
Die Indizien verdichteten sich schließlich zur Gewissheit. Am Ende blieb Präsident Obama bloß noch die Entscheidung über das Wie und Wann des Zugriffs. Bin Laden lebend zu bekommen, war, so findet Peter Bergen heraus, von Anfang an nicht der Plan A. Sein Tod galt als die bessere Lösung. Das Ende des Al-Kaida-Gründers kam schnell und grausam.
Als Bin Ladens Frau Amal die Schritte der fremden Männer hörte, die in ihr Zimmer eindrangen, kreischte sie etwas auf Arabisch und warf sich vor ihren Mann. (...) Bin Laden leistete keinen Widerstand, als man ihm eine `doppelte Ladung' in die Brust und ins linke Auge schoss.
Vor der Entscheidung Bin Ladens Leichnam nach den beweiskräftigen Fotos und DNA-Analysen auf See zu bestatten - auch dies enthüllt Peter Bergen noch - bot die US-Regierung Saudi Arabien an, ihren ehemaligen Staatsbürger dort zu bestatten, wo er geboren worden war. Der stellvertretende saudische Innenminister reagierte prompt.
Okay. Machen Sie es auf Ihre Art, sagte (Prinz) Naif.
So oblag es schließlich der Familie über das Ende Bin Ladens zu entscheiden, ohne die sein Vater es nie zu Geld gebracht hätte - und Osama nie zum Finanzier des Terrors: der Familie Al-Saud.
Peter L. Bergen:
Die Jagd auf Osama Bin Laden - Eine Enthüllungsgeschichte, Deutsche Verlags-Anstalt, 368 Seiten; 19,99 Euro
ISBN: 978-3-421-04551-5
Erinnert sich der pakistanische Starreporter Rahimullah Yusufsay.
"Dann saßen wir nachts zusammen und sprachen über eine Fülle von Dingen. Er wirkte auf mich wie ein überaus freundlicher Mann, ein bisschen schüchtern. Er wollte nicht so oft fotografiert werden. Als ich begann, Aufnahmen von ihm zu machen, gebot er mir nach einer Weile Einhalt und sagte. 'Bass, bass' - das ist ein paschtunisches Wort, das 'halt' bedeutet. Er sagte das sehr höflich."
So konnte es sich abspielen, damals, in den 1990er-Jahren, wenn man es unternahm, den bereits weltbekannten Chef der Terrororganisation Al-Kaida zu treffen. Allerdings gewährte Bin Laden nur muslimischen Journalisten Zugang, Arabern oder Pakistanis. Mit einer prominenten Ausnahme: dem US-Amerikaner Peter Bergen. Auch er wurde erwartet, gecheckt, eingeschleust, um am Ende einem schüchternen Vollbartträger gegenüberzusitzen. Seitdem, so offenbart Bergen in der Vorbemerkung sei seine Arbeit eigentlich nichts anderes gewesen, als die Vorarbeit zu diesem Buch. Der 1962 geborene, ein langjähriger Mitarbeiter von CNN, hat schon mehrfach, in Bild und Ton über Bin Laden publiziert. Was er jetzt abliefert, ist dennoch etwas Neues. Er hat mit Mitarbeitern des Planungsstabs gesprochen, die auf Bin Laden Jagd machten, Einblicke in Dokumente genommen, die man in dessen Versteck im pakistanischen Abottabad gefunden hat, US-Regierungsmitglieder interviewt, beteiligte Spezialsoldaten getroffen und auch vor Ort in Pakistan recherchiert. Daraus ergibt sich eine spannende Geschichte, die zwei Schwerpunkte aufweist: die Entwicklung von Al-Kaida und die Jagd auf deren Chef. Im Grunde, so kann Peter Bergen herausarbeiten, markiert der 11. September nicht den Höhepunkt, sondern den Niedergang der Organisation. Was bis dahin ein gut organisiertes, schwer zu ortendes, recht effizient arbeitendes Netzwerk mit Finanzabteilung, Planungsstab und internationalen Filialen war, geriet durch die US-geführte Terrorbekämpfung unter einen enormen Druck.
Tatsache ist, dass Bin Laden und seinen Leuten seit dem 7. Juli 2005, den Attentaten auf das Londoner Transportsystem, kein Terroranschlag mehr geglückt ist.
Gleich drauf beging der lokale Ableger im Irak verhängnisvolle Fehler. Bin-Laden-Gefolgsmann Zarkawi verprellte die wichtigsten Verbündeten dort, die Sunnitenstämme, und legte eine solch sinnlose Grausamkeit an den Tag, dass das Image der Organisation selbst unter radikalisierten Muslimen einen irreparablen Schaden erhielt. Das Programm der Drohnenattacken, die gezielte Tötung von Al-Kaida-Führern, dezimierte zudem den Kreis der Planer, Ideologen, Cheftechniker. Ein wichtiger Bin-Laden-Mitarbeiter nach dem anderen starb.
Zwar gelangen Organisationen, die sich von Bin Ladens Ideologie inspiriert fühlten, bis in die jüngste Vergangenheit noch spektakuläre Coups - Attentate, wie das von 2008 in Bombay etwa. Aber Bin Laden selber wurde zusehends in dem Versteck isoliert, in dem er seit 2005 im Kreise seiner Familie hauste. Dort geriet er zu einer Figur, die, so zitiert Bergen einen der Bin-Laden-Jäger, an Hitlers letzte Tage im Führerbunker erinnerte. Nur dass sich diese letzten Tage über Jahre hinzogen. Den anderen Schwerpunkt des Buches bildet die Suche nach dem untergetauchten Terrorchef. Eine der Überraschungen, die das Buch enthüllt, betrifft die pakistanische Regierung. Bis heute sind sich viele Beobachter sicher, dass sich Bin Laden nur mit ihrem Wissen unweit Islamabads aufhalten konnte. Doch, so Bergen:
Die Einschätzung amerikanischer Geheimdienstkreise einige Wochen nach der Aktion in Abottabad lautete (...), dass es keine offizielle pakistanische Unterstützung für Bin Ladens Aufenthalt gegeben hatte. Nichts in der "Schatztruhe" (von Dokumenten), die im Haus geborgen worden war, lieferte Hinweise darauf, dass Bin Laden von pakistanischen Behörden Hilfe erhalten hatte.
Tatsächlich war es eine fast geniale Kaltschnäuzigkeit, die Bin Ladens wichtigsten Vertrauensmann, al Kuwaiti, zwischen 2004 und 2005 inspirierte, unweit der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ein Grundstück zu erwerben, um dort einen unscheinbaren Mehrfamilienkomplex errichten zu lassen.
Erweiterte Verhörmethoden, oder im Klartext: die Aussagen gefolterter Guantanamo-Häftlinge, brachten die CIA-Ermittler auf die Spur al Kuwaitis, der als Mittler zwischen Bin Laden und der Außenwelt fungierte. Doch erst Jahre später, Anfang 2010, benutzte al Kuwaiti sein Handy so unvorsichtig, dass die Ortungstechniker der CIA ihn schließlich bis nach Abottabad verfolgen konnten.
Die Indizien verdichteten sich schließlich zur Gewissheit. Am Ende blieb Präsident Obama bloß noch die Entscheidung über das Wie und Wann des Zugriffs. Bin Laden lebend zu bekommen, war, so findet Peter Bergen heraus, von Anfang an nicht der Plan A. Sein Tod galt als die bessere Lösung. Das Ende des Al-Kaida-Gründers kam schnell und grausam.
Als Bin Ladens Frau Amal die Schritte der fremden Männer hörte, die in ihr Zimmer eindrangen, kreischte sie etwas auf Arabisch und warf sich vor ihren Mann. (...) Bin Laden leistete keinen Widerstand, als man ihm eine `doppelte Ladung' in die Brust und ins linke Auge schoss.
Vor der Entscheidung Bin Ladens Leichnam nach den beweiskräftigen Fotos und DNA-Analysen auf See zu bestatten - auch dies enthüllt Peter Bergen noch - bot die US-Regierung Saudi Arabien an, ihren ehemaligen Staatsbürger dort zu bestatten, wo er geboren worden war. Der stellvertretende saudische Innenminister reagierte prompt.
Okay. Machen Sie es auf Ihre Art, sagte (Prinz) Naif.
So oblag es schließlich der Familie über das Ende Bin Ladens zu entscheiden, ohne die sein Vater es nie zu Geld gebracht hätte - und Osama nie zum Finanzier des Terrors: der Familie Al-Saud.
Peter L. Bergen:
Die Jagd auf Osama Bin Laden - Eine Enthüllungsgeschichte, Deutsche Verlags-Anstalt, 368 Seiten; 19,99 Euro
ISBN: 978-3-421-04551-5