„Smyrna und Umgebung, du gesegnetes Land. Deine Reichtümer und Güter, alles ist zerstört vom Sturm“ – so heißt es in einem traditionellen griechischen Lied von 1930, das den schmerzlichen Verlust der Stadt an der türkischen Westküste besingt. Da trug Smyrna bereits den Namen Izmir – heute die drittgrößte Stadt der Türkei. Die Eroberung von Smyrna durch Atatürks Truppen im September 1922 ist ein Symbol für das Ende einer Jahrtausende alten griechischen Präsenz in Kleinasien.
Friedliches Zusammenleben
In der Geschichte der Großreiche Byzanz und des Osmanischen Reiches spielten die orthodoxen Griechen eine wichtige Rolle, über Jahrhunderte verlief das Zusammenleben in Smyrna weitgehend friedlich. In der osmanischen Metropole waren die Griechen in der Mehrheit, neben Türken, Armeniern, Juden und den so genannten Levantinern – mit Privilegien ausgestatteten europäischen Einwanderern, die die legendäre Offenheit und Liberalität der Stadt genossen.
Die Historikerin Maria Kazantzidou vom Archiv der kleinasiatischen Flüchtlinge in Thessaloniki: „Viele sagen, Smyrna war ‚die Stadt der Städte‘. Eine Stadt, in der viele Religionen zusammenlebten, viele Kulturen, viele Nationalitäten – und zwar sehr friedlich. Bis sich die internationale Lage änderte und das Osmanische Reich auseinanderbrach.“
Nach dem alliierten Sieg über das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg witterte der charismatische griechische Ministerpräsident Eleftherios Venizelos seine Chance, einen großen Teil der griechischen Siedlungsgebiete in Kleinasien zu annektieren. So sollte seine „megali idea“, die Vision eines Großgriechenlands, verwirklicht werden. Im Vertrag von Sèvres bekam Griechenland 1920 für zunächst fünf Jahre die Hoheit über Smyrna zugesprochen. Die griechische Armee, angetrieben durch den philhellenischen britischen Premier Lloyd George, rückte sogar noch weiter in den Osten der heutigen Türkei vor.
Bis auf die Grundmauern zerstört
Von Ankara aus sammelte Mustafa Kemal Atatürk seine Truppen und startete eine massive Gegenoffensive. Am 9. September 1922 endeten schließlich alle Eroberungsfantasien: Türkische Truppen ritten in Smyrna ein und besetzten die Stadt. Ein gewaltiger Brand zerstörte die griechischen und armenischen Stadtviertel bis auf die Grundmauern, laut Maria Kazantzidou ist die Urheberschaft klar: „Es gibt Archivmaterial und zahlreiche Aussagen, die belegen, dass das Feuer von türkischen Söldnern gelegt wurde – denn wer sonst hatte einen Grund, genau hier Feuer zu legen.“
Obwohl Atatürk Racheaktionen ausdrücklich unter Strafe stellte, kam es zu Pogromen und grausamen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung. Nur wenigen gelang die Flucht per Schiff nach Griechenland. Der Autor Lutz Klevemann beschreibt die dramatische Situation der Flüchtlinge in seinem Buch „Smyrna in Flammen“: „Am Nachmittag ballten sich am Quai Zehntausende verzweifelter Menschen. Hinter ihnen stand eine zwei Kilometer lange Feuerwand mit bis zu dreißig Meter hohen Flammen, die den Sauerstoff in der Luft knapp werden ließen. Von den Enden der Uferpromenade schossen Soldaten in die Menge. Es war ein apokalyptisches Geschehen, dessen Opfer unter mehreren Todesarten wählen konnten: zu verbrennen oder massakriert zu werden.“
Fast zwei Millionen Menschen umgesiedelt
Das Blatt im türkisch-griechischen Krieg hatte sich unter dem Kommando eines türkischen Generals gewendet, der ausgerechnet in Thessaloniki geboren wurde: Des späteren türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Pascha, genannt „Atatürk“, Vater der Türken. Umfassende Vertreibungen wurden ein Jahr später im Vertrag von Lausanne in einem beschönigend „Bevölkerungsaustausch“ genannten Prozess besiegelt. Über 1,5 Millionen Griechen wurden so gezwungen, ihre kleinasiatische Heimat zu verlassen, im Gegenzug vertrieb Griechenland ca. 400.000 Muslime.
Die Neuankömmlinge waren in Griechenland wenig willkommen, galten dort als Türken. Auch die dritte Generation der Kleinasienflüchtlinge erinnert sich noch an die Geschichte. Sie entdecken heute das „türkische“ Erbe Griechenlands: Studierendenverbände der Nachkommen der kleinasiatischen Griechen organisieren Feiern und zelebrieren traditionelle Musik und Tänze.