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Atheismus
Gottlos groß werden

Mehr als ein Drittel der Deutschen gehört keiner Religionsgemeinschaft an, der Anteil wird größer. Aber nicht alle von ihnen sind Atheisten. Das zu werden, ist harte geistige Arbeit.

Von Mechthild Klein |
Ein Bus mit der Aufschrift "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" am Brandenburger Tor in Berlin: Eine Aktion von überzeugten Atheisten 2009.
Ein Bus mit der Aufschrift "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" am Brandenburger Tor in Berlin: Eine Aktion von überzeugten Atheisten 2009. (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
"Es gibt eine ganze Reihe von Legenden über den Atheismus. Manche meinen, es habe den Atheismus eigentlich in allen Epochen der europäischen Geistesgeschichte gegeben. Bereits in der Antike, dann aber auch im Mittelalter und dann weiter in der frühen Neuzeit. Tatsächlich ist es so, dass die Forschung vor einigen Jahren festgestellt hat, dass der erste atheistische Text, in dem explizit die Existenz Gottes bestritten wird, ein Text aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, also im Vorfeld der Aufklärung ist. Vor dem Jahr 1650 kennen wir kein einziges Dokument des Atheismus in dem Sinne, dass dort bestritten wird, dass Gott existiert."
Sagt der Religionsphilosoph Winfried Schröder von der Universität Marburg. Gerade hat er ein Buch über Atheismus publiziert. Zitate von Philosophen, die über ihre Religion lästerten, erfreuen sich großer Beliebtheit. Wie zum Beispiel Xenophanes im 5 Jahrhundert vor Christus, der über die Menschengestalt der Götter spottete:
"Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus."
Oder: Der Priester und Gelehrte Erasmus von Rotterdam. Er verspottete um 1510 in seinem "Lob der Torheit" seine eigene Zunft, nämlich die Priester, Theologen und Päpste. Über die Bischöfe seiner Kirche lästerte er:
"Sie glauben, ihrer Christenpflicht vollkommen zu entsprechen, wenn sie in einem mystischen und beinahe theatralischen Aufputze, mit Zeremonien, mit Titeln die alles was heilig ist, in sich schließen, und mit Segnen und Verwünschen, Bischofe spielen … das Volk lehren ist knechtische Arbeit; … beten Zeitenverschwendung; … arm sein, schändlich … es bleiben ihnen keine anderen Waffen und sanfte Segnungen übrig, … und mit denselben sind sie gewiss sehr freigiebig: Interdictionen, Suspensionen, …Verdammungsgemälde und der entsetzliche Bannstrahl … die Seelen der Sterblichen mit einem Winke bis in die unterste Hölle zu stürzen."
Ein Porträt von Desiderius Erasmus von Rotterdam von Hans Holbein d.J. (1530). 
Kein Atheist, aber dem Spott über Bischöfe und Theologen nicht abgeneigt: Erasmus von Rotterdam (picture alliance / dpa)

"Blasphemie und Atheismus muss man unterscheiden"

Winfried Schröder sagt: "Ja, Kirchenkritik, Antiklerikalismus, Spott. Blasphemie gab es in allen Epochen, gibt es in allen Kulturen. Aber das muss man scharf unterscheiden von der These, die den Kern des Atheismus ausmacht, nämlich die These: Es gibt keinen Gott. Häretiker, die der Meinung sind, dass die Dreifaltigkeit ein Irrtum ist, oder Häretiker, die meinen, dass Jesus kein Gott war, sind natürlich keine Atheisten. Sie sind in gewisser Weise Kritiker einer bestimmten Religion, sagen wir des Christentums, aber noch lange keine Atheisten."
Atheist ist, wer die Existenz Gottes bestreitet. Und da man Gott weder beweisen noch widerlegen kann, bezeichnen sich viele Konfessionsfreie im 21. Jahrhundert als Agnostiker. Sie lassen offen, ob es Gott gibt. Homogen ist die Gruppe nicht, wie schon die Vielfalt der Bezeichnungen zeigt: Humanisten, Freidenker, Skeptiker. Davon zu unterscheiden sind Menschen, die zwar an einen Gott glauben, aber nicht an christlich-kirchliche Gottesbilder. Zu ihnen zählt der Dominikanermönch und Gelehrte Giordano Bruno, der im Jahr 1600 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
20191002a: Giordano Bruno, Philosoph und moderner Astronom (1548-1600) (Gundling)
Giordano Bruno, Philosoph und moderner Astronom (1548-1600) (Gundling)
Giordano Bruno glaubte weder an Jesus als Sohn Gottes noch an ein Endgericht. Er glaubte an eine Art Pantheismus, also dass Gott allem innewohnt. Einen Widerruf vor dem Glaubensgericht der Kirche, der Inquisition, lehnte er ab. Das war sein Todesurteil. Gut 400 Jahre später wurde der Mann zum Namensgeber einer Stiftung in Deutschland, die sich dem Humanismus, dem evidenzbasierten Rationalismus und der Aufklärung verschrieben hat.

"Religiös unmusikalisch"

"Ich bin komplett ohne Religion aufgewachsen. Ich hab sehr viel Befriedigung in den Naturwissenschaften gefunden, was das Erklären der Welt angeht", erzählt Burger Voss. Er ist aktiv in der Giordano-Bruno-Stiftung und hat ein Buch geschrieben: "Ausgeglaubt - Warum Atheisten für die Gesellschaft wertvoll sind", heißt es. Schon als Jugendlicher war ihm Religion suspekt.
"Beim Aufwachsen in einem Vorort von Hamburg, da fand Religion eigentlich nur im Rahmen der Konfirmation statt. Das wollte man eigentlich nur haben, wenn man eine Musikanlage haben wollte oder ein Mofa oder so, weil man da was geschenkt kriegt. Das war für viele die einzige Motivation Religionsunterricht zu besuchen. Für mich ist der wesentliche Unterschied: Naturwissenschaften sind um Erklärungen bemüht. Und etablierte Religionen behaupten die Erklärung bereits zu haben."
"Religiös unmusikalisch" würde der Soziologe Max Weber dazu sagen. Menschen, die mit Religion nichts anfangen können, werden immer mehr. Ein Bruchteil organisiert sich in Vereinen und Verbänden wie der Giordano-Bruno-Stiftung oder dem Bund der Konfessionslosen. Der größte ist der Humanistische Verband mit rund 20.000 Mitgliedern. Haben die Organsierten auch eine Mission? "Das ist ein ziemliches Missverständnis. Man denkt immer, das sei ein Generalangriff auf die Religion selbst, das ist aber nicht der Fall. Die gbs (Giordano-Bruno-Stiftung) hat nicht die Absicht, alle zum Atheismus zu konvertieren. Wozu auch?", erklärt Burger Voss.

Kritik an Macht der Kirchen: Staatsverträge, Unterricht, Sterbehilfe, Homoehe

Zumindest gibt es ein höheres Ziel: die Stiftung hat sich der Aufklärungsarbeit ÜBER Religionen verschrieben. "Aufklärungsarbeit - über Dinge, die den einzelnen vielleicht gar nicht so klar sind, was das Verhältnis zwischen Staat und Kirche angeht. Und ob das überhaupt gerecht ist, die Staatsverträge, die die Kirchen haben mit dem Staat. Und sie sind natürlich auch ein Präzedenzfall für andere Religionen, die dann ebenfalls sagen: ‚Ja dann hätten wir gerne die gleichen Privilegien‘", so Voss.
Es geht um viel Geld: Die Kirchen-Staatsverträge bedeuten für die großen Kirchen staatliche Zuwendungen in Höhe von dreistelligen Millionenbeträgen – pro Jahr. Ausgleichszahlungen für die Säkularisierung, für Ländereien- und Klosterauflösungen vor 200 Jahren. Anerkannte Religionsgemeinschaften erhalten zusätzlich öffentliche Zuschüsse für Bildungsarbeit, sie können Religion an Schulen unterrichten. "Aber es gibt andere Sachen wie z. B. den Einfluss der Religionen auf Themen wie Sterbehilfe zum Beispiel angeht. Oder die Homoehe, wo die katholische Kirche Stück für Stück zu Kreuze kriecht", sagt Voss.

"Massive Gewaltbotschaften in der Bibel"

Viele Baustellen für die atheistischen Aufklärer. Dieser Philosoph und Vorstandsprecher der Giordano-Bruno-Stiftung glaubt auch nicht an die Kern-Botschaft Jesu, an die Nächstenliebe: "Wer aber trotz der Belehrung sich nicht daran hält, für den ist das ewige Höllenfeuer vorgesehen. Die Stellen, in denen Jesus das beschreibt, sind gewaltig. Selbst in der Bergpredigt oder in den Korrespondenzstellen finden Sie diese Passagen. Also beispielsweise, wer eine Frau lüstern anschaut, für den wäre es besser, er hätte sich die Augen aus dem Kopf gerissen, als sehenden Auges in das ewige Höllenfeuer zu kommen, wo der Wurm niemals stirbt. Das sind sehr massive Gewaltbotschaften, die auch im Neuen Testament angelegt sind und auch in der Offenbarung des Johannes. Ich kenne keine Passage von de Sade, die so von grenzenlosem Sadismus der Bestrafung der anderen geprägt ist. Und das ist ja eigentlich das, was Religionen ausmacht: Sie schaffen einen Zusammenhalt in der eigenen Gruppe unter Abgrenzung von den anderen. Das ist die Wurzel von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit", sagte Michael Schmidt-Salomon in einem Dlf-Interview.
Philosoph Michael Schmidt-Salomon: "Aufgeklärte Religion aussterbend wie Männergesangsvereine"
Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon sieht in Religionen gerade derzeit eine "Wurzel gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" und autoritärer Tendenzen. "Je liberaler eine Religionsgemeinschaft auftritt, desto eher verliert sie Anhänger", sagte er im Dlf.
Allerdings wiederholt er mit dieser Kritik die Lesart der Fundamentalisten, die ja auch die Bibel beim Wort nehmen und historisch-kritische Interpretationen – und damit auch Relativierung gewalthaltiger Stellen – ablehnen. Schmidt-Salomon sagt: "Ich bezweifle nicht, dass exegetische Virtuosen in der Lage sind, das zu tun. Aber sie müssen genau das den Gläubigen vermitteln. Und es ist nun einmal so, dass die humane Interpretation dieser religiösen Schriften offensichtlich nicht im gleichen Maße greift."
Nun ist es unbestritten ist, dass es auch Fundamentalisten unter den abrahamitischen Religionen gibt. In den USA glauben christliche Kreationisten sogar wortwörtlich, dass Gott die Welt nach biblischem Bericht in sechs Tagen erschuf, und das lehren sie sogar an Schulen. Evolution lehnen sie ab. Um wieviel mehr muss man sie fürchten, wenn sie biblische Strafen als Maß der Dinge sehen? Aber das ist eine christliche Lesart, die in Deutschland heute wenig Zulauf hat.

"Heilige Schriften so hindrehen, wie man es gerade braucht"

Als großer Theismus- und Kirchenkritiker hat sich der Evolutionsforscher Richard Dawkins mit seinen Publikationen einen Namen gemacht.
"Auch der Monotheismus der heutigen Christen und Muslime ist zweifelhaft. Sie glauben beispielsweise an einen bösen ‚Teufel‘ namens Satan (im Christentum) oder Schaitan (im Islam): Er ist auch unter verschiedenen anderen Namen bekannt wie Beelzebub, der Böse, der Widersacher oder Luzifer. Sie würden ihn nicht als Gott bezeichnen, schreiben ihm aber göttliche Kräfte zu, und es heißt, er führe mit seinen Kräften des Bösen einen gigantischen Krieg gegen die guten Kräfte Gottes." (Rirchard Dawkins, Atheismus für Anfänger, Berlin 2019, S. 16)
Der Wissenschaftler und Kirchenkritiker Richard Dawkins
Der Evolutionsbiologe und populärwissenschaftliche Religionskritiker Richard Dawkins (picture alliance / dpa / Cristobal Garcia)
In seinem Spätwerk "Atheismus für Anfänger" wirft Dawkins dem Christentum und dem Islam einen Polytheismus vor. Dabei bedient er ebenfalls eine wortwörtliche Lesart, die 2.000 Jahre Theologie ausklammert. Von Höllenstrafen für Sünder sprechen heute nur noch Fundamentalisten. Der Teufel als Person hat schon länger ausgedient, zumindest was die Christen angeht.
Der Schriftsteller Burger Voss meint: "Ja sicherlich nimmt er die Bibel beim Wort. Weil ein Problem ist, ein Buch hat auch immer so viele Bedeutungen wie Leser, die das Buch gelesen haben. Also jeder interpretiert da was rein. Der kleinste gemeinsame Nenner ist das, was im Buch tatsächlich drinsteht. Dawkins wirft den Leuten auch vor, dass sie die Heiligen Schriften immer gerade so hindrehen, wie sie es gerade brauchen."

Ein Evolutionsbiologe als Religionskritiker

Kann es sein, dass Richard Dawkins andere Christen im Blick hat, Evangelikale aus den USA und England und nicht die moderaten Christen?
Bei der Lektüre des Buchs "Atheismus für Anfänger" jedenfalls drängt sich der Verdacht auf, Dawkins nutzt die Mythen der Bibel, um für seine atheistische Weltanschauung zu werben. Dass die Evangelien viele Jahre nach Jesu Tod aufgeschrieben wurden, kann heute jeder Christ wissen. Dawkins nimmt sie als Beispiel, wie sich unwahre Fake-Geschichte verbreitet, und verweist auf ein Beispiel von christlichem Entrückungsglauben der US-Christen, die die Endzeit der Welt und die Wiederkunft Christi erwarten. Diese Geschichte ist komplett erfunden, konnte sich aber verbreiten und wurde auch geglaubt.
"Eine Frau aus Arkansas fuhr hinter einem Lastwagen her, der lebensgroße Ballons in Menschenform geladen hatte. Der Lastwagen hatte einen Unfall, und die rosafarbenen, aufgeblasenen Puppen, die mit Helium gefüllt waren, schwebten gen Himmel. Die Frau glaubte, sie werde Zeugin der Entrückung und der zweiten Wiederkehr Jesu, deshalb schrie sie: "Er ist wieder da!" Sie kletterte durch das offene Verdeck ihres fahrenden Autos, um ebenfalls in den Himmel entrückt zu werden. Bei der nachfolgenden Massenkarambolage mit 20 Autos kamen nicht nur die Frau selbst, sondern auch 13 Unschuldige ums Leben. … Die Geschichte von den Heliumpuppen ist nicht nur höchst anschaulich, sondern sie entspricht auch den Erwartungen oder Vorurteilen der Leute. Erkennst du, wie das Gleiche auch für die Erzählungen über die Wunder Jesu oder seine Wiederauferstehung gelten könnte?"
Schreibt Dawkins. Diese Geschichte sei komplett erfunden, konnte sich aber verbreiten. So wie die Geschichten aus Evangelien, erläutert der Evolutionsbiologe.
Dawkins: "Atheismus für Anfänger" / Jullien: "Ressourcen des Christentums" - Sinnsuche im postreligiösen Zeitalter
Was tun mit Religionen, wenn wir nicht mehr an sie glauben können oder wollen? Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins und der Philosoph François Jullien geben darauf in ihren neuesten Büchern höchst gegensätzliche Antworten.
Voss erklärt: "Sein Tenor ist: Seht mal, wie es aussehen würde, wenn man Religion tatsächlich ernst nimmt und den religiösen Gedanken zu Ende denkt. Warum er das tut: Er als Naturwissenschaftler ist natürlich gewöhnt, Dinge wörtlich zu nehmen. Denn naturwissenschaftliche Publikationen, die müssen sich halt sehr präzise und genau ausdrücken."

Wenn sich Religionskritik und Atheismus vermischen

Der Religionsphilosoph Winfried Schröder kritisiert, dass Vertreter des Atheismus die Frage nach Gott mit Kirchenkritik, mit Kritik an den sogenannten heiligen Büchern und auch an Personen wie dem Papst oder einzelnen Kirchenlehrern vermischten:
"Aus den Missständen, die wir beobachten im Bereich der Religionen – und die Missstände mögen auch noch so schlimm sein. Allein schon die Gewalt, die von Religionen in die Welt gebracht worden ist. Daraus folgt ja nicht das Geringste, im Hinblick auf die Frage, ob es einen Gott gibt. Nicht das Geringste. Es verrät eher einen propagandistischen Zuschnitt, wenn die Frage nach der Existenz Gottes vermengt wird mit antiklerikalen, antireligiösen Kritiken. Auch wenn diese im Einzelnen für sich genommen berechtigt sind."
"Gott ist tot. Gott bleibt tot. Und wir haben ihn getötet." (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft.
Die Frage, ob und wie sich Glaube und Vernunft vereinbaren lassen, trieb viele Philosophen in vielen verschiedenen Jahrhunderten.
"Das ist es nicht, was uns abscheidet, dass wir keinen Gott wieder finden, weder in der Geschichte, noch in der Natur, noch hinter der Natur, – sondern dass wir, was als Gott verehrt wurde, nicht als ‚göttlich‘, sondern als erbarmungswürdig, als absurd, als schädlich empfinden, nicht als Irrtum, sondern als Verbrechen am Leben. Wir leugnen Gott als Gott. Wenn man uns diesen Gott der Christen bewiese, wir würden ihn noch weniger zu glauben wissen." (Friedrich Nietzsche, Der Antichrist)
Die Antworten sind unterschiedlich, aber Dawkins wischt schon die Frage beiseite. Wer auf die Fake News der Religionen reinfällt, ist irrational.
Der Philosoph Winfried Schröder sieht jedoch die Begründungspflicht nicht allein auf der Seite der Gläubigen: "Wenn ein Atheist sagt, "ich weiß, dass es Gott nicht gibt", oder wenn er etwas schwächer sagt, "ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass Gott existiert", muss er dies natürlich begründen. Und dazu sind von atheistischer Seite eine Reihe von Argumenten entwickelt worden. Das bekannteste Argument ist das Theodizee-Argument."

Woher kommt das Leiden in der Welt, wenn Gott gut ist?

Das Theodizee-Problem – woher kommt das Leiden in der Welt, wenn Gott gut ist? Es widerspricht nämlich den zentralen Eigenschaften oder Attributen des abrahamitischen Gottes, wie er in Bibel oder im Koran geschildert ist.
Winfried Schröder erläutert: "Hier versuchen Atheisten zu zeigen, dass es einen logischen Widerspruch gibt zwischen der Eigenschaft Allgüte und Allmacht Gottes auf der einen Seite und der Eigenschaft Gottes, Schöpfer dieser Welt zu sein, in der es Übel gibt. Das kann man nicht widerspruchsfrei zusammendenken. Denn ein Gott, der die Übel verhindern kann, und, weil er gut ist, den Willen hat, die Übel zu verhindern, hätte niemals eine Welt geschaffen, in der Übel sind. Das ist sozusagen die embryonale Form des Theodizee-Problems, das natürlich weiter differenziert zu entwickeln ist."
Der Glaube soll nach Regeln der Vernunft abgesichert sein. Woher resultiert das Übel in der Welt, das nicht Folge menschlicher Verfehlungen ist? Zum Beispiel das Leid, das durch Naturkatastrophen oder Krankheiten erzeugt wird? Winfried Schröder: "Der erste Schritt ist, dass es zunächst einmal offensichtlich zu sein scheint, dass ein Gott, der allgütig und allmächtig ist, nun nicht eine Welt erschaffen würde, in der kleine Kinder, unschuldige Kinder an Krebs sterben. Das ist ein offenkundiger Widerspruch."
Darauf antworten die Theisten meist: "Ja; vielleicht wollte Gott durch die Krebserkrankung des Kindes ein höheres Gut verwirklichen, anderen Menschen die Möglichkeit der Hilfsbereitschaft geben", oder dergleichen. Der Philosoph besteht hier auf das logische Vorgehen. Die Frage lautet: Kann es diesen Gott überhaupt geben, wenn ich diese Attribute Gottes aus der Überlieferung ernst nehme? In dem Fall könnten die Theisten aber nicht ständig an dem Konzept basteln und sagen: "So allmächtig ist Gott aber nicht", um aus der Schusslinie zu kommen.
Winfried Schröder: "Zunächst einmal muss ich darüber Klarheit herstellen, bevor ich heilige Bücher, die Bibel, den Koran als göttliche Offenbarung anerkenne. Ich muss zunächst einmal klarstellen, dass ich keiner Illusion aufsitze, wenn ich annehme, dass es einen Gott gibt, der sich in den Büchern verkündet hat."
Die Debatte geht bis heute weiter. Das Theodizee-Problem ist eine harte Nuss für Philosophen und Theologen gleichermaßen, seit Jahrhunderten schon. In anderen Religionen gab es diese Spannungen nicht. Im Buddhismus oder im Hinduismus waren die Konzepte von Karma und Wiedergeburt gesetzt. Folglich gab es weniger Rechtfertigungsdruck, die Leiden waren das Ergebnis aus einer vorherigen Existenz.

Haben die Naturwissenschaften das letzte Wort?

Ein Argument jedoch spricht für die Existenz Gottes, sagt der Religionsphilosoph. Die Frage nach dem Urheber des Universums: "Eine Grundidee des sogenannten neuen Atheismus, der von Dawkins verkörpert ist, ist allerdings aus meiner Sicht hochproblematisch. Die Kernidee ist nämlich, dass in der Frage, ob es Gott gibt oder nicht, die Naturwissenschaften das letzte Wort haben. Die Idee ist: Die Evolutionstheorie liefert uns eine wissenschaftlich gesicherte Erklärung der Entstehung der des Lebens, das der Biosphäre, einschließlich der Sphäre des Menschlichen. Wir haben also eine naturalistische Erklärung. Wir benötigen daher die Idee eines Schöpfergottes nicht mehr."
Hier hält der Philosoph dagegen, obwohl er sich selbst als Atheist sieht: "Dawkins ist dafür, wie ich finde, zurecht vielfach gescholten worden. Aus der Idee der Überflüssigkeit Gottes zur Erklärung der Welt folgt ja keineswegs, dass er nicht existiert."
Winfried Schröder: Atheismus. Fünf Einwände und eine Frage.
Hamburg 2021, Felix Meiner Verlag, 144 Seiten, 16,90 Euro.
Richard Dawkins: Atheismus für Anfänger. Warum wir Gott für ein sinnerfülltes Leben nicht brauchen.
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Ullstein Verlag 2020, 320 Seiten, 18 Euro.