Bis zum Volksaufstand von 2011, der zum Sturz Hosni Mubaraks führte, fühlten sich viele Ägypter von den Verhältnissen eingeschüchtert. Mit dem Sturz Mubaraks änderte sich das schlagartig. Plötzlich wurden politische Ideen und die verschiedensten Weltanschauungen debattiert. Das ermutigte auch die Atheisten im Land dazu, ins Licht der Öffentlichkeit zu treten.
Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Existenz der sozialen Medien, sagt Amr Abdulrahman von der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte:
"Wer in den 80er-Jahren in Ägypten Atheist war, der hat tunlichst darauf verzichtet, dass dies jemand erfährt. Aber jetzt hatte jeder ein Facebook- und ein Twitter-Profil. Die Leute möchten öffentlich ihre Gesinnung kundtun."
Doch der kurze freizügige Frühling endete mit der Machtergreifung durch das Militär im Sommer 2013. Die Behörden und das religiöse Establishment machen verstärkt Stimmung gegen Atheisten.
Die Verfassung und die Gesetze würden auf dem Papier zwar die Meinungsfreiheit auch in diesem Punkt sichern, sagt Amr Abdulrahman, aber die Strafverfolger besäßen eine Hintertür:
"Es gibt einen Paragrafen im ägyptischen Strafgesetzbuch, der gegen Atheisten angewendet wird. Das ist Artikel 98. Dieser Artikel stellt die Diffamierung von Religion unter Strafe."
Atheisten sollen auch bei Facebook aufgespürt werden
Erst am Sonntag verurteilte ein Gericht in einer Stadt im Nil-Delta den 21-jährigen Karim Al-Banna zu drei Jahren Haft – weil er sich öffentlich zum Atheismus bekannte und wegen, Zitat, "Beleidigung des Islams". Vor Gericht hatte sogar sein Vater gegen ihn ausgesagt.
Manchen Schätzungen zufolge gibt es einige Hunderttausend Atheisten im Land, in einer Erhebung ist sogar von rund 12 Prozent der Bevölkerung die Rede – das wären landesweit etwa 11 Millionen Atheisten.
"Besonders alarmierend ist es, dass die Polizei versucht, Atheisten bei Facebook aufzuspüren. Man kann für das, was man dort schreibt, ins Gefängnis kommen. So wie einem generell eine Haftstrafe droht, wenn man seine Meinung über Religion öffentlich äußert."
Amr Abdulrahman schildert zwei besonders drastische Fälle. So wurde in Alexandria ein junger Mann von seinen Nachbarn angegriffen, weil er auf Facebook verkündet hatte, dass er Atheist sei. Der Mann ging zur Polizeiwache, um sich über die Nachbarn zu beschweren. Seitdem hat er selber ein Verfahren am Hals, wegen Diffamierung der Religion.
In Ismailiyya erklärt ein Student im Unterricht gegenüber seinem Professor, dass er Atheist sei. Der Professor erstattet Anzeige und bringt seinen Studenten vor Gericht.
Wer in Ägypten den Mut hat, sich als Gottloser zu outen, der kann schnell zum Außenseiter werden. So wie dieser Pädagogikstudent dem Sender "Voice of America" erklärt:
"Ich arbeite im Moment als Bügler, weil es mir als bekennendem Atheisten unmöglich ist, einen anderen Job zu bekommen. Das wird so lange so bleiben, bis ich irgendein Unternehmen finde, das mich akzeptiert, wie ich bin."
In Ägypten beschreiben offizielle Vertreter des islamischen, aber auch des christlichen Glaubens den Atheismus als Bedrohung für die Gesellschaft. So hat der Ägyptische Kirchenrat beschlossen, mit Moscheen und Muslimfunktionären gemeinsam seine Ausbreitung zu verhindern.
Vor allem aber ist es das angeblich säkular orientierte Al-Sisi-Regime, das Atheisten mehr als je zuvor zu Feinden der Gesellschaft macht. Mit einer sogenannten "Nationalen Strategie" wollen mehrere Ministerien den Atheismus bekämpfen. Das Regime möchte beweisen, sagt Amr Abdulrahman von der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte, dass es die konservativen Traditionen und die Religion besser schützen kann als die Islamisten.