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Almanach der US-Geschichte
"The Atlantic" wird 165

Wie viele andere US-Publikationen hat "The Atlantic" dem so genannten "Trump Bump" viel zu verdanken. Während der Präsidentschaft von Donald Trump nahm die Aufmerksamkeit für Qualitätsjournalismus zu – was die Zeitschrift, deren Finanzierung immer wieder infrage stand, stabilisierte. Ein Blick auf die Geschichte eines der wichtigsten US-Magazine.

Von Brigitte Baetz |
Auf einem Laptop ist die Online-Seite des Magazins The Atlantic geöffnet.
"The Atlantic" ist eins der wichtigsten Magazine in den USA. (Deutschlandradio / Pia Behme)
Wie alles Große begann dieses ganz klein – mit einer Dinner Party vor fast 165 Jahren. Der Bostoner Verleger Moses Dresser Phillips hatte einige Herren zu Gast, die man wohl heute als Intellektuelle bezeichnen würde. Darunter Ralph Waldo Emerson, Autor und Philosoph, und Oliver Wendell Holmes, Arzt und Dichter.
Man kam auf die Idee, eine Zeitschrift zu gründen: "The Atlantic Monthly". Eine literarisch-politische Zeitschrift sollte es werden, die den Kanon der anglo-amerikanischen Literatur prägen sollte wie keine zweite. Die Gründerväter und auch ein paar Gründermütter waren getragen vom Gedanken der Abschaffung der Sklaverei und dem Wert der Bildung.

Texte von Autorinnen aus dem 19. Jahrhundert

Neben Harriet Beecher Stowe, der Autorin von Onkel Toms Hütte, veröffentlichte u.a. die Feministin Julia Ward Howe in "The Atlantic Monthly", u.a. den Text zur Battle Hymn of the Republic, dem Lied, mit dem die Soldaten der Nordstaaten in den Kampf zogen.
Nachzulesen sind die Geschichten aus "The Atlantic Monthly" – aus der inzwischen "The Atlantic" wurde – in dem großen Archiv, das jetzt online gestellt wurde. Originaltexte u.a. von Anna Leonowens aus dem Jahr 1870 über ihre Erlebnisse als Gouvernante am Hof des Königs von Siam über eine der ersten Kurzgeschichten von Ernest Hemingway bis hin zu Martin Luther Kings Brief aus dem Gefängnis von Baltimore aus dem Jahr 1963.
Philip Roth, Joyce Carol Oates, Theodore Roosevelt, Albert Einstein – die Liste der Autorinnen und Autoren liest sich wie ein Almanach amerikanischer Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Heute ist "The Atlantic" vor allem eine politische Zeitschrift, in der allerdings auch noch Gedichte ihren Platz haben.

Hohe Verluste – dann der Aufschwung

Ihre Existenz ist immer wieder gefährdet, zuletzt Ende der 90er-Jahre: Die Abozahlen gingen genauso zurück wie die Werbeeinnahmen. Hohe Verluste waren die Folge, die nur mühsam mit Digitalabos kompensiert werden konnten. Doch die Strategie des so genannten „metered model“ zahlte sich aus: also ein paar Texte frei zur Verfügung zu stellen, bevor die Bezahlschranke fällt.

Wasser für die (News-)Wüste: Der Pivot Fonds

Die Abrufzahlen gingen nach oben – und das weltweit: Jeder vierte Leser ist außerhalb der USA zuhause. Doch der Hauptgarant für das weitere Überleben ist derzeit eine Frau, die 2017 mit ihrer Firma The Emerson Collective die Mehrheit übernahm: Laurene Powell-Jobs, die Witwe von Apple-Gründer Steve Jobs. In einer Rede von 2019 erinnerte sie sich an ihre Kindheit, in der sie und ihre Brüder Zeitungen austrugen.

Wir waren Teil des amerikanischen Lebens einer demokratischen Routine, in der Journalismus ein Instrument der Aufklärung und positiver Unruhestiftung war. Bei Emerson Collective beschäftigen wir uns mit Bildung, Einwanderung, Wahlrecht und Umwelt und wissen, wie lebensnotwendig Journalismus für eine gerechte Gesellschaft ist.

Corona-Berichterstattung führte zu Rekordzahlen

Kurzfristig sah es sogar so aus, als könnte "The Atlantic" nicht nur inhaltlich, sondern auch wirtschaftlich zum Höhenflug ansetzen. Redakteur Ed Yong hatte schon 2018 eine weltweite Pandemie vorhergesagt und wurde während der Frühphase von Covid-19 zu dem amerikanischen Corona-Journalisten, obwohl er eigentlich eine Auszeit für ein Buchprojekt genommen hatte.

Ich bekam eine Mail von unserem Online-Chef: Kannst Du für einen Monat zurückkommen? Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass dies nicht nur eine weitere Epidemie, sondern die größte Herausforderung unserer Zeit werden würde.

Die Berichterstattung über Corona, für die "The Atlantic" die Bezahlschranke aufhob, führte zu den höchsten Online-Zugriffszahlen, die das Magazin je hatte. "The Atlantic" fand sich damit auf einer Stufe mit großen amerikanischen Playern wie der "New York Times" oder Fox News wieder.
Über 830.000 zahlende Abonnentinnen und Abonnenten goutieren inzwischen die hintergründige Berichterstattung. Unter meistgelesen – und in einem Podcast: meistgehört - ist aber auch die Serie darüber, wie man ein glückliches Leben führt.

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Breites Meinungsspektrum oder liberale Elite?

Mit Arthur Brooks einen bekannten Republikaner als Glückskorrespondenten zu haben, zählt für Nicholas Thompson, dem CEO von "The Atlantic" und ehemaligen Chefredakteur der Technologiezeitschrift "The Wired", als Beweis dafür, dass man ein sehr breites Spektrum von Meinungen abdecke. Selbst wenn es mehr Abonnenten brächte, sagt Thompson, würde man das Meinungsspektrum nicht verengen. Und doch wird "The Atlantic", inzwischen schon lange in Washington zuhause, vor allem als Medium einer im amerikanischen Sinne "liberalen" Elite wahrgenommen, einer Elite, die in Zeiten der ideologischen Spaltung des Landes darum kämpft, die amerikanischen Werte, wie sie sie versteht, zu schützen.