Die Erde ist ein bewegter Planet: Ständig verschiebt die Plattentektonik an der Oberfläche die Erdkrustenplatten gegeneinander, türmt dabei Gebirge auf und öffnet oder schließt Ozeane. Dabei steigt am mittelozeanischen Rücken Magma aus dem Erdmantel auf, das als Meereskruste erstarrt. Die neue Kruste schiebt dabei die ältere zur Seite, und so geht es wie an einem Fließband, bis schließlich - Dutzende Millionen Jahre später - die alte, mit Wasser vollgesaugte und von Sedimenten schwer gewordene Meereskruste in einer Subduktionszone wieder in den Erdmantel hinein abtaucht.
"Wie diese subduzierten Platten, die wir dann "Slab" nennen, in den Mantel abtauchen, erkennen wir in der seismischen Tomographie, bei der wir aus Erdbebenwellen eine Art CT-Scan der Erde berechnen. Wir sehen, dass die Slabs in den Subduktionszonen wie große, kalte Finger in den Erdmantel hinab hängen. Wir erkennen auch tief im Mantel uralte Slabs, die nicht mehr mit der Oberfläche verbunden sind, weil sie an Subduktionszonen abgetaucht sind, die längst nicht mehr existieren: Die Plattentektonik hat den Ozean, deren Boden sie einst waren, geschlossen."
Geschichte der Erde wird ablesbar
So beschreibt es Douwe van Hinsbergen von der Universität Utrecht. Er und seine Kollegen haben für ihren "Atlas der Unterwelt" die "CT-Scans" des Erdmantels ausgewertet und sie mit geologischen Zeugnissen an der Oberfläche verknüpft - mit Gebirgen etwa oder uralten Vulkanen. Rund 100 Slabs können sie so bis zur Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern in 3.000 Kilometern Tiefe erkennen - und damit die plattentektonische Geschichte der Erde über die vergangenen 300 Millionen Jahre hinweg rekonstruieren
"In den verschiedenen Subduktionszonen sinken die Meereskrustenplatten zunächst mit ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab: manche mit einem Zentimeter pro Jahr, andere mit zehn oder 15. Doch wenn die Slabs dann tiefer in den Erdmantel sinken, werden alle auf etwa einen Zentimeter pro Jahr abgebremst."
Bei 600 Kilometern Tiefe erstmal eine Pause
So erläutert Douwe van der Meer von der Universität Utrecht. Die erste dieser Bremszonen liegt in 600 Kilometern Tiefe: Dort ändert sich aufgrund von Temperatur- und Druckverhältnissen die Kristallstruktur der Minerale. Die Gesteine eines Slabs müssen sich an die physikalischen Eigenschaften ihrer Umgebung anpassen. Das braucht Zeit, und so pausieren sie erst einmal - und zwar umso länger, je schneller sie bis dahin unterwegs waren. Bis zu 100 Millionen Jahre kann diese Phase dauern.
"Deshalb stauen sich die Platten in dieser Tiefe auf und verdicken sich. Das sehen wir zwar in den "CT-Scans", aber wir konnten bislang den Betrag nur sehr schwer abschätzen. Weil wir nun wissen, wie schnell die einzelnen Platten unterwegs sind und wie stark sie abgebremst werden, lässt sich das berechnen. Wir erkennen auch eine zweite Bremszone zwischen 1.000 und 1.500 Kilometern Tiefe - und dass sich die Slabs unterhalb von 1.500 Kilometern Tiefe wieder etwas zu beschleunigen scheinen."
Altas der "erste seiner Art"
Letztere Beobachtungen sind neu - aber nicht unerwartet: Sie entsprechen den Vorhersagen von Laborexperimenten.Danach sollte sich die Kristallstruktur der Mantelgesteine unterhalb der zweiten Bremszone erneut ändern - und damit auch ihre physikalischen Eigenschaften.
"Wir haben nun einen sehr wichtigen Eckwert für die Modellrechnungen, mit denen wir die Verhältnisse im Erdmantel und den Motor der Plattentektonik aufklären wollen. Denn aus dem "Atlas der Unterwelt" können wir nun die physikalischen Eigenschaften des Mantels bis in 3.000 Kilometern Tiefe ablesen, bis zur Grenze zum Erdkern also."Der Atlas sei ein erster seiner Art, betont Douwe van Hinsbergen, er werde durch neue Daten und weitere Informationen anderer Geophysikergruppen mit Sicherheit weiter verbessert werden. Und er dürfte praktischen Nutzen haben - etwa für die Suche nach metallischen Lagerstätten, deren Entstehung mit der Plattentektonik verbunden ist.