Unsere Innenstädte sprechen uns immer weniger als Bewohner an, die wir doch eigentlich sind. Im besten Fall sind wir in den durchkommerzialisierten Innenstädten noch Kunden. Überwachungskameras, eingezäunte Spielplätze, Mauern vor Wohnhäusern spiegeln uns eher wider, dass wir Verdächtige oder sogar Unerwünschte sind. Der Straßburger Philosoph Mickaël Labbé nennt das alles die "Architektur der Verachtung".
Wenn die urbanen Lebenswelten unsere Identität prägen, dann scheint eine Architektur, die nur vom "menschlichen Maß" eines Le Corbusier und von genormten Bedürfnissen spricht, überholt, ja sogar schädlich. Mehr genius loci, mehr Schönheit, mehr Flair, vielleicht auch mehr Pulsieren wäre schön. Aber wie lässt sich das begrifflich exakter fassen?
Mickaël Labbé spricht von der Atmosphäre einer Stadt. Mit diesem zentralen Begriff soll die Philosophie der Architektur beispringen. An konkreten Beispielen in den ganz unterschiedlichen Vierteln in Straßburg demonstriert Labbé, wie die Architektur sich unmittelbar auf die Menschen auswirkt - und wie sie sein könnte, damit sich das "Wunder des Raumes" entfalten kann.
Denn Mickaël Labbé will Schluss machen mit einer Stadtplanung, die kaltherzig auf die Lebenswelt ihrer BürgerInnen zugreift. Die BürgerInnen, fordert er, sollen endlich dagegen rebelllieren.
Mickaël Labbé ist Direktor der Philosophischen Fakultät der Universität Straßburg und hat dort den Lehrstuhl für Ästhetik und Philosophie der Kunst inne. Zudem ist er Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Architektur und Philosophie. In seinem jüngsten Buch "Reprendre place: Contre l’ architecture du mépris" ruft er zur Rückeroberung der öffentlichen Räume durch die Bürger auf - und zur Rebellion "gegen die Architektur der Verachtung".
Michael Magercord schreibt für Radio und Zeitungen, lebte in Prag und Paris, berichtete lange Jahre aus Asien und lebt heute in Göttingen und Straßburg.