Martin Zagatta: Der Atomausstieg ist im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar. Das haben die Karlsruher Richter am Vormittag entschieden und dennoch festgestellt, dass die Konzerne ein Recht auf Entschädigung haben. Ein etwas überraschendes Urteil, das für Laien wie mich gar nicht so leicht zu verstehen ist.
Aber Bärbel Höhn kann uns das sicher einordnen, die frühere Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag, Frau Höhn.
Bärbel Höhn: Guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Frau Höhn, die Richter sagen jetzt, der Atomausstieg ist mit dem Grundgesetz vereinbar, aber den Konzernen steht trotzdem eine Entschädigung zu. Ist das für Sie ein überraschendes Urteil oder nachvollziehbar?
Höhn: Es ist in einigen Punkten schon nachvollziehbar. Wobei der eigentliche Fehler, der passiert ist, ist ja, dass eigentlich ein guter Atomausstieg, wo ja sogar die Unterschrift der Konzernchefs drunter war und deshalb konnten sie dagegen auch nicht klagen, ein guter Atomausstieg 2002 ohne Not von Angela Merkel aufgekündigt worden ist. Und sie hat dann den Atomkraftwerken durchschnittlich zwölf Jahre Verlängerung gegeben und das ist dann ein halbes Jahr später nach Fukushima wieder rückgängig gemacht worden. Und zwar sind dann Jahre festgelegt worden, Abschaltjahre, und in diesem ersten Atomausstieg war gesagt worden, so und so viel Strom dürft ihr noch produzieren. Und das ist ja ein Unterschied.
Zagatta: Aber die Richter, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, die beziehen sich ja in ihrer Begründung, dass die Entschädigung gezahlt werden müsse, auch auf Zusicherungen, die 2002 noch gegeben wurden, also auch von Ihnen noch mit gegeben wurden. Sie sind da, ich sage mal, auch ein bisschen mit schuld?
Höhn: Nee, sind wir nicht, weil zum Beispiel Vattenfall hatte Reststrommengen, wie das genannt wird, für die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. Krümmel ist ein sehr störanfälliges Atomkraftwerk, lief auch zu der Zeit 2011 gar nicht, aber ein jüngeres. Und die Bundesregierung von Angela Merkel hat dann Krümmel und Brunsbüttel beide abgeschaltet. Deshalb kann Vattenfall diese Reststrommengen, die sie von diesem ersten Atomausstieg haben, in ihren Atomkraftwerken einfach gar nicht mehr produzieren, weil die sind ja abgeschaltet. Genau diese Strommengen, die hat sich das Gericht jetzt vorgenommen und gesagt, damit ist Vattenfall benachteiligt gegenüber anderen Konzernen, die zum Beispiel wie E.ON ihre Reststrommengen noch durchaus in ihren Kraftwerken erzeugen können.
Zagatta: Was heißt das jetzt aus Ihrer Sicht in der Praxis? Wie teuer wird das denn den Steuerzahler jetzt kommen?
Kosten "noch ein bisschen spekulativ"
Höhn: Das ist noch ein bisschen spekulativ. Da muss man jetzt mal genau schauen. Aber man muss sehen, dass alleine Vattenfall, aber auch RWE doch erhebliche Reststrommengen noch haben, wo man jetzt gucken muss, was macht man damit. Vielleicht ist aber ganz wichtig: Vattenfall hat ja auch vor einem privaten Schiedsgericht geklagt und eigentlich müssten sie jetzt diese Klage vor dem privaten Schiedsgericht zurücknehmen, denn sie haben es ja auch mit der Begründung getan, wir als ein Unternehmen, was dem schwedischen Staat gehört, dürfen noch gar nicht in Deutschland klagen. Jetzt hat aber das Gericht ja gesagt, doch ihr dürft und ihr habt ja auch das Recht. Und jetzt müssten sie eigentlich ihre Klage vor dem privaten Schiedsgericht zurückziehen.
Zagatta: Kommt ja vielleicht auch auf die Summe an, die Vattenfall dann bekommen soll. - Sind diese 20 Milliarden, die vor der Urteilsverkündung im Gespräch waren vonseiten der Konzerne, ist das noch ein Thema, oder reden wir jetzt über deutlich niedrigere Beträge?
Höhn: Da wird man schon über ganz, ganz deutlich niedrigere Beträge reden. Die haben natürlich da auch ihre entgangenen Gewinne drin, die sie eigentlich über diese zwölf Jahre Laufzeitverlängerung von Angela Merkel dort auch hatten. Jetzt hat das Gericht gesagt, ihr habt von Oktober 2010, als der Beschluss gefasst wurde im Bundestag, bis zum März 2011, wo das Moratorium festgelegt wurde und gesagt wurde, jetzt ist erst mal Stopp, da habt ihr ein halbes Jahr gehabt und da habt ihr vielleicht das eine oder andere investiert. Interessant ist, dass in diesem Gerichtsurteil Investitionen stehen und nicht Betriebskosten.
Das heißt, zum Beispiel alle Kosten, die jetzt für den Betrieb eingesetzt worden sind, die können sie da nicht mit unterbringen. Und insofern werden sich auch diese Investitionen noch im Rahmen halten. Aber entscheidend sind natürlich auch diese Reststrommengen. Die könnten schon teurer werden.
Zagatta: Jetzt geht es auch darum, wie der Atomausstieg in Zukunft noch finanziert wird. Da haben wir gerade gelesen, dass da 23 Milliarden Euro in einen Fonds einzuzahlen sind, um den Ausstieg aus der Atomkraft zu finanzieren. Wird da jetzt noch das Ganze mit diesen Entschädigungen verrechnet aus Ihrer Sicht. Oder gibt es jetzt, ich sage mal, großes Hin und Her um diese Kosten? Wird das jetzt alles in einen Topf geworfen?
"Frage der Kosten neu debattieren"
Höhn: Ja, das ist aus meiner Sicht ganz klar, dass man das gemeinsam behandeln muss. Die Vorlage des Gesetzes ist ja gerade in den Bundestag eingebracht worden und da geht es darum, dass die Konzerne gut 23 Milliarden Euro zahlen müssen. Dafür übernimmt aber der Staat dann die Kosten der Atommüll-Lagerung, dieser Endlagerung. Und auch mögliche Haftungen und Risiken, die daraus entstehen. Das ist natürlich ein Riesenvorteil für die Konzerne und aus meiner Sicht kann man so was nur machen, wenn die die Klagen zurückgezogen hätten. Das haben sie jetzt nicht; jetzt gibt es sogar vielleicht Entschädigungen und insofern muss man auch diese Fragen der Kosten, wie werden die Kosten gestaltet, wieder auch neu debattieren. Das gehört auf jeden Fall zueinander.
Zagatta: Muss da aus Ihrer Sicht jetzt einiges draufgepackt werden, weil so, wie es jetzt aussieht, kommen die Konzerne da ja relativ gut weg. 23 Milliarden, wenn das auch für die Endlagerung und die Entsorgung gelten soll, ist ja ein eher bescheidener Betrag.
Höhn: Ja, da sind irgendwie dann noch alle möglichen Zinsen, die man da erzielen kann, wobei man ja momentan keine Zinsen erzielen kann, noch mit reingerechnet worden und dann wurde es so eine erklägliche Summe. Aber genau diese Risiken, die da drin sind, trägt am Ende der Steuerzahler. Und es ist natürlich auch ein Stück damit ein Kompromiss gefunden worden, weil man gesagt hat, wenn die Konzerne am Ende insolvent sind und gar nicht mehr zahlen können, was haben wir davon, wir müssen jetzt auch eine Summe da einsetzen, die auch noch überhaupt schulterbar ist. Aber wenn die Konzerne eben auf der anderen Seite sich das Geld wieder einklagen, dann sieht die Sache vollkommen anders aus.
Und man muss ja sehen, dass hier ENBW noch gar nicht geklagt hat, weil es ja ein Staatskonzern ist. Das heißt, auch deren Summe, die die ja versuchen würden, dann jetzt auch zivilrechtlich durchzusetzen, würde ja noch dazukommen. Von daher: Wenn die sich am Ende versuchen, durch die Klagen das Geld wieder reinzuholen, was sie hier eigentlich in den öffentlich-rechtlichen Fonds reinzahlen sollen, dann ist das natürlich ein Geschäft, das können wir nicht mitmachen.
Zagatta: Das ist auch ein Appell an Ihren Parteifreund Jürgen Trittin, nehme ich an? Der sitzt ja dieser Kommission, wo es um die Zukunftskosten geht, noch vor. Der ist jetzt gefragt?
Höhn: Nein, die Kommission hat ihre Arbeit schon beendet und das Ganze ist auch schon in einen Entwurf eines Gesetzes gepackt. Das haben wir gerade in erster Lesung im Bundestag gehabt, das kommt jetzt in meinen Ausschuss - ich bin ja Vorsitzende des Umweltausschusses -, wird dort beraten und dann soll es verabschiedet werden.
Zagatta: Sie selbst sind da jetzt gefragt?
Höhn: Wir sind da jetzt als Parlamentarier gefragt. Genau!
Zagatta: Prima! Da lässt sich ja einiges erwarten. Wir sind gespannt. Ich bedanke mich für das Gespräch bei Bärbel Höhn, der Vorsitzenden des Umweltausschusses im Bundestag, der früheren Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen Dank, Frau Höhn!
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