Das Abkommen sei hochambivalent, sagte Nouripour. Es sei gut, dass es die Einigung gebe, sie berge aber auch erhebliche Risiken. Es werde relativ viel Geld in den Iran fließen, davon werde einiges auch in die Kriegskasse fließen. "Das bedeutet für regionale Konflikte nichts Gutes." Es bestehe die Möglichkeit, dass am Ende damit Kriegsmaterial für den Konflikt in Syrien finanziert werde.
Der Grünen-Außenpolitiker betonte aber, das Abkommen sei richtig: "Wenn ich die Wahl habe zwischen zwei Teufeln, nehme ich den, der keine Atombombe hat." Dass sei die Hauptabwägung gewesen. Er wies aber darauf hin, dass die Zahl der Hinrichtungen im Iran deutlich höher sei als in Saudi-Arabien. Das dürfe man bei aller Freude über mögliche Wirtschaftskontakte nicht außer Acht lassen. Wenn man mit Teheran Geschäfte mache und nicht über die Menschenrechtslage spreche, mache man sich unglaubwürdig. Er betonte: "Es ist nicht so, dass der Iran jetzt vor dem großen Aufbruch steht."
Nach Ansicht von Nouripour sollte der Westen versuchen, den gleichen Abstand zum Iran und zu Saudi-Arabien zu halten. Keines der beiden Länder dürfe zu einem strategischen Partner gemacht werden und an keines dürfe Panzer verkauft werden.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Das Atomabkommen mit dem Iran und die ausgesetzten Sanktionen sind ebenfalls ein Thema im US-Wahlkampf. Dort von den Republikanern kommen nach wie vor äußerst kritische, äußerst skeptische Töne, die es so vor allen Dingen nur noch aus Israel gibt. Das Land zurück in der Weltgemeinschaft? - Omid Nouripour ist außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Er ist Deutscher und Iraner und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Nouripour.
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
Klein: Wie optimistisch sind Sie denn, dass sich jetzt tatsächlich alles zum Besseren wendet in und mit dem Iran?
Nouripour: Na ja, alles ganz sicher nicht. Es ist hoch ambivalent. Auf der einen Seite verstehe ich natürlich die Sorgen aus Israel. Es ist eindeutig, dass es Regierungschefs im Iran gegeben hat, die Israel von der Landkarte auslöschen wollten. Aber man muss gleichzeitig auch die Frage stellen, die Netanjahu nie beantwortet hat: Was ist denn eigentlich der schnellste Weg des Irans zur Bombe? Der schnellste Weg des Iran zur Bombe wäre gewesen, eben kein Atomabkommen hinzubekommen. Das hätte geheißen keinerlei Inspektionen, das hätte geheißen, sie hätten viele Zentrifugen, und zwar so viele wie sie gewollt hätten, und hätten weiterlaufen lassen können und schneller wären sie nicht zur Bombe gelangt. Das heißt, es ist gut, dass es ein Abkommen gibt.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch erhebliche Risiken. Es wird relativ viel Geld jetzt ins Land fließen. Vieles wird für Gutes ausgegeben wie zum Beispiel für die Modernisierung der maroden zivilen Flugzeugflotte des Landes. Aber so manches wird auch in die Kriegskasse gehen. Das bedeutet für die regionalen Konflikte eher nichts Gutes.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch erhebliche Risiken. Es wird relativ viel Geld jetzt ins Land fließen. Vieles wird für Gutes ausgegeben wie zum Beispiel für die Modernisierung der maroden zivilen Flugzeugflotte des Landes. Aber so manches wird auch in die Kriegskasse gehen. Das bedeutet für die regionalen Konflikte eher nichts Gutes.
"Das Abkommen ist gut und richtig gewesen"
Klein: Beginnen wir mal damit. Es ist eines der zentralen Argumente der Gegner dieses Abkommens, dass der weltgrößte Geldgeber für Terrorismus, wie sie sagen, der Iran jetzt uneingeschränkt handlungsfähig ist, weil Milliarden, auch europäische Milliarden hineingepumpt werden. Wie groß ist das Risiko, dass doch einige Teile dieser Investitionen tatsächlich in die Terrorfinanzierung fließen?
Nouripour: Das Risiko besteht allein deswegen schon, weil es nicht ganz klar ist, wer das Geld überhaupt bekommt. Im Iran gibt es eine hoch komplexe und heterogene Machtstruktur. Es ist relativ deutlich, dass die Gelder, die die Regierung, die offizielle Regierung von Präsident Rohani bekommen wird, in erster Linie in seine Versprechen für das Ankurbeln der Wirtschaft fließen werden. Das ist ja auch die Hauptbaustelle im Land. Das ist ja auch die größte Gefahr des Establishments, dass die angestiegene Jugendarbeitslosigkeit eher zu Unruhen führen wird. Aber auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel Teile der Revolutionswächter, also eine parallele Armeestruktur jenseits der offiziellen Armee, die für die Regionalpolitik zuständig sind. Die werden auch ihr eigenes Geld bekommen und wir sehen ja, dass in Syrien die Iraner am Boden mit vertreten sind, und es gibt natürlich die Möglichkeit, dass das Geld dort am Ende des Tages dann tatsächlich ankommen wird, auch in Waffen. Nur wenn ich die Wahl habe zwischen zwei Teufeln, nehme ich den Teufel, der keine Atombombe hat, und deshalb ist das Abkommen gut und richtig gewesen.
Klein: Aber im Klartext: Man hat sich darauf eingelassen, ohne das kontrollieren und verhindern zu können, dass Gelder in die Terrorfinanzierung fließen?
Nouripour: Es gab eine sehr klare Abwägung und die Hauptabwägung war, dass man verhindert, dass der Iran eine Atombombe bekommt, inklusive einer größeren Kriegsgefahr, die gerade auch in dem Beitrag beschrieben worden ist, dass zum Beispiel es zu einer direkten militärischen Konfrontation kommt zwischen Israel und Iran. Deshalb ist das Abkommen bei allen Mängeln, die man klar und laut benennen muss, tatsächlich am Ende des Tages ein lohnendes.
"Es gibt keinen Grund, jetzt in Euphorie zu verfallen"
Klein: Sie sagen, das war eine Abwägung zwischen zwei Risiken. Man hat sich für die aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft kleineren Risiken entschieden. Dennoch halten wir noch mal fest: Das ist jetzt eine völlig unkontrollierte Entwicklung, was mit den Milliarden passiert, und da frage ich Sie noch mal, Herr Nouripour: Nicht nur die deutsche Wirtschaft, aber auch die freut sich jetzt über die Möglichkeit von Investitionen. Ihre Partei, die Grünen haben normalerweise immer ein Problem, wenn mit fragwürdigen Regimes Geschäfte gemacht werden. Dieser Einwand gilt für Sie jetzt nicht mehr?
Nouripour: Aber selbstverständlich gilt das. Es ist ja keiner jetzt rausgegangen und hat gesagt, lasst uns die strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien beenden wegen der katastrophalen Menschenrechtssituation vor Ort und wegen der regionalen Situation und jetzt eine strategische Partnerschaft mit dem Iran anfangen. Es ist gut, dass die Weltgemeinschaft jetzt endlich nach Saudi-Arabien reinschaut bei 47 Exekutionen an einem Tag, aber man muss gleichzeitig auch wissen, dass die Zahl der Hinrichtungen im Iran zumindest in absoluten Zahlen um einiges höher ist als in Saudi-Arabien. Also es gibt keinen Grund, jetzt in Euphorie zu verfallen. Ich habe selbst sehr viele Anfragen von deutschen Unternehmern, die fragen, ob die jetzt nicht in den Iran reinrennen sollten, um jetzt da massiv zu investieren. Ich kann ihnen nur sagen, Gemach, Gemach, und zwar nicht nur aus wertegebundenen Gründen, sondern auch rein aus Interessengründen. Es ist nicht ganz klar, wohin das Land jetzt tatsächlich gesteuert werden wird. Wir haben hoch dramatische Parlamentswahlen gerade vor uns, bei denen über 90 Prozent der Reformerkandidaten nicht zugelassen worden sind. Also es ist nicht so, dass der Iran jetzt vor dem großen Aufbruch steht, aber trotzdem muss man sich freuen bei kleinen und bei größeren positiven Nachrichten, ohne dass man jetzt plötzlich den Verstand verliert und sagt, Mensch, jetzt gibt es, wie es in Washington so schön heißt, "tribute to Persia", dass man sich jetzt komplett dem Iran hinwendet.
"Es gibt riesige Risiken, aber es gibt riesige Chancen"
Klein: Den Verstand verlieren wollen wir hier alle nicht. Ganz im Gegenteil: Wir versuchen, das gerade hier ganz nüchtern und rational zu analysieren, Herr Nouripour. Aber gerade, weil Sie auch noch mal darauf hingewiesen haben. Wir haben es gerade von unserem Korrespondenten auch gehört. Die Hoffnung, dass die reformerischen Kräfte jetzt gestärkt werden, erweist sich im Augenblick als eine Seifenblase. Viele wurden gar nicht erst zugelassen. Und da sagen die Kritiker wiederum, es ist eine Art Appeasement-Politik, dass man einem Land, wo auf den Straßen weiterhin "Tod Israel!" und "Tod den USA!" gerufen wird, dieses Geschenk jetzt unterbreitet.
Nouripour: Es ist wie gesagt kein Geschenk. Es ist eine Abwägungsfrage, die am Ende des Tages als oberste Priorität, wie ich finde, völlig zurecht hatte, dass man bei einer implodierenden Situation im Nahen Osten um Gottes Willen verhindern sollte, dass eine neue Atommacht entsteht, und dass das Priorität hatte, das tut mir leid, das kann ich nachvollziehen. Es ist im Iran ja auch so, dass die Zivilgesellschaft zum Beispiel sehr weit ist, und wenn man sich die repressiven Reaktionen zurzeit anschaut, die im Übrigen auch ambivalent sind - es gibt jetzt sehr manifeste Berichte, dass seit ein paar Tagen, auch gebunden natürlich an die Aufhebung der Sanktionen, YouTube plötzlich frei ist und nicht mehr blockiert wird. Es wird sich erst noch erweisen müssen, ob das auf Dauer so bleiben wird. Aber das ist die eine Gesellschaft mit der höchsten Chance auf das, was früher mal Wandel durch Annäherung hieß, und da die Hardliner das wissen, sind sie gerade auch so unglaublich panisch, und deshalb ist für die auch die Frage, wie diese Parlamentswahl ausgeht, teilweise eine Frage des politischen Überlebens. Das heißt, es gibt riesige Risiken, aber es gibt riesige Chancen und das sollte man beides sehr, sehr genau sich anschauen und kühl berechnen, was denn jetzt als nächstes getan werden muss. Und richtig ist: Wenn man jetzt sagt, das ist das Land, mit dem man Geschäfte macht und nicht über die Menschenrechtskatastrophen, die es in dem Land gibt, spricht, dass man sich sofort lächerlich und unglaubwürdig macht.
"Gleiche Abstände zu Saudi-Arabien und Iran halten"
Klein: Herr Nouripour, wir halten noch mal fest: Die Hoffnung besteht darin, der Iran wird jetzt keine Atombombe entwickeln können und diese Gefahr habe man nun vermeiden können. Schauen wir doch mal auf das, was jetzt aktuell und realpolitisch dringend notwendig und vielleicht auch möglich ist. Saudi-Arabien beklagt sich schon bitterlich, dass sozusagen der große Rivale gestärkt wird, man ihm Wettbewerbsvorteile verschafft durch dieses Abkommen. Worauf setzen Sie denn jetzt, wenn wir die Situation im Nahen Osten jetzt uns anschauen, wie mit dem Iran zu kooperieren sein könnte auch im Blick auf Syrien?
Nouripour: Ich glaube, dass es zwingend notwendig ist, mit dem Iran zu sprechen. Es gibt eine riesige Zahl von Baustellen, die wir gemeinsam haben. Aber es ist genauso auch notwendig und richtig, mit Saudi-Arabien zu sprechen und zu kooperieren. Was nicht daraus erfolgen darf, ist, dass man das eine oder andere Land zu einem großen strategischen Partner ernennt und ihm dann Panzer verkauft. Beides nicht. Ich glaube, dass die Europäer sich einen großen Gefallen tun würden, wenn sie in Richtung Äquidistanz gehen würden und gleiche Abstände zu beiden Ländern halten würden. Das würde ihnen auch es deutlich einfacher machen, eine Vermittlerrolle zu übernehmen in einem Konflikt im gesamten Nahen Osten, bei dem beide Länder in gegenseitiger Paranoia viele Länder mittlerweile in Brand gesetzt haben.
Klein: Noch mal nachgefragt: Wie viel weiter sind wir jetzt gekommen mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien und die entsetzliche Situation dort, die auch dazu führt, dass viele Menschen hierher fliehen?
Nouripour: Wir sind leider nicht besonders weit gekommen. Im Gegenteil. Es ist ja auch so, dass in Wien in erster Linie die Weltgemeinschaft, vor allem der Westen sich bewegt haben. Es sieht ja so aus, als wenn nicht die 250.000 Toten uns bewegt hätten, sondern die ersten 10.000 Flüchtlinge, die über die Grenze gekommen sind, dass wir bereit waren, Assad zu rehabilitieren. Es sieht alles andere als gut aus für Syrien. Nur man bedenke, was passiert wäre in Riad, wenn die Iraner die Bombe bekommen hätten. Dann hätte Saudi-Arabien, mindestens nur Saudi-Arabien, wenn nicht auch die Türkei und Ägypten ja auch sofort versucht, die Bombe zu bekommen, und das hätte die Situation um einiges schlimmer gemacht.
Klein: Die Einschätzung von Omid Nouripour heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Er ist der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nouripour.
Nouripour: Ich danke herzlich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.