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Atomabkommen Iran und USA
"Es ist ein Kompromiss"

Der Iran erfülle das Atomabkommen und die USA solle daran festhalten, sagte Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Dlf. Würde Trump das Abkommen nicht zertifizieren und die Iraner austreten, hätte man im Zweifelsfall eine schlimmere Situation.

Volker Perthes im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.10.2017
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, posiert am 30.09.2015 in Berlin.
    Bei einem Austritt aus dem Atomabkommen "haben wir im Zweifelsfall eine schlimmere Situation, weil die Iraner dann wieder anfangen würden, Uran anzureichern und möglicherweise wirklich eine Atomwaffe zu produzieren", sagte Volker Perthes im Dlf. (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Jürgen Zurheide: Guten Morgen, Herr Perthes! Herr Perthes, beginnen wir zunächst einmal: Auflösung des Deals oder jedenfalls Nichtbestätigung des Iran-Deals, des Atom-Deals - zunächst einmal die Frage: Hält sich der Iran denn, soweit Sie das beobachten können, an das Abkommen?
    Volker Perthes: Der Iran hält sich, so wie die zuständigen internationalen Agenturen, also die Internationale Atomenergie-Agentur das regelmäßig bestätigt, an das Abkommen. Es hat ganz kleine Abweichungen von Höchstgrenzen gegeben für spaltbares Material, aber die sind dann sehr schnell korrigiert worden. Und auf der Grundlage, also auf der Grundlage der Berichte der Internationalen Atomenergie-Agentur, sollte eigentlich die amerikanische Regierung ihrem Kongress, dem amerikanischen Kongress nur berichten: Ja, Iran hält sich dran. Das wäre die Zertifizierung, die kann der amerikanische Präsident natürlich verweigern.
    Atomabkommen und iranische Regionalpolitik trennen
    Zurheide: Auf Basis welcher Fakten will denn Trump möglicherweise anders entscheiden? Ich weiß, hier begeben wir uns in den Bereich der Spekulation, vor allen Dingen wenn ich sage, dass Herr Trump irgendetwas mit Fakten zu tun hat. Gibt es da aus Ihrer Sicht Hinweise?
    Perthes: Nun ja, er kann schlicht darauf verzichten, diese Zertifizierung, wie es heißt - und das ist ja nur ein amerikanisches Gesetz, was mit dem Abkommen an sich nicht verbunden ist -, dem Kongress diese Zertifizierung gegenüber auszusprechen, und dann ist der Ball gewissermaßen zurück im Feld des Kongresses. Der Kongress kann entscheiden, neue Sanktionen zu verhängen. Das würde das Abkommen unterminieren, aber das Abkommen wäre weiterhin da, oder der Kongress kann entscheiden, gar nichts zu tun, oder er kann sich schlicht nicht einigen. Aber ich glaube, wir sollten auch gerade hier in Europa deutlich machen: Das Abkommen steht erst mal unabhängig davon, ob der amerikanische Präsident es dem Kongress gegenüber zertifiziert oder nicht.
    Wenn er es nicht tut, wird er als Begründung das wiederholen, was er häufig gesagt hat, dass der Iran sich in der Region, also im Nahen und Mittleren Osten als Gegner der USA aufführt, dass er möglicherweise - so wird Trump das, denke ich mal, sagen - Terroristen oder feindliche Kräfte unterstützt, dass er Assad in Syrien an der Macht hält, und er wird auf das ballistische Programm, auf das Raketenprogramm Irans verweisen. All dies sind Fakten, die man hier auch in Europa sieht, die wir nicht schätzen, die etwas mit der iranischen Regionalpolitik zu tun haben. Dazu gehört auch die Feindschaft Irans gegenüber Israel, die Nichtanerkennung der Realität, der Existenz, der legalen Existenz Israels, aber das hat alles nichts mit dem Abkommen zu tun.
    Das Abkommen stehen lassen - und dann eine "robuste Diskussion" führen
    Zurheide: Genau das ist das Problem. Insofern werden da Dinge miteinander vermischt, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Eigentlich müsste Trump hingehen und sagen: Okay, der Iran-Deal ist das eine, aber ich muss weiter Politik machen zu den Feldern, die Sie gerade benannt haben. Sehen Sie irgendeinen Hinweis, dass er so was tun könnte? Denn das müsste er tun.
    Perthes: Ja, Sie wären ein ganz guter Berater für Donald Trump …
    Zurheide: Ja, danke schön, nein!
    Perthes: Die Frage ist, ob er Ihnen dann zuhört, Herr Zurheide. Einige seiner Minister und auch der Generäle in den USA wollen genau das, zu sagen, lasst uns dieses Abkommen Abkommen sein, was Besseres werden wir nicht hinkriegen. Immerhin standen hier 13 Jahre Verhandlungen dahinter, mit am Schluss sechs Mächten plus Iran. Es ist ein Kompromiss wie jedes Abkommen, lasst uns dieses Abkommen stehen, wenn wir es unterminieren, wenn die Iraner dann austreten, haben wir im Zweifelsfall eine schlimmere Situation, weil die Iraner dann wieder anfangen würden, Uran anzureichern und möglicherweise wirklich eine Atomwaffe zu produzieren, und lasst uns über die anderen Aspekte iranischer Politik, die wir für destabilisierend halten, einen Dialog führen, zunächst mit unseren Alliierten, also mit den Europäern, auch mit den anderen Unterzeichnern des Atomabkommens, also mit Russland und China, und möglicherweise dann in eine robuste Diskussion mit den Iranern eintreten! Das ist die Strategie, die offensichtlich General Mattis, der Verteidigungsminister, und wohl auch der Außenminister und andere unterstützen würden.
    Saudi-Arabien versucht sich mit Russland zu arrangieren
    Zurheide: Und das Ganze müssen wir ja noch vor dem Hintergrund jetzt anderer Entwicklungen sehen, gerade die Annäherung von Saudi-Arabien an Russland. Ist es eine? Wie bewerten Sie das, was da gerade in den vergangenen Tagen passiert ist?
    Perthes: Annäherung ist vielleicht ein wenig zu viel, aber es gibt eine pragmatische Diversifizierung der Außenbeziehungen in Saudi-Arabien. Man will sich angesichts der Ungewissheit, die aus dem Weißen Haus verbreitet wird, nicht einseitig abhängig machen von den USA. Man weiß vor allem auch - und das ist mindestens so wichtig -, dass Russland ein ganz wichtiger Spieler wieder geworden ist im Nahen und Mittleren Osten, vor allem in Syrien, wo man ja gewisserweise sagen kann: Nicht die eine oder andere syrische Kriegspartei, sondern Russland hat den Krieg dort gewonnen oder nahezu gewonnen. Also versucht man, sich mit Russland zu arrangieren. Russland umgekehrt weiß, dass, wenn es aus seinem militärischen Erfolg in Syrien tatsächlich zu einer Stabilisierung Syriens kommen will, dann braucht es die Unterstützung von regionalen Mächten wie Saudi-Arabien, die eben doch sehr, sehr viel Einfluss auf die syrische Antiregime-Opposition haben.
    Im Nahen und Mittleren Osten gibt es keine festen Allianzen
    Zurheide: Aber genau da liegt ja übrigens dann das nächste Problem, weil die Saudis wiederum gegen den Iran stehen, und das auch in Syrien. Also, das ist irgendwie die Quadratur des Kreises, aber ich glaube, diesen Begriff benutzen wir nicht zum ersten Mal im Nahen Osten.
    Perthes: Na ja, wir sollten uns nicht an - wenn wir den Nahen Osten versuchen zu analysieren, sollten wir uns nicht an europäische Modelle halten, wo wir in Allianzen denken, wo man in einer guten Allianz, so sie funktioniert, über ganz unterschiedliche Aspekte der Politik miteinander einig wird, wo man so etwas wie strategische Einigkeit erreicht, im besten Sinne jedenfalls, und dann auch mal bereit ist, eigene kleinere Interessen im Interesse der Allianz zurückzustellen. Das haben wir im Nahen und Mittleren Osten nicht, es gibt keine festen Allianzen. Es gibt eine Reihe von größeren und kleineren Staaten, die ihren jeweiligen selbstdefinierten nationalen Interessen nachkommen, gerne auch auf Kosten der Nachbarn, der direkten oder der entfernteren, und dafür eben Ad-hoc-Koalitionen mit regionalen und internationalen Mächten schließen. Und dazu gehört eben, dass man in Saudi-Arabien sagt: Wir sehen die Realitäten in Syrien, Russland hat dort großen Einfluss, im Zweifelsfall ist der russische Einfluss uns lieber als der iranische, also versuchen wir, in Moskau bei dem Treffen zwischen dem saudischen König und dem russischen Präsidenten zu einer Art Gentlemen's Agreement zu kommen darüber, was wir beide in Syrien tolerieren können.
    "Waffenkäufe sind ein probates Mittel,um sich internationale Kräfte freundlich zu halten"
    Zurheide: Ist denn der jüngste Waffendeal - jetzt der eine ist in Russland abgeschlossen worden von den Saudis, aber den anderen haben die Amerikaner sich gerade beeilt zu sagen, dass sie die Raketen liefern für 15 Milliarden US-Dollar. Ist das auch alles im Zusammenhang zu sehen? Natürlich wohl, oder?
    Perthes: Also, bei den Waffenkäufen geht es auf der einen Seite natürlich tatsächlich um die Ausrüstung der saudischen Streitkräfte, also um Sicherheit. Aber es geht bei Waffenkäufen vom Golf auch immer um Politik, denn Waffenkäufe sind ein ganz probates Mittel - und das gilt seit Jahrzehnten - kleinerer und größerer Staaten am Golf, um sich internationale Kräfte freundlich zu halten. Also, 15 Milliarden für einen Waffendeal schafft Arbeitsplätze in den USA, gleichzeitig kauft man dann auch ganz gerne in anderen Ländern, in Frankreich oder in Russland, um sich auch diese Staaten als Freunde zu halten. Denn mit einem Waffendeal geht ja einiges einher, da kommt ja eine gewisse Verpflichtung der Lieferanten mit in den Vertrag: Man schickt Techniker, man schickt Ausbilder, man halt also eigene Leute um die Waffen herum, man will sie schützen, die eigenen Leute, und will die nicht riskieren. Und damit ist zwar keine Allianz geschmiedet, aber doch eine etwas engere Beziehung, als wenn man eben nur Luxuslimousinen kauft.
    Zurheide: Das war und ist Volker Perthes, ich bedanke mich wie immer heute Morgen für die Analyse der komplizierten Situation im Nahen Osten. Herr Perthes, danke schön für dieses Gespräch!
    Perthes: Sehr gern, wiederhören!
    Zurheide: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.