Jörg Münchenberg: Es war gestern das erste offizielle Treffen von US-Außenminister Mike Pompeo mit seinem Amtskollegen Sergei Lawrow in Russland selbst. Zu besprechen gab es reichlich, denn die bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Russland sind derzeit denkbar schlecht. In vielen wichtigen außenpolitischen Fragen vertreten beide ganz unterschiedliche Standpunkte – nicht zuletzt gegenüber Iran. Russland hält wie China und die europäischen Staaten und im Gegensatz zu den USA am Atom-Deal fest.
Am Telefon ist nun Ruprecht Polenz. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Herr Polenz, einen schönen guten Morgen.
Ruprecht Polenz: Schönen guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Polenz, Außenminister Mike Pompeo gestern bei seinem Amtskollegen Lawrow in Sotschi. Wie wichtig war dieses Treffen, angesichts der doch sehr schlechten Beziehungen derzeit zwischen Russland und den USA?
Polenz: Ich denke, es ist ein Versuch, diese Beziehungen zu verbessern, sich wieder über die Konfliktpunkte direkt zu unterhalten, statt nur gegeneinander vorzugehen, in Venezuela beispielsweise oder auch jetzt in der Brandregion des Nahen und Mittleren Ostens. Grundsätzlich ist es gut, wenn beide Seiten wieder ihr Verhältnis verbessern, weil viele Konflikte können leichter oder überhaupt nur dann gelöst werden, wenn beide Seiten im Großen und Ganzen in die gleiche Richtung gehen.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Wenn man sich jetzt die Ergebnisse dieses Treffens anschaut – und Streitpunkte gibt es ja viele; Sie haben sie genannt: Venezuela, Nordkorea, Syrien bis hin zum Iran -, eine wirkliche Annäherung hat es ja nicht gegeben.
Polenz: Das war vielleicht auch noch nicht zu erwarten. Da haben wir jetzt über eine längere Zeit eine eher konfrontative Haltung erlebt, und nach wie vor bleibt ja Russland auf einem Kurs, der doch immer wieder auch versucht, gegen die Interessen des Westens Konflikte eher zu verstärken, als an ihrer Eindämmung oder an ihrer Beendigung zu arbeiten.
"Russland möchte daran festhalten, die Europäer auch"
Münchenberg: Gucken wir auf den Iran, Herr Polenz. Die Europäer wollen den Atom-Deal ja unbedingt retten, Russland auch. Kann man sagen, dahinter steckt die gleiche Überzeugung, dass nur so der Iran von der Atombombe abgehalten werden kann?
Polenz: Russland hat nach wie vor das Interesse, dass es keine weiteren Mächte auf der Welt gibt, die über Atomwaffen verfügen. Das hat ja Russland seinerzeit dazu gebracht, sich an den Verhandlungen mit dem Iran zu beteiligen. Russland hat das Abkommen genauso wie die anderen Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschland unterzeichnet, und der Iran eben auch.
Iran hat sich bis heute nachweislich, auch ausweislich der Auskünfte der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien an dieses Abkommen gehalten. Russland möchte daran festhalten, die Europäer auch. Und Trump war immer schon gegen dieses Abkommen. Er meinte, man hätte was Besseres erreichen können. Er hat es jetzt aufgekündigt und steht damit in einem Konflikt auch mit den anderen Unterzeichnerstaaten.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Europa hat ja den Iran deutlich gewarnt, dass man einen Teilausstieg aus dem Abkommen nicht akzeptieren werde. Der steht ja jetzt im Raum. Aus Moskau, muss man sagen, waren solche deutlichen Warnungen ja nicht zu hören.
Polenz: Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Beziehungen zwischen Moskau und dem Iran sich in der Zwischenzeit auch weiterentwickelt haben. Seit dem Ende der Sanktionen und auch des Waffenembargos hat Russland Iran Waffensysteme angeboten, insbesondere Flugabwehrraketen. In Syrien sind Russland und Iran auf der Seite von Assad und an einer Neuordnung im Land interessiert, die ihre jeweiligen Interessen wahrt. Die Beziehungen zwischen Russland und Iran haben mehrere Ebenen, die man dabei beachten muss.
Hinter verschlossenen Türen
Münchenberg: Würden Sie sagen, es gibt einen Einfluss Russlands auf die politische Elite im Iran?
Polenz: Das ist von außen schwer zu beurteilen. Iran ist sicherlich ein ziemlich isoliertes Land, nach wie vor. Das wiederum birgt für jedes Land Chancen, das diese Isolierung durchbricht und versucht, mit Iran gemeinsame Politik zu machen, wie Russland das offensichtlich in Syrien tut. Aber Einfluss im Iran heißt ja Einfluss auf den geistigen Führer, denn dort laufen die Machtfäden nach wie vor zusammen, und das vollzieht sich doch weitgehend hinter verschlossenen Türen.
Münchenberg: Die USA setzen jetzt doch auf einen sehr deutlichen Konfrontationskurs gegenüber dem Iran. Spielt das alles nicht Russland massiv in die Hände?
Polenz: Russland kann auch nicht interessiert daran sein, dass es zu einem weiteren Golf-Krieg kommt. Auf der anderen Seite hat Russland durchaus ein Interesse daran, den Westen zu spalten, und die Aufkündigung des Nuklearabkommens von Trump auf der einen Seite, der Wunsch, an dem Abkommen festzuhalten, durch die Europäer auf der anderen Seite bietet jetzt eine solche Möglichkeit, und ich rechne damit, dass Russland versucht, hier diese Kluft zu erweitern – in dem Sinne, dass es diejenigen, die an dem Nuklearabkommen festhalten wollen, in ihrer Haltung bestärkt.
Münchenberg: Aber wird dieser geostrategische Aspekt aus amerikanischer Sicht nicht völlig unterschätzt?
Polenz: Ich denke, die Amerikaner haben recht mit ihrer Sorge, was bestimmte Entwicklungen im Iran angeht: bei der Raketenrüstung beispielsweise, bei der aggressiven nicht nur Rhetorik gegenüber Israel, der Terrorismus-Unterstützung und natürlich auch, was die Lage der Menschenrechte im Iran angeht. Die Frage ist, wie geht man diese Probleme an, und ich glaube, es spräche viel dafür, den Mechanismus, der beim Nuklearabkommen zum Erfolg geführt hat, erneut sich anzuschauen, ob der nicht anwendbar ist. Die jetzige konfrontative Vorgehensweise der USA, ohne einen Verhandlungsrahmen gleichzeitig zu haben, einfach zu sagen, ruf mich mal an, reicht dafür nicht aus. Das halte ich nicht für den richtigen Weg.
Truppenbewegungen, Drohungen, Gegendrohungen
Münchenberg: Nun spielt Russland im Syrien-Konflikt mittlerweile eine maßgebliche Rolle. Ist denn vorstellbar, dass sich eine ähnliche Entwicklung auch mit dem Iran wiederholen könnte?
Polenz: Wenn man es ungeschickt anstellt, mag dies das Ergebnis sein. Aber ich hoffe nach wie vor, dass der Westen aus den Erfahrungen lernt. Er kann mehr bewirken, wenn er einig ist. Das würde allerdings voraussetzen, dass auch Trump erkennt, dass Multilateralismus keine Schwäche der amerikanischen Position ist, sondern dass die Amerikaner auch Verbündete brauchen.
Münchenberg: Ist denn absehbar, wie sich Russland im Falle eines militärischen Konflikts zwischen den USA und dem Iran verhalten und positionieren würde?
Polenz: Das ist schwer abzusehen. Die Amerikaner und die Iraner sagen ja beide, sie wollen keinen Krieg. Auf der anderen Seite ist die Situation immer weiter angespannt: Truppenbewegungen, Drohungen, Gegendrohungen. Und so was kann leicht außer Kontrolle geraten.
Wie gesagt: Weil Russland durch die inzwischen enger gewordene Zusammenarbeit mit Iran involviert ist, bekommt ein Konflikt der USA mit Iran dadurch eine noch brisantere Bedeutung, weil niemand wirklich kalkulieren kann, wie Russland sich in einem solchen Fall verhalten würde.
Es gibt einen schönen Satz von Clausewitz, dass man in einem Kriegsfall nur den ersten Schritt einigermaßen im Blick behalten könne, erkennen könne. Alles andere könne man nicht voraussehen. Das würde auch für eine solche Eskalation wahrscheinlich gelten.
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