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Atomare Rüstung
Rüstungskontrolle in der Krise

Der letzte große atomare Abrüstungskontrollvertrag zwischen Russland und den USA läuft im kommenden Jahr aus. Er gilt als Erfolg, dennoch stehen die Chancen über eine neue Einigung schlecht, denn das Misstrauen zwischen Amerikanern und Russen ist zurück. Es droht ein unkontrolliertes Wettrüsten.

Von Klaus Remme |
2010 unterzeichnen der US- und der russische Präsident Barack Obama und Dmitri Medwedjew den New-START-Abrüstungsvertrag
2010 unterzeichnen der US- und der russische Präsident Barack Obama und Dmitri Medwedjew den New-START-Abrüstungsvertrag (picture alliance / dpa / CTK Photo/ Michal Dolezal)
Unmittelbar nach den Explosionen über Hiroshima und Nagasaki begann das atomare Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion. Der vermeintliche militärische Vorteil der Amerikaner wurde schnell zum Patt - es kam zum sogenannten Gleichgewicht des Schreckens. Die gegenseitig gesicherte Zerstörung verbot jeden Gedanken an Gewinner oder Verlierer.
Greenpeace hat einen Heißluftballon mit der Aufschrift "Atomwaffen abschaffen" aufgestellt.
Politologe: "Das Verständnis für die Materie fällt weg"
Nuklearwaffenexperten halten einen begrenzten Atomkrieg für unmöglich. Politiker ohne Weltkriegserfahrung spielten aber durchaus mit solchen Gedanken, so der Politologe Andrej Zagorski im Dlf.
ABM, NVV, SALT 1, SALT 2, INF, START – all diese Kürzel stehen für zumeist ausgelaufene oder gekündigte Rüstungskontrollverträge. Die Verträge zielten seinerzeit nicht auf nur eine Begrenzung und Verringerung von Sprengköpfen und Trägersystemen, sie trugen durch detaillierte Verifikationen maßgeblich zur Vertrauensbildung zwischen rivalisierenden Supermächten bei.
NVV (1968): Atomwaffensperrvertrag, nuklearer Nichtverbreitungsvertrag: Verbot der Verbreitung und Verspflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen, Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie - fast alle Staaten der Welt haben sich angeschlossen (gilt bis heute)
ABM (1972):
Vertrag zwischen der USA und der Sowjetunion zur Begrenzung der Raketenabwehr (2002 durch USA gekündigt)
SALT 1 (1972): Vertrag zwischen der USA und der Sowjetunion zur Begrenzung der Abschussvorrichtungen für landgestützte Interkontinentalraketen und ballistische U-Boot-Raketen (wurde durch SALT 2 verfeinert)
SALT 2 (1979): Vertrag zwischen der USA und der Sowjetunion zur Begrenzung der nuklearen Trägersysteme für strategische Atomwaffen (1991 von START 1 überholt)
INF (1987): Vertrag zwischen der USA und der Sowjetunion/Russland zur Verbot landgestützter atomarer Kurz - und Mittelstreckenwaffen, Begrenzung von Mittelstreckenwaffen (2019 ausgelaufen)
START 1 (1991): Vertrag zwischen den USA und Sowjetunion zur Reduzierung der Bestände weitreichender Systeme über 5.000 Kilometer (2009 ausgelaufen)
Open Skies (1992): Vertrag zwischen NATO- und und ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, der gegenseitige Überwachungsflüge erlaubt (USA kündigen 2020 Ausstieg an)
START 2 (1993): Vertrag zwischen den USA und Russland zur Reduzierung der Bestände und Verzicht auf landgestützte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen (durch SORT-Abkommen 2002 nicht in Kraft getreten)
SORT (2002): Vertrag zwischen den USA und Russland zur Verringerung und Begrenzung strategischer Nuklearwaffen bis 2012 (wurde durch New START abgelöst)
New START (2011): Vertrag zwischen den USA und Russland zur Begrenzung des strategischen Kernwaffenpotenzials (läuft am 5.2.2021 aus)
Letzter großer Rüstungskontrollvertrag läuft bald aus
Doch das Misstrauen zwischen Amerikanern und Russen ist zurück. Das Risiko von Fehlkalkulationen wächst. Die Vertragsarchitektur des Kalten Kriegs wankt, US-Präsident Donald Trump hat diese Entwicklung nur beschleunigt. Der Vertrag zur Begrenzung von Mittelstreckenwaffen, INF, ist Geschichte, OpenSkies, ein Abkommen, das gegenseitige Überwachungsflüge erlaubte, auch. Und es bleiben nur noch wenige Monate, um den letzten großen Rüstungskontrollvertrag zwischen Russland und den USA zu retten. Am 8. April 2010 unterzeichneten die Präsidenten Obama und Mewedjew in Prag den New START Vertrag mit Obergrenzen für strategische Trägersysteme, Raketen und Bomber etwa und Atomsprengköpfe.
Dossier: Atomwaffen
Der Vertrag gilt als Erfolg, doch er läuft im kommenden Februar aus. Wird er verlängert? Vertraglich ist das explizit möglich. Wird es durch ein neues Abkommen ersetzt? Die Gespräche laufen, die Aussichten sind ungewiss. Beide Seiten kalkulieren unterschiedlich. Russland setzt auf eine Verlängerung, gleichzeitig aber modernisiert Moskau sein atomares Arsenal unterhalb der strategischen Schwelle. Washington will einen neuen Ansatz, die Architektur des Kalten Kriegs werde den aktuellen Machtverhältnissen nicht mehr gerecht, heißt es.
Neuartige Waffen erfordern neue Verträge
Washington will Peking mit an den Tisch holen und vertraglich einbinden. Die Chinesen haben in den vergangenen Jahren massiv in die atomare Aufrüstung investiert, verweisen aber gleichzeitig darauf, dass Russland und die USA noch immer über 90 Prozent der weltweit existierenden Sprengköpfe besitzen.
Llewelyn Thompson - US-Botschafter in Russland hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, während der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko und der britische Botschafter Sir Geoffrey Harrison zusehen. In der hinteren Reihe stehen als sowjetischer Ministerpräsident Alexei Kosygin zweiter von links und der sowjetischer Verteidigungsminister Andrei Grechko (Uniform)
50 Jahre Atomwaffensperrvertrag - Andauernder Streit um die nukleare Abrüstung
Als Kanzler Willy Brandt den Atomwaffensperrvertrag 1969 unterzeichnen ließ, hatten CDU und CSU noch Einwände: Den einseitigen Verzicht auf die Atombombe fanden viele unfair. Tatsächlich halten die Atommächte ihr Abrüstungsversprechen auch 50 Jahre später nicht ein. Der Vertrag ist in Gefahr.
Außerdem wollen die Amerikaner auch über neue Waffen verhandeln. Hyperschallwaffen, Cyberkriegsführung und Drohnen lassen sich nicht wie früher in Megatonnen und Reichweiten einteilen, so das Argument, sie schwächen aber potentiell dennoch das militärische Gleichgewicht. Läuft mit START auch der letzte Rüstungskontrollvertrag aus, droht eine nukleare Anarchie.