Eine sitzungsfreie Woche in Berlin, eigentlich geht es dann deutlich ruhiger zu in den Büros im Regierungsviertel. Doch Jürgen Trittin hat zu tun, kommt verspätet von einer Podiumsdiskussion, der Nachmittag ist mit Interviews ausgefüllt.
Beim Cappuccino lässt er sich die Hektik nicht anmerken, wirkt eher so, als ob er gerade erst auf Betriebstemperatur kommt, wie jemand, der kurz vor seinem Ziel steht.
Seit Oktober ist der ehemalige Umweltminister einer der drei Vorsitzenden eines Gremiums, das offiziell "Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstieg" heißt und meistens schlicht "Atom-Kommission" genannt wird.
Die 19 Mitglieder sollen im Auftrag der Bundesregierung sicherstellen, dass Abriss und Lagerung der radioaktiven Hinterlassenschaften des Atom-Zeitalters finanziert sind.
Desolate Lage der Energieversorger erfordert schnelles Handeln
Jürgen Trittin über die Milliardenbeträge:
"Dahinter steht, dass wir ja über einen Betrag reden, der nach heutigen Preisen irgendwas wie 47 Mrd. Euro kosten würde für den Rückbau, für die Verpackung des Mülls in Behälter, für die Frage der Zwischenlagerung. Und auch für die Frage der Transporte von der Zwischenlagerung und Endlagerung."
Es besteht dringender Handlungsbedarf, denn angesichts der wirtschaftlich desolaten Lage der Energieversorger geht die Angst um, dass der Steuerzahler bei Pleiten am Ende auf den Kosten sitzen bleibt. Trittin will das verhindern.
"Das ist etwas, das viele Menschen sich vor einigen Jahren nicht vorstellen konnten, Anleihen und Aktien der großen Energieversorger rangierten gleichauf mit Staatsanleihen, heute haben die Unternehmen ihre Dividenden massiv gekürzt."
Bund und Atomkonzerne streiten um Finanzierung
Hinter verschlossenen Türen geht es in diesen Tagen also ums Eingemachte: in den Sitzungen wird festgezurrt, wie lange und in welcher Höhe die Atomkonzerne für AKW-Rückbau und die Lagerung des atomaren Mülls zahlen müssen.
Der ehemalige Umweltminister gilt als ausgewiesener Fachmann, hat schon vor 15 Jahren den ersten Atom-Ausstieg unter der rot-grünen Bundesregierung verhandelt. Damals konnte die Finanzierungsfrage nicht gelöst werden. Bekommt Trittin jetzt seine zweite Chance?
Ganz eindeutig ja, sagt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.
"Es ist auch in der Tat so gewesen, dass das damals das benennbare Defizit war, des Atomausstiegs. Dass man diese Frage, wie geht man mit den Rückstellungen um, kriegt man einen öffentlich-rechtlichen Fonds für diese Gelder hin, nicht mehr anpacken konnte und es auch die ganzen Jahre von niemandem angepackt wurde."
Trittin: "Es war damals nicht zu regeln mit den Unternehmen. Es war damals auch mit dem Koalitionspartner nur sehr schwierig überhaupt zu diskutieren. Heute wären alle froh, alle, die damals dagegen waren, wenn sie auf die Grünen gehört hätten."
Trittin kann mit seiner politischen Vergangenheit für Glaubwürdigkeit auch im kritischen Anti-Atom-Lager sorgen. Als den "grünen Vollstrecker" hat ihn der Spiegel bezeichnet, der sich am Leid der Energiekonzerne erfreue. "Atom-Schreck", nannte ihn die taz.
Konzerne haben Energiewende verschlafen
Alles völliger Quatsch, sagt er trocken:
"Nein, ich glaube, wir haben nicht die Zeit dafür, Schlachten von gestern und vorgestern zu schlagen…"
Und doch kann er ein kleines Schmunzeln darüber nicht verbergen, als er sich etwas gedankenverloren eine Spur Zimt aus biologischem Anbau über den Cappuccino streut. Die Konzerne hätten in den vergangenen Jahren viele strategische Fehler gemacht, die Energiewende verschlafen. Dafür seien sie halt selbst verantwortlich.
"Und wir müssen halt den Versuch machen, das rauszuholen, was rauszuholen ist."
Wer sich unter den Kommission-Mitgliedern umhört, der bekommt viel Lob zu hören.
Konstruktives Klima in der Kommission
Diejenigen, die Umweltverbänden nahestehen, begrüßen Trittins Sachkenntnis. Aber auch Mitglieder wie Gerald Hennenhöfer, der eher die Position der Energiekonzerne versteht, lobt das konstruktive Klima:
"Wenn man überlegt, dass da doch verschiedene Persönlichkeiten zusammensitzen, die aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern kommen, muss ich sagen, dass es auch Freude macht, da mitzuarbeiten."
Überraschend ist, dass selbst Vertreter der finanziell unter Druck stehenden Energiekonzerne die Arbeit des einstigen Atom-Schrecks schätzen. Carsten Thomsen-Bendixen, Konzernsprecher von E.on:
"Ja sicher, das ist kein Spaziergang. Aber alle Beteiligten gehen dieses Thema nach unserer Wahrnehmung mit großer Ernsthaftigkeit und dem Willen zu einer Lösung an."
In seiner grünen Bundestags-Fraktion ist der 61-Jährige nun wieder präsenter: um den ehemaligen Spitzenkandidat zur Bundestagswahl 2013 war es nach dem enttäuschenden Ergebnis von nur 8,4 Prozent längere Zeit deutlich ruhiger geworden.
Gibt es jetzt wieder die Hoffnung mit der Atom-Kommission ein ur-grünes Thema neu zu platzieren?
"Wir müssen uns dieses Thema nicht zurückerobern, wir haben das Thema - schon immer."
Findet die grüne Atom-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl:
"Die Tatsache, dass der parteiübergreifende Atomausstieg, über den ich sehr froh bin, von Frau Merkel eingeläutet wurde, heißt ja nicht, dass sie plötzlich oder die CDU plötzlich die Kompetenz zur Bewertung des atomaren Risikos gepachtet hat. Das sind schon wir."
Thema soll nicht in Mühlen des Bundestagswahlkampfs geraten
Kommissions-Chef Trittin will jetzt Nägel mit Köpfen machen. Er weiß, dass die Zeit für ihn arbeitet, denn die Energiekonzerne müssen ihre alten Atomschulden möglichst schnell klären, um auf dem Kapitalmarkt wieder kreditwürdig zu werden. Die Einigung – eigentlich für Februar geplant - soll im April kommen, der Gesetzesentwurf bis spätestens September vorliegen. Denn die Zeit drängt: das Thema soll nicht in die Mühlen des Bundestagswahlkampfs 2017 geraten.
"Wenn man dieses Zeitfenster verstreichen ließe, dann würde ich die Chance für einen neuen Anlauf nicht vor 2018 sehen."
Es sind also entscheidende Wochen für die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland.