Eine Anfrage an die KI-Anwendung Chat-GPT benötigt schätzungsweise zehnmal so viel Energie wie eine Google-Suche. Folgerichtig gilt: Je mehr Einzug künstliche Intelligenz (KI) in den Alltag hält, desto mehr Strom brauchen die gigantischen Rechenzentren weltweit.
Es wird Strom sein, der überwiegend aus Atomkraft gewonnen wird. Die großen Tech-Konzerne setzen allesamt auf diese umstrittene Technologie, die zwar das Klima schont, jedoch andere ungelöste Sicherheits- und Umweltprobleme in sich birgt. Ab 2030 sollen dafür auch neuartige Reaktoren, sogenannte Small Modular Reactors (SMR), ans Netz gehen. Was hat es damit auf sich?
Warum setzen Tech-Konzerne auf Atomkraft?
Der Stromhunger ist enorm. Getrieben durch den Aufstieg der künstlichen Intelligenz, die erst durch große Rechenkapazität möglich wurde, und die enormen Datenmengen, die in Cloud-Speichern ortsunabhängig abgelegt und bewegt werden, wird der Energiebedarf weiter steigen.
Analysten der Großbank Goldman Sachs gehen davon aus, dass sich der Stromverbrauch von US-Rechenzentren zwischen 2023 und 2030 voraussichtlich etwa verdreifachen wird. Ähnlich lautet die Schätzung des unabhängigen Electric Power Research Institutes, das mit mehr als einer Verdopplung des Verbrauchs rechnet.
Dem begegnen die großen Konzerne, indem sie ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen. Microsoft setzt dabei auf herkömmliche Atomkraft. Das Unternehmen hat im Sommer einen 20 Jahre laufenden Stromliefervertrag mit Constellation Energy geschlossen. Der Versorger will im Gegenzug das bereits stillgelegte Atomkraftwerk Three Miles Island wieder ans Netz nehmen. In dem AKW im US-Bundesstaat Pennsylvania hatte sich 1979 die schwerste Nuklearkatastrophe in der Geschichte der USA ereignet, als es in einem der Blöcke zu einer teilweisen Kernschmelze gekommen war.
Google, Amazon und Oracle fördern SMR-Kraftwerke
Google investiert dagegen in kleine modulare Atomreaktoren, sogenannte SMRs. Die Tochter von Alphabet hat einen entsprechenden Vertrag mit dem Start-up Kairos Power unterzeichnet, um bis 2030 den ersten SMR in Betrieb zu nehmen. Weitere sollen bis 2035 folgen. Einen Weg, den auch Amazon beschreitet: Der Konzern schloss Vereinbarungen mit drei Energieunternehmen zur Entwicklung neuer SMRs. Amazon finanziert unter anderem eine Machbarkeitsstudie für den Bau einer neuartigen Anlage im US-Bundesstaat Washington. Im Gegenzug erhält der Konzern das Recht, Strom aus vier der bis zu acht geplanten Module zu beziehen, die Anfang der 2030er-Jahre in Betrieb gehen sollen. Oracle hat bekannt gegeben, an einem großen Rechenzentrum zu arbeiten, das durch drei SMRs mit Strom versorgt werden soll.
Atomkraft ist für die Konzerne deshalb von Belang, weil sie sich trotz des wachsenden Energieverbrauchs langfristig auch der Klimaneutralität verpflichtet haben. Zwar unterstützen sie Projekte mit Erneuerbarer Energie, möchten aber auf Atomstrom nicht verzichten. "Wir sind der Meinung, dass Kernenergie eine wichtige Rolle spielen kann, um unseren Bedarf rund um die Uhr auf saubere Weise zu decken", sagte Michael Terrell, Senior Director für Energie und Klima bei Google.
Was sind Small Modular Reactors (SMRs)?
Die Idee, kleinere Reaktoren mit einer Leistung von bis zu 300 Megawatt (MW) zu entwickeln, ist nicht völlig neu, sondern geht auf Entwürfe aus den 1950er- und 1960er-Jahren zurück. Damals wurden auch Testanlagen gebaut. Mit dem Siegeszug der großen Leichtwasserreaktoren, die 1000 MW und mehr liefern, verschwanden die Pläne aber allesamt in der Schublade.
Technologisch unterscheiden sich die Konzepte herkömmlicher und neuer Reaktoren. Beispielsweise beim Kühlmittel. Bei den neuen Reaktoren sollen dafür Natrium, Blei oder Gas eingesetzt werden - bis hin zu Anlagen, in denen der atomare Brennstoff in Form geschmolzener Salze verwendet wird. Insgesamt gibt es über 100 verschiedene Reaktortypen.
Die Entwicklung von SMR wird derzeit vor allem in den USA, Kanada und Großbritannien vorangetrieben, auch in Frankreich, Argentinien, China oder Südkorea laufen entsprechende Projekte. In Russland sind auf Schiffen verbaute Reaktoren im Einsatz, um entlegene Regionen mit Energie zu versorgen.
Was sind die Vor- und Nachteile der SMR-Atomkraftwerke?
Größter Unterschied zu herkömmlichen AKWs ist, dass SMRs deutlich weniger Brennstoff enthalten - schließlich sind sie ja kleiner und produzieren auch weniger Energie. Dadurch entsteht weniger atomarer Abfall. Außerdem mache sie das günstiger im Bau und sicherer im Betrieb, behaupten die Entwickler. Letztendlich werden die Sicherheits- und Umweltprobleme also auf mehrere kleine Reaktoren verteilt.
Nach einem Gutachten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung BASE ist das jedoch nur die halbe Wahrheit. Sicherheitsauflagen müssten völlig neu entwickelt und im Vergleich zu heute wohl gesenkt werden, um die Anlagen wirtschaftlich bauen und betreiben zu können. Das betrifft zum Beispiel allein den baulichen Schutz des Reaktors etwa durch eine bisher übliche aufwendige Betonhülle. Darüber hinaus wäre bei einigen Reaktortypen höher angereicherter Brennstoff notwendig, dessen Austausch und Aufbereitung die Gefahr erhöht, dass dieser in die falschen Hände gerate.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die fehlende Betriebserfahrung. Bei den neuen Konzepten, die in den meisten Fällen auf Wasser als Kühlmittel verzichten, unterscheiden sich die Prozesse im Reaktor von den bisher bekannten Verfahren. Die Chemie, die Materialermüdung, das Verhalten im Störfall und auch die nötigen Messverfahren sind Neuland und damit ein Sicherheitsrisiko.
Wann könnten erste SMRs ans Netz gehen?
Googles neuer Energiepartner Kairos arbeitet an einem Reaktor, der mit Fluoridsalzen gekühlt wird. Im Sommer begann das Unternehmen mit dem Bau eines Testreaktors im US-Bundesstaat Tennessee, der auch von der US-Regierung gefördert wird. Er soll 2027 einsatzbereit sein, allerdings keinen Strom, sondern zu Demonstrationszwecken lediglich Kernwärme produzieren.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Zeitplan, den Tech-Riesen Google bereits ab 2030 mit SMR-Strom zu versorgen als sehr ambitioniert. Fachleute gehen davon aus, dass die Entwicklung neuer Reaktoren und entsprechender behördlicher Regelwerke 20 bis 30 Jahre in Anspruch nehmen wird.
Neben technologischen Hürden und den Sicherheitsaspekten sind vor allem die Entwicklungskosten ein Hemmnis für SMRs. Um rentabel zu sein, müssten die Reaktorelemente hundert- bis tausendfach in Serienproduktion hergestellt und vertrieben werden.
jk