Kritiker des französischen Atomstromprogramms bezeichnen den Bau des "Druckwasserreaktors der Zukunft" schon länger als ein "Fiasko". Ähnlich sieht das neuerdings Frankreichs Wirtschaftsminister. Bruno Le Maire resümierte bei der Veröffentlichung die Ergebnisse des Berichts zu den Ursachen der Bauverzögerung:
"Es handelt sich um einen Fehlschlag für die gesamte französische Atomindustrie. Wir müssen den Misserfolg eingestehen, um daraus zu lernen und alle nötigen Konsequenzen zu ziehen."
Vier Mal so teurer wie einst geplant
Zum Ausmaß des Misserfolgs nennt Le Maire konkrete Zahlen:
"Der Bau des Reaktors in Flamanville sollte knapp über drei Milliarden Euro kosten und viereinhalb Jahre dauern. Nun ist er vier Mal teurer und braucht 15 Jahre Bauzeit."
Auf 34 Seiten listet der Bericht akribisch Mängel und Pannen beim Bau des EPR auf. Anfangs sorgte der Beton für Probleme. Bald wurden Mängel bei der Ausführung der Arbeiten deutlich – die letzte Konstruktion eines Kernkraftwerks lag immerhin schon 17 Jahre zurück. Aktuell müht sich der Bauherr Électricité de France, EDF, um Lösungen zur Verstärkung nicht sicherheitskonformer Schweißnähte in einem wichtigen, aber unzugänglichen Anlagenbereich. Unterm Strich attestiert der Bericht Frankreichs Atomindustrie technischen Kompetenz-Verlust. Eine Premiere: Bislang wurden Dokumente solchen Inhalts nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, erklärt der unabhängige Experte für Energiepolitik, Mycle Schneider:
Aus Fehlern lernen
"Die sehr ungewöhnlich klaren und scharfen Worte sagen eindeutig, dass das ein Fiasko ist und dass dies durch die gesamt Verantwortungskette läuft. Das heißt, es gibt nicht nur ein Phänomen, sondern im Grunde genommen von der Qualifikation der Bauarbeiter bis zum Topmanagement haben im Grunde genommen alle versagt."
Als - Zitat - "sehr präzise und wertvoll für EDF" bezeichnet die Französische Gesellschaft für Atomenergie SFEN, Lobbygruppe der Nuklearindustrie, den Bericht. Das meinte auch Berichtsautor Jean-Martin Folz im privaten TV-Infosender CNews:
"Die Gründe des Misserfolgs besser zu identifizieren wird vor allem helfen, Vorschläge auszuarbeiten, um den Bau neuer EPR-Anlagen, insofern dies entschieden wird, zu verbessern."
Diskussion um weitere Druckwasser-Reaktoren
Denn Frankreichs Atomparkbetreiber EDF rechnet fest mit dem Projekt der Regierung, sechs neue Atomkraftwerke vom Typ EPR in Auftrag zu geben. Bislang war das Projekt gebunden an die Inbetriebnahme des "Europäischen Druckwasserreaktors" in Flamanville, weil man damit erste Erfahrungen sammeln wollte. Jetzt aber verlangen EDF und der Lobbyverband SFEN, die Regierung solle schon 2021 über die Zukunft des Atomstromparks entscheiden. Bevor sich die Unternehmen im Atomsektor gezwungen sähen, massiv Personal zu entlassen. Wirtschaftsminister Le Maire jedoch lässt anklingen, diese Entscheidung würde erst nach Ende der aktuellen Legislaturperiode gefällt. Der Bericht zu den Widrigkeiten beim EPR-Bau in Flamanville werde, früher oder später, Auswirkungen habe, meint Energiepolitik-Experte Mycle Schneider. Denn dieser Reaktor-Typ sei heute überholt: zu groß, zu lange Bauzeit:
"Es ist auch für meine Begriffe absolut nicht sicher, dass die jetzt im Bau befindlichen Anlagen in Hinkleypoint in England und in Flamanville je ans Netz gehen."
Laut EDF soll der Reaktor in Flamanville Ende 2022 den Betrieb aufnehmen. Insofern alles gut geht.