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Atomkraft im potenziellen Bebengebiet

Mit dem Pazifischen Feuerring ist Mitteleuropa nicht zu vergleichen. Doch auch hier gibt es Erdbeben - ein besonders verheerendes ereignete sich in Basel am 18. Oktober 1356. Die Menschen flohen, herrenlose Feuerstellen und umkippende Kerzen lösten Brände aus, es gab viele Tote. Heute gibt es Atomkraftwerke in der Region, auch ein Endlager für hoch radioaktiven Müll könnte im Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Schweiz entstehen. Gestern Abend gab es in Zürich Informationen des Schweizer Erdbebendienstes über die Gefährdung der Region.

Von Thomas Wagner |
    "Lösung statt Propaganda" skandieren die Demonstranten, halten Transparente mit Aufschriften wie "Japan am Hochrhein" in ihren Händen: Waldshut im Süden Baden-Württembergs - Demonstranten bereiten Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Auftritt im Landtagswahlkampf einen lautstarken Empfang - und das kommt nicht von ungefähr: Die Sensibilität der Menschen am Hochrhein in Sachen Atomkraft ist besonders hoch. In unmittelbarer Nachbarschaft betreibt die Schweiz die Kernkraftwerke Beznau 1, Beznau 2 und Leibstadt. Zudem kursieren Pläne, auf Schweizer Seite des Hochrheins langfristig ein Endlager für radioaktive Abfälle zu bauen. Alexandra Spiess, eine der Demonstranten, erfüllt das mit großer Sorge:

    " Theoretisch kann es hier genauso passieren wie dort. Man hat es dort nicht erwartet. Man erwartet es hier nicht. Es kann trotzdem passieren. Und das Risiko ist einfach zu groß."

    Immerhin gilt die Region am Hochrhein ist extrem erdbebengefährdet. Das zeigt ein Blick in die Geschichte: Basel, keine 50 Kilometer von Waldshut und den Schweizer Atomanlagen entfernt, im Jahr 1356:

    "Was damals passiert ist? Das war ein großes Erdbeben, so mit der Magnitude 6,6 bis 6,7. Das war das größte Beben nördlich der Alpen in unserer Geschichte."

    Basel wurde seinerzeit, so der Seismologe Professor Domenico Giardini von der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Zürich, in Schutt und Asche gelegt. Und dabei war das schwere Erdbeben von damals keine einmalige Angelegenheit:

    "Das passiert 100 Prozent. Das ist keine Frage von Wahrscheinlichkeit. Mindestens das, was in der Vergangenheit passiert ist, wird nochmals in der Zukunft kommen."

    Das hat, so der Domenico Giardini als Leiter des Schweizerischen Erdbebendienstes, mit der besonderen Struktur des Rheingrabens zu tun:

    "Der Rheingraben markiert nur einen Bruch durch die europäische Platte selbst. Die hat damit begonnen, sich in zwei Hälften zu teilen, sich zu öffnen. Und dann wurde das gestoppt."

    Was aber nicht heißt, dass es zwischen den beiden Seiten des Rheingrabens keine tektonischen Spannungen gäbe - ganz im Gegenteil:

    "Wir sehen, dass sich der Rheingraben noch bewegt. Wir haben Erdbeben, es gibt aktive Brüche. Es gibt keinen Zweifel."

    Damit ist der gesamte Rheingraben potenzielles Erdbeben-Gefahrengebiet. Geht es Richtung Schweiz, kommt aber noch ein weiterer Effekt dazu: Auf Höhe der Alpen bauen die afrikanische und die europäische Kontinentalplatte gegenseitig Spannungen auf. Und so ist in der Region Basel im Schnitt alle 1000 Jahre mit einem schweren Erdbeben zu rechnen: Mal dauert es länger, mal aber auch kürzer. Die Stärke solcher Beben liegt nach den Berechnungen des Schweizer Erdbebendienstes bei maximal 7 auf der Richterskala. Das ist weitaus weniger als in Japan. Allerdings läge das Epizentrum weitaus näher im Bereich von bewohntem Gebiet als in Japan, sagt Professor Domenico Giardini:

    "Wir müssen mit gewaltigen Schäden rechnen. Die Erschütterung von einer Magnitude 6,5 oder 7 wären viel schwerer als diese Magnitude 9 in Japan."

    Darüber, was dies für die Sicherheit der Schweizer Atomkraftwerke im Grenzgebiet zu Deutschland bedeutet, macht der Leiter des Schweizer Erdbebendienstes bewusst keine Angaben. Axel Mayer, Geschäftsführer des BUND Oberrhein, sieht hier allerdings ein erhebliches Gefährdungspotenzial:

    "Wir haben im Moment am Hochrhein eine massive Bedrohungslage. Wir haben die Pläne, ein atomares Endlager in der Grenzregion zubauen. Wir haben in der Schweiz sehr alte Atomkraftwerke. Die Schweiz hat den ältesten Atomkraftwerkspark in Europa. Gerade in Grenznähe sind es die beiden Reaktoren in Betznau, die uns sehr große Sorgen machen. Und dann haben wir noch das Atomkraftwerk direkt am Rhein, in Leibstadt. Das ist zwar neuer. Aber das ist auch genau dieser Reaktortyp, ein Siedewasserreaktor, wie wir ihn in Japan jetzt bei diesen verunfallten Atomkraftwerken haben."

    Ähnliche Befürchtungen hegt der BUND hinsichtlich des französischen Kernkraftwerkes Fessenheim, unweit von Freiburg. Auf Schweizer Seite haben die Ereignisse in Japan immerhin zu einem geführt: Das Vorhaben, an der Grenze zu Deutschland zwei weitere neue Kernkraftwerke zu bauen, wurden auf Eis gelegt - zumindest vorerst.