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Atomkraft ja oder nein oder wie lange noch?

Die einen schreiben vom "Machtkampf", die anderen von "Kompromiss in Sicht" - die Gerüchteküche um die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke brodelt. Sicher scheint: Die Laufzeiten der älteren Anlagen können in Zukunft auf die neueren übertragen werden.

Von Mario Dobovisek | 09.08.2010
    Sie scheint in Sicht - die Kompromisslinie im Streit um längere Laufzeiten von Atomkraftwerken. So will es jedenfalls die Süddeutsche Zeitung aus Regierungskreisen erfahren haben. Anlass seien neu erlassene Sicherheitsauflagen im Zusammenhang mit den Laufzeitverlängerungen. Von zwei oder drei Atomkraftwerken, die bereits 2011 abgeschaltet werden sollen, ist die Rede. Welche das sein könnten, bleibt jedoch weiter offen. Ungeklärt ist auch die Frage, ob überhaupt ein fester Zeitpunkt für das Aus der letzten Reaktoren genannt werde. Das hänge letztlich von der Sicherheit der Anlagen ab, heißt es.

    Der Kompromiss bleibt äußerst vage, klingt jedoch einfach: Die Laufzeiten der älteren Anlagen könnte auf die neueren übertragen werden. Denn diese technisch auf den neuesten Stand zu bringen, wäre weit weniger aufwendig. Außerdem sieht das geltende Atomrecht bereits eine Übertragung von Laufzeiten vor. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel gegenüber dem Deutschlandradio Hauptstadtstudio:

    "Ich sehe eine Kompromissmöglichkeit, wenn sich alle an den Koalitionsvertrag halten. Im Koalitionsvertrag steht klar drin, dass mögliche Laufzeitverlängerungen sich am Aufwuchs der Erneuerbaren Energien orientieren müssen und es steht auch die Priorität der Sicherheit drin. Das bedeutet: Es kann keine pauschale Laufzeitverlängerung für alle 17 Reaktoren in Deutschland geben, sondern nur eine differenzierte Betrachtung einzelner Reaktoren."

    Die Atomkraft erhalten, allerdings nur als Brückentechnologie – darauf beharrt Bundesumweltminister Norbert Röttgen, CDU, bereits seit Monaten:

    "Das Bild einer Brücke macht nur unter einem Gesichtspunkt einen Sinn: eine Brücke hat einen Anfang, eine Brücke hat ein Ende und eine Brücke begeht man, wenn man von der Gegenwart in die Zukunft will und die Zukunft heißt Erneuerbare Energien. Dort wollen wir hin, mit aller Kraft."

    Röttgen drängt auf eine "moderate" Verlängerung der Laufzeiten, wie er sagt. Denn diese – so heißt es in Rechtsgutachten der Regierung – könnten auch ohne die Zustimmung des Bundesrats durchgesetzt werden. Doch was bedeutet moderat? Hierzu schweigt das politische Berlin. Die "Süddeutsche Zeitung" versucht eine Rechnung: Erhielten alle 17 Reaktoren in Deutschland zusätzliche Strommengen für sechs oder acht Jahre und müssten gleichzeitig ältere Anlagen aufgrund der Sicherheitsauflagen abgeschaltet werden, könnten jüngere Meiler weit über die bisher angenommene Zeit hinaus am Netz bleiben.

    Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt wollen die Spekulationen nicht kommentieren und verweisen auf das Energiekonzept der Bundesregierung. Im September will sich das Kabinett damit befassen.

    Das Magazin der "Spiegel" sieht statt eines Kompromisses sogar einen tiefen Graben innerhalb der Union: Ein Bündnis aus schwarz-gelben Bundestagsabgeordneten, süddeutschen Ländern und dem Bundeswirtschaftsministerium wolle demnach die Reaktoren im Schnitt um 14 Jahre länger laufen lassen. Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wettert gegen Röttgen: er solle anerkennen, dass die Mehrheit in Partei und Fraktion Kernkraft für eine längere Zeit für absolut nötig halte. Allerdings, so sagt es der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel, gebe es auch eine nennenswerte Anzahl von Unionspolitikern, die Röttgen den Rücken stärken.

    "Ich bin ja einer der deutlichsten Unterstützer für Röttgen in der Bundestagsfraktion – das gilt auch für zahlreiche andere Abgeordnete."

    Keine pauschalen Verlängerungen, fordert die CSU. Allerdings auch kein pauschales Ende der Laufzeiten. Im Einzelfall müsse entschieden werden.
    SPD-Fraktions-Chef Frank-Walter Steinmeier kann die Debatte nicht nachvollziehen.

    "Da wird so getan, als brauchten wir jetzt eine Brückentechnologie. Das genau war der Sinn des Atomkonsenses des Jahres 2000. Jetzt das Thema Brückentechnologie wieder aus der Kiste zu holen, um jetzt eine nochmalige zehn Jahre, 15 Jahre, 20 Jahre Verlängerung der Laufzeit durchzusetzen, halte ich wirklich nicht für seriös."

    Seit Inkrafttreten des Atomkonsenses vor acht Jahren sind bereits zwei Meiler vom Netz genommen worden, wann die nächsten folgen, bleibt weiter offen.