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Atomlager Asse muss ausgeräumt werden
Trübe sickert's im Schacht

Das Salzbergwerk im niedersächsischen Asse wurde bis 1978 als Atommüll-Endlager erprobt und genutzt. Mehr als 100.000 Fässer wurden hier eingelagert. Doch nun muss das Lager geräumt werden: Das Bergwerk ist marode. Das kostet viel Geld und ist auch eine gefährliche Angelegenheit.

Von Alexander Budde |
Protest-Plakate vor der Schachtanlage Asse II
Protest-Plakate vor der Schachtanlage Asse II (Deutschlandradio / Alexander Budde)
Rasante Fahrt im offenen Geländewagen. Der Fahrer blendet die Lichter auf. Spiralförmig windet sich die Strecke immer tiefer in das Bergwerk hinein. Besichtigt werden die hydrogeologischen Problemzonen der Schachtanlage Asse II – und davon gibt es in diesem Atommülllager bei Wolfenbüttel reichlich.
Thomas Lautsch ist technischer Geschäftsführer der Betreibergesellschaft BGE – und wie alle Mitarbeiter und Besucher hier in voller Montur: Schutzhelm, Stirnlampe, Kittel, Gummistiefel, ein Dosimeter zur Strahlenmessung und extra Sauerstoff für den Notfall.
"Wir sind jetzt auf der 658-Meter-Sohle. Hier haben wir die Stelle, wo die Hauptmenge der Lösungen zutritt, und wo auch unsere Auffang-Technologie installiert ist."
Um den Salzstock auszubeuten, hatten die Bergleute bis in die 1960er Jahre hinein in der Südflanke des Bergwerks dicht an dicht Abbaukammern angelegt. Als Bruchverformung bezeichnen Fachleute die Bewegung des Gebirges, das seither in die Hohlräume drückt. Risse tun sich auf, durch die Grundwasser fließt. Die Salzlösung wird gesammelt - an Stellen, die oberhalb der 13 Einlagerungskammern mit den radioaktiven Abfällen liegen - und über Tage gepumpt.
Rekord-Schreckensmeldungen
Im Sommer gab es neue Rekord-Schreckensmeldungen: Auf den Tag hochgerechnet hätte die Auffangmenge zeitweise 20 Kubikmeter ergeben.
"Aktuell haben wir einen Zutritt von zwölfeinhalb Kubikmeter täglich", erläutert Lautsch – und zeigt auf den mit Folie bedeckten Sammelbehälter.
"Es ist eine beherrschbare Menge – aber natürlich darf das nicht sein. Ein Salzbergwerk muss komplett trocken sein. Und natürlich ist es Besorgnis erregend, dass wir im Zustand der Bruchverformung sind, sodass wir nur schlecht eine Prognose in die Zukunft machen können."
"Absaufen" nennt der Bergmann, was der Asse droht. Zwei Nachbarschächte waren schon früher voll Wasser gelaufen.
BGE-Geschäftsführer Thomas Lautsch mit Arbeitern an einer Bohrstelle in der Schachtanlage
BGE-Geschäftsführer Thomas Lautsch mit Arbeitern an einer Bohrstelle in der Schachtanlage (Deutschlandradio / Alexander Budde)
Mit schwerem Gerät und Spezialbeton füllen die Bergleute Hohlräume - im Wettlauf gegen die Zeit, sagt Lautsch. Dabei unterliegt die Asse dem strengen Atomrecht: Mitunter seien zwei Dutzend Genehmigungen einzuholen, um eine einzige Felswand anzubohren.
"Mit dem Höherschalten habe ich jetzt keine wirklich gute Idee. Für mein Verständnis sind wir bereits im sechsten Gang. Und fahren so mit 220 – sowohl was die Rückholung angeht als auch die Stabilisierung."
Als Svenja Schulze im Februar zu einem Antrittsbesuch ins Bergwerk einfuhr, führte Lautsch die Bundesumweltministerin zu einer kreisrunden, mittlerweile fest verschlossene Öffnung im Boden. Durch solche Löcher wurden Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen bis Ende der 70er Jahre per Kran in die Kammern darunter versenkt. Insgesamt 126.000 Abfall-Behälter lagern in der Asse. Uran, Thorium, Plutonium und Arsen zählen zum Inventar. Ministerin Schulze:
"Ich finde es sehr bedrückend, wie leichtfertig man damals mit nuklearen Abfällen umgegangen ist. Die sind ja einfach reingekippt worden. Und man sieht jetzt, was für Anstrengungen es bedarf, diesen Fehler wieder gutzumachen. Alle, die sagen, Atomkraft wäre eine günstige Technologie, die müsste man eigentlich mal hierher führen!"
Komplexe Genehmigungsverfahren als politischer Vorwand?
Im Animationsfilm lässt sich bereits bestaunen, was frühestens 2033 beginnen kann: Ferngesteuerte Greif-Roboter hieven die Fässer zum Strahlenmessen, neu verpackt geht es durch meterdicke Schleusen zurück an die Oberfläche. Größte Herausforderung dabei wird der neue Bergungsschacht. Spätestens in fünf Jahren muss dessen Bau beginnen - sonst ist der Zeitplan nicht zu halten.
"Der Auftrag ist glasklar: Wir werden diese Abfälle hier bergen! Man muss schnell arbeiten, um die Fässer zurückzuholen. Auf der anderen Seite muss es eben auch sicher sein."
Heike Wiegel von der Bürgerinitiative AufpASSEn e.V. und ihre atomkritischen Mitstreiter in Niedersachsen werfen dem Betreiber und der Bundesregierung vor, nicht schnell genug mit der Operation Rückholung voranzukommen. Sollte das Bergwerk absaufen, so fürchten sie, würden Radionuklide über kurz oder lang an die Oberfläche gepresst und könnten die Umwelt vergiften.
"Wir fordern, dass so schnell wie möglich jetzt der neue Schacht abgeteuft wird! Die Planungen liegen vor, der Schacht-Bauer selber hat auch schon signalisiert, das ist möglich. Man braucht nicht mehr zu warten, auch nicht auf eine 3D-seismische Messung, die nur das Deckgebirge betrifft. Man könnte loslegen damit. Und mit diesem neuen Schacht würde es automatisch eine Beschleunigung geben."

Wiegel ist überzeugt: Die komplexen Genehmigungsverfahren werden im politischen Prozess zunehmend als Vorwand genutzt, um dringende Entscheidungen aufzuschieben. Beispiel: Der sich abzeichnende Konflikt um das Zwischenlager. Sollten die Fässer eines Tages tatsächlich geborgen werden, würde es gebraucht, um den Asse-Müll bis zum Abtransport in ein Endlager sicher zu verwahren. Strahlenschützer können allerhand Gründe anführen, warum dieses Lager am besten möglichst dicht am Bergwerk sein sollte. Ein Bündnis aus Umweltinitiativen, Kirchengemeinden und Betriebsratsgruppen in der Region stemmt sich dagegen. Abgrundtief ist das Misstrauen der Aktiven, die so lange schon zur Eile drängen, sagt Manfred Kramer – und der Anti-Atom-Veteran prophezeit düster:
"Ich vermute, es wird auf Zeit gespielt, sodass sie irgendwann sagen können, wir kriegen es nicht mehr raus. Wir müssen den Müll unten lassen. In der Zwischenzeit wurde ein Zwischenlager gebaut, was hier oben direkt her soll. Und dann haben wir nicht nur unten ein Endlager, sondern werden hier oben auch noch ein Zwischenlager herbekommen. Das kann nicht sein!"
Anti-Atom-Aktivistin Heike Wiegel
Anti-Atom-Aktivistin Heike Wiegel (Deutschlandradio / Alexander Budde)