Jasper Barenberg: Alles auf Anfang - das ist die Grundidee bei der neuen Suche nach einer Lagerstätte für den strahlenden Abfall der deutschen Atomkraftwerke. Jahrzehnte wurde erbittert über ein Endlager gestritten. Jetzt soll ein Fahrplan sicherstellen, dass am Ende der Standort gewählt wird, der am besten geeignet ist. Kann das funktionieren? Zwei Jahre lang hat eine Kommission über Empfehlungen und Kriterien gestritten und beraten. Ab heute ist der Neustart der Suche Sache der Politik. Bundestagspräsident Norbert Lammert hält den Bericht schon in Händen. Heute Nachmittag wird er dann auch Barbara Hendricks überreicht, die als Bundesumweltministerin auch für Reaktorsicherheit zuständig ist. Am Telefon ist der Physiker und Philosoph Armin Grunwald. Er leitet das Institut für Technik-Folgeabschätzung in Karlsruhe und er war Mitglied in der Kommission. Schönen guten Tag, Herr Grunwald.
Armin Grunwald: Guten Tag, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Grunwald, eine Entscheidung jenseits der bekannten politischen und ideologischen Grabenkämpfe der vergangenen Jahrzehnte, streng auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertise und dann unter Beteiligung von Öffentlichkeit und Betroffenen. Klingt kompliziert, klingt wie eine große Herausforderung. Kann dieses Konzept funktionieren?
Grunwald: Zunächst einmal war es schon eine große Herausforderung, das Konzept zu entwickeln. Wir sind ja von ganz unterschiedlichen Ausgangspositionen losgegangen und ich war mehrfach im Laufe dieser zwei Jahre unsicher, ob wir überhaupt zu einem weitgehenden Konsens kommen werden. Das ist schon mal eine Riesenleistung. Die verschiedenen Komplexitätsstufen, die Sie angesprochen haben und dann noch mit dieser Last der Vergangenheit das Ganze anzugehen, da ist sehr, sehr viel gelungen. Ob das jetzt in den nächsten Jahrzehnten gelingen wird, diesen ganzen Prozess erfolgreich durchzuführen, das kann nur der Prozess selbst zeigen. Mir ist es ein Anliegen, dass der Bundestag dann jetzt auch dieses Gesetz beschließt und dass damit die Sache losgehen kann.
"Wir können nur beraten - der Gesetzgeber ist der Souverän"
Barenberg: Das heißt, die Politik muss sich quasi ihren Fahrplan jetzt zu eigen machen. Was sind da die wichtigsten Schritte, die der Bundestag, die die Politik jetzt unternehmen muss, um das auf einen guten Weg zu bringen?
Grunwald: Die Politik muss nicht, aber wir hoffen natürlich, dass sie es tut. Wir können ja nur beraten. Der Gesetzgeber ist der Souverän. Was wir uns wünschen, was wir uns erhoffen ist, dass es ein neues Standort-Auswahlgesetz geben wird, in dem unsere Empfehlungen aufgegriffen sind. Diese Empfehlungen beziehen sich zum einen auf ein Verfahren, wo wir in mehreren Schritten dargestellt haben, wie man sich den Weg bis zu einem Endlager einer Befüllung und einem Verschluss dieses Endlagers vorstellen kann. Dann das Ganze natürlich unter den Augen der Öffentlichkeit, der Medien, der kritischen Wissenschaftler auch, damit Transparenz herrscht und mögliche Fehlentscheidungen auch vermieden oder frühzeitig erkannt werden können. Und dann braucht es natürlich noch Kriterien, denn das Ganze soll ja ein Standort mit einer bestmöglichen Sicherheit sein, und was bestmögliche Sicherheit ist, darüber entscheiden die Kriterien. Das alles ist im Bericht enthalten, auch noch eine Behördenstruktur. Das Ganze muss ja auch betrieben werden, das muss überwacht werden, da muss es Reviews geben, Prüfungen und all das. Das ist alles beschrieben und da hoffen wir, dass der Bundestag ein Gesetz daraus macht, sodass hoffentlich schon im nächsten Jahr die Endlagersuche auf eine deutlich bessere Weise losgehen kann im Vergleich zu dem, wie es bisher war.
"Die Vergangenheit klebt natürlich an uns"
Barenberg: Das klingt ja wie ein nachvollziehbarer und kluger Vorschlag, der da auf dem Tisch liegt, ein Verfahren, wie man das Ganze organisiert, wie die verschiedenen Seiten und Beteiligten da mitziehen können und sollen. Jetzt haben Sie vorhin zu Beginn gesagt, dass Sie am Anfang skeptisch waren, ob dieses Konzept überhaupt zustande kommt, weil Sie von so unterschiedlichen Richtungen und Standpunkten alle kamen. Was hat da Ihre größte Sorge ausgelöst im Laufe dieser zweijährigen Beratungen?
Grunwald: Es hat eigentlich immer relativ gut funktioniert, sobald wir nach vorne geschaut haben auf das Verfahren. Da gab es Meinungsunterschiede, Kontroversen, andere Standpunkte und Einschätzungen. Das ist immer so, das war auch hier so. Aber das war eigentlich immer in Richtung auf eine Verständigung, auf beste Argumente ausgerichtet. Der Blick nach hinten in die Vergangenheit, der hat uns fast in jeder Sitzung, würde ich sagen, mehrfach eingeholt, und dieser Blick nach hinten, der hat immer wieder auch zu deutlich erbitterteren Kontroversen geführt, und ich hatte schon gelegentlich Sorge, dass die Vergangenheit uns da wirklich, na ja, nicht loslässt ist falsch gesagt. Es ist ja immer gesagt worden, ein Neustart, eine weiße Landkarte, ein Neubeginn. Ja, das ist so, aber die Vergangenheit klebt natürlich an uns. Die Erfahrungen sind gemacht, die Verwundungen sind nicht verheilt und ich hatte schon gelegentlich Sorge, dass diese Verwundungen noch so frisch sind, dass sie uns vielleicht den Blick auf eine konsensorientierte Bewältigung des Problems nach vorne verhindern könnten.
Ausschluss von Standorten: "Dient der Wählerberuhigung"
Barenberg: Ich würde noch gern genauer herausfinden, wie Ihnen das gelungen ist. Wenn jetzt von einer weißen Landkarte beispielsweise die Rede ist, dass wir tatsächlich ein Konzept haben, das noch mal ganz von vorn beginnt, keinen Standort ausschließt und keine Vorfestlegung enthält - ist das nicht im Grunde eine Illusion, wenn wir sehen, dass sich heute schon Politiker positionieren und sagen, beispielsweise wie der Grünen-Umweltminister in Niedersachsen Stefan Wenzel, Gorleben ist aus dem Rennen?
Grunwald: Ich meine, wir haben ja in Deutschland Meinungsfreiheit. Da darf ja jeder sagen, was er zu solchen Fragen denkt, und das ist auch gut so. Es wird aber letztlich ja im Prozess dann der Endlagersuche, des Auswahlverfahrens Schritt für Schritt entschieden und erst dann wird sich zeigen, welche Standorte/Regionen infrage kommen und welche nicht. Dafür gibt es die Kriterien und man kann natürlich Vorannahmen äußern. Es können manche Bundesländer heute sagen, wir sind ja raus aus dem Rennen. Aber ob sie es wirklich sind, das wird die ordentliche Suche mit geologischen Daten und so weiter erst noch zu zeigen haben.
Barenberg: Das heißt, was Sie sagen ist: Wenn die Politiker ihre Empfehlungen ernst nehmen, dann fällt im Moment gar nicht so sehr ins Gewicht, dass beispielsweise Niedersachsen, dass auf der anderen Seite Bayern oder Sachsen von vornherein bestimmte Gesteinsformationen, sage ich mal, ausschließen und jetzt sagen, bei uns auf keinen Fall? Das halten Sie für nicht so gravierend im Moment?
Grunwald: Es dient, würde ich sagen, vor allen Dingen der Beruhigung der heutigen Wählerschaft. Die Entscheidungen in der Etappe eins des Auswahlverfahrens, wo es dann nur noch um zwei oder vier endgültige Standorte geht, wo man dann eine letzte Wahl noch mal treffen muss, diese Phase werden wir ja erst in, ich weiß nicht, zehn, 15 oder noch mehr Jahren haben. Das heißt, was dazu heute gesagt wird, ist relativ bedeutungslos.
"Der Trick ist, sich auf Geologie zu verlassen"
Barenberg: Sie sprechen es an: Es geht um ein Suchverfahren, das auf Jahrzehnte angelegt ist. Es geht am Ende um ein Endlager, das Sicherheit für eine Million Jahre bieten soll. Sie sind ein angesehener Experte, wenn nicht der Experte für Technik-Folgeabschätzung. Machen Sie uns begreifbar, wie man so etwas organisieren kann mit diesen zeitlichen Perspektiven.
Grunwald: Die Zahl eine Million Jahre, die hört sich natürlich ganz unglaublich an. Denn wenn wir mal 1.000 Jahre in die Menschheitsgeschichte zurückschauen, da war Karl der Große sozusagen gerade erst gestorben, da sah die Welt sehr anders aus als heute. Wie sollen wir da auf eine Million Jahre so etwas mit Sicherheit und mit Verlässlichkeit regeln können. Der Trick ist, sich eben nicht auf gesellschaftliche, auf technische Dinge zu verlassen, sondern auf die Geologie. Geologische Formationen - und davon haben wir in Deutschland ja zum Glück eine ganze Reihe - gibt es, die eine Stabilität seit Hunderten von Millionen Jahren haben, seit Hunderten von Millionen Jahren, und in dem Vergleich ist dann die eine Million Jahre mehr gar nicht mehr so eindrucksvoll. Die Sicherheit soll zu einem maximal großen Maß von der Geologie übernommen werden. Das heißt, wir müssen geologisch geeignete Standorte suchen, die dann so sicher sind und wo wir das Vertrauen haben können, dass sie auch noch eine weitere Million Jahre stabil bleiben. Und dafür sind, denke ich, die Aussichten gar nicht so schlecht. Das Problem, was Sie noch ansprechen, mit der Zeitdauer des Verfahrens, das ist schon ein ernsthaftes. Das Verfahren wird dauern, gerade weil es so auf Sorgfalt, auf Transparenz, auf Beteiligung ausgerichtet sein soll. Das sind alles Faktoren, die Zeit brauchen. "Quick and dirty" wäre das genaue Gegenteil. Das wollen wir nicht! Sicherheit hat Vorfahrt und Beteiligung und Transparenz haben Vorfahrt. Die brauchen Zeit. Das heißt, das Verfahren wird Jahrzehnte dauern, und je länger es dauert, umso größer natürlich das Risiko, dass wir in eine Phase gesellschaftlicher Instabilität kommen, sodass das Verfahren vielleicht nicht ordnungsgemäß weitergeführt werden kann. Das ist etwas, was mir ein bisschen Sorge macht. Ich bin ansonsten durchaus der Verfechter der These, es kommt nicht auf ein paar Jahre an, sondern auf Sicherheit. Trotzdem dürfen wir nicht lange warten.
Barenberg: …sagt Armin Grunwald, der Physiker und Philosoph vom Institut für Technik-Folgeabschätzung in Karlsruhe. Herr Grunwald, ich bedanke mich herzlich für Ihre Zeit heute Mittag.
Grunwald: Gerne, Herr Barenberg.
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