Ganz Deutschland als weiße Landkarte. Nirgendwo sind potenzielle Endlagerstandorte für hoch radioaktiven Müll eingezeichnet. Nur im Osten Niedersachsens, man sieht es schon aus der Ferne, prangt ein dicker schwarzer Fleck. Gorleben. Dieser Fleck lässt sich, allen Beteuerungen der Politik zum Trotz, einfach nicht wegradieren. Dabei geht die Endlagersuche doch jetzt wieder ganz von vorne los. Die Politik hat sich von ihrer 37 Jahre währenden Fixierung auf Gorleben gelöst – schien es zumindest noch vor einem Jahr, als sich Bund und Länder darauf einigten, noch einmal von vorne anzufangen bei der Endlagersuche. Doch im Wendland will man der Politik nicht so ganz vertrauen. Fried Graf Bernstorff zum Beispiel bleibt wachsam:
"Klar. Wenn so was gesagt wird, wie: der Politik einen Vertrauensvorschuss geben, kann man eigentlich nur milde lächeln. Nach dem, was in den letzten 30 Jahren passiert rund um Gorleben. Letzten Ende sehe ich es fast andersrum: dass die Politik der Bevölkerung einen Vertrauensvorschuss geben muss, damit überhaupt wieder Vertrauen wiederhergestellt werden kann. Das wäre zum Beispiel das Thema "Weiße Landkarte". Dass man sich vonseiten der Politik bemüht, eine Glaubwürdigkeit für den Prozess herzustellen."
Der junge Graf sitzt im Besprechungsraum der alten Bernstorffschen Forstverwaltung in Gartow, fünf Kilometer Luftlinie zum Gorlebener Salzstock. Heller Anzug, Einstecktuch, entspricht er so gar nicht dem Bild des typischen Atomkraftgegners. Fried von Bernstorff ist mit dem Großkonflikt um Gorleben aufgewachsen. Sein Vater hatte schon Ende der 70er Jahre die über 36 Millionen D-Mark ausgeschlagen, die ihm für seine Salzrechte, seinen Teil am Salzstock Gorleben geboten wurden. Und auch Fried von Bernstorff bleibt dieser Linie treu. Und versucht, auf dem Klageweg den Namen Gorleben möglichst rückstandsfrei von der Landkarte der deutschen Endlagersuche zu radieren. Derzeit will Bernstorff mit einer Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht in Lüneburg klären, ob die rechtliche Grundlage für den Betrieb des Bergwerks im Gorlebener Salz überhaupt noch gültig ist. Immerhin gründet dieser Rahmenbetriebsplan auf dem fast schon antiken Bergrecht von 1983.
Plan auf der Basis eines Bergrechts von 1983
"Seit 1990 gibt es ein neues Bergrecht. Und da ist geregelt, dass es eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben muss und dass auch die Bevölkerung eingebunden werden soll. Und das ist hier alles nicht geschehen. Und wenn man jetzt wirklich öffentlich von einer "Weißen Landkarte" spricht, dann ist es ja geradezu grotesk, wenn man sich daran festhält. Warum sollte man diesen Rahmenbetriebsplan aufrechterhalten, wenn man das ganze Thema Endlagersuche neu angehen will?"
Aber genau das sieht die neue Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD anders. Sie behält sich – wie ihr Vorgänger Peter Altmaier - vor, das Bergwerk in Gorleben nach dem uralten, aus der Zeit gefallenen Rahmenbetriebsplan mit allen juristischen Mitteln weiter in Schuss zu halten. – Es sind nicht nur diese politisch-juristischen Winkelzüge, die auch die Umweltverbände, von BUND, Nabu bis Greenpeace kritisieren. Auch die Tatsache, dass das Endlagersuchgesetz längst beschlossen ist und danach erst die Kommission eingesetzt wird – nicht umgekehrt – führt zu Misstrauen. Und dazu, dass die Verbände ihre Teilnahme an der demnächst startenden Kommission bisher verweigern, so Mathias Edler von Greenpeace:
"Wir sind jetzt auch nicht so wirklichkeitsfremd, dass wir sagen: "Die Politik muss auf jede Bedingung eingehen, die wir stellen!" Aber wenn sie auf gar keine einzige eingehen und im Gegenteil ein Gesetz mit großen Mehrheiten verabschiedet, was wieder in eine Richtung zu laufen droht – nämlich: wieder Gorleben! – dann ist das kein Neustart in der Endlagersuche. Und dann sagen wir: Wir können diesen Prozess von außen, außerhalb eines parteipolitisch motivierten Gremiums wie dieser Kommission besser in die richtige Richtung befördern!"
Alle Verbände sehen eine Teilnahme skeptisch
Dann würden aber die zwei Sitze, die in der 33-köpfigen Kommission aus Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften und Kirchenvertretern für die Umweltverbände reserviert sind, leer bleiben. Dass es, wie zuletzt berichtet, unter den Verbänden Streit darüber gibt, dass die Deutsche Umwelthilfe für, und der Naturschutzbund, BUND und Greenpeace gegen eine Teilnahme an den Beratungen sind, wollen die Umweltschutzgruppen nicht bestätigen. Sicher ist, dass alle Verbände eine Teilnahme an der Kommission sehr skeptisch sehen. Mathias Edler von Greenpeace:
"Schon an der Besetzung dieser Kommission kann man jetzt sehen, dass alles an dieser unseligen "Frontlinie Gorleben" entlang diskutiert wird. Da nimmt man einen kritischen Landesbischof aus Hannover, dem man nachsagt, er ist wahrscheinlich gegen Gorleben. Und dann nimmt man einen ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten - wo ich nicht weiß, wo dessen Fachkompetenz in dieser Frage herkommt - für die katholische Kirche. Der anscheinend "Pro Gorleben" vertreten soll. So kann man doch nicht den bestmöglichen Standort in der Bundesrepublik finden, wenn es weiterhin immer an dieser Frontlinie entlang diskutiert wird!"
Das Misstrauen der Verbände kann die Bündnisgrüne Sylvia Kotting-Uhl, eine der Berichterstatterinnen bei der Kommissionsgründung, verstehen. Trotzdem: Nun sei es aber an Zeit, der Politik wieder Vertrauen zu schenken, mahnt sie und hofft auf ein Umdenken der Umweltverbände – auch wenn nicht all ihre Forderungen erfüllt werden:
"Auch im Sinne des Ergebnisses und der Argumente, die dort ausgetauscht werden, ist eine Teilnahme der Umweltverbände schon sehr, sehr wichtig!"
Wer, wenn nicht die Umweltverbände sollte Paroli bieten?
Denn wer sollte sonst Paroli bieten, wenn nicht die Umweltverbände, gibt Sylvia Kotting-Uhl zu bedenken: In der Kommission werden auch der Chef des Deutschen Atomforums Ralf Güldner sitzen und Gerd Jäger von RWE. Beide ausgesprochene Gorleben-Befürworter. Vielleicht lassen sich die Umweltverbände ja doch noch locken. Etwa mit dem Verzicht auf weitere Winkelzüge, auf das Offenhalten aller Türen in Richtung Gorleben mit noch so umstrittenen juristischen Tricksereien. Doch eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums bestätigt: Die neue Ministerin Barbara Hendricks will von den Winkelzügen nicht lassen. Sie will sich die Option, Gorleben nach dem verstaubten Bergrecht von 1983 durchzudrücken, bewahren. Ohne heute vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung. Vielleicht kann ja Fried von Bernstorff sie überzeugen. Bisher haben – außer Angela Merkel – alle Umweltministerinnen und –minister das Gespräch mit den Bernstorffs gesucht. Im Kaminzimmer des Gartower Schlosses, bei Gebäck und Tee.
"Ja, ich bin gespannt, was wir hören werden aus dem Ministerium."