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Atompolitik der Bundesregierung fehlt juristischer Unterbau

Die Klage von RWE gegen die Stilllegung des Atommeilers Biblis A wird unter dem geltenden Recht Erfolg haben, sagt Verwaltungsrechtler Joachim Wieland. Rechtlich sei der Energieriese derzeit nicht gehindert, das Kraftwerk wieder in Betrieb zu nehmen.

Joachim Wieland im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Der erste Energiekonzern hat seine Drohung wahr gemacht. RWE reicht Klage ein gegen die Stilllegung des Atommeilers in Biblis. Die Bundesregierung weiß noch nicht so recht, wie sie darauf reagieren soll. Stattdessen gibt es in der schwarz-gelben Koalition heftigen Unmut über die Haltung, die die jeweils anderen einnehmen: entweder also für einen noch schnelleren Ausstieg, oder für einen moderaten Ausstieg, oder aber für einen Ausstieg aus der Kernenergie, der so aussieht wie ursprünglich geplant, bis ins Jahr 2036.
    Über die Klage von RWE gegen die Stilllegung wollen wir nun reden mit dem Verwaltungsrechtler Professor Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Guten Tag!

    Joachim Wieland: Guten Tag!

    Müller: Herr Wieland, muss RWE so handeln?

    Wieland: RWE ist jedenfalls seinen Aktionären gegenüber verpflichtet, die Vermögensinteressen des Unternehmens wahrzunehmen, und wenn man weiß, dass Biblis am Tag einen Gewinn von einer Million Euro bringt, kann man sich vorstellen, dass RWE sich jedenfalls genötigt sieht, die Rechte auch vor Gericht durchzusetzen.

    Müller: Gehen Aktionärsinteressen über alles?

    Wieland: Aktionärsinteressen gehen nicht über alles, aber sie bestimmen natürlich das Handeln eines Unternehmens. Was dann hinterher gerichtlich und politisch entschieden wird, ist eine andere Frage.

    Müller: Könnte es eine Aussicht auf Erfolg geben?

    Wieland: Meines Erachtens wird die Klage unter dem geltenden Recht Erfolg haben, weil die Bestimmung des Atomgesetzes, auf die sich die Atomaufsicht beruft und auf die sich auch die Bundesregierung beruft, für konkrete Gefahrenlagen geschaffen worden ist. Das heißt, wenn sich in dem Atomkraftwerk etwas anders entwickelt, als man das erwartet hat, dann darf man es stilllegen und dann darf man auch weitere Untersuchungen durchführen. Aber man hat ja bis vor drei Wochen uns immer versichert, auch die älteren Kraftwerke sind absolut sicher, und da wird man jetzt Schwierigkeiten haben, entsprechende Gründe zu liefern.

    Müller: Aber geht es nicht, Herr Wieland, gerade um diese Infragestellung dieser vermeintlichen Sicherheit?

    Wieland: Das ist der politische Hintergrund und das könnte man auch rechtlich fassen, wenn man das vorhandene Gesetz verändert. Aber der Gesetzgeber hat nun mal vor drei Monaten mit der Regierungsmehrheit die Laufzeiten auch der älteren Kernkraftwerke um acht Jahre verlängert und hat gesagt, die sind völlig sicher, das können wir so machen. Jetzt kann auch nur der Gesetzgeber diese Rechtslage wieder ändern. Die Regierung ist an das Gesetz gebunden, sie kann nicht eigenmächtig sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen.

    Müller: Das hört sich so ein bisschen an, die Argumentation der Regierung, wie wir das aus vielen Tatorten kennen, Gefahr im Verzug, also schnell handeln?

    Wieland: So argumentiert die Regierung, aber sie kann ja letztlich nichts vorbringen, warum jetzt gerade die älteren Kernkraftwerke drei Monate stillgelegt werden müssen. Wenn wir gehört haben, was der Bundesumweltminister gestern gesagt hat, was überprüft werden soll, das findet alles nicht vor Ort statt, das findet am Schreibtisch statt, anhand der Sicherheitsunterlagen, die man schon lange hat, und der Umweltminister kann nicht begründen, warum es notwendig ist, gerade diese sieben Kernkraftwerke drei Monate stillzulegen, um zu einer neuen politischen Bewertung der Kernenergie zu kommen, denn das steht ja eigentlich im Hintergrund.

    Müller: Herr Wieland, wenn ich Sie richtig verstanden habe, würden Sie das gegebenenfalls unterschreiben, den Satz, die Bundesregierung macht Atompolitik im rechtsfreien Raum?

    Wieland: Sie macht Atompolitik im Augenblick nicht nur im rechtsfreien Raum, sondern rechtswidrig.

    Müller: Das ist ja noch schlimmer!

    Wieland: Ja! Es ist aus der Sicht des Juristen auch sehr bedauerlich. So vernünftig es ist, im Bereich der Nutzung der Kernenergie neu nachzudenken, so bedauerlich ist es, dass der Weg, der gewählt ist, juristisch überhaupt nicht gangbar ist, sondern dass man einfach darauf vertraut, dass die Betreiber im Ergebnis sich schon irgendwie friedlich verhalten werden.

    Müller: Jetzt haben die Grünen Norbert Röttgen vorgeworfen, er hat verzichtet, einen Soforterlass auf den Weg zu bringen, also ganz konkret heißt das Sofortvollzug. Wäre das besser gewesen?

    Wieland: Das weiß man nicht so genau. Es wäre jedenfalls zunächst einmal möglich. Das müsste nicht Norbert Röttgen machen, sondern das würde die hessische Atomaufsicht machen. Sie könnte anordnen, unsere Stilllegungsverfügung muss sofort vollzogen werden. Dann hätte die heute eingereichte Klage keine aufschiebende Wirkung. Aber auch gegen den Sofortvollzug könnte das Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Rechtsmittel einlegen, und dann würde der Verwaltungsgerichtshof in wenigen Tagen schon darüber entscheiden, ob die Rechtsgrundlage ausreicht oder nicht, und vermutlich haben weder die Regierung, noch eigentlich der Betreiber Interesse daran, das so schnell zu entscheiden. Über diese Klage wird jetzt erst mal einige Monate Zeit ins Land gehen, und so lange wird RWE das Kraftwerk Biblis nicht wieder anschalten. Damit können wahrscheinlich alle Seiten leben.

    Müller: Es geht also letztendlich um Entschädigung?

    Wieland: Es geht letztendlich um Entschädigung, weil dann, wenn RWE in letzter Instanz, vermutlich, vor dem Bundesverwaltungsgericht gewinnt, man einen Entschädigungsanspruch geltend machen könnte, wobei für RWE das Problem darin liegt, dass ja seit heute die aufschiebende Wirkung eingetreten ist, man also rechtlich gar nicht gehindert ist, das Kraftwerk wieder anzufahren. Also ist es auch nicht so leicht, für die Zeit von heute an einen Entschädigungsanspruch zu begründen. Das Recht ist da schon sehr kompliziert.

    Müller: Reden wir noch einmal, Herr Wieland, über diesen Sofortvollzug. Das wird eben der Regierung vorgeworfen, das hat man nicht schnell genug und konsequent getan. Jetzt hat das hessische Umweltministerium, die hessische Landesregierung angekündigt, wir haben das eben in den Nachrichten ja gehört, das jetzt noch nachzuschieben. Ist das legitim?

    Wieland: Das ist ohne Weiteres möglich. Man muss den Sofortvollzug nicht gleich beim Erlass des Verwaltungsakts anordnen, sondern das kann man jederzeit später machen. Wenn jetzt RWE tatsächlich Anstalten macht, Biblis wieder ans Netz zu nehmen, könnte man einen solchen Sofortvollzug anordnen, mit dem Risiko, dass dann ein Rechtsmittel dagegen eingelegt würde.

    Müller: Hätte ein Gesetz im Bundestag und dann möglicherweise auch noch im Bundesrat, das diese Stilllegung, dieses Moratorium parlamentarisch legitimiert, diese ganze Diskussion dann gar nicht erst stattfinden lassen?

    Wieland: Selbstverständlich nicht. Wenn die Regierungsmehrheit den richtigen Weg gegangen wäre, ein entsprechendes Gesetz eingebracht hätte im Parlament, das ja in wenigen Tagen verabschiedet werden kann, wie etwa die Griechenland-Hilfe gezeigt hat, dann wäre man rechtlich auf sicherem Boden gewesen und hätte auch keine Entschädigungsforderungen der Konzerne befürchten müssen.

    Müller: Dann war das also ein gravierender Fehler der schwarz-gelben Koalition?

    Wieland: Rechtlich gesehen war es ein gravierender Fehler. Politisch wollte man offenbar am gleichen Tag handeln, weil die Landtagswahlen drohten, und manchmal setzt sich im Konflikt zwischen Politik und Recht erst mal die Politik durch. Aber rechtlich hat das dann längerfristig Folgen.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Verwaltungsrechtler Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wieland: Auf Wiederhören!

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    Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)