Zugleich kritisierte Kinkel den Umgang des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu mit der US-Regierung. Dies sei eine "Stilfrage". Kinkel zeigte sich besorgt, dass das Verhältnis zwischen den USA und Israel wegen der Iran-Frage Schaden nehme.
Anerkennend äußerte sich Kinkel über seinen Nachfolger im Bundesaußenministerium, Frank-Walter Steinmeier (SPD). Dieser spiele in den Atomverhandlungen in Lausanne eine wichtige Rolle.
Kinkel erinnerte daran, dass er sich in seiner Zeit als deutscher Chefdiplomat immer für einen Dialog mit Teheran ausgesprochen habe. "Deshalb bin ich mächtig niedergeknüppelt worden im Bundestag." Letztlich bleibe nichts anderes übrig, als dem Iran zu vertrauen, sagte Kinkel mit Blick auf ein etwaiges Atomabkommen.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Die beteiligten Außenminister verhandeln weiter in Lausanne, alles verbunden mit der Hoffnung, dass das doch noch klappt mit einem Kompromiss über das iranische Atomprogramm. Einer, der gegen viele Widerstände immer auch für einen Dialog, für einen kritischen Dialog plädiert hat, war der FDP-Politiker Klaus Kinkel, Außenminister in der Regierung Helmut Kohl von 1992 bis 1998. Einen kritischen Dialog hat er auch persönlich mit dem Iran geführt, lange Zeit als Schurkenstaat schlechthin charakterisiert. Klaus Kinkel ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Klaus Kinkel: Guten Morgen.
Müller: Herr Kinkel, sollte jeder Politiker in der Lage sein, mit jedem zu reden?
Kinkel: So genau wird man es nicht sagen können. Aber was den Iran anbelangt, war ich immer der Meinung, dass es besser ist zu sprechen als zu schweigen, besser Kontakte zu haben als keine. Dafür ist der Iran zu wichtig und auch unsere traditionell guten Beziehungen zu diesem Land haben das immer vorausgesetzt. Ich habe ja da meine eigenen Erfahrungen gemacht, bin ja mal wegen diesem kritischen Dialog in einem Prozess im Deutschen Bundestag mächtig niedergeknüppelt worden.
Müller: Haben Sie Verständnis dafür gehabt, heute oder vielleicht auch damals, dass viele gesagt haben, das geht einfach nicht, dass wir mit den Ayatollahs reden?
Kinkel: Was heißt Verständnis? Ich meine, ich musste politische Mehrheiten akzeptieren. Es war übrigens damals auch so, dass meine eigene Partei teilweise gegen diese Kontakte war. Ich wollte ja eine Islam-Konferenz machen. Die ist dann daran gescheitert, dass ich in einem Hammelsprung im Deutschen Bundestag unterlegen war.
Müller: Viele haben ja auch damals gesagt, Herr Kinkel, die das kritisiert haben, na ja, es geht dem Kinkel, es geht der FDP oder auch allen anderen, die dafür sind, einfach nur darum, gute Geschäfte zu machen.
Bemühungen um Atomabkommen "aller Ehren wert"
Kinkel: Das ist Blödsinn. Welche Rolle der Iran damals schon gespielt hat und heute spielt, ist ja unumstritten, und deshalb ist es aller Ehren wert, wenn man versucht, jetzt dieses Atomabkommen hinzubekommen.
Müller: Aber haben Sie sich darüber geärgert, auch in der Folgezeit, dass viele deutsche Unternehmen tatsächlich ja auch gute Geschäfte mit dem Iran gemacht haben, trotz Sanktionen?
Kinkel: Nein, darüber habe ich mich nicht geärgert. Verstehen Sie, wenn Sie, was wirtschaftliche Beziehungen anbelangt, immer darauf Rücksicht nehmen müssten, total, ich sage total, wie die politischen Beziehungen sind, dann würde es in der Welt auch für Deutschland schwierig aussehen in dieser globalisierten Welt, wo man, ob man will oder nicht, auch im wirtschaftlichen Bereich dann Kontakte haben muss und dann Geschäfte machen muss, wenn es politisch schwierig ist.
Müller: Ich meinte jetzt, ob Sie sich darüber geärgert haben, als die Sanktionen durchbrochen wurden, illegal durch deutsche Unternehmen. Diese Vorwürfe hat es ja immer gegeben in den vergangenen Jahren.
Kinkel: Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Sie meinen im wirtschaftlichen Bereich?
Kinkel: Im wirtschaftlichen Bereich, genau. Deutsche Unternehmen, die mit iranischen Unternehmen kooperiert haben.
Kinkel: Nein, das geht natürlich nicht oder ging natürlich nicht. Da habe ich Sie falsch verstanden. Entschuldigung.
Müller: Und es sollen ja sogar auch unterstützende Materialien geliefert worden sein, beispielsweise für den weiteren Aufbau.
Kinkel: Kann ich nicht beurteilen.
Müller: Reden wir noch einmal über die Ausgangsposition. Wir hatten uns verabredet, auch über die deutsche Rolle zu sprechen. Haben die Deutschen dann gerade auch in der Folgezeit, das heißt 2002, 2003, als es darum ging, wirklich hier einen Dialog beziehungsweise einen ständigen Gesprächsfaden mit Teheran aufzunehmen über das Atomprogramm, da eine besonders konstruktive Rolle gespielt?
Kinkel: Ja, das ist zweifellos so und das ist Gott sei Dank bis heute so geblieben. Neben den fünf Vetomächten und dem Iran selber spielt Deutschland ja bei diesen Gesprächen durch Herrn Steinmeier, die jetzt stattfinden und Gott sei Dank weitergeführt werden und nicht total unterbrochen worden sind oder aufgegeben worden sind, eine wichtige Rolle. Ich begrüße das sehr.
Abkommen ist zu "Superinteresse von Obama" geworden
Müller: Wie schwierig war das, die Amerikaner davon zu überzeugen, da mitzumachen?
Kinkel: Na ja, die Amerikaner haben natürlich ein gewaltiges eigenes Interesse, das jetzt ja zu einem Superinteresse von Obama geworden ist. Das ist für ihn ja geradezu eine innenpolitische, fast halbe Existenzfrage, ob es ihm gelingt, dieses Abkommen hinzubekommen, weil die Republikaner ja zum Teil oder zum großen Teil anderer Meinung sind. Auf der anderen Seite hat er natürlich auch das Problem mit Israel. Israel ist ja total gegen dieses Atomabkommen, aus zum Teil verständlichen Gründen, die aber wahrscheinlich zurückstehen müssen im Gesamtinteresse.
Müller: Sagen Sie uns, warum das verständlich ist, die Einwände von Benjamin Netanjahu.
Kinkel: Na ja. Ich meine, Benjamin Netanjahu führt ein Land, das umgeben ist von islamischem Terror, führt ein Land, das natürlich im Iran zwangsläufig einen der Hauptgegner sehen muss, sogar mit der Sorge eines atomaren Angriffs, wenn der Iran dann tatsächlich die Atombombe hat. Und natürlich muss man auf der anderen Seite sehen, dass sich da ja auch in der Welt alles Mögliche abspielt um Israel herum, beispielsweise der Krieg in Syrien, der inzwischen natürlich ein Religionskrieg ist. Es geht dort und auch, was den Iran anbelangt, insbesondere um die Zukunft des Islam. Wenn man sich ansieht, dass schiitische Iraker, unterstützt von der Hisbollah, mit den Assad-Truppen in Syrien kämpfen, sunnitische Iraker mit dem sunnitischen IS und den sunnitischen Oppositionellen, und grenzüberschreitend längst konfessionelle Auseinandersetzungen wichtiger sind als nationale Grenzen, dann muss man verstehen, dass Israel Sorgen hat.
Müller: Also war das richtig vom israelischen Premier, in die USA zu reisen und dort so richtig auf den Putz zu hauen, gegen dieses Abkommen zu poltern?
Kinkel: Das war eine Stilfrage. Das hielte ich in der Form, wie es geschehen ist, nicht für richtig. Ich bin natürlich auch betrübt und habe Sorge, dass das israelisch-amerikanische Verhältnis schwieriger geworden ist, unter anderem natürlich hauptsächlich auch wegen dieser Iran-Frage. Israel und die USA müssen engstens zusammenarbeiten und ich hoffe sehr, dass da wieder Vernunft eintritt.
Müller: Sie sagen, der Stil war nicht okay inhaltlich, aber nachvollziehbar.
Kinkel: Inhaltlich nachvollziehbar. Der Stil war nicht okay. Er durfte sich für meine Begriffe von den Republikanern nicht so rausstellen lassen, wenn ich das mal so sagen darf.
"Man merkt, dass der Irak kein schriftliches Abkommen haben will"
Müller: Nun reden wir, Klaus Kinkel, ja mit Ihnen, weil Sie ja immer für den Dialog waren, und Sie sind ja auch immer für Verträge gewesen. Das heißt, auch die "Schurken" mit einzubinden. Warum ist das denn nicht für Jerusalem die denkbar beste Lösung, dass man versucht, mit Teheran einen Vertrag mit klaren Verbindlichkeiten, mit klaren Verabredungen auf den Weg zu bringen?
Kinkel: Die Israelis glauben, dass sich die Iraner, wenn man sich die Vergangenheit ansieht, nicht an das halten, was sie vereinbaren. Davor haben sie in besonderer Weise Angst. Und natürlich: Man merkt ja auch, dass der Iran kein schriftliches Abkommen haben will, sondern dass man unter Umständen im Augenblick von einem Kommuniqué spricht. Ich kenne jetzt die Einzelheiten nicht, wie der letzte Stand ist, aber es scheint ja so zu sein, dass das doch ein Hauptgrund ist. Das heißt eine unzuverlässige Situation. Und dann sagen die Israelis natürlich, was nützt das, wenn wir zehn Jahre jetzt beispielsweise einen Vertrag hätten, um dann anschließend hinnehmen zu müssen, dass die Iraner doch atomar aufrüsten dürfen, Uran anreichern dürfen. Deshalb sind sie dagegen, dass die Sanktionen, die da beschlossen worden sind, die Iran ja ziemlich massiv treffen, sonst wären die ja zu Verhandlungen gar nicht bereit, nicht aufgehoben werden.
Müller: Die Alternative wäre ja, dass alles im Geheimen, alles verdeckt abläuft, ohne Kontrollmöglichkeiten, ohne internationale Augen, die da mal draufschauen können.
Kinkel: Da bin ich dagegen, und zwar massiv, gerade beim Iran. Was vereinbart wird - und das wissen die Amerikaner natürlich sehr genau, das wissen auch die anderen Beteiligten, das weiß auch Steinmeier sehr genau, er hat sich ja in den letzten Tagen auch dahingehend geäußert -, das muss wirklich habhaft und nachvollziehbar sein, transparent und nachprüfbar.
"Sanktionen sind notwendig, wenn man kein anderes Mittel hat"
Müller: Sanktionen, Klaus Kinkel, waren auch immer heftig umstritten, ist generell heftig umstritten. Wir reden ja auch sehr kontrovers über die Russland-Sanktionen derzeit. Iran-Sanktionen - ist das wichtig für die Bevölkerung gerade dort im Iran, die ja sehr, sehr stark gelitten hat, endlich von diesen Sanktionen auch befreit zu werden, von Aufschwung, von Perspektive profitieren zu können, um dann vielleicht auch zu einer Veränderung des Klimas im Iran beitragen zu können?
Kinkel: Ganz zweifellos ja. Man hat ja in den letzten Tagen im Fernsehen und auch im Rundfunk immer wieder Stimmen gehört von der iranischen Bevölkerung, wie sie sich äußert. Die Beschränkungen im Finanzbereich, die Beschränkungen im Öl- und Erdgasbereich, die Beschränkungen beim Bau von Öltankern, insbesondere die US-Sanktionen, die drücken natürlich mächtig, und ich wiederhole: Diese Sanktionen, die nie zu einem endgültigen Ergebnis führen können - das zeigen andere Beispiele ja auch, das wird ja jetzt auch in der Ostukraine zu beachten sein -, sind manchmal notwendig, weil man kein anderes Mittel hat.
Müller: Können wir, sobald die Unterschrift gesetzt wird, falls sie gesetzt wird, dem Iran vertrauen?
Kinkel: Wir werden keine andere Möglichkeit haben. Es wird darauf ankommen, was da drinsteht in einem solchen Vertrag, in einem solchen Abkommen, und insbesondere auch - und da wiederhole ich mich auch -, was die Transparenz und die Überprüfungsmöglichkeiten anbelangt. Ich würde sagen, dass man im internationalen Verkehr auch dem Iran bei einem solchen Abkommen vertrauen können muss und auch vertrauen muss. Das ist schon meine Meinung. Ich habe ja da nun meine eigenen Erfahrungen gehabt.
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