Christiane Kaess: Andreas Jedamzik ist Vize-Landesvorsitzender der Feuerwehr-Gewerkschaft in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
Andreas Jedamzik: Guten Morgen!
Kaess: Herr Jedamzik, ist Ihnen das auch schon passiert, dass Sie angegriffen wurden?
Jedamzik: Ja, ich selber habe das in meiner Zeit bei der Feuerwehr auch schon erleben müssen leider, dass wir Silvester mit Raketen beschossen wurden oder mit Böllern beschmissen wurden. Außerdem kommt es natürlich das ganze Jahr über vor, dass man verbal angegangen wird in verschiedensten Situationen, so wie es sich auch in dieser Studie widerspiegelt, also das ist egal, welche soziale Schicht man da nimmt oder ob man da jetzt, sage ich mal, Leute mit der deutschen Staatsbürgerschaft oder mit Migrationshintergrund nimmt, da mache ich keine Ausnahme. Also es ist egal, wer. Wir haben da vom gebildeten Professor, der sich vielleicht zugeparkt fühlt mit dem Rettungswagen oder dem Feuerwehrauto und dann auf uns losgeht verbal oder körperlich, als auch von der Großfamilie, die uns da bedrängt, haben wir alles.
Wenn es kritisch wird, bleibt nur der Rückzug
Kaess: Wie reagieren Sie da in solchen Situationen?
Jedamzik: Wenn es, sage ich mal, sehr, sehr kritisch wird, so wie es damals Silvester war, wo ich es selbst erfahren habe, beschossen zu werden, dann kann man eigentlich wirklich nur den Rückzug vornehmen. Wir wurden da auch von dem Vorgesetzten alle in eine sichere Position hinter ein Fahrzeug gebracht und haben uns praktisch, wie Tiere es machen, auf einen Haufen zusammengerauft und haben gehofft, dass es uns nicht trifft und gewartet, bis die Polizei dann die Lage etwas entschärft hatte, weil es natürlich in so Situationen sehr, sehr kritisch ist, wenn wir als auch nicht die gesetzgebende Kraft oder die ausführende Kraft dann gegen solche Leute vorgehen.
Kaess: Diese Situation an Silvester, wie ist das genau abgelaufen?
Jedamzik: Wir sind zu einem Kellerfeuer gerufen worden, und der erste Trupp ist dann ins Kellerfeuer vorgegangen, und als dieser Trupp genau in der Kelleretage angekommen war, flogen auf einmal die Böller und die Raketen aus zwei, drei Meter Entfernung, man hat Feuerwerksbatterien geschultert und hat sie dann auf Kopfhöhe auf uns abgegeben, und daraufhin mussten wir alle unsere Position verlassen - der Trupp war erst mal kurze Zeit ohne Beaufsichtigung -, und mussten dann erst mal zusehen, dass wir alle in Sicherheit sind, aber es ist natürlich ein sehr, sehr unschönes Gefühl.
Warum tut man sowas?
Kaess: Was haben Sie damals in der Situation gedacht?
Jedamzik: Warum man sowas tut. Ich sage mal, die Leute sehen, dass da schwarzer Rauch aus den Kellerfenstern kommt, sie wohnen wahrscheinlich teilweise selber in diesem Haus, und denen müsste ja bewusst sein, dass wir kommen, um das Feuer in ihrem Keller zu löschen und ihr Hab und Gut zu retten und eventuell ihr Leben auch zu schützen, wenn noch Leute im Haus sind. Und dass man dann auf uns schießt, ich glaube, das sollte jedem klar sein, egal, ob man nüchtern ist, ob man was getrunken hat, dass das in dem Moment nicht die richtige Reaktion ist.
Kaess: Haben Sie das danach noch rausgefunden, warum das passiert ist?
Jedamzik: Nein. Also es kam natürlich zu einer Verhandlung. Es gab auch mehrere verletzte Polizisten, weil das sehr, sehr eskaliert ist an dieser Einsatzstelle. Wir konnten das Feuer trotzdem natürlich nachher auch löschen und haben da von der Polizei Unterstützung gekriegt, aber wie gesagt, es gab mehrere verletzte Polizisten, verletzte Kollegen von uns, und ich sage mal, da wurde nie genau geklärt, weil das auch eine Riesenmenschenmasse war. Wer jetzt wo was gemacht hat oder warum er es getan hat, das ist für uns manchmal unerklärlich.
Ein mulmiges Gefühl ist immer dabei
Kaess: Inwiefern beschäftigt Sie das im Kollegenkreis?
Jedamzik: Ich sage mal, man redet da heute noch drüber. Das ist jetzt auch schon ein paar Jahre her, dass das Silvester, sage ich mal, bei uns auf der Wache passiert ist. Wie man dieses Jahr sieht, das ist das eine Jahr in der Großstadt, das andere in der Großstadt oder auch auf irgendeinem Dorf. Also das ist ja auch unvorhersehbar für uns Einsatzkräfte, wo es das nächste Mal zuschlägt.
Mittlerweile muss man ja wirklich sagen, dass man, wie der Kollege aus dem Rheinland es da auch geschildert hat, man jedes Mal in so eine Situation geht oder gerade in Problemvierteln dann in die Gedanken kommt, erreicht es mich heute oder passiert es heute, und man immer diesen Hintergedanken hat, und man redet schon viel da drüber, hat auch psychosoziale Unterstützung vom Dienstherrn, aber ich sage mal, ich fände es schöner, wenn es gar nicht passieren würde.
Kaess: Diese Möglichkeit, immer angegriffen zu werden, was macht das mit Ihnen, wenn Sie zur Arbeit gehen?
Jedamzik: Es ist teilweise ein mulmiges Gefühl, auch die Frau zu Hause, wenn die Kinder warten und die Frau zu Hause sitzt oder umgekehrt bei unserer Kollegin der Mann mit den Kindern, die haben natürlich auch immer ein unwohles Gefühl, wenn die teilweise mitbekommen, ich sage mal, ein Großteil von uns erzählt natürlich wenig zu Hause, aber über die Medien bekommen sie es ja auch mit, ist das natürlich schon ein unwohles Gefühl, und wenn ich mich bis zu einer gewissen Uhrzeit auch nicht gemeldet habe aus dem Dienst mal zu Hause, dann sagt meine Frau jedes Mal, dass sie sagt, irgendwie habe ich immer dann Angst - ist jetzt was passiert? Also es ist schon was, was die ganze Familie auch beeinflusst.
Kampagne "Respekt? Ja - Bitte!"
Kaess: Jetzt haben Sie mir im Vorgespräch gesagt, Sie sind schon sehr lange im Dienst. Haben Sie den Eindruck, so wie das jetzt in dieser Studie aus Bochum belegt wird, dass die Übergriffe brutaler werden?
Jedamzik: Ja, also die Hemmschwelle ist stark gesunken, und deswegen sagen wir auch von der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft, wir haben da vor einem Jahr die Kampagne "Respekt? Ja - Bitte!" ins Leben gerufen und dazu einen Clip aufgenommen, dass wir sagen, wehret den Anfängen, und versuchen auch, Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren, weil es ist wirklich so, diese verbalen Attacken oder aggressiv-verbalen Attacken waren früher schon so, dass man dann aufgeschrien hat und gesagt hat, hör mal, das geht nicht, und heute ist das das Tagesgeschäft, möchte ich bald sagen, und dass Kollegen sagen, ja, soll ich dafür jetzt an dieser Studie teilnehmen oder soll ich dafür jetzt eine Meldung machen, so ungefähr, das passiert mir ja fast täglich oder wöchentlich.
Von daher ist die Hemmschwelle schon einmal bei den Tätern gesunken oder Täterinnen und bei den Kollegen ist es auch einfach so, dass man mittlerweile wirklich nur noch von Aggressivität oder Gewalt gegen einen spricht, wenn es dann körperlich schon wird oder Kollegen wirklich dienstunfähig werden.
Kaess: Warum, glauben Sie, ist dieser Respekt nicht mehr da? Können Sie sich da eine Erklärung vorstellen?
Jedamzik: Das ist für uns wirklich schwer nachvollziehbar, und wir haben uns natürlich auch bei der Kampagne die Frage gestellt, wo kommt das her. Wir haben selber auch eine Frau Doktor, die eine Studie deutschlandweit in mehreren Großstädten dazu gemacht hat, die uns auch begleitete bei dieser Kampagne und auch von uns natürlich die Rückmeldung aufnimmt, an dieser Studie der Ruhr-Uni Bochum habe ich auch selbst teilgenommen.
Wir selber haben jetzt am 10. die Vorstellung der dritten Landesgruppe über diesen Film, wo wir uns jedes Mal, auch jede Landesgruppe, die dann mit ihren eigenen Politikern die Kampagne weiterträgt und weiteretabliert, da stellen wir uns die Frage, woran liegt es, liegt es auch in unterschiedlichen Bundesländern oder unterschiedlichen Regionen oder Gesellschaftsgefällen an unterschiedlichen Sachen.
Ein Großteil ist natürlich Alkohol oder Drogen, die ja immer wieder, weil sie die Sinne nehmen, mit im Spiel sind. Aber teilweise kommt es auch von Leuten, die nüchtern sind und eigentlich bei Sinnen sein sollten. Unerklärlich.
Gesetze auch durchsetzen
Kaess: Herr Jedamzik, was würden Sie sich wünschen zu Ihrem Schutz? Es hat ja schon verschiedene Initiativen gegeben, die Strafen sind im letzten Jahr verschärft worden, es hat offenbar noch nicht so viel gebracht. Die Studie der Ruhr-Universität Bochum, die sagt sogar, das bringt nichts, denn diese Täter, die handeln einfach völlig irrational. Glauben Sie trotzdem, würden Sie sich trotzdem härtere Strafen wünschen und hoffen auf Abschreckung?
Jedamzik: Also wir haben das letztes Jahr aufgenommen, dass man natürlich da den Schutz für uns vom Gesetzgeber her durch schärfere Gesetze erhöht hat, dazu muss man allerdings auch sagen, wir hatten ja auch vorher schon gewisse Gesetze, die man hätte umsetzen können.
Was wir immer wieder feststellen, auch in den Rückmeldungen der letzten Tage, die zu uns gekommen sind bundesweit, dass Verfahren eingestellt werden, dass man da überhaupt gar nicht ermittelt, dass die Kollegen teilweise privatrechtlich weiterklagen, auch bei körperlicher Gewalt, wo es darum geht, dass die Kollegen teilweise mehrere Wochen oder Monate außer Dienst waren, dass da einfach nicht weiter ermittelt wird.
Wir fordern, dass man nicht nur die Gesetze anpasst, wie es letztes Jahr passiert ist, sondern dass von Richtern und Staatsanwälten da rigoros diese Gesetze auch verhängt werden, obwohl wir da auch durch Kontakte mit Rechtsanwälten, die bei dieser Studie mit dabei waren natürlich, und Richtern gehört haben, jetzt hat man die Latte mit fünf Jahren Gefängnis noch höher gesetzt, wo natürlich auch für die Richter oder Staatsanwälte wahrscheinlich diese Bestrafung in dem Maß, wie sie jetzt machen können, eher abschreckt, mal eine Strafe zu verhängen, anstatt sie dann durchzusetzen, und wir fordern, die müssen durchgesetzt werden.
Es wird nicht alle abschrecken, es wird weiterhin Leute geben, die es trotzdem tun, aber vielleicht verhindert man das eine oder andere, damit so langsam jedem klar wird, das tut man nicht.
Schutzwesten nur freiwillig
Kaess: Noch kurz zum Schluss: NRW-Innenminister Herbert Reul fordert, der fordert Schutzwesten einzusetzen. Was halten Sie davon?
Jedamzik: Wir haben selber jetzt auch schon einen Bericht dazu gemacht. Wir sind seit anderthalb Jahren mit einem Schutzwestenhersteller in Kontakt. Wichtig war es uns von vornherein, dass dieses Tragen auf freiwilliger Basis passiert, genauso wie beim Fahrradfahren jemand einen Helm trägt oder nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen das freiwillig tun dürfen.
Wir finden das sehr sinnvoll, dass - und wenn ich mich nur sicherer fühle - die Kolleginnen und Kollegen das zur Verfügung gestellt bekommen. Man sollte es allerdings nicht unter Zwang tun, und wichtig ist auch, wir haben jetzt natürlich uns umgehört, dass diese Westen eine hohe Schutzwirkung haben, aber gleichzeitig auch einsatzdienstpraktisch für uns sind, also gereinigt werden können und man sich trotzdem noch bewegen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.