Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich verbunden mit Armin Schuster (CDU), Obmann im Bundestags-Innenausschuss. Herr Schuster, ist jeder Muslim mit IS-Poster ein potenzieller Terrorist?
Armin Schuster: Wir haben mit Sicherheit ein Problem damit, dass viele junge Muslime, die zu uns als Flüchtlinge zuwandern, unter Umständen erzogen sind, sozialisiert sind vielleicht sogar mit einem Feindbild über unsere westliche Welt. Das wissen wir. Wir sehen es an dem Begriff Ungläubige, der ja auch hier in dem Fall benutzt wurde. Ich glaube, dass wir beim Thema Aufklärung, auch politische Aufklärung, sehr, sehr, sehr viel mehr tun müssen, präventiv tun müssen, um gerade diese jungen Menschen, die ja Halt suchen in einer völlig fremden Umgebung, oft ohne Eltern, um denen eine Orientierung zu geben, und das kann nicht, das darf nicht die Orientierung sein, die sie unter Umständen in ihrer Erziehung genossen haben.
"Die Deutschen haben Sorgen, was ihre persönliche Sicherheit anbelangt"
Heinrich: Was macht dieser Fall mit der Wahrnehmung von Anschlägen in unserem Land?
Schuster: Na ja, ich bin jetzt nicht so besorgt, als dass man jeden Tag 50 Mal wiederholen müsste, dass man jetzt nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren darf. Ich glaube, das ist auch ziemlich normal. Ich halte das schon für eine eher dreiste Unterstellung, dass jemand, der über so einen Fall realistisch und konsequent spricht, damit nicht gleichzeitig auch alle Flüchtlinge meint. Das ist Quatsch. Was es aber mit dem Land macht ist ganz sicher Sorgen. Die Deutschen haben Sorgen, was ihre persönliche Sicherheit anbelangt. Das wissen wir. Da gibt es starke Veränderungen bei den Befindlichkeiten. Und dass Amokläufe oder Terroranschläge sich auf das Sicherheitsgefühl auswirken, ist völlig klar, und das ist auch eine Aufgabe von Politik, darauf zu reagieren.
Heinrich: Wie wollen Sie denn verhindern, dass diese Sorgen nicht auf eine bestimmte Gruppe, in dem Fall die Muslime in Deutschland überschwappen?
Schuster: Erstens würde ich mir mal wünschen, jetzt endlich, bevor immer wir an uns andressieren - wir tun ja schon sehr viel -, ich würde mir endlich mal wünschen, dass die muslimischen Verbände klar bekunden, wo sie stehen, und auch klar Position beziehen. Ich denke, es ist unglaublich wichtig, dass jetzt gerade unsere muslimischen Mitbürger, mit denen wir ja überhaupt keine Probleme haben, aber auch mal zur Deradikalisierung, zur Prävention mit beitragen. Wir selber, wir haben schon in der Bundesregierung sehr viel gemacht. Wenn Sie die aktuelle Problemlage sehen, dann trifft das Integrationsgesetz, was wir vor drei Wochen beschlossen haben, genau auf den Punkt. Unsere Arbeit ist ganz einfach, schneller und besser integrieren, und zwar die Menschen, die bleiben, aber auch - das muss ich auch sagen - konsequent uns von den Menschen auch wieder zu verabschieden, die nicht bleiben dürfen. Wir brauchen unsere volle Konzentration darauf, jeden einzelnen Fall, den wir haben, jeden Flüchtling, den wir haben, so individuell wie möglich zu fördern und uns nicht damit zu belasten, Menschen integrieren zu wollen, die gar keine Bleibeperspektive haben.
Heinrich: Sie sprechen die muslimischen Verbände an. Warum ist da aus Ihrer Sicht bisher zu wenig gekommen?
Schuster: Weil sie, glaube ich, innerlich selbst zerrissen sind. Ich habe den Eindruck, und das sieht man an der aktuellen Erdogan-Debatte, dass wir in Deutschland - ich nehme jetzt beispielsweise eine Stadt wie Berlin -, dass da auch ein Riss durch die muslimische Gemeinde geht. Die Aleviten, die Sunniten, die, die Erdogan befürworten, die, die ihm entgegenstehen. Ich glaube, dass auch bei den muslimischen Verbänden eine klare Haltung jetzt diskutiert werden muss und auch bekundet werden muss. Wir Deutschen müssen darauf vertrauen, dass unsere Grundrechte gelten und dass die freie Gesellschaft, so wie wir sie leben, nicht zur Disposition gestellt werden kann, und da würde ich mir gerne etwas mehr Rückendeckung und Flankenschutz erbitten von denen, die zu uns zugewandert sind, die positive Erfahrungen gemacht haben und jetzt Vorbild sein können.
Heinrich: Lassen Sie uns kurz auf den Fall nahe Würzburg zurückkommen. Die SEK-Beamten, die den Täter dann erschossen haben, waren nur zufällig in der Nähe. Gibt es bald Polizeisondereinheiten in jedem Zug in Deutschland?
Schuster: Ich bin nicht dafür, dass wir Polizeisondereinheiten in jedem Zug in Deutschland einsetzen. Aber Deutschland hat sehr lange im Bereich der inneren Sicherheit von der Substanz gelebt. Das ist ein bisschen so eine Neigung in unserer Gesellschaft. Wenn die Dinge gut laufen, und sie waren jahrelang gut, dann wird bei der Polizei auch gerne mal gespart. Das haben wir im Bund jetzt seit drei Jahren umgekehrt. Wir investieren stark in die Nachrichtendienste, wir investieren stark in die Polizei. Und ich sage Ihnen ganz offen: Ich brauche nicht in jedem Zug ein Sondereinsatzkommando. Aber ich glaube, dass die Bürger eine bestimmte Erwartung haben an polizeiliche Präsenz im Sinne von polizeilicher Ordnung und Sicherheit, und diese Präsenz, diese Polizeidichte, die haben wir nicht mehr. Die muss erhöht werden.
Und der zweite Aspekt, der gilt übrigens auch für das Thema Flüchtlinge. Ich würde mir wünschen, dass die Sanktionskette, die Tat wird begangen, die Polizei greift zu, es gibt gerichtliche Aburteilung und dann folgt auch die Vollstreckung auf dem Fuße, diese Sanktionskette muss wieder wirken, damit der Staat sich Respekt zurückholt, der ein Stück weit verloren gegangen ist. Ich möchte nicht Menschen aus Polizeirevieren mit einem Pfeifen auf den Lippen herausmarschieren sehen, wenn sie gerade einen Ladendiebstahl begangen haben. Hier sind wir nicht mehr konsequent genug. Darauf kommt es an.
"Der Deutsche Polizeibeamte ist auf Nichtschießen gedrillt"
Heinrich: Wir sind bei der Polizei. Renate Künast hat für Aufsehen gesorgt. Sie hat bei Twitter kritisiert, dass der Täter erschossen wurde. Herr Schuster, Sie waren Polizist. Was geht im Kopf eines Beamten in so einer Extremsituation vor?
Schuster: Polizeibeamte sind auf solche Extremsituationen zum Glück in Deutschland unglaublich gut trainiert, ich würde fast sagen gedrillt. Und das Entscheidende ist: Der Deutsche Polizeibeamte ist auf Nichtschießen gedrillt. Die meiste Zeit der Ausbildung wird sich damit beschäftigt, wie vermeide ich den Schuss als Thema Verhältnismäßigkeit. Wenn ein Polizist zur Schusswaffe greift in Deutschland, dann können Sie davon ausgehen, dann ist es wirklich für ihn lebensbedrohlich oder für einen anderen. Deswegen - jetzt antworte ich mal als Politiker: Die sprachliche Inkontinenz von Frau Künast ist auch nicht schlecht. Dann weiß jedenfalls jeder im Land, wie die innere Kultur der Grünen, wie es darum bestellt ist. Das geht ja nicht nur um solche Tweets. Es geht ja auch darum, dass man sich über die Rigaer Straße in Berlin nie geäußert hat, etc. Die Grünen müssen eine Position finden zum Thema Sicherheit und Sicherheitsbehörden. Die kann ich nicht erkennen. Für mich stellen sie fast ein Risiko da.
Heinrich: In einfachen Worten: Sie fanden den Tweet total daneben?
Schuster: Na ja, das ist noch stark untertrieben. Ich erkenne da aber eine Art von Verharmlosung und Überbemutterung von Flüchtlingen, die die übrigens selber gar nicht wollen. Ich würde mich darüber freuen, wenn wir in unserem politischen Alltag mal zu einem gewissen Realismus kämen und auch Flüchtlinge behandeln wie den ganz normalen deutschen Mitbürger. Ich muss nicht ständig unterstellen, dass der deutsche Staat gegenüber denen in irgendeiner Weise nicht fair auftritt. Ich kenne kein anderes Land der Welt, was eine solch humanitäre Leistung vollbringt wie wir. Da dürfen wir stolz sein und wir müssen auf gar keinen Fall auf uns selbst misstrauisch werden.
Heinrich: Hinterfragen schadet trotzdem nicht. Armin Schuster, Obmann im Innenausschuss des Bundestages. Vielen Dank für das Gespräch.
Schuster: Danke Ihnen!
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