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Attica Scott zur Polizeigewalt in den USA
"Die Polizei ist für schwarze Menschen kein Weg zur Gerechtigkeit"

Die Demokratin Attica Scott hat den strukturellen Rassismus gegen Schwarze bei der US-amerikanischen Polizei scharf kritisiert. Im Dlf sagte sie, Hass könne man nicht wegtrainieren. Sie forderte unter anderem: gewalttätige Beamte sofort zu entlassen und Einsätze von Würgegriffen zu verbieten.

Attica Scott im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Attica Scott ist politisch aktiv.
Attica Scott kämpft als Politikerin und Aktivistin für die Rechte von Schwarzen in den USA und setzt sich für eine radikale Reform der Polizei ein (Deutschlandradio/Jasper Barenberg)
Seit dem Tod von George Floyd wird in den USA intensiv über Polizeigewalt gegen Schwarze und strukturellen Rassismus diskutiert. George Floyd war bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis getötet worden. Ein Polizist hatte sein Knie fast neun Minuten in den Nacken des 46-Jährigen gedrückt. Der Vorfall hat Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in vielen Städten der USA und in der Folge auch im Ausland ausgelöst und immer mehr Berichte über Morde an Schwarzen US-Amerikanern durch weiße Polizeibeamte an die Öffentlichkeit gebracht.
Auch in Kentucky gibt es seit Wochen Proteste gegen die Polizei. Dort wurde im März die 26-jährige Breonna Taylor in ihrer Wohnung von weißen Polizisten getötet - mit insgesamt acht Schüssen. Die Polizisten hatten die Wohnung gewaltsam gestürmt - allerdings aufgrund einer Verwechslung.
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
Die Demokratin Attica Scott wurde vor vier Jahren ins Parlament des Bundesstaates Kentucky gewählt. Sie war damit seit 20 Jahren die erste Schwarze in diesem Gremium. Dort kämpft sie gegen das, was sie aus ihrer Heimatstadt Louisville kennt, der größten Stadt in Kentucky: die umfassende Benachteiligung von Afroamerikanern und anderen Minderheiten.
Englisch Version of the Interview with Attica Scott

Attica Scott hat sich den Protesten gegen Polizeigewalt angeschlossen. Jasper Barenberg hat sie nach den Gründen für ihre Teilnahme gefragt:
Attica Scott: Ich denke, es ist wichtig, dass die Leute wissen, was mit Breonna Taylor passiert ist, einer 26-jährigen Notfallsanitäterin, die von der Polizei mit acht Schüssen in ihrem Bett ermordet wurde. Sie brachen die Tür zu ihrer Wohnung auf – auf der Suche nach jemandem, der tatsächlich bereits festgenommen worden war. Aufgrund dieser juristischen und polizeilichen Fehler wurde Breonna umgebracht. Das geschah am 13. März, vor drei Monaten, und bis heute wartet man darauf, dass die Polizisten für diesen Mord verhaftet werden. Noch gab es keine wirklichen Konsequenzen für diese Beamten.
Deshalb protestieren die Menschen nun seit 17 Tagen in Folge – seit letztem Freitag jeden Tag 24 Stunden lang. Wir fordern momentan also immer noch Gerechtigkeit von Seiten des Bürgermeisters und des Generalstaatsanwalts von Kentucky.
"Ohne Vorwarnung warfen sie Tränengas-Granaten"
Jasper Barenberg: Es gab Zusammenstöße mit der Polizei und auch mit der Nationalgarde. Sie haben das sogar persönlich erlebt.
Scott: Ja! Am zweiten Tag der Proteste ging ich mit meiner Tochter und einer guten Freundin dorthin. Wir kamen gegen halb sechs Uhr abends an. Es war noch hell draußen. Die Leute waren aktiv, indem sie sich zum Beispiel auf die Straße legten, sich an den Händen hielten, Sprechchöre riefen, gemeinsam marschierten – alles was man tun kann, um Gerechtigkeit zu fordern. Wir waren ungefähr fünf Stunden vor Ort, als ganz plötzlich die lokale Polizei zusammen mit der Polizei des Bundesstaates und der Nationalgarde, die der Gouverneur in die Stadt gerufen hatte, sich um uns herum aufbaute und anfing, uns zu schlagen. Wir machten uns große Sorgen um unsere Sicherheit, weil wir ja wussten, dass es keinen Grund für diese Gewalt gab, und ohne jede Vorwarnung warfen sie plötzlich Tränengas-Granaten auf uns, schossen mit Pfefferspray auf die Menschen und es entstand totales Chaos – nicht wegen der Demonstranten, sondern wegen der Polizei. Das war absolut beängstigend.
Barenberg: Was halten Sie von der Reaktion der Polizei auf die Proteste?
Scott: Ein Grund für diesen Polizeieinsatz war der Versuch, schwarze Menschen unter Kontrolle zu halten. Breonna Taylor, die ermordet wurde, war ja eine junge schwarze Frau und deshalb waren die schwarzen Menschen hier so wütend. Wir hatten es satt, dass immer wieder welche von uns umgebracht wurden – von denjenigen, die wir dafür bezahlen, dass sie uns schützen und helfen sollen. Ein Grund war der Versuch, uns zu kontrollieren. Der andere bestand in fehlerhaften Entscheidungen sowohl des Bürgermeisters von Louisville als auch des Gouverneurs von Kentucky, die gemeinsam die State Troopers und die Nationalgarde gerufen hatten. Das war komplett unnötig.
Die Menschen hatten ganz klare Forderungen und der Bürgermeister hätte ihnen einfach nur zuhören müssen. Stattdessen wollte er uns zum Schweigen bringen, indem er all diese militarisierte Polizei heranholte – gegen seine eigene Bevölkerung, die ihn gewählt hatte.
"Die Polizei wurde nicht geschaffen, um schwarze Menschen zu schützen"
Barenberg: In der Zwischenzeit wurde der Polizeichef von Louisville gefeuert. Es gibt Debatten über andere Regeln für die Polizei – zum Beispiel, wenn es um Haftbefehle geht. Ist das für Sie ermutigend?
Scott: Ehrlich gesagt hatte der Polizeichef bereits bekannt gegeben, dass er aufgrund des ganzen Drucks am 1. Juli zurücktreten wollte. Der Bürgermeister hat ihn also 29 Tage, bevor er ohnehin gegangen wäre, gefeuert. Das ist nichts, was mir und vielen anderen nun besonderen Grund zum Feiern geben würde.
Auf der anderen Seite freuen wir uns sehr darüber, dass der Stadtrat von Louisville, dem ich ja früher auch angehört habe, nicht mehr das Recht hat, ohne anzuklopfen Verhaftungen durchführen zu lassen. Das heißt: Die Polizei kann einem nun nicht mehr ohne Vorwarnung die Tür aufbrechen. Das feiern die Leute.
Das muss nun auf die Ebene des Bundesstaates ausgeweitet werden, weil schwarze Menschen aus allen Bezirken davon betroffen sind. Wir müssen sicherstellen, dass diese Praxis nirgendwo in Kentucky mehr so angewendet wird.
Außerdem wollen wir nach wie vor, dass die Polizeibeamten, die Breonna Taylor ermordet haben, entlassen werden. Wir wollen weiterhin, dass die Bürgermeister der Polizei Gelder kürzen, denn die Polizei ist entstanden mit dem Ziel, die Menschen in der Sklaverei zu halten. Sie wurde nicht geschaffen, um schwarzen Menschen zu dienen oder sie zu schützen. Wir haben gesehen, wie sie schwarze Menschen in der Bürgerrechtsbewegung angegriffen haben, wie Teile der Polizei auch Mitglieder des Ku-Klux-Klan waren, wie sie öffentlich schwangere schwarze Frauen gelyncht haben. Die Polizei ist für schwarze Menschen kein Weg zur Gerechtigkeit.
"Wir müssen weiter Druck ausüben"
Barenberg: Es gibt den Ruf nach Reformen jetzt überall im Land. In Minneapolis zum Beispiel hat der Stadtrat sogar verlangt, die Polizei aufzulösen und ganz neu aufzustellen. Es gibt Initiativen in anderen Städten und es gibt ja auch Beispiele für eine andere Polizeiarbeit. Sind Sie optimistisch, dass es dieses Mal tatsächlich Veränderungen geben wird?
Scott: Ich bin den Menschen überall auf der Welt so dankbar, die für schwarze Menschen auf die Straße gegangen sind. Dieser Druck bringt Städte und Bundesstaaten in den USA dazu, einmal wirklich darüber nachzudenken, wie die Polizeiarbeit in diesem Land abläuft. Also ja, ich habe wirklich Hoffnung, dass Veränderungen überall im Land stattfinden können.
Wenn wir den Leuten zuhören, die am direktesten von Polizeigewalt betroffen sind, und den Communities, die seit Jahrzehnten immer wieder aufstehen, seit diese Institution von Jägern geschaffen wurde, diese Systeme, die nicht für uns kreiert wurden. Ja, ich habe Hoffnung, weil ich sehe, was diese Proteste erreichen können.
Wir müssen weiterhin Druck ausüben. Wir können jetzt nicht aufhören. Wir müssen weitermachen.
"Das war einfach zu viel"
Barenberg: Es gab in der Vergangenheit immer wieder brutale und tödliche Polizeieinsätze. Was ist dieses Mal anders?
Scott: Eine ganze Reihe an Faktoren trägt zur Veränderung bei. Einer davon ist, dass wir über einen Zeitraum von 30 Tagen überschwemmt wurden mit Videos und Audios von Polizisten, die schwarze Menschen ermorden – sei es Breonna Taylor oder David McAtee hier in Louisville, George Floyd oder Ahmed Aubrey. Das war einfach zu viel! Hier zeigt sich, wie die Menschen das publik machen, diese Taten festhalten und der Welt mitteilen, ihre Botschaft bekannt machen. Das ist wichtig.
Was sich auch verändert hat ist, dass die Menschen weltweit mit uns und für uns aufstehen. Das kann niemand ignorieren. Alle zusammen haben es möglich gemacht, dass die Politiker oder Entscheidungsträger nicht mehr ignorieren können, was hier momentan passiert, und es ist entscheidend, dass es klare Forderungen nach neuen Regelungen und Gesetzen gibt, die alle Protestierenden stellen. Es kann also kein gewählter Volksvertreter mehr leugnen oder ignorieren, dass es eindeutige Maßnahmen gibt, die auf lokaler, bundesstaatlicher und landesweiter Ebene eingeleitet werden können. All das zusammen bringt uns hierher.
"Keine Würgegriffe mehr"
Barenberg: Und welche konkreten Forderungen liegen gerade auf dem Tisch?
Scott: Eine Forderung ist definitiv, die Polizisten mit sofortiger Wirkung zu entlassen, die ungestraft schwarze Menschen ermordet haben. Wir haben das jetzt in Atlanta gesehen, wo die Bürgermeisterin den Beamten sofort entlassen hat, der einen Schwarzen, der vor ihm weglief, kaltblütig in den Rücken geschossen hatte.
Eine weitere Maßnahme, die gefordert wird, ist, diesen Polizeiapparaten die Gelder zu streichen. In Louisville fließen zum Beispiel zwei Drittel unseres Budgets in die Polizei und deren Militarisierung. Das muss aufhören. Das ist eine klare politische Forderung. Keine Verhaftungen mehr ohne anzuklopfen, eine weitere klare Forderung. Schulen müssen ihre Verträge mit der Polizei beenden. Keine Würgegriffe mehr, keine tödlichen physischen Festhaltetechniken. Das sind alles Forderungen, die klar und durchführbar sind, und selbst wenn sie noch utopisch erscheinen, müssen sie gestellt werden, weil wir uns jetzt nicht erlauben können, klein beizugeben und nur um schrittweise Veränderungen zu bitten, die nirgendwo hinführen.
"Man kann Hass nicht wegtrainieren"
Barenberg: Die Polizei in den USA ist föderal organisiert, aber auch in Washington DC wird das Thema jetzt aufgegriffen. Die Demokraten arbeiten an einem Gesetz, die Republikaner im Senat wollen Vorschläge machen. Dabei geht es um Fehlverhalten von Polizisten, um ihre Ausbildung, es geht um Transparenz in Fällen, wo es Schwerverletzte gibt oder gar Tote – Deeskalationstraining. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es in den nächsten Wochen einen Kompromiss über Parteigrenzen hinweg geben wird?
Scott: Washington ist so zerrüttet, dass ich nicht ganz überzeugt davon bin, dass es wirklich zu einem Kompromiss kommen wird – leider. Deshalb muss ein so großer Teil dieser Arbeit auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene stattfinden, wo man eher sofortige Veränderungen durchsetzen kann. Was mir Hoffnung gibt ist die Arbeit auf lokaler und regionaler Ebene.
Außerdem gehen einige der Forderungen, die an Washington gerichtet sind, nicht so weit wie die regionalen Forderungen, wie die Definanzierung der Polizei. Man kann Hass nicht wegtrainieren, Rassismus nicht wegschulen. Wir haben erlebt, wie Polizeibeamte Deeskalationstrainings durchlaufen haben und uns am Ende trotzdem umbringen. Training funktioniert also nicht immer – besonders, wenn es nur ein achtstündiger Kurzlehrgang ist, als ob acht Stunden genug wären.
Barenberg: Sie sagen, warten wir nicht auf Entscheidungen aus Washington, lasst uns vor Ort beginnen. Was wird in den nächsten Monaten passieren?
Scott: Ich erwarte, dass Städte überall im Land dem Vorbild von Minneapolis folgen werden, dass sie anfangen werden, ernsthafte Gespräche darüber zu führen, was es bedeutet und wie es ablaufen kann, die Polizei zu definanzieren. Wir werden sehen, dass immer mehr Schulbehörden ihre Verträge mit der Polizei überdenken. Es wird auf bundesstaatlicher Ebene mehr Regelungen zur Abschaffung der no knock warrants geben, der Verhaftungen, ohne anzuklopfen. Es wird unabhängige Untersuchungen von Erschießungen durch die Polizei geben, mehr Bürgergremien, die in der Lage sind, Polizeibeamte vor Gericht zu bringen. – Wir werden immer mehr Städte und Bundesstaaten sehen, die diese Maßnahmen prüfen, darüber sprechen und diese Gespräche schließlich in Taten umwandeln werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.