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150. Geburtstag des Illustrators
Aubrey Beardsley – ein Titan des Fin de Siècle

Schon als Kind litt Aubrey Beardsley an Schwindsucht, an der er mit nur 25 Jahren verstarb. In seinem recht kurzen Leben schuf der Grafiker tausende Werke - und schockte mit seinen teils obszönen Werken die spätviktorianische Gesellschaft. Sein Einfluss bleibt bis heute enorm.

Von Ruth Rach | 21.08.2022
 Der britische Illustrator, Dichter, Graphiker und Karikaturist Aubrey Beardsley im Jahr 1893
Der britische Graphiker Aubrey Beardsley im Alter von 21 Jahren (picture alliance / © Fine Art Images / Heritage Imag / © Fine Art Images / Heritage Images)
“Eine gebrechliche Gestalt, lang und dünn, fast nur Haut und Knochen, aber exquisit gekleidet. Er trägt einen eleganten Frack in austerngrau, perlgraue Handschuhe und einen weißen Stock, elegant, aber fast schon ein Blindenstock, als wolle er seine Gebrechlichkeit unterstreichen.”
Das Bild, von Walter Sickert gemalt, zeigt den typischen Ästheten des Fin de Siècle, sagt der Kunsthistoriker Paul Newland. Einen Dandy, der sich selbst inszeniert, im Zwielicht zwischen Dekadenz und Tod.

Hang zum Pathos und Grotesken

Das Portrait von Aubrey Beardsley entstand 1894 auf einer Gedenkfeier für John Keats, dem Dichter der Romantik, der mit 25 an Tuberkulose starb. Am 16. März 1898 stirbt Aubrey Beardsley, ebenfalls an Schwindsucht. Eine Krankheit, an der er seit seiner Kindheit leidet. Auch er wird nur 25 Jahre alt.
Beardsley ist ein Frühtalent: er komponiert Musik, karikiert Lehrer, inszeniert ein Theaterstück. Mit 16 geht er von der Schule ab, arbeitet in einem Londoner Architektenbüro, in einer Versicherung. Und pflegt ein Selbstbild, das seine Vorliebe fürs Groteske und Theatralische zeigt.

“Wenn ich nicht grotesk sein darf, bin ich nichts.”

“Ich bin jetzt 18, in übelster Verfassung, mein Gesicht ist fahl, das Auge hohl, das Haar lang und rot. Ich habe einen krummen Rücken und schlürfe wie ein Greis" Schreibt er in einem Brief. Später wird er sagen: “Wenn ich nicht grotesk sein darf, bin ich nichts.”

Tausende Werke innerhalb weniger Jahre

Mit 19 wird Aubrey Beardsley von dem renommierten Präraffaeliten Edward Burne-Jones entdeckt. Der empfiehlt ihm Abendkurse an der Westminster School of Art. Beardsley verfeinert seinen Stil. Arbeitet trotz fortschreitender Krankheit nächtelang durch, produziert innerhalb weniger Jahre tausende von Werken. Posters, Karikaturen, Illustrationen für Bücher und Zeitschriften.

Viele werden im Victoria and Albert Museum in London aufbewahrt. Dort ist Zorian Clayton Kurator für Druckkunst und Design:
“Den großen Durchbruch hatte Beardsley 1893 mit seinen Illustrationen zu Richard Wagners Oper Siegfried. Ein Meisterwerk der Zeichenkunst, die Details so fein, dass manche Linien wie perforiert wirken. Siegfried, der Held, erinnert mit seinem Schlangenhaar an eine Medusa. Seine Pose ist affektiert, theatralisch, androgyn. Das ist Beardsley pur.”

Delikate Details in Bilder geschmuggelt

Antike Vasenkunst, japanische Holzschnitte, Albrecht Dürer, der italienische Renaissance- Maler Andrea Mantegna - diese Einflüsse sind in Beardsleys Bildern unverkennbar. Angesichts der opulenten Details werden dem viktorianischen Betrachter allerdings wohl manche Grenzwertigkeiten entgangen sein, die der Künstler in seine Bilder einschmuggelte. Hier ein Penis, dort eine Vulva. Hinter einer Vorhangfalte, zwischen Girlanden.
Aber Aubrey Beardsley wird auch gerne eindeutig, vor allem in seinen Illustrationen zur griechischen Komödie Lysistrata. Manche halten sie für seine besten Werke, andere für schlichtweg obszön. Der Schriftsteller Oscar Wilde hingegen tat sie als Schülerfantasien ab. Obwohl er es Beardsleys Salome-Illustrationen verdankte, dass sein gleichnamiges Schauspiel gar so viel Aufsehen erregte Zorian Clayton:
„ Hier sehen wir das abgetrennte Haupt von Johannes dem Täufer, dessen Blut am Rande des Bildes hinuntertropft. Und Salome mit schwarzem Schlangenhaar, den Blick in lustvoller Befriedigung auf den toten Kopf gerichtet. Und die Bildunterschrift: Ich küsse dich auf den Mund.”
Auch wenn die beiden Künstler keine Freunde waren, so wurde der Fall des homosexuellen Oscar Wilde doch auch für Aubrey Beardsley zum Verhängnis. Wilde wurde 1895 wegen Unzucht ins Gefängnis gesteckt. Bei seiner Verhaftung trug er ein gelbes Buch unter dem Arm, das irrtümlicherweise für ein „Yellow Book“ gehalten wurde, eine als anrüchig geltende Literatur- und Kunstzeitschrift, die von Aubrey Beardsley mitgegründet wurde. Beardsley wurde aus der Redaktion entlassen und geriet in finanzielle Nöte. Drei Jahre später starb er im südfranzösischen Menton. Sein Stil wird bis heute bewundert und kopiert.