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"Auch der Enthüller muss sich Enthüllungen gefallen lassen"

Der Publizist und Medienkritiker Bernd Gäbler sagt, dass Günter Wallraff, der durch investigative Recherchen Missstände aufgedeckt habe und damit öffentliche Maßstäbe errichtet habe, sich selbst an diesen messen lassen müsse.

Bernd Gäbler im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 14.08.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Er hat sich einst in Griechenland angekettet, um gegen die Militärdiktatur zu demonstrieren, er hat sich als Türke Ali bei Thyssen und als Hans Esser bei der "Bild"-Zeitung eingeschlichen, um die Arbeitsmethoden dieser Betriebe von innen zu erfahren und zu enthüllen. Günter Wallraff, der im Oktober 70 wird, ist eine Galionsfigur des deutschen Enthüllungsjournalismus und als solcher auch eine Hassfigur für viele, deren Tricks er trickreich aufgedeckt hat. Jetzt aber droht ihm wieder mal Ungemach von einstigen Mitstreitern und Mitarbeitern: Einer ist jetzt mit Anschuldigungen wie Sozialbetrug, Steuerhinterziehung und Fälschung eidesstattlicher Erklärungen hervorgetreten. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt -was natürlich erstmal gar nichts heißen will, denn Ermittlungsverfahren werden auch oft eingestellt - und manche Kollegen nutzen die Gelegenheit, um über Wallraff herzufallen. Etwa Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung", dort selbst wohlbestallter Fachmann fürs Wühlen im Unter- und Hintergrund - oder auf Lateinisch: für Investigation. Dazu äußert sich jetzt der Publizist und Medienkritiker Bernd Gäbler, und als Erstes, Herr Gäbler, möchte ich aus Leyendeckers Artikel eine Frage aufgreifen: Ist Wallraff im Lauf der Jahre seinen Feinden ähnlich geworden? Diese Frage gebe ich jetzt mal gleich an Sie weiter!

    Bernd Gäbler: Das kann ich nicht so genau beurteilen! Ich würde aber mal sagen: Was grundsätzlich gilt, ist, auch der Enthüller muss sich Enthüllungen gefallen lassen! Wer öffentliche Maßstäbe errichtet, muss sich daran messen lassen! Es gilt aber auch: Wenn ermittelt wird vom Staatsanwalt aus, soll man das schreiben, wir haben ein Recht, darüber informiert zu werden, man müsste die Erwiderung kennen und es gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Ich bin ein bisschen vorsichtig bei der Psychologisierung dieser Enthüller. Da kommt mir manches doch nach einer Art Stellungskampf vor. Ich war überhaupt stilistisch von diesem Leyendecker-Artikel etwas überrascht, weil, er ist ja sonst auch der karge, an Fakten orientierte Aufklärer. Und hier schreibt er doch sehr viel über persönliche Attribute, wagt sich auf das Feld der Psychologie. Da bin ich ein bisschen skeptisch, ob das die richtige Ebene ist, wie man mit einem solchen Fall umgehen sollte.

    Müller-Ullrich: Jetzt ist natürlich die Frage, inwieweit die Tatsache, dass jemand Steuern hinterzieht, vielleicht Sozialbetrug begangen hat - das sind ja alles die Vorwürfe -, überhaupt relevant ist für die Arbeit des Enthüllungsjournalisten?

    Gäbler: Na, zunächst mal - haben Sie richtig gesagt - sind es Vorwürfe. Darum sollten wir darüber informiert werden. Das Absurdeste, was es geben könnte, wäre, wenn es so eine Art Schweigekartell der investigativen Journalisten gäbe, die sich sozusagen nicht wechselseitig irgendwelche Sachen vorhalten würden. Das ist hier auf keinen Fall der Fall. Was dann die Frage ist, ist: Wie ist das Verhältnis von Moral und Politik? Sie wissen doch selber, Herr Müller-Ullrich, Sie haben oft darüber reflektiert, dass natürlich in der breiten Öffentlichkeit lieber nachgedacht wird über das Individuum als über Strukturen, lieber über Emotionen als über Argumente, und eben auch lieber über Moral als über Politik. Und darum ist es manchmal auch viel leichter, sozusagen unnachgiebig die Integrität einer Person ständig zu prüfen, als die politischen Fragen, die er aufwirft, zu argumentieren. Also, Wallraff hat das Verdienst meines Erachtens unbedingt, immer wieder aufmerksam zu machen auf die große Fragestellung: Wenn wir uns zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickeln, ziehen wir im Schlepptau sozusagen ein großes Prekariat durch die Gesellschaft. Und er widmet sich diesen Produktionsbedingungen. Das ist verdienstvoll, das ist eine große politische Frage. Natürlich lautet dann die moralische Frage: Ist er selbst denn so gut wie sein Einsatz für diese Unterprivilegierten? Ist vielleicht sogar ein kleiner Subtext, der mitgeliefert wird, der lautet: Kann es denn überhaupt Menschen möglich sein, dass sich einer selbstlos engagiert für die Schwachen? Ist er nicht tatsächlich einer, der dies nur aus Selbstbespiegelung, Eitelkeit zu eigenem Zweck betreibt? Und über diese Debatte, da müsste man diskutieren, stärker als über die individuelle moralische Integrität, die Wallraff nun hat oder nicht hat. Wir werden es sehen, wenn am Ende irgendwelche Ermittlungsverfahren eingestellt werden oder gar es zum Verfahren kommt und Urteile gesprochen werden.

    Müller-Ullrich: In der Causa Wallraff macht es ja wohl noch einen großen Unterschied, ob ein geschundener Herr Fahnemann behauptet und möglicherweise auch belegen kann, dass er nicht gut behandelt wurde, dass möglicherweise auch Gelder geflossen sind, die nicht korrekt versteuert wurden oder jedenfalls mit Hartz-IV-Leistungen im Einklang sich nicht befanden, und auf der anderen Seite, wenn es um einen Vorwurf geht wie Fälschung, Urkundenfälschung?

    Gäbler: Sie haben völlig recht, das eine zielt sozusagen auf das eher individuelle Organisieren, ja, des Enthüllungskonzerns Wallraff, wo man vielleicht sagen kann, na, wenn da was nicht in Ordnung war, ist es vielleicht nicht so schlimm. Es wirkt auch vieles so, als sei es befeuert durch die Verbitterung dieses früheren Mitarbeiters. Die andere Sache, wenn es tatsächlich zu Urkundenfälschung in der Sache Billigbäckerei Weinzheimer, diesem Lidl-Zulieferer, kam, das geht dann wirklich an den Kern des Enthüllten und dann geht es um das journalistische Handwerk von Wallraff, da steht wirklich was auf dem Spiel!

    Müller-Ullrich: So viel zum heutigen Stand der Causa Wallraff. Das war der Publizist und Medienkritiker Bernd Gäbler.

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