Jasper Barenberg: Eine Gruppe von 50 Diplomaten und Experten der Arabischen Liga soll heute in der syrischen Hauptstadt Damaskus ihre Arbeit aufnehmen. Weitere 100 werden in den nächsten Tagen folgen. Sie sollen überwachen, ob Präsident Baschar al-Assad Ernst macht mit dem Versprechen, seine Soldaten aus den Städten abzuziehen, in denen Gegner des Regimes seit zehn Monaten auf die Straße gehen und Reformen verlangen; dass Assad Ernst macht mit dem Versprechen, politische Gefangene freizulassen und die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung einzustellen. Dabei sind seit Beginn der Proteste im März etwa 5000 Menschen getötet worden, so jedenfalls schätzen es die Fachleute der Vereinten Nationen. Was kann die Arabische Liga mit ihrer Beobachtermission erreichen? Will Staatschef Assad der Gewalt wirklich ein Ende setzen oder sind das nur weitere Winkelzüge eines uneinsichtigen Diktators? Schließlich gibt es nach wie vor die Berichte über weitere Opfer in den Hochburgen der Opposition.
Wir wollen in den nächsten Minuten darüber mit dem Autor und Manager Jürgen Todenhöfer sprechen, der einst für die CDU im Bundestag saß, später für den Burda-Konzern arbeitete und der in den vergangenen Monaten durch die Länder der Arabischen Revolution gereist ist. Zweimal auch nach Syrien, zuletzt im November, als er unter anderem mit Staatschef Assad persönlich sprechen konnte.
Er ist jetzt am Telefon, ich grüße Sie, Herr Todenhöfer!
Jürgen Todenhöfer: Hallo, guten Tag, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Todenhöfer, was kann die Beobachtermission in den nächsten vier Wochen in Ihren Augen erreichen?
Todenhöfer: Ja, sie kann Fakten sammeln, sie kann den Konflikt verobjektivieren. Ich schätze nach meinen Erfahrungen – ich war vier Wochen in Syrien –, dass über die Hälfte der Meldungen, die wir aus diesem Land bekommen von beiden Seiten, von den Rebellen und von der Regierung, falsch sind. Das heißt, wir werden permanent falsch informiert. Das hängt damit zusammen, dass es keine freien Medien mehr gibt, dass die Medien aus dem Land gewiesen worden sind. Und das hat dazu geführt, dass jetzt ständig Meldungen erfunden werden. Und deswegen ist es gut, wenn jetzt Beobachter hinkommen und über die Lage hoffentlich dann objektiv berichten können.
Barenberg: Das heißt, Sie halten auch die Meldungen – in Anführungsstrichen – der "Opposition", also verschiedener Gruppen in Syrien und außerhalb von Syrien - über die vielen Tote, auch diese Meldungen halten Sie für falsch zum Teil?
Todenhöfer: Nein, sicher, es hat Zivilisten gegeben, die demonstriert haben und die getötet worden sind. Es ist auch völlig inakzeptabel. Aber was hier im Westen nicht so bekannt ist, ist, dass es auch vonseiten der Rebellen Akte gibt, die Zivilisten töten. Und das sind Führer oppositioneller Parteien, die mir das ausdrücklich bestätigt haben. Wir haben eine – ob wir das jetzt wollen oder nicht – fast bürgerkriegsähnliche Situation in dem Land, in der Assad-Anhänger – und die sind, die Zahl dieser Anhänger ist, ob uns das gefällt oder nicht, sehr hoch – für Assad eintreten und es sehr viele Assad-Gegner gibt. Und es gibt, unter den Assad-Gegnern gibt es friedliche Demonstranten. Ich habe solche friedlichen Demonstranten selbst in Homs gesehen, ich war bei ihnen, sie haben mir geholfen, ich bin stundenlang mit ihnen zusammengewesen, aber es gibt auch Guerillakommandos der Opposition oder der Rebellen. Und es gibt auf der Seite, das heißt, auf der Seite der Opposition, es gibt aufseiten der Regierung eben auch nicht nur diejenigen, die friedlich für Assad demonstrieren, sondern es gibt gnadenlose Geheimdienste, es gibt sehr harte Sicherheitskräfte. Wir haben wirklich hier eine Lage, die sehr stark an einen Bürgerkrieg erinnert. Und ich weiß nicht, welche Kräfte stärker sind, und ich weiß auch nicht, welche Kräfte die größeren Untaten begehen.
Barenberg: Herr Todenhöfer, die bürgerkriegsähnlichen Zustände, von denen Sie sprechen: Wie lautet Ihr Urteil, wie hat sich der entwickelt? Waren nicht zuerst da die Scharfschützen des Regimes, die Scharfschützen des Geheimdienstes, die, wenn wir zum Beispiel Reportern des "Spiegel" glauben, wahllos Zivilisten auf den Straßen und ohne Warnung Zivilisten auf den Straßen töten? Und war nicht erst dann, quasi aus der Not geboren, der Punkt, an dem sich auch die Oppositionellen bewaffnen, beziehungsweise ab dem desertierende Soldaten die Waffen gegen die eigenen Truppen richten?
Todenhöfer: Ich weiß das nicht. Ich bin einer der wenigen Menschen, der zugibt, dass er bestimmte Dinge nicht weiß. Ich war zweimal in Homs, der Hochburg der Revolution. Ich war dort, wo die Revolution begonnen hat, in Daraa. Und ich glaube, dass es so ist, wie Sie geschildert haben, dass es am Anfang Demonstrationen gab, auf die die Regierung unverhältnismäßig reagiert hat. Aber dass es sehr, sehr früh Guerillakommandos gab, die im Guerillastil gekämpft haben und die teilweise auch getrennt waren von den friedlichen Demonstranten und die teilweise auch schlimme Akte begangen haben. Und es gibt Scharfschützen auf beiden Seiten. Ich sage, es ist eine schlimme Situation und ich habe Fälle gesehen, wo Zivilisten angegriffen worden sind von Rebellen. Und ich weiß von Fällen, wo Zivilisten von Geheimdiensten und Regierung angegriffen worden sind. Das heißt, es ist eine schreckliche Situation. Und ich wiederhole noch mal, in dieser Situation muss unser Ziel, wenn Sie wollen, ein dreifaches sein: Ich wünsche diesem Land, dass es bald eine Demokratie ist, ich wünsche diesem Land aber auch, dass dieser Weg zu Demokratie friedlich verläuft und dass dieses Land, drittens, dann, wenn es eine Demokratie hat und dies möglichst auf friedlichem Weg geschieht, unabhängig ist von westlichen Kräften. Und das erreiche ich nicht dadurch, dass ich jetzt den Aufständischen immer recht gebe und dass ich ihnen Waffen besorge. Ich erreiche es auch nicht durch Falschmeldungen, sondern ich erreiche es durch Verhandlungen. Und die Strategie, die ich für richtig hielte, wäre, dass sehr bald Verhandlungen stattfinden müssten zwischen der innersyrischen Opposition, der Exilopposition und der Regierung. Und es sollte Aufgabe der restlichen Politik sein, diese Verhandlungen anzustoßen. Und mein Eindruck ist – auch der kann sich täuschen, ich bin da sehr bescheiden –, dass der Präsident Syriens zu Verhandlungen bereit ist. Und er hat mir gesagt – auch das muss ich infrage stellen, aber er hat es mir ausdrücklich gesagt –, Demokratie ist compulsory, ist zwingend. Und es führt kein Weg daran vorbei: Syrien wird Demokratie werden - mit Assad oder ohne Assad. Und ich sage, hoffentlich friedlich!
Barenberg: Sie haben von den notwendigen Verhandlungen gesprochen. Nun sagen Oppositionelle in Syrien, mit Mördern setzen wir uns nicht an einen Tisch. Ist es nicht im Angesicht von 5000 Toten inzwischen nachvollziehbar?
Todenhöfer: Also, von diesen Toten, deren Zahlen festgestellt werden von Organisationen, die noch nie in einer dieser Hochburgen waren ... Ich habe mich also im Juni in die Stadt begeben, in der die Revolution begann, und war zwei Mal jetzt in Homs. Diese Leute, die Zahlen nennen, nennen die Zahlen statistisch aufgrund von Telefonaten. Ich weiß nicht, welche Zahlen richtig sind. Ich würde sagen, wenn es weniger sind, wenn es 3000 wären, wären es 3000 zu viel. Aber mein Eindruck und meine Information nach meinen mehreren Aufenthalten in Syrien ist, dass fast oder etwa die Hälfte der Toten Soldaten sind. Das heißt, das ist ein richtiger Kampf. Und die Argumentation, wir setzen uns nicht mit Mördern hin ... Ich sage jetzt mal was ganz Abs ... Ich bin ein Anhänger friedlicher Lösungen, das durchzieht ja auch das, was ich Ihnen sage. Aber dann hätten wir nie mit Breschnew verhandeln dürfen und kein Mensch hätte mit Bush verhandeln dürfen. Das ist doch keine Haltung! Auch die syrische Opposition hat Verpflichtungen gegenüber diesem Land und diese Verpflichtung heißt, zu verhandeln. Und der syrische Präsident hat die Pflicht, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten.
Barenberg: Aber der Pflicht ist er ja nicht nachgekommen. Er hat ja schon seit Wochen versprochen, dass die Gewalt ein Ende haben wird, und passiert ist nichts, sondern wir sehen jeden Tag Bilder, die syrische Panzer in syrischen Städten zeigen. Die schießen auf Zivilisten.
Todenhöfer: Also, ich bin ... Das stimmt, das ist alles richtig. Und ich werde nie ein Wort der Entschuldigung finden für jemanden, für eine Sicherheitskraft, die auf Zivilisten schießt. Es stimmt aber auch, dass es Guerillas gibt, die auf Polizisten schießen. Ich bin in ein solches Gefecht hineingekommen und ich konnte das sogar filmisch dokumentieren im "Weltspiegel", es gibt auch das Umgekehrte. Und Positionen wie "Wir verhandeln mit denen nicht, wir sitzen in der Türkei und verhandeln nicht mit dem syrischen Präsidenten", die sind einfach nicht akzeptabel.
Barenberg: Wie glaubwürdig, Herr Todenhöfer, ist denn Staatschef Assad noch? Sie sagen ja, er ist am ehesten noch geeignet, den Übergang zu einer Demokratie, Reformen zu organisieren und auf den Weg zu bringen. Aber wie glaubwürdig ist er noch? Schließlich ist er ja derjenige, der verantwortlich ist für sein Militär, der verantwortlich ist für Polizei, Geheimdienste ...
Todenhöfer: Ja, das stimmt. Also, die Geschichte ist etwas länger, als dass ich sie Ihnen jetzt morgens erzählen könnte. Assad ist im Grunde ein Europäer. Der Mann ist in seinem ganzen Verhalten, in seinem Aussehen, in allem europäisch. Als er begann, hat er versucht, sich nach dem Tod seines Vaters von diesen alten Kräften, diesen Geheimdiensten und all diesen starren Strukturen zu trennen. Das ist nicht sehr erfolgreich gewesen. Aber es gibt eine seltsame Einstellung in Syrien, die habe ich – ich bin in den letzten zehn Jahren etwa 15, 20 Mal in Syrien gewesen, weil, immer wenn ich in den Irak wollte, musste ich über Syrien und Syrien war so eine Drehscheibe. Und ich habe immer festgestellt, dass die Menschen, anders als in Ägypten und anders als in Tunesien und anders als in Libyen, wenn ich gefragt habe nach Assad, sie immer gesagt haben, das System ist schlimm, aber Assad, das ist ein anderer Fall, das ist eine andere Kategorie.
Barenberg: Wiegt nicht umso schwerer, dass er die Chance auf Reformen – ich meine, wir haben schon Wochen der Proteste und Wochen des Aufstandes ...
Todenhöfer: ... stimmt alles ...
Barenberg: ... –, dass er diese Chance, wenn er denn ein Reformer im Inneren ist, nicht genutzt hat, in keiner Weise?
Todenhöfer: Lassen Sie mich es an einem anderen Beispiel sagen. Ich glaube, wir haben einen ähnlichen Fall in Marokko. In Marokko sagen die Menschen auch, das System ist eine Katastrophe und der König ist einigermaßen okay. Jedenfalls richten sich die Proteste nicht in erster Linie gegen den König. Der König von Marokko und der Präsident von Syrien haben eine begrenzte Zeit und die Revolutionsuhr tickt. Und beide haben noch so viel Ansehen, bringen noch so viel Anhänger auf die Beine, dass sie die Chance haben, dieses Problem friedlich zu lösen. Aber sie haben eben nur eine begrenzte Zeit Chance. Und ich fände es sehr gut, wenn ein führender westlicher Politiker, zum Beispiel eine Frau wie Hillary Clinton, fahren würde zu Assad und sagen würde, Sie haben gesagt, es gibt Parlamentswahlen im Februar, März, Sie haben gesagt, danach wird von einer Kommission eine demokratische Verfassung erarbeitet, Sie haben gesagt, es gibt anschließend – er meint, 2014, ich habe Assad gesagt, Sie müssen das viel früher machen –, Sie haben gesagt, es gibt freie Präsidentschaftswahlen. Wir nehmen Sie beim Wort und Sie, wir sind bereit, Ihr Partner zu sein und Ihr Partner zu werden, wenn Sie diesen Weg zur Demokratie friedlich führen. – Also, auch wir haben eine Chance mitzuhelfen, dass dieser Prozess friedlich durchgeführt wird. Und wir werden vor diesen Problemen und vor ähnlichen Diskussionen in all diesen Ländern der arabischen Welt stehen. In Saudi-Arabien und überall. Wir müssen Wege finden, wie diese Länder auf friedlichem Wege demokratisch werden.
Barenberg: Der Autor Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Zuletzt erschienen ist sein Essay "Feindbild Islam. Thesen gegen den Hass", und zwar als E-Book beim Verlag C. Bertelsmann. Danke, Herr Todenhöfer, für das Gespräch, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Aktuell vom 22. Dezember 2011: Arabische Liga entsendet Beobachter nach Syrien
Interview: Libanesischer Politiker ist gegen Intervention von Außen in Syrien
Wir wollen in den nächsten Minuten darüber mit dem Autor und Manager Jürgen Todenhöfer sprechen, der einst für die CDU im Bundestag saß, später für den Burda-Konzern arbeitete und der in den vergangenen Monaten durch die Länder der Arabischen Revolution gereist ist. Zweimal auch nach Syrien, zuletzt im November, als er unter anderem mit Staatschef Assad persönlich sprechen konnte.
Er ist jetzt am Telefon, ich grüße Sie, Herr Todenhöfer!
Jürgen Todenhöfer: Hallo, guten Tag, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Todenhöfer, was kann die Beobachtermission in den nächsten vier Wochen in Ihren Augen erreichen?
Todenhöfer: Ja, sie kann Fakten sammeln, sie kann den Konflikt verobjektivieren. Ich schätze nach meinen Erfahrungen – ich war vier Wochen in Syrien –, dass über die Hälfte der Meldungen, die wir aus diesem Land bekommen von beiden Seiten, von den Rebellen und von der Regierung, falsch sind. Das heißt, wir werden permanent falsch informiert. Das hängt damit zusammen, dass es keine freien Medien mehr gibt, dass die Medien aus dem Land gewiesen worden sind. Und das hat dazu geführt, dass jetzt ständig Meldungen erfunden werden. Und deswegen ist es gut, wenn jetzt Beobachter hinkommen und über die Lage hoffentlich dann objektiv berichten können.
Barenberg: Das heißt, Sie halten auch die Meldungen – in Anführungsstrichen – der "Opposition", also verschiedener Gruppen in Syrien und außerhalb von Syrien - über die vielen Tote, auch diese Meldungen halten Sie für falsch zum Teil?
Todenhöfer: Nein, sicher, es hat Zivilisten gegeben, die demonstriert haben und die getötet worden sind. Es ist auch völlig inakzeptabel. Aber was hier im Westen nicht so bekannt ist, ist, dass es auch vonseiten der Rebellen Akte gibt, die Zivilisten töten. Und das sind Führer oppositioneller Parteien, die mir das ausdrücklich bestätigt haben. Wir haben eine – ob wir das jetzt wollen oder nicht – fast bürgerkriegsähnliche Situation in dem Land, in der Assad-Anhänger – und die sind, die Zahl dieser Anhänger ist, ob uns das gefällt oder nicht, sehr hoch – für Assad eintreten und es sehr viele Assad-Gegner gibt. Und es gibt, unter den Assad-Gegnern gibt es friedliche Demonstranten. Ich habe solche friedlichen Demonstranten selbst in Homs gesehen, ich war bei ihnen, sie haben mir geholfen, ich bin stundenlang mit ihnen zusammengewesen, aber es gibt auch Guerillakommandos der Opposition oder der Rebellen. Und es gibt auf der Seite, das heißt, auf der Seite der Opposition, es gibt aufseiten der Regierung eben auch nicht nur diejenigen, die friedlich für Assad demonstrieren, sondern es gibt gnadenlose Geheimdienste, es gibt sehr harte Sicherheitskräfte. Wir haben wirklich hier eine Lage, die sehr stark an einen Bürgerkrieg erinnert. Und ich weiß nicht, welche Kräfte stärker sind, und ich weiß auch nicht, welche Kräfte die größeren Untaten begehen.
Barenberg: Herr Todenhöfer, die bürgerkriegsähnlichen Zustände, von denen Sie sprechen: Wie lautet Ihr Urteil, wie hat sich der entwickelt? Waren nicht zuerst da die Scharfschützen des Regimes, die Scharfschützen des Geheimdienstes, die, wenn wir zum Beispiel Reportern des "Spiegel" glauben, wahllos Zivilisten auf den Straßen und ohne Warnung Zivilisten auf den Straßen töten? Und war nicht erst dann, quasi aus der Not geboren, der Punkt, an dem sich auch die Oppositionellen bewaffnen, beziehungsweise ab dem desertierende Soldaten die Waffen gegen die eigenen Truppen richten?
Todenhöfer: Ich weiß das nicht. Ich bin einer der wenigen Menschen, der zugibt, dass er bestimmte Dinge nicht weiß. Ich war zweimal in Homs, der Hochburg der Revolution. Ich war dort, wo die Revolution begonnen hat, in Daraa. Und ich glaube, dass es so ist, wie Sie geschildert haben, dass es am Anfang Demonstrationen gab, auf die die Regierung unverhältnismäßig reagiert hat. Aber dass es sehr, sehr früh Guerillakommandos gab, die im Guerillastil gekämpft haben und die teilweise auch getrennt waren von den friedlichen Demonstranten und die teilweise auch schlimme Akte begangen haben. Und es gibt Scharfschützen auf beiden Seiten. Ich sage, es ist eine schlimme Situation und ich habe Fälle gesehen, wo Zivilisten angegriffen worden sind von Rebellen. Und ich weiß von Fällen, wo Zivilisten von Geheimdiensten und Regierung angegriffen worden sind. Das heißt, es ist eine schreckliche Situation. Und ich wiederhole noch mal, in dieser Situation muss unser Ziel, wenn Sie wollen, ein dreifaches sein: Ich wünsche diesem Land, dass es bald eine Demokratie ist, ich wünsche diesem Land aber auch, dass dieser Weg zu Demokratie friedlich verläuft und dass dieses Land, drittens, dann, wenn es eine Demokratie hat und dies möglichst auf friedlichem Weg geschieht, unabhängig ist von westlichen Kräften. Und das erreiche ich nicht dadurch, dass ich jetzt den Aufständischen immer recht gebe und dass ich ihnen Waffen besorge. Ich erreiche es auch nicht durch Falschmeldungen, sondern ich erreiche es durch Verhandlungen. Und die Strategie, die ich für richtig hielte, wäre, dass sehr bald Verhandlungen stattfinden müssten zwischen der innersyrischen Opposition, der Exilopposition und der Regierung. Und es sollte Aufgabe der restlichen Politik sein, diese Verhandlungen anzustoßen. Und mein Eindruck ist – auch der kann sich täuschen, ich bin da sehr bescheiden –, dass der Präsident Syriens zu Verhandlungen bereit ist. Und er hat mir gesagt – auch das muss ich infrage stellen, aber er hat es mir ausdrücklich gesagt –, Demokratie ist compulsory, ist zwingend. Und es führt kein Weg daran vorbei: Syrien wird Demokratie werden - mit Assad oder ohne Assad. Und ich sage, hoffentlich friedlich!
Barenberg: Sie haben von den notwendigen Verhandlungen gesprochen. Nun sagen Oppositionelle in Syrien, mit Mördern setzen wir uns nicht an einen Tisch. Ist es nicht im Angesicht von 5000 Toten inzwischen nachvollziehbar?
Todenhöfer: Also, von diesen Toten, deren Zahlen festgestellt werden von Organisationen, die noch nie in einer dieser Hochburgen waren ... Ich habe mich also im Juni in die Stadt begeben, in der die Revolution begann, und war zwei Mal jetzt in Homs. Diese Leute, die Zahlen nennen, nennen die Zahlen statistisch aufgrund von Telefonaten. Ich weiß nicht, welche Zahlen richtig sind. Ich würde sagen, wenn es weniger sind, wenn es 3000 wären, wären es 3000 zu viel. Aber mein Eindruck und meine Information nach meinen mehreren Aufenthalten in Syrien ist, dass fast oder etwa die Hälfte der Toten Soldaten sind. Das heißt, das ist ein richtiger Kampf. Und die Argumentation, wir setzen uns nicht mit Mördern hin ... Ich sage jetzt mal was ganz Abs ... Ich bin ein Anhänger friedlicher Lösungen, das durchzieht ja auch das, was ich Ihnen sage. Aber dann hätten wir nie mit Breschnew verhandeln dürfen und kein Mensch hätte mit Bush verhandeln dürfen. Das ist doch keine Haltung! Auch die syrische Opposition hat Verpflichtungen gegenüber diesem Land und diese Verpflichtung heißt, zu verhandeln. Und der syrische Präsident hat die Pflicht, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten.
Barenberg: Aber der Pflicht ist er ja nicht nachgekommen. Er hat ja schon seit Wochen versprochen, dass die Gewalt ein Ende haben wird, und passiert ist nichts, sondern wir sehen jeden Tag Bilder, die syrische Panzer in syrischen Städten zeigen. Die schießen auf Zivilisten.
Todenhöfer: Also, ich bin ... Das stimmt, das ist alles richtig. Und ich werde nie ein Wort der Entschuldigung finden für jemanden, für eine Sicherheitskraft, die auf Zivilisten schießt. Es stimmt aber auch, dass es Guerillas gibt, die auf Polizisten schießen. Ich bin in ein solches Gefecht hineingekommen und ich konnte das sogar filmisch dokumentieren im "Weltspiegel", es gibt auch das Umgekehrte. Und Positionen wie "Wir verhandeln mit denen nicht, wir sitzen in der Türkei und verhandeln nicht mit dem syrischen Präsidenten", die sind einfach nicht akzeptabel.
Barenberg: Wie glaubwürdig, Herr Todenhöfer, ist denn Staatschef Assad noch? Sie sagen ja, er ist am ehesten noch geeignet, den Übergang zu einer Demokratie, Reformen zu organisieren und auf den Weg zu bringen. Aber wie glaubwürdig ist er noch? Schließlich ist er ja derjenige, der verantwortlich ist für sein Militär, der verantwortlich ist für Polizei, Geheimdienste ...
Todenhöfer: Ja, das stimmt. Also, die Geschichte ist etwas länger, als dass ich sie Ihnen jetzt morgens erzählen könnte. Assad ist im Grunde ein Europäer. Der Mann ist in seinem ganzen Verhalten, in seinem Aussehen, in allem europäisch. Als er begann, hat er versucht, sich nach dem Tod seines Vaters von diesen alten Kräften, diesen Geheimdiensten und all diesen starren Strukturen zu trennen. Das ist nicht sehr erfolgreich gewesen. Aber es gibt eine seltsame Einstellung in Syrien, die habe ich – ich bin in den letzten zehn Jahren etwa 15, 20 Mal in Syrien gewesen, weil, immer wenn ich in den Irak wollte, musste ich über Syrien und Syrien war so eine Drehscheibe. Und ich habe immer festgestellt, dass die Menschen, anders als in Ägypten und anders als in Tunesien und anders als in Libyen, wenn ich gefragt habe nach Assad, sie immer gesagt haben, das System ist schlimm, aber Assad, das ist ein anderer Fall, das ist eine andere Kategorie.
Barenberg: Wiegt nicht umso schwerer, dass er die Chance auf Reformen – ich meine, wir haben schon Wochen der Proteste und Wochen des Aufstandes ...
Todenhöfer: ... stimmt alles ...
Barenberg: ... –, dass er diese Chance, wenn er denn ein Reformer im Inneren ist, nicht genutzt hat, in keiner Weise?
Todenhöfer: Lassen Sie mich es an einem anderen Beispiel sagen. Ich glaube, wir haben einen ähnlichen Fall in Marokko. In Marokko sagen die Menschen auch, das System ist eine Katastrophe und der König ist einigermaßen okay. Jedenfalls richten sich die Proteste nicht in erster Linie gegen den König. Der König von Marokko und der Präsident von Syrien haben eine begrenzte Zeit und die Revolutionsuhr tickt. Und beide haben noch so viel Ansehen, bringen noch so viel Anhänger auf die Beine, dass sie die Chance haben, dieses Problem friedlich zu lösen. Aber sie haben eben nur eine begrenzte Zeit Chance. Und ich fände es sehr gut, wenn ein führender westlicher Politiker, zum Beispiel eine Frau wie Hillary Clinton, fahren würde zu Assad und sagen würde, Sie haben gesagt, es gibt Parlamentswahlen im Februar, März, Sie haben gesagt, danach wird von einer Kommission eine demokratische Verfassung erarbeitet, Sie haben gesagt, es gibt anschließend – er meint, 2014, ich habe Assad gesagt, Sie müssen das viel früher machen –, Sie haben gesagt, es gibt freie Präsidentschaftswahlen. Wir nehmen Sie beim Wort und Sie, wir sind bereit, Ihr Partner zu sein und Ihr Partner zu werden, wenn Sie diesen Weg zur Demokratie friedlich führen. – Also, auch wir haben eine Chance mitzuhelfen, dass dieser Prozess friedlich durchgeführt wird. Und wir werden vor diesen Problemen und vor ähnlichen Diskussionen in all diesen Ländern der arabischen Welt stehen. In Saudi-Arabien und überall. Wir müssen Wege finden, wie diese Länder auf friedlichem Wege demokratisch werden.
Barenberg: Der Autor Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Zuletzt erschienen ist sein Essay "Feindbild Islam. Thesen gegen den Hass", und zwar als E-Book beim Verlag C. Bertelsmann. Danke, Herr Todenhöfer, für das Gespräch, auf Wiederhören!
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