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Auch Kleinvieh macht Mist

Glaziologie. - Rund ein Prozent des irdischen Eises ist in den Gletschern abseits der Polkappen gespeichert. Dennoch ist ihr Anteil am derzeitigen Meeresspiegelanstieg überraschend hoch. Eine großangelegte Studie, die heute in "Science" veröffentlicht wird, geht davon aus, dass er in etwa so hoch wie der der Polkappen ist.

Von Volker Mrasek |
    Niemand kennt ihre Zahl genau. Aber man schätzt, daß es um die 300.000 Gletscher auf der Erde gibt. Alex Gardner, Assistenzprofessor für Geographie an der Clark University in Massachusetts in den USA:

    "Diese Dinger können schon ziemlich massiv sein. Es gibt Gletscher, die dehnen sich über 14.000 Quadratkilometer aus. Aber im Vergleich zu den gigantischen Eisschilden auf Grönland und in der Antarktis sind Gletscher doch ziemlich klein. Tatsächlich steckt in ihnen weniger als ein Prozent der globalen Eismasse."

    Dennoch trugen Gletscher zuletzt genauso stark zum Anstieg des Meeresspiegels bei wie die riesigen polaren Eisschilde, und zwar um 0,7 Millimeter pro Jahr. Zu diesem Ergebnis kommen Alex Gardner und 15 weitere Forscher jetzt in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift "Science":

    "Der Grund dafür ist, daß sich diese Gletscher in tieferen Lagen befinden, die sehr sensibel auf einen Temperaturanstieg reagieren. So dass ein sehr kleines Eis-Reservoir auf der Erde sehr großen Anteil am Anstieg des Meeresspiegels hat."

    Die Forscher nennen ihre Studie einen Konsens. Sie wollen damit einen Widerspruch auflösen, der bisher bestand. Aus direkten Feldmessungen hatte man abgeleitet, daß Gletscher in den letzten Jahrzehnten immer stärker abgeschmolzen sind. Schwerefeld-Messungen aus dem All im Rahmen der Satellitenmission Grace jedoch konnten das nicht bestätigen; sie kommen auf viel schwächere Eisverluste von Gletschern in den letzten Jahren. Alex Gardner und seine Ko-Autoren schauten sich jetzt zusätzlich Daten von Icesat an, einem Erdbeobachtungssatelliten der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Diese Mission endete im Oktober 2009.

    "Das ist ein Fortschritt unserer Studie. Icesat hatte ein anderes Instrument an Bord, einen Laser-Altimeter. Das Gerät schickte Lichtstrahlen zum Erdboden und erfasste so Höhenveränderungen sehr präzise. Damit konnten wir die Grace-Daten abgleichen."
    Das Ergebnis der Neuberechnungen: Grace unterschätzt die Eisverluste der Gletscher leicht. Während die Feldmessungen sie stark überschätzen. Dabei spielt auch der Zufall eine Rolle, wie Alex Gardner sagt:

    "Bei den direkten Beobachtungen an Gletschern hat sich unbeabsichtigt ein systematischer Fehler eingeschlichen. Man kann es einfach Pech nennen. Offenbar verlieren ausgerechnet die Gletscher, die regelmäßig untersucht werden, schneller Eis als Gletscher im globalen Durchschnitt."

    Das Bild ist ohnehin uneinheitlich. Gletscher im Himalaya zum Beispiel verlieren Eis; im benachbarten Karakorum aber ist das nicht der Fall. In der Antarktis gibt es sogar Landeismassen, die wachsen. Zwischen 2003 und 2009 haben die Gletscher auf dem Südkontinent wohl nur wenig zum Anstieg des Meeresspiegels beigetragen. So steht es jedenfalls in der neuen Studie. Bisher hieß es, ein knappes Drittel der globalen Gletscherschmelze spiele sich in der Antarktis ab. Alex Gardner:

    "Ist mit unserer Studie nun das letzte Wort gesprochen? Nein! Ich denke, es ist das erste Wort! Wir haben uns nur eine Zeitspanne von wenigen Jahren angeschaut, und jetzt geht die Arbeit erst los."

    Nun müsse untersucht werden, wie stark Gletscher schon vor 2003 zum Meeresspiegelanstieg genau beigetragen haben. Um abzuleiten, wie es sich in Zukunft mit ihnen verhält. Nicht nur Alex Gardner rechnet fest mit ihrem beschleunigten Abschmelzen. Das tun auch andere wie etwa die Geophysikerin und Gletscherexpertin Valentina Radic von der Universität von British Columbia im kanadischen Vancouver:

    "Die Leute denken immer, nur die großen polaren Eisschilde seien wichtig, wenn es um den Meeresspiegel geht. Aber auch das Schmelzen von Gletschern wird einen großen Beitrag in diesem Jahrhundert leisten."