Lennart Pyritz: Was hinter dem Phänomen der Kitzligkeit steckt, hat sich schon der Begründer der Evolutions-Theorie Charles Darwin gefragt. Jetzt haben Forscher der Humboldt-Universität in Berlin es an Ratten erforscht. Heute erscheint ihre Studie im Fachmagazin "Science". Der Studienautor und Neurowissenschaftler Michael Brecht berichtet über die gewonnenen Erkenntnisse im Interview.
Herr Brecht, seit wann wissen Forscher überhaupt und untersuchen, dass auch Tiere kitzelig sind?
Michael Brecht: Man hat schon früh erkannt, dass auch Tiere kitzlig sind. Für uns die entscheidende Arbeit war die Forschung von Herrn Panksepp und Burgdorf über die Rattenkitzeligkeit.
Pyritz: Sie haben es angesprochen: Sie haben in Ihrer Studie jetzt untersucht, unter welchen Umständen Ratten kitzlig sind. Wie genau sind sie dabei vorgegangen?
"Es unterdrückt die Kitzligkeit, wenn sie Angst haben"
Brecht: Die Ratten müssen sich erst einmal an den Experimentator gewöhnen. Sie müssen sich sehr wohl fühlen, weil es die Kitzligkeit unterdrückt, wenn sie Angst haben, das ist auch etwas, was wir in unserer Studie gezeigt haben.
Die sind an unterschiedlichen Körperstellen unterschiedlich kitzlig. Sie sind besonders kitzlig am Bauch, auch die Fußsohlen sind interessanter Weise sehr kitzlig. Und die kitzeln wir dann, fassen wir dann an. Und wenn die Tiere merken, dass wir sie kitzeln wollen, dann reagieren sie sehr enthusiastisch, wenn die in der richtigen Stimmung sind.
Was das neue an unserer Studie eigentlich ist, ist, dass wir gezeigt haben, dass es eine bestimmte Stelle im Gehirn gibt, die sogenannte Körperfühl-Hirnrinde wo das Kitzeln zu entstehen scheint.
Pyritz: Die Tiere wurden also einmal in einer entspannten und einmal in einer eher einschüchternden Situation berührt. Wie haben Sie das hergestellt, diese Situation?
Brecht: Ja und zwar war der Versuch der, dass sie einmal in ihrer normalen Kitzelbox gekitzelt werden, wo die Ratten auch wissen, dass wir sie kitzeln, oder eben auf so einer erhöhten Plattform, wo wir sehr helles Licht angemacht haben. Und das ist etwas, was die nicht mögen, wo sie Angst haben und auch ein sogenanntes Freezing-, ein Erstarrungsverhalten zeigen. Und wenn wir sie dann anfassen, dann stoßen sie nicht diese Rufe aus, die wir normalerweise durch das Kitzeln auslösen, diese Ultraschallrufe.
Pyritz: Das Kichern sozusagen.
Brecht: Das Kichern machen sie dann nicht. Und was für unsere Studie besonders wichtig war: Die Zellen im Gehirn reagieren unter diesen Bedingungen auch nicht sehr gut, werden auch in ihrer Aktivität unterdrückt.
Das war ein erster Hinweis darauf, dass die Zellen im Gehirn auch so reagieren, wie das Kitzelverhalten ausfällt.
"Wir denken, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Spielverhalten und Kitzligkeit"
Pyritz: Diese Nervenzellen, die Sie nun im Gehirn der Ratten identifiziert haben, das sind auch dieselben Zellen, die im spielerischen Kontext aktiv sind. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Brecht: Das war auch eine Überraschung aus unserer Studie. Wir hatten schon erwartet, dass die Zellen reagieren, wenn wir die Ratten berühren, weil man weiß, dass diese Körperfühl-Hirnrinde so eine Karte des Körpers im Gehirn ist. Es war überraschend, dass die Zellen da reagieren. Wenn wir Kitzeln, haben die schon sehr viel stärker reagiert. Was wir aber auch gesehen haben und was Sie gerade angesprochen haben, ist dass die eben auch beim Spielen reagieren, diese Zellen.
Und wir denken, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Spielverhalten und Kitzligkeit in den Ratten.
Pyritz: Sie haben jetzt gezeigt: Die Reaktion auf das Kitzeln ist stimmungsabhängig. Gibt es da parallelen zum menschlichen Verhalten?
Brecht: Das ist etwas, was man eigentlich schon lange gedacht hat, das Kitzligkeit auch beim Menschen eine Stimmungsabhängigkeit hat. Der Vorschlag ist zuerst einmal von Darwin gemacht worden: Der hat gesagt, dass man in der richtigen Stimmung sein muss, damit das funktioniert. Und das ist sicher etwas, was jetzt unsere Arbeit an den Tieren sehr deutlich bestätigt, aber wofür es auch eine ganze Menge anderer Hinweise gibt.
Pyritz: Das würde mich jetzt zu der übergeordneten Frage bringen, die sich auch schon Charles Darwin gestellt hat: Warum sind denn Tiere und Menschen überhaupt kitzlig, also welche Funktion im evolutionärem Sinn könnte das überhaupt haben?
Brecht: Das ist tatsächlich eine Frage, die wir immer noch nicht verstanden haben. Kitzeln ist eine der am wenigsten verstandenen Formen von Berührung.
Der Hinweis, der sich aus unseren Arbeiten ergibt, ist tatsächlich, dass es so einen Zusammenhang gibt zum Spielverhalten, dass das vielleicht was ist, was dazu dient, dass es Spaß macht einander anzufassen und miteinander zu spielen.