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Auch Tiere fühlen Schmerz

Zoologie.- Im vergangenen Jahr führte die französische Regierung öffentliche Expertendebatten zu den Beziehungen zwischen Mensch und Tier durch. Dabei wurde die Frage laut, ob Tiere Schmerzen empfinden können und ob es Menschenpflicht sei, diese Schmerzen zu lindern.

Von Suzanne Krause |
    1300 Forschungsartikel und internationale Berichte hat die interdisziplinäre Kommission beim nationalen Agrarforschungsinstitut Inra ausgewertet. Und analysierte dabei speziell den heutigen Kenntnisstand zur möglichen Schmerzempfindsamkeit von Rindern, Schweinen, Geflügel, Zuchtfischen – den wichtigsten Zuchttieren. Bei der bibliographischen Studie wurde deutlich: in den Fachveröffentlichungen herrscht Begriffswirrwarr, ist ebenso die Rede von Schmerz wie auch von Leid oder Wohlbefinden der Tiere. Das erste Verdienst der Expertengruppe: den Begriff Schmerz eindeutig zu charakterisieren. Ob Tiere schmerzempfindlich sind, hängt nach heutigem Wissensstand von drei Faktoren ab. Erläutert Pierre le Neindre, Koordinator der Inra-Studie:

    "Zum Schmerzempfinden gehört als erstes die Fähigkeit, Reize empfinden zu können. Das heißt, dass beispielsweise eine unangenehme Hautreizung als Signal an das Rückenmark weitergeleitet wird. Zum zweiten muss dieser Reiz ein Gefühl auslösen, beim Tier Angst erzeugen. Und drittens muss das Tier über ein Schmerzbewusstsein verfügen, das dann ein bestimmtes Handeln auslöst."

    Bei Säugetieren, also auch bei Rindern und Schweinen auf dem Bauernhof, kommen diese drei Faktoren zusammen. Bei Fischen ist dies derzeit wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt. Schmerzempfinden kennen hingegen auch Vögel, respektive Geflügel. Das belegten britische Forscher bei Hühnern. Masthühner leiden häufig an schmerzhaften arthritischen Veränderungen an den Beinen. Bei dem Versuch hatten die Tiere die Auswahl zwischen normaler Nahrung und Futter, das mit schmerzstillenden Mitteln versetzt war. Sie bevorzugten letzteres. Der zweite Schwerpunkt der Inra-Studie: Mittel und Wege zu finden, um überhaupt erkennen zu können, ob ein Tier unter Schmerzen leidet. Denn auf Schmerzen reagiert jede Tierart völlig unterschiedlich.

    "Wenn man herausfinden will, ob ein Tier unter Schmerzen leidet, muss man ähnlich vorgehen wie bei Neugeborenen oder behinderten Menschen, die ihren Schmerz nicht artikulieren können. Soll heißen: da schauen Experten aus unterschiedlichen Disziplinen das schmerzgeplagte Tier an und versuchen, es aus ihrem jeweiligen Blickwinkel heraus zu verstehen. Wenn so eine ganze Latte an verschiedenen Indizien zusammenkommt, ist es möglich, Schmerzen bei Tieren zu charakterisieren."
    Heute schon gibt es erste Rastermodelle, Indizienlisten, die es ermöglichen, nachzuweisen, ob ein Tier unter Schmerz leidet. Dazu gehören Messungen von kardiologischen und hormonellen Veränderungen beim Tier. Dazu gehört auch, sein normales Verhalten im Detail zu kennen, um Abweichungen erkennen zu können. Diese Rastermodelle zu erstellen, ist sehr aufwendig, bislang existieren sie nur für Hund und Pferd. Die Inra-Studienkommission nun regt an, solche Schmerzbestimmungshilfen auch für Nutztiere auszuarbeiten. Denn die Experten lassen keinen Zweifel daran: manche Praktik in der intensiven, industriellen Tierzucht ist schmerzhaft. Da wird Rindern der Schwanz gestutzt, werden die Hörner abgeschnitten, Schweinen die Zähne gezogen. Methoden, die von den Verbrauchern immer weniger akzeptiert werden. Im dritten Teil der Studie unterbreitet die Inra-Kommission Lösungsansätze, wie den Nutztieren Schmerzen erspart werden können. Grundlage ist der sogenannte 3-S-Leitfaden. Das steht für: supprimer, substituer, soulager. Übersetzen lässt sich das mit: Entsagen, ersetzen, erleichtern.

    "Den Techniken entsagen, die Schmerzen erzeugen können. Schmerzhafte Techniken durch solche ersetzen, die weniger schmerzhaft sind. Und wenn man solche Techniken weder streichen noch ersetzen kann, muss man den Schmerz erleichtern. Was bedeutet: man verabreicht Medikamente, man schafft ein anderes Umfeld, um es dem Tier zu ermöglichen, den Schmerz als weniger stark zu empfinden."

    Das nationale Agrarforschungsinstitut Inra plant nun Forschungsprojekte zu spezifischen Kenntnismängeln im Bereich Tierschmerz. Das Agrarministerium kündigt an, den Tierzüchtern mehr Verantwortung bei der Behandlung von Schmerzen zu überlassen, bisher blieb dies fast ausschließlich den Tierärzten vorbehalten. Und die Erkenntnisse aus dem Inra-Bericht könnten auch einfließen in die Parlamentsdebatten zum Thema Tierexperimente.