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Auf Arbeitssuche

Die polnische Wirtschaft zeigt sich trotz der globalen Finanzkrise bislang erstaunlich widerstandsfähig und stark. In der Ukraine sieht das ganz anders aus und so kommen viele zum Arbeiten nach Polen. Obwohl viele von ihnen schwarzarbeiten, sehen polnische Wissenschaftler vor allem positive Effekte der ukrainischen Arbeitsmigration.

Von Johanna Herzing |
    Das Anschlagbrett im Vorraum der griechisch-katholischen Mariä-Himmelfahrt-Kirche in der Warschauer Altstadt quillt über vor Anzeigen. Hier wird nicht etwa für Pilgerreisen und Gottesdienste geworben, stattdessen bieten Putzfrauen, Haushaltshilfen und Altenpflegerinnen ihre Dienste an – die meisten von ihnen stammen aus der Ukraine. Auch die 39-jährige Pani Maryja, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte, hat vor drei Monaten ihre Heimatstadt im Südwesten der Ukraine verlassen und putzt jetzt in verschiedenen Warschauer Haushalten:

    "Man muss eben Geld verdienen. In der Ukraine zu leben ist schwer. Und für einfache Leute ist es nicht leicht, Arbeit zu finden und genug Geld für die Bedürfnisse der Kinder zu verdienen. Und dann ist vieles so teuer! Da muss man eben ins Ausland gehen! Das betrifft nicht nur mich: Viele Frauen, die ich kenne, machen das, um Geld zu verdienen, um zu überleben!"

    Ukrainer stellen in Polen die größte Gruppe der Gastarbeiter. Die meisten arbeiten in gering qualifizierten Berufen, als Haushaltshilfen, Tagesmütter, als Erntehelfer oder auf dem Bau. Mit einem Kurzzeit-Visum dürfen sie innerhalb eines Jahres 180 Tage in Polen arbeiten. Etwa 300.000 Ukrainer machen davon allein in diesem Jahr Gebrauch. Damit ist die Zahl der ukrainischen Gastarbeiter wieder auf das Niveau von vor zwei Jahren angestiegen – damals hatten die schärferen Regeln des Schengen-Raums für Polen gegriffen, inzwischen "normalisiert "sich der Zustrom aus der Ukraine jedoch wieder. Mittelsmänner helfen dabei, potenzielle Arbeitgeber zu finden und die notwendigen Formalitäten zu erledigen, erklärt Joanna Konieczna-Salamatin vom soziologischen Institut der Universität Warschau:

    "Das sind Mittelsmänner, die für ein mehr oder weniger geringes Entgelt die Bescheinigung besorgen, auf deren Basis die Ukrainer ein Visum bekommen und nach Polen kommen können. Sehr oft arbeiten die Ukrainer dann gar nicht bei der Person, die die Bescheinigung beantragt hat. Oder sie arbeiten außerdem noch bei 10 weiteren. Das heißt: In dieser ganzen Geschichte ist dann die Arbeit illegal, der Aufenthalt in Polen aber ist legal."

    Aufenthalt legal, Arbeit illegal! Dennoch gebe es neben den Kosten, die der polnischen Volkswirtschaft durch die Schwarzarbeit entstünden, durchaus auch Vorteile. Vorteile für die Ukraine, von denen auch Polen profitiere, sagt Miroslaw Bienicki von der Warschauer Forschungseinrichtung "Institut für öffentliche Angelegenheiten".

    "Eine Öffnung gegenüber Arbeitern aus der Ukraine bewirkt, dass die Leute, die kommen, bestimmte Denkmuster, Anschauungen, Auffassungen bezüglich Demokratie und freier Marktwirtschaft aufgreifen und verinnerlichen. Die Kosten, die wir dabei tragen, sind gering, denn Schwarzarbeit gibt es so oder so. Der Nutzen aber, den das mit sich bringt, ist enorm."

    Missgunst gegenüber den Arbeitern aus dem Nachbarland ist kaum zu beobachten. Zum einen ist Polen selbst ein Land der Arbeitsmigranten – etwa zwei Millionen polnische Bürger arbeiten jährlich im Ausland. Viele kennen die Situation der Gastarbeiter aus eigener Anschauung. Zum anderen füllen die Ukrainer die Lücken auf dem polnischen Arbeitsmarkt und übernehmen Jobs, die für Polen wegen der niedrigen Löhne kaum attraktiv sind. Miroslaw Bienicki:

    "De facto sind viele dieser Arbeitsplätze überhaupt erst entstanden, weil Ukrainer kamen, die bereit waren diese Arbeiten auszuführen. Zum Beispiel gab es im Norden von Warschau, einige wenige, nicht besonders große Erdbeerfelder, die von Familien bestellt wurden. In dem Moment, wo man merkte, man kann dafür Ukrainer einsetzen, die das sehr günstig machen, begann man, dort deutlich mehr Erdbeeren anzubauen. Das heißt also: Zuerst gab's die Ukrainer und dann erst die Erdbeeren!"

    Ein Effekt, über den polnische Wissenschaftler sich gerne eine Anekdote erzählen: Auch in Norwegen gäbe es Erdbeerfelder in großer Zahl erst, seit polnische Gastarbeiter dort ihre Dienste angeboten hätten.