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Auf dem größten Schwarzmarkt Europas

2013 bringt Italien Neuwahlen, die Wirtschaftskrise bleibt beherrschendes Thema. Ohne ein soziales Netz sind die Italiener vielfach auf sich allein gestellt. Um den Lebensunterhalt zu sichern, greifen sie zu oft verzweifelten Mitteln - wie in Neapel, wo Menschen sogar als "Gespenster" hausen.

Von Kirstin Hausen |
    Eine Espressobar an der Piazza Dante in Neapel ist der Startpunkt für die etwas andere Stadtführung, die Antonio Alfano Italienern und ausländischen Besuchern anbietet. Ein Rundgang über den größten Schwarzmarkt Europas.

    "Wir wollen nichts anderes, als dokumentieren, was passiert und Öffentlichkeit durch Information schaffen, aber das reicht schon. Wir werden als Nestbeschmutzer beschimpft, weil sich manche, gerade die Lokalpolitiker, von der Wahrheit beleidigt fühlen."

    Antonio Alfano nippt an seinem Espresso, er trinkt ihn schwarz und mit viel Zucker. Der Mittfünfziger hat dichtes graues Haar, einen durchdringenden Blick und eine Narbe am Kinn. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, seine Frau in den quartieri spagnoli, einem berüchtigten Altstadtviertel von Neapel. Bittere Armut prägte die ersten Ehejahre. "Die besten Voraussetzungen für eine kriminelle Karriere", sagt Antonio mit einem Schmunzeln. Dann wird sein Gesicht ernst. Die Lage in Neapel nennt er "brandgefährlich", durch die anhaltende Wirtschaftskrise würden die Menschen zu Verzweiflungstaten getrieben.

    "Diese Stadt ist nicht wie andere Städte. Das Zentrum von Neapel, der Altstadtkern, ist noch immer Heimat ganz einfacher und armer Leute, verzweifelter Menschen. Woanders sind die längst aus den Stadtzentren vertrieben worden, wenn ich an Florenz denke oder an Berlin. Wenn wir jetzt also öffentlich machen, welche Überlebensstrategien diese Leute einsetzen, um irgendwie über die Runden zu kommen, dann heißt das auch, Wahrheiten zu erzählen, die unbequem sind."

    Zunächst steuert Antonio die sogenannte Fressgasse von Neapel an. Es gibt Obst und Gemüse zu Dumpingpreisen, Milch, Käse, Fisch und Fleisch ohne Herkunftsnachweis auf der Straße zu kaufen, die Hygiene kommt hier zu kurz.

    Per Lautsprecher werden die angeblich besten Gebäckstücke ganz Neapels angeboten, der Verkaufsladen ist jedoch nicht zu sehen. Antonio zeigt auf eine dunkle Kelleröffnung. Wer hier hinabsteigt, kriecht in den Bauch Neapels. Neben einer illegalen Backstube, wo man für einen Euro eine ganze Tüte voll Gebäck bekommt, gibt es hier in den Kellergewölben auch einen sehr diskreten Schlüsselkopierdienst und eine Schneiderwerkstatt, geführt von einem Chinesen. Alles funktioniert reibungslos, aber niemand hat einen Gewerbeschein, niemand zahlt Steuern oder Sozialabgaben. Die nähenden Chinesinnen im Hintergrund haben nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung.

    "Schätzungsweise 50.000 Menschen, oder besser Gespenster, leben hier in Neapel, ohne irgendwo angemeldet zu sein. Neapel hat sich zu einem Unterschlupf entwickelt für Menschen aller Länder, die das Gesetz scheuen."
    Zwei Straßenecken weiter beginnt der Markt für gefälschte Handtaschen, Turnschuhe, Markenkleidung. An einem Stand gibt es knallgrüne Trainingsanzüge mit den drei Streifen für 15 Euro, auf dem Schildchen innen ist das bekannte Logo. Täuschend echte Fälschungen, so wie die Designertaschen für 20 Euro, die Prada-Schirme für fünf Euro. Verkauft Prada überhaupt Schirme? Der dunkelhäutige Mann hinter dem Stand grinst nur.

    "Es ist gar nicht so einfach, an den Job zu kommen, diese Schirme zu verkaufen. Du wirst ausgewählt, da gibt es eine Art Bewerbungsverfahren. Du musst schlank und flink sein, damit du schnell genug vor der Polizei fliehen kannst. Du musst dich verständigen können, am besten ein bisschen Neapolitanisch sprechen, und du musst Dein Verkaufsgebiet kennen. Die wissen hier ganz genau, wann Kontrollen gemacht werden, wo der Verkauf gefälschter Waren von der Polizei toleriert wird. Das ist alles wohl organisiert und nichts bleibt dem Zufall überlassen."

    Es ist eine eigene Welt, ein Handeln und Feilschen ohne Quittungen und Garantiescheine. Hier kaufen auch gut gekleidete Damen und brave Familienväter ein. Die Preise sind gegenüber regulären Marktpreisen unschlagbar günstig. Der Schwarzmarkt ist in der ganzen Stadt bekannt. Natürlich auch der Polizei und dem Ordnungsamt. Aber alle drücken ein Auge zu. Aus gutem Grund, wie Antonio Alfano weiß.

    "Es wäre wie ein Stich ins Wespennest und die Leute würden auf die Barrikaden gehen. Sie würden Freunde und Bekannte zusammentrommeln und vor dem Rathaus protestieren. Es wäre eine Revolution, Tausende wütender, verzweifelter Menschen, das wollen die Behörden nicht."

    Und deshalb bleiben die Schwarzhändler, der Bäcker und der Schneider im Keller unbehelligt. Solange sie im Untergrund bleiben, fallen sie nicht auf.