Jeden Dienstag und Sonntag in der Vorkarnevalszeit wenn die Sonne untergeht verwandeln sie das barocke Altstadtviertel in ein einzigartiges Trommelfeuer. Die Percussionistengruppen, "Blocos Afros" genannt, mit ihren Ensaios - ihren öffentlichen Konzertproben- ziehen durch die bunten Gassen der Altstadt und fordern die herumstehende Menschenmasse zum Mitsingen und Tanzen auf:
Die bekannteste von Ihnen, die Gruppe Olodum hat es sogar zu Weltruhm gebracht und dem schwarzen Bevölkerungsanteil ihr Selbstbewusstsein wiedergegeben.
Das zu zerfallene Altstadtviertel Pelourinho war plötzlich Magnet für Touristen aus aller Welt. Heute ist es komplett restauriert und steht unter UNESCO- Weltkulturerbe. Von seiner dunklen Vergangenheit keine Spur mehr.
Kaum zu glauben, dass hier in Pelourinho, von den Einwohner liebevoll Pelo genannt, noch vor 150 Jahren die Sklaven öffentlich ausgepeitscht wurden. Pelo war früher der zentrale Sklavenmarkt Bahias.
Ich bin plötzlich von einer Reihe von Trommlern umgeben. Mein erster Gedanke: Mein Trommelfell wird platzen. Doch dann beginnt mein Herz in einem anderen Rhythmus zu schlagen, im Axé-Rhythmus. Ich fühle mich quicklebendig und bin neugierig auf diese Musik und was sie erzählt.
Die Kraft der Atabaque-Trommel lässt einen Orixa, einen von vielen afrikanischen Gottheiten erscheinen, heißt es. Die Anhänger der afro-brasilianischen Religion Candomblé glauben, dass sich die Orixa-Gottheiten in den Körpern ausgewählter Menschen materialisieren. Blocos Afros wie Olodum gingen also in die Terreiros, in die vielen Candomblé-Kultstätten, von denen es in Salvador unzählige gibt, und ließen sich von der Musik inspirieren.
Also war mir klar, ich musste unbedingt ein Terreiro besuchen!
Ich stehe auf einem eingezäunten Areal, dessen Mitte ein in Schiffsform gebauter Tempel einnimmt. Es sieht aus, als sei mitten auf dem glühend heißen Asphalt ein Schiff gestrandet. Geschmückt ist das weiße Tempelschiff mit der blau bemalten Umrandung mit silbernen, weißen, goldenen und gelben Vasen. Über allem thront auf einer dünnen, schmucklosen Säule ein kleiner weißer Schwan aus Ton. Der Tempel gehört zur Casa Branca, das älteste Terreiro Salvadors. Hier finden jeden Sonntagabend Zeremonien statt.
Die glühend heiße Mittagssonne - so scheint es - lässt sogar die Grillen in den Bäumen laut aufschreien.
Schließlich steigt eine ältere Frau mit tiefschwarzer Hautfarbe, kurzen Haaren, in einem weißen zerschlissenen Baumwollkleid die Stufen zum Tempelschiff hinab.
Gott sei Dank, denn die brennende Mittagssonne bringt jede noch so kleine Gehinaktivität zum Erlahmen. Der weiß gestrichene Raum wird durch mehrere Wandsäulen getrennt, an der Hauptsäule hängt ein gemaltes Bild, auf dem ein schwarzer Mann mit nacktem Oberkörper und verzweifeltem Gesichtausdruck eine Doppelaxt in die Luft hält. Blickfang bildet um die Säulen herum eine Anordnung von auffälligen Holzstühlen. Keiner sieht aus wie der andere, jeder einzelne ist prunkvoll wie ein Thron, mit aufwändigen Schnitzereien und großzügigen Armlehnen.
"Die Stühle sind für die Orixas", erzählt uns die Frau des Terreiros. "Es dürfen nur Personen darauf sitzen, die einen Grad im Candomblé erlangt haben und den Geist eines Orixas empfangen können. Jeder Orixa hat seinen eigenen Stuhl. Das hier ist der Stuhl von Ogun, der weiße ist für Oxala, dem Vater aller Orixas, alles was zu ihm gehört ist weiß."
Jeder Orixà hat verschiedene Charaktereigenschaften, Stärken und Schwächen, die sich auf uns Menschen übertragen, erzählt sie weiter. Denn im Candomblé gilt jeder Mensch als Nachkomme eines bestimmten Orixa. Doch nur Auserwählte können zu seinem Medium werden. In ihren Körpern offenbart sich der Geist eines Orixas. Stundenlang tanzen sich die Auserwählten dafür in Trance bis der Orixa durch sie in Erscheinung tritt.
Der Candomblé wurde von der katholischen Kirche streng verfolgt. Um ihn heimlich ausüben zu können tarnten die Sklaven ihre Orixa-Gottheiten mit den Namen katholischer Heiliger.
Ich laufe um die Stuhlreihe herum. Der Raum ist mit aus Holz geschnitzten, afrikanischen Skulpturen geschmückt. Plötzlich stehe ich vor einem kleinen Altar, auf dem Porzellanfiguren in Gestalt von Engeln, Rittern und Graisen aufgereiht sind. Auf der obersten Ebene ebenfalls aus Porzellan ragt ein gekreuzigter Jesus Christus an einem hölzernen Cruzfix. Ich drehe mich verwundert um und schaue in das Gesicht der Enquedi. Sie nickt:
"Das ist Jesus Christus, der bei uns Senhor do Bonfim heißt. Er ist Oxala, der höchste Gottvater der Orixas. Ihm zu Ehren feiern wie die Lavagem do Bonfim."
Wenn bei der "Lavagem de Bonfim" alljährlich im Januar mit großer Inbrunst die Kirchentreppen der Bonfim -Kirche mit parfümiertem Wasser gewaschen werden, feiert ganz Salvador mit. Ein Pilgerzug führt durch die ganze Stadt zur Kirche hin. "Aguas de Oxala", Wasser des Oxala wird die Pozession auch genannt.
Sie ist ein Paradebeispiel für die typische bahianische Vermischung religiöser Symbole des Katholizismus mit afrikanischem Brauchtum.
Als ich in meinem Reiseführer die Entstehungsgeschichte dieses synkretistischen Festes nachlese, weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Die Lavagem de Bonfim, das Fest der Kirchenwaschung, ist eigentlich nur entstanden, weil weiße Kolonialherren ihren Sklaven am Vortag des Kirchenfestes die Treppe der Erlöserkirche blitz und blank zu scheuern. Geblieben ist ein rauschendes Fest, bei dem viel getanzt und gesungen wird.
Ich verabschiede mich von der Equedi, darf aber kein Foto von ihr machen, denn sie schämt sich für ihr zerrissenes Kleid. Sie schickt mich zur Wallfahrtskirche Nosso Senhor do Bonfim.
Sie soll die schönste der 34 Kolonialkirchen Salvadors sein. Die Erlöserkirche liegt am nördlichsten Zipfel von Salvador auf der Halbinsel Itapagipe, auf einem Hügel. Von dort oben soll man einen wunderbaren Blick auf die ganze Stadt haben. Ich mache ich mich auf den Weg zurück zum Stadtzentrum, um von dort den Bus nach Bonfim zu nehmen. Ohne Eile, denn ich möchte mich ein wenig treiben und die Stadt auf mich wirken lassen. Es ist Sonntagnachtmittag. Ich spaziere durch die Seitenstraßen des Stadtzentrums. Die Lanchonetes, die Straßenbistros, sind angenehm gefüllt und einige Anwohner haben sich ihren eigenen Tisch auf die Straße gestellt, an dem sie eifrig Karten spielen.
Ein schwarzer Jugendlicher mit nacktem Oberkörper kommt mir entgegen.
Ihn frage ich freundlich nach dem Weg zur Haltestelle. Er zeigt in eine Richtung und will meinen Namen wissen. Eleni sage ich: und er fängt auf der Stelle an ein Lied anzustimmen für mich.
In Salvador ist das kein Einzelfall. Fragt man einen Salvadorianer nach dem Weg oder der Geschichte eines Ortes, fängt dieser an zu singen. Das sollte mir noch häufiger passieren. Musik gehört hier irgendwie zum Alltag.
Die Busfahrt führt mich durch die Unterstadt, die Cidade Baixa, am Elevador Lacerda, dem Schnellaufzug mit dem man in Oberstadt gelangt. Salvador ist auf verschiedenen Ebenen einer Bergkette gebaut und daher in eine Ober- und Unterstadt geteilt.
Vorbei rauschen an mir das historische Zollhaus Mercado Modelo direkt am Hafen, in dem heute Bahias Kunsthandwerk verkauft wird und eine Vielzahl bunter ausdrucksvoller Graffiti, die einen fast von jeder leeren Hauswand anschreien. Das Kreative, Spontane, selbst Erschaffene scheint in dieser Stadt ein Lebensgefühlt zu sein. Nach einer halben Stunde bin ich am Ziel. direkt vor mir die Igreja nosso Senhor do Bonfim. Stolz ragt sie mit ihren zwei gelb bedachten Türmen in das wolkenlose Blau. Höher ranken nur drei riesige Palmen mit dünnen Stämmen, die aussehen wie Stile.
1740 brachte der portugiesische Seefahrer Teodosio Rodrigeus de Faria eine Jesus-Christus Statue die Nosso Senhor do Bonfim über den Ozean in das neue Land. Doch wo sollte man diese Unterbringen? Also baute man für sie eine Kirche.
Doch anstatt hinein zu gehen wird meine Aufmerksamkeit durch ein ratterndes Motorgeräusch angezogen.
Ein paar Meter von mir entfernt bedient ein Mann eine seltsame, primitive Maschine mit zwei Rädern. Er entdeckt meine Neugierde und holt einen langen grünen Stock hervor, den er in eine Öffnung schiebt. Die Maschine fängt wieder wie wild an zu rattern. Ein grünlich gelber Saft strömt in einen Metallkübel, von dem Stock bleiben nur ein paar trockene Fäden über. Er gießt den Saft durch ein Sieb in einen Plastikbecher und legt noch zwei Eiswürfel hinein. "Caldo de Cana", nuschelt er, was auf brasilianisch Zuckerrohrsaft bedeutet. Er reicht mir das Getränk und fordert mich auf zu probieren.
Es schmeckt süß aber auch nicht zu süß finde ich, ein bisschen wie Lemonade, aber irgendwie auch anders.
Caldo de Cana ist in Salvador da Bahia de Todos os Santo ein beliebtes Getränk, erzählt mir der Zuckerrohrsaftverkäufer. Gibt man noch ein paar Spritzer Limettensaft hinzu, schmecke es noch besser. sagt er charmant.
Sein Name ist Jorge Cruz Santana. Ich frage ihn, woher er kommt ob er auf Itapagipe wohnt. Er schüttelt den Kopf und zeigt mit dem Finger auf den gegenüberliegenden Hügel. Ein so großes Armenviertel habe ich bisher noch nie gesehen. Uruguai, heißt das Viertel in dem er wohnt, daneben liegt Piri Piri, Paripe, Sao Caitano. Eine Favela scheint in die nächste über zu gehen.
In Uruguia sagt der Zuckerverkäufer Jorje stolz, gäbe es eine Kirche die von Papst Johannes Paul dem Zweiten persönlich eingeweiht wurde. Ich drücke ihm 50 Reas in die Hand, was umgerechnet ein Euro ist und verabschiede mich. Er lächelt ein zahnloses aber warmherziges Lächeln.
Ich setze mich auf eine Bank in der Nähe, nippe an meinem Zuckerrohrsaft und lasse meine Blicke ausschweifen. Der Platz vor der Nosso Senhor do Bonfim ist ziemlich leer, außerhalb der vielen Feiertage, an denen die ganze Stadt hierher pilgert, ist hier offenbar wenig los: die wenigen Touristen und Einheimischen verlieren sich auf dem großen Areal.
Mit einem Mal spielt sich vor meinen Augen eine rührende Szene ab. Auf den Stufen der Wallfahrtskirche hockt ein Schwarzer Mann in Shorts und einem weißes Unterhemd, er hat einen schwarzen Plastikmülleimer zwischen seine Knie geklemmt und trommelt darauf herum.
Neben ihm tanzt zu den Trommelschlägen seine süße zwei Jährige Tochter. Als ich ihm mich nähere fängt er an zu singen.
Er singt von offenbar von den Ort Bonfim. Vinicius Rocky und seine Tochter Virginia habe ich sofort ins Herz geschlossen. Wir verbringen den restlichen Abend gemeinsam in einem Restaurant am äußersten Zipfel der Halbinsel Itapapagipe. Hier verirrt sich kaum ein Tourist hin. Zu Moquecca de peixe, Fisch in Dende-Öl, eines der typischen bahianischen Gerichte beobachten wir wie die Sonne, ein rot glühender Ball vom Meer verschluckt wird.
Von hier aus hat man wirklich den schönsten Blick auf Salvador und das Meer. Bei dem Gedanken wird mir klar, warum viele der bekanntesten Künstler, Musiker und Dichter Brasiliens aus Salvador Bahia stammen. Ihrem Heimatort Bahia haben sie auch in unzähligen Liedern Hommage erwiesen.
Die bekannteste von Ihnen, die Gruppe Olodum hat es sogar zu Weltruhm gebracht und dem schwarzen Bevölkerungsanteil ihr Selbstbewusstsein wiedergegeben.
Das zu zerfallene Altstadtviertel Pelourinho war plötzlich Magnet für Touristen aus aller Welt. Heute ist es komplett restauriert und steht unter UNESCO- Weltkulturerbe. Von seiner dunklen Vergangenheit keine Spur mehr.
Kaum zu glauben, dass hier in Pelourinho, von den Einwohner liebevoll Pelo genannt, noch vor 150 Jahren die Sklaven öffentlich ausgepeitscht wurden. Pelo war früher der zentrale Sklavenmarkt Bahias.
Ich bin plötzlich von einer Reihe von Trommlern umgeben. Mein erster Gedanke: Mein Trommelfell wird platzen. Doch dann beginnt mein Herz in einem anderen Rhythmus zu schlagen, im Axé-Rhythmus. Ich fühle mich quicklebendig und bin neugierig auf diese Musik und was sie erzählt.
Die Kraft der Atabaque-Trommel lässt einen Orixa, einen von vielen afrikanischen Gottheiten erscheinen, heißt es. Die Anhänger der afro-brasilianischen Religion Candomblé glauben, dass sich die Orixa-Gottheiten in den Körpern ausgewählter Menschen materialisieren. Blocos Afros wie Olodum gingen also in die Terreiros, in die vielen Candomblé-Kultstätten, von denen es in Salvador unzählige gibt, und ließen sich von der Musik inspirieren.
Also war mir klar, ich musste unbedingt ein Terreiro besuchen!
Ich stehe auf einem eingezäunten Areal, dessen Mitte ein in Schiffsform gebauter Tempel einnimmt. Es sieht aus, als sei mitten auf dem glühend heißen Asphalt ein Schiff gestrandet. Geschmückt ist das weiße Tempelschiff mit der blau bemalten Umrandung mit silbernen, weißen, goldenen und gelben Vasen. Über allem thront auf einer dünnen, schmucklosen Säule ein kleiner weißer Schwan aus Ton. Der Tempel gehört zur Casa Branca, das älteste Terreiro Salvadors. Hier finden jeden Sonntagabend Zeremonien statt.
Die glühend heiße Mittagssonne - so scheint es - lässt sogar die Grillen in den Bäumen laut aufschreien.
Schließlich steigt eine ältere Frau mit tiefschwarzer Hautfarbe, kurzen Haaren, in einem weißen zerschlissenen Baumwollkleid die Stufen zum Tempelschiff hinab.
Gott sei Dank, denn die brennende Mittagssonne bringt jede noch so kleine Gehinaktivität zum Erlahmen. Der weiß gestrichene Raum wird durch mehrere Wandsäulen getrennt, an der Hauptsäule hängt ein gemaltes Bild, auf dem ein schwarzer Mann mit nacktem Oberkörper und verzweifeltem Gesichtausdruck eine Doppelaxt in die Luft hält. Blickfang bildet um die Säulen herum eine Anordnung von auffälligen Holzstühlen. Keiner sieht aus wie der andere, jeder einzelne ist prunkvoll wie ein Thron, mit aufwändigen Schnitzereien und großzügigen Armlehnen.
"Die Stühle sind für die Orixas", erzählt uns die Frau des Terreiros. "Es dürfen nur Personen darauf sitzen, die einen Grad im Candomblé erlangt haben und den Geist eines Orixas empfangen können. Jeder Orixa hat seinen eigenen Stuhl. Das hier ist der Stuhl von Ogun, der weiße ist für Oxala, dem Vater aller Orixas, alles was zu ihm gehört ist weiß."
Jeder Orixà hat verschiedene Charaktereigenschaften, Stärken und Schwächen, die sich auf uns Menschen übertragen, erzählt sie weiter. Denn im Candomblé gilt jeder Mensch als Nachkomme eines bestimmten Orixa. Doch nur Auserwählte können zu seinem Medium werden. In ihren Körpern offenbart sich der Geist eines Orixas. Stundenlang tanzen sich die Auserwählten dafür in Trance bis der Orixa durch sie in Erscheinung tritt.
Der Candomblé wurde von der katholischen Kirche streng verfolgt. Um ihn heimlich ausüben zu können tarnten die Sklaven ihre Orixa-Gottheiten mit den Namen katholischer Heiliger.
Ich laufe um die Stuhlreihe herum. Der Raum ist mit aus Holz geschnitzten, afrikanischen Skulpturen geschmückt. Plötzlich stehe ich vor einem kleinen Altar, auf dem Porzellanfiguren in Gestalt von Engeln, Rittern und Graisen aufgereiht sind. Auf der obersten Ebene ebenfalls aus Porzellan ragt ein gekreuzigter Jesus Christus an einem hölzernen Cruzfix. Ich drehe mich verwundert um und schaue in das Gesicht der Enquedi. Sie nickt:
"Das ist Jesus Christus, der bei uns Senhor do Bonfim heißt. Er ist Oxala, der höchste Gottvater der Orixas. Ihm zu Ehren feiern wie die Lavagem do Bonfim."
Wenn bei der "Lavagem de Bonfim" alljährlich im Januar mit großer Inbrunst die Kirchentreppen der Bonfim -Kirche mit parfümiertem Wasser gewaschen werden, feiert ganz Salvador mit. Ein Pilgerzug führt durch die ganze Stadt zur Kirche hin. "Aguas de Oxala", Wasser des Oxala wird die Pozession auch genannt.
Sie ist ein Paradebeispiel für die typische bahianische Vermischung religiöser Symbole des Katholizismus mit afrikanischem Brauchtum.
Als ich in meinem Reiseführer die Entstehungsgeschichte dieses synkretistischen Festes nachlese, weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Die Lavagem de Bonfim, das Fest der Kirchenwaschung, ist eigentlich nur entstanden, weil weiße Kolonialherren ihren Sklaven am Vortag des Kirchenfestes die Treppe der Erlöserkirche blitz und blank zu scheuern. Geblieben ist ein rauschendes Fest, bei dem viel getanzt und gesungen wird.
Ich verabschiede mich von der Equedi, darf aber kein Foto von ihr machen, denn sie schämt sich für ihr zerrissenes Kleid. Sie schickt mich zur Wallfahrtskirche Nosso Senhor do Bonfim.
Sie soll die schönste der 34 Kolonialkirchen Salvadors sein. Die Erlöserkirche liegt am nördlichsten Zipfel von Salvador auf der Halbinsel Itapagipe, auf einem Hügel. Von dort oben soll man einen wunderbaren Blick auf die ganze Stadt haben. Ich mache ich mich auf den Weg zurück zum Stadtzentrum, um von dort den Bus nach Bonfim zu nehmen. Ohne Eile, denn ich möchte mich ein wenig treiben und die Stadt auf mich wirken lassen. Es ist Sonntagnachtmittag. Ich spaziere durch die Seitenstraßen des Stadtzentrums. Die Lanchonetes, die Straßenbistros, sind angenehm gefüllt und einige Anwohner haben sich ihren eigenen Tisch auf die Straße gestellt, an dem sie eifrig Karten spielen.
Ein schwarzer Jugendlicher mit nacktem Oberkörper kommt mir entgegen.
Ihn frage ich freundlich nach dem Weg zur Haltestelle. Er zeigt in eine Richtung und will meinen Namen wissen. Eleni sage ich: und er fängt auf der Stelle an ein Lied anzustimmen für mich.
In Salvador ist das kein Einzelfall. Fragt man einen Salvadorianer nach dem Weg oder der Geschichte eines Ortes, fängt dieser an zu singen. Das sollte mir noch häufiger passieren. Musik gehört hier irgendwie zum Alltag.
Die Busfahrt führt mich durch die Unterstadt, die Cidade Baixa, am Elevador Lacerda, dem Schnellaufzug mit dem man in Oberstadt gelangt. Salvador ist auf verschiedenen Ebenen einer Bergkette gebaut und daher in eine Ober- und Unterstadt geteilt.
Vorbei rauschen an mir das historische Zollhaus Mercado Modelo direkt am Hafen, in dem heute Bahias Kunsthandwerk verkauft wird und eine Vielzahl bunter ausdrucksvoller Graffiti, die einen fast von jeder leeren Hauswand anschreien. Das Kreative, Spontane, selbst Erschaffene scheint in dieser Stadt ein Lebensgefühlt zu sein. Nach einer halben Stunde bin ich am Ziel. direkt vor mir die Igreja nosso Senhor do Bonfim. Stolz ragt sie mit ihren zwei gelb bedachten Türmen in das wolkenlose Blau. Höher ranken nur drei riesige Palmen mit dünnen Stämmen, die aussehen wie Stile.
1740 brachte der portugiesische Seefahrer Teodosio Rodrigeus de Faria eine Jesus-Christus Statue die Nosso Senhor do Bonfim über den Ozean in das neue Land. Doch wo sollte man diese Unterbringen? Also baute man für sie eine Kirche.
Doch anstatt hinein zu gehen wird meine Aufmerksamkeit durch ein ratterndes Motorgeräusch angezogen.
Ein paar Meter von mir entfernt bedient ein Mann eine seltsame, primitive Maschine mit zwei Rädern. Er entdeckt meine Neugierde und holt einen langen grünen Stock hervor, den er in eine Öffnung schiebt. Die Maschine fängt wieder wie wild an zu rattern. Ein grünlich gelber Saft strömt in einen Metallkübel, von dem Stock bleiben nur ein paar trockene Fäden über. Er gießt den Saft durch ein Sieb in einen Plastikbecher und legt noch zwei Eiswürfel hinein. "Caldo de Cana", nuschelt er, was auf brasilianisch Zuckerrohrsaft bedeutet. Er reicht mir das Getränk und fordert mich auf zu probieren.
Es schmeckt süß aber auch nicht zu süß finde ich, ein bisschen wie Lemonade, aber irgendwie auch anders.
Caldo de Cana ist in Salvador da Bahia de Todos os Santo ein beliebtes Getränk, erzählt mir der Zuckerrohrsaftverkäufer. Gibt man noch ein paar Spritzer Limettensaft hinzu, schmecke es noch besser. sagt er charmant.
Sein Name ist Jorge Cruz Santana. Ich frage ihn, woher er kommt ob er auf Itapagipe wohnt. Er schüttelt den Kopf und zeigt mit dem Finger auf den gegenüberliegenden Hügel. Ein so großes Armenviertel habe ich bisher noch nie gesehen. Uruguai, heißt das Viertel in dem er wohnt, daneben liegt Piri Piri, Paripe, Sao Caitano. Eine Favela scheint in die nächste über zu gehen.
In Uruguia sagt der Zuckerverkäufer Jorje stolz, gäbe es eine Kirche die von Papst Johannes Paul dem Zweiten persönlich eingeweiht wurde. Ich drücke ihm 50 Reas in die Hand, was umgerechnet ein Euro ist und verabschiede mich. Er lächelt ein zahnloses aber warmherziges Lächeln.
Ich setze mich auf eine Bank in der Nähe, nippe an meinem Zuckerrohrsaft und lasse meine Blicke ausschweifen. Der Platz vor der Nosso Senhor do Bonfim ist ziemlich leer, außerhalb der vielen Feiertage, an denen die ganze Stadt hierher pilgert, ist hier offenbar wenig los: die wenigen Touristen und Einheimischen verlieren sich auf dem großen Areal.
Mit einem Mal spielt sich vor meinen Augen eine rührende Szene ab. Auf den Stufen der Wallfahrtskirche hockt ein Schwarzer Mann in Shorts und einem weißes Unterhemd, er hat einen schwarzen Plastikmülleimer zwischen seine Knie geklemmt und trommelt darauf herum.
Neben ihm tanzt zu den Trommelschlägen seine süße zwei Jährige Tochter. Als ich ihm mich nähere fängt er an zu singen.
Er singt von offenbar von den Ort Bonfim. Vinicius Rocky und seine Tochter Virginia habe ich sofort ins Herz geschlossen. Wir verbringen den restlichen Abend gemeinsam in einem Restaurant am äußersten Zipfel der Halbinsel Itapapagipe. Hier verirrt sich kaum ein Tourist hin. Zu Moquecca de peixe, Fisch in Dende-Öl, eines der typischen bahianischen Gerichte beobachten wir wie die Sonne, ein rot glühender Ball vom Meer verschluckt wird.
Von hier aus hat man wirklich den schönsten Blick auf Salvador und das Meer. Bei dem Gedanken wird mir klar, warum viele der bekanntesten Künstler, Musiker und Dichter Brasiliens aus Salvador Bahia stammen. Ihrem Heimatort Bahia haben sie auch in unzähligen Liedern Hommage erwiesen.