Bahnsteig 8, Hauptbahnhof Bremen. Mittagszeit. Kathrin Klug hält eine Landkarte hoch. Die studierte Historikerin arbeitet für das Unternehmen "Stattreisen". Heute begleitet sie rund 30 Touristen aus Bremen, Hamburg und dem Umland nach Worpswede. Bis vor einhundert Jahren, erklärt sie, gab es nur einen Weg, um vom Teufelsmoor in die Hansestadt zu kommen; zu Wasser – über Lesum, Wümme und Hamme.
"Drei Tage von Worpswede bis hier nach Bremen. Der Moorexpress von 1910 hat ermöglicht, dass man in einer Stunde hier war; also, obwohl das ein langsamer Zug war, öffnete sich die Welt dadurch. Man kam einfach nach Bremen, was man sonst nie zu sehen bekam. Moorexpress, ne schöne Angelegenheit – und da kommt er auch. Genau mit diesen Worten."
Von 1910 stammt die Diesellok, die jetzt einfährt, zwar nicht. Aber ein halbes Jahrhundert hat sie auch schon auf dem Buckel. Obwohl der Moorexpress langsamer ist als ein moderner Bus – wenn er zwischen Mai und Oktober Menschen von Bremen über Worpswede bis nach Stade bringt, sind die Plätze meist ausverkauft. Die beiden Personenwaggons bieten Platz für rund 90 Leute, einen Wagen für 25 Fahrräder gibt es auch. Kathrin Klug und ihre Gäste steigen vorne ein. Es ist warm, der Dieselmotor heizt von unten. Es gibt keine Klimaanlage, und durch die kleinen Öffnungen in den Schiebefenstern dringt kaum frische Luft nach innen. Komfort: Fehlanzeige. Stattdessen: eine ganz besondere Stimmung, sagt Christine Marks – die Lokführerin, die sich gerade zur Abfahrt bereit macht.
"So die Gemütlichkeit hier drin finde ich irgendwie schön. Also es ist hier nicht so ernst, sag ich. Die Arbeit muss man schon ernst nehmen, weil ist ja ganz normal Eisenbahn. Aber ich finde, dass das hier so bisschen – ja, durch die Fahrgäste bisschen lockerer rüberkommt. Weil bei unseren anderen Triebwagen: da ist hinter uns die Tür zu, und dann ist Ruhe. Und hier haben wir dann doch bisschen andere Atmosphäre. Hier ist das schon schöner."
Den meisten Kollegen von Christine Marks liegt der in die Jahre gekommene Moorexpress nicht. Aber ihr machen die Wochenend-Fahrten Spaß. - Auch wenn man mehr im Auge haben muss als in einem modernen Zug, wo es eigentlich nur noch den Fahr-Brems-Hebel gibt. Die Lokführerin kennt die Strecke ganz genau; weiß, wo sie bremsen muss oder etwas Gas geben kann. Dabei achtet sie immer darauf, die alte Lok zu schonen.
"Also, der würde 90. Aber ich sag immer, weil er schon so ein alter Papa ist, da will ich den dann nicht so quälen. Fahrzeiten-mäßig kommen wir gut hin, und deswegen reichen 80 zu. Denn fühlt er sich nicht so gequält. Der soll ja noch ne Weile durchhalten, der kleine Kerl."
Je näher wir Worpswede kommen, desto langsamer muss Christine Marks fahren. Die Schienen sind alt, und es gibt viele Kurven auf der Strecke. Außerdem muss die Lokführerin oft hupen; wegen der vielen unbeschrankten Bahnübergänge. Nach einer knappen Stunde Fahrt – vorbei an grünen Wiesen, Pferdekoppeln und Kuhweiden, erreicht Kathrin Klugs Reisegruppe das Künstlerdorf Worpswede.
Die Touristen steigen aus dem alten Zug, aber sie bleiben in der alten Zeit. Der alte Bahnhof empfängt die Gäste heute noch fast so wie vor einhundert Jahren; rosa, Jugendstil, von Heinrich Vogeler entworfen.
"Damals hatte man schon im Blick, dass man hoffte, dass ganz viele Touristen nach Worpswede kommen. Heute wohnen in Worpswede 10.000 Leute, das ist schon ganz ordentlich. Und Worpswede verteilt sich schön über den Berg. Wir werden das gleich merken. Also die Bergbesteigung heute liegt bei 54 Metern. Gucken Sie auf Ihre Schuhe, das kriegen Sie hin. Und jetzt würde ich sagen: Los geht’s!"
Auf dem Weg zum Worpsweder Marktplatz, wo sich übrigens auch die Touristik-Zentrale befindet, kommen wir an den Gründerhäusern des kleinen Ortes vorbei. Von den ursprünglich sieben Bauernhöfen stehen noch sechs. "Erbaut 1217" ist auf einem der denkmalgeschützten Fachwerk-Gebäude zu lesen. Bis ins 18. Jahrhundert gab es nicht mehr als diese paar Häuser in Worpswede, weil der Ort wie eine Insel im Teufelsmoor lag. Dann allerdings ernannte der Kurfürst von Hannover Jürgen Christian Findorff zum Moor-Kommissar. Und der legte große Teile vom Teufelsmoor trocken und ließ sie besiedeln. Die Bauern hatten ein hartes Leben damals. Getreide wuchs schlecht, und der Handel mit Torf war mühsam. Aber die Landschaft war – und ist - einzigartig und zog Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Künstler an; zum Beispiel Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn.
"Die drei waren eigentlich so fasziniert von der Variante, Landschaftsmalerei in echt zu betreiben. Und sie machten etwas, was man damals auch gar nicht machte: sie malten auch Leute, die man eigentlich nicht malt; nämlich so komische "Normalos" würden wir heute sagen, so Arbeiter, Leute ohne Titel."
Kathrin Klug, die Reiseleiterin, zeigt ihrer Gruppe eine Kopie von Mackensens "Säugling". Das Bild zeigt eine Bauersfrau mit ihrem Kind. Die Frau sitzt auf einem hölzernen Karren und stillt ihr Baby. Mitten in der Natur, während sie vom Torf-Stechen pausiert.
"Also er hat so was von einfühlsam diese Leute hier gestaltet, dass es einen nicht wundert, dass er später Preise dafür bekommen hat. Fritz Mackensen ist der Erfolg nur zum Teil bekommen. Wenn Sie aus einer sehr armen Familie kommen, sind Sie natürlich auch sehr stolz, wenn dann das Geld fließt. Den anderen Künstlern ging er zu protzig mit dem Erfolg um. Und das eigentliche Drama war dann, als die Nationalsozialisten ihn entdeckten, fanden diese Bilder genau optimal."
Dass Mackensen sich für die Nationalsozialisten engagierte, trug zum Bruch zwischen den Künstlern bei. Heinrich Vogeler zum Beispiel war überzeugter Kommunist. Er machte aus seinem Anwesen, dem Barkenhoff, noch vor dem Zweiten Weltkrieg ein soziales Projekt und später ein Kinderheim. Aber die Künstlergemeinde zerbrach eigentlich schon vor der Hitlerzeit. Die Maler, Bildhauer und Schriftsteller hatten unterschiedlich viel Erfolg. Während Mackensen finanziell gut dastand, war Paula Modersohn-Becker ihr Leben lang von ihrem Ehemann abhängig. Ihre Bilder waren zu gewagt für die Zeit, zu ausdrucksstark. Erst später, Jahrzehnte nach ihrem Tod, fand sie die Anerkennung, die bis heute nachwirkt, und auf die die Worpsweder und Bremer noch heute stolz sind. So beschreibt es auch Renate Johanning, eine Touristin aus Bremen.
"Auch mit Gästen kommt man hier sehr gerne her. Dass man- wenn man jemanden zu Besuch hat – dass man sagt: Mensch, lass und mal eben kurz nach Worpswede rüberfahren."
Auch Max Schmidt, ihr Mann, besucht die Galerien in Bremen und Worpswede regelmäßig. Er ist gern hier, aber man muss auch realistisch bleiben, sagt er. Vom alten Künstlerdorf ist nicht mehr viel übrig.
"Na, ja, nicht mehr so, wie man sich das vorstellt. Es ist tatsächlich Tourismus geworden. Auf der anderen Seite: Der Ort muss ja von irgendwas leben. Und wenn man das mit Tourismus hinkriegt, ist es immer noch besser, als wenn man irgendwelche Industrie ansiedelt, nicht? Ja. An und für sich schad drum. Aber es geht wohl nicht anders."
Die Bergstraße, die die beiden Bremer gerade entlang laufen, gibt es erst seit dem vergangenen Jahr. Aus einer normalen Autostraße ist eine Fußgänger-Fahrrad-Auto-Strecke geworden. Schritttempo ist Vorschrift und die Fußgänger haben Vorrang. Eine Art Flanier-Meile, die an Cafés, Geschäften und Galerien vorbeiführt und die die Touristen zu einem Platz leitet, auf dem Pferdekutschen warten.
Nachdem die Reisegruppe auf zwei Kremsern Platz genommen hat, laufen die Pferde los. Nach Neu Helgoland, wo die Torfkähne in Richtung Osterholz-Scharmbeck ablegen. Die Tagesgäste erwartet eine Eineinhalb-Stunden-Tour auf der Hamme. Jörg Lorenz aus Hamburg weiß schon in etwa, was auf ihn zukommt.
"Ja, ich hab schon mal vor einiger Zeit in so einem Torfkahn gesessen. Das fühlt sich so ein bisschen an wie so ein Einbaum – so lang und schmal. Ist ne tolle Sache. Man ist direkt so in der Natur. Rechts und links ist es grün, weil es so kleine Kanäle sind in der Regel. Fühlt sich toll an. Einfach schön."
Heute sind Torfkahn-Fahrten ein Freizeitvergnügen für Touristen. Bis in die 1930er-Jahre hinein wurden die Kähne aber von Torf-Bauern genutzt, um vom Teufelsmoor nach Bremen zu kommen. Es gibt noch alte Fotografien, auf denen die Boote von damals abgebildet sind. Die Nachbauten von heute sind ihnen sehr ähnlich. Rund zehn Meter lang und eineinhalb Meter breit, mit Platz für 50 Körbe voll Torf. Oder heute: 16 Personen. Manfred Sievers schippert Touristen seit 30 Jahren durch das Teufelsmoor. Als alle sitzen, begrüßt er sie und gibt vor der Abfahrt noch ein paar Anweisungen.
"Eine Seite komplett aufstehen ist verboten, einzeln schon mal; nur nicht hier vor der Brücke, weil die Brücke einen sehr harten Eisenträger hat. So, denn fahren wir erst mal los."
Sievers lässt den kleinen Dieselmotor an. Vorne auf dem Torfkahn liegt zwar noch das typische braune Segel, aber heute gibt es nicht genug Wind, um es zu nutzen. Der Skipper trägt eine Schirmmütze, ein blau-weiß gestreiftes Seemannshemd und eine schwarze Cordweste, in der eine Taschenuhr steckt. Das Sinnbild eines Seebären. Er kommt hier aus der Gegend: aus Adolphsdorf. Anfangs bauten er und seine Freunde die Torfkähne nur zum Spaß nach, aber dann wurden es immer mehr, und inzwischen gibt es rund 25 Torfkähne im Teufelsmoor, erzählt der Rentner während der Fahrt. Für seine Arbeit als Skipper bekommt er nur einen kleinen Obolus. Aber es geht ohnehin nicht ums Geld, sagt er. Sondern darum, den Leuten die Geschichte vom Teufelsmoor und von den Torfbauern zu erzählen.
"So ne Tour nach Bremen hat fast zweieinhalb bis drei Tage gedauert. Man kann sich vorstellen, wenn man so einen Kahn zieht mit 6 Kubikmeter Torf, entspricht ungefähr, was wir jetzt an Leuten an Gewicht hier drauf haben. Man hat also zu zweit gezogen, meistens hat die Frau das Schiff gezogen - an dem Seil, was ich vorne drauf hab. Und hier unter der Bank habe ich so einen langen Staken. Aber das Staken ging hier nicht sehr gut, weil das hier so modderig war. So hat der Mann von oben gedrückt, und die Frau hat gezogen. Und so hat man gemeinsam das Schiff gemeinsam nach Bremen geschoben und gezogen, ne."
Von "fahren" konnte damals also gar keine Rede sein; außer natürlich für den Torf. Die Torf-Bauern liefen am Ufer entlang und zogen und schoben den Kahn mit einem Seil und einem langen Stab – tagelang, bis in die Hansestadt. Eine kleine Kajüte gab es auch auf dem Kahn. Darin verstauten die Menschen ein paar Strohsäcke und einen kleinen Herd. Weil im Moor kein Getreide wuchs, sondern nur Buchweizen, waren Buchweizen-Pfannkuchen ein häufiges Essen.
"Ist heute ne leckere Sache, aber früher ist das denen wahrscheinlich aus den Ohren rausgekommen. [Bookwickenpannkooek, op Platt, jo. Po do it dat ne leckere sak, ne. Met Preiselbeeren oder met en Stück Lachs do rin.] Ja. Das Segel hab ich da auch drauf liegen. In der Regel ist es so, dass wir Westwind haben, wenn wir schlechteres Wetter haben. Das heißt also, man konnte immer nur mit Rückenwind segeln. Und so wars, dass sie oftmals das Schiff nach Bremen voll gezogen haben und leer zurückgesegelt haben."
Am häufig feuchten Wetter und dem Westwind hat sich bis heute nichts geändert. Nach einer halben Stunde Torfkahn-Fahrt beginnt es zu regnen. Aber Manfred Sievers hat Regenhäute, belegte Brote und heißen Kaffee für alle dabei, sodass die Torfkahn-Touristen die dicken Tropfen gut aushalten können. Als wir in Osterholz-Scharnbeck ankommen, ist die Stimmung gut. Und auch wenn der Ausflugstag lang war – viele Gäste wissen schon jetzt, dass sie wiederkommen werden: ins Teufelsmoor und nach Worpswede.
"Drei Tage von Worpswede bis hier nach Bremen. Der Moorexpress von 1910 hat ermöglicht, dass man in einer Stunde hier war; also, obwohl das ein langsamer Zug war, öffnete sich die Welt dadurch. Man kam einfach nach Bremen, was man sonst nie zu sehen bekam. Moorexpress, ne schöne Angelegenheit – und da kommt er auch. Genau mit diesen Worten."
Von 1910 stammt die Diesellok, die jetzt einfährt, zwar nicht. Aber ein halbes Jahrhundert hat sie auch schon auf dem Buckel. Obwohl der Moorexpress langsamer ist als ein moderner Bus – wenn er zwischen Mai und Oktober Menschen von Bremen über Worpswede bis nach Stade bringt, sind die Plätze meist ausverkauft. Die beiden Personenwaggons bieten Platz für rund 90 Leute, einen Wagen für 25 Fahrräder gibt es auch. Kathrin Klug und ihre Gäste steigen vorne ein. Es ist warm, der Dieselmotor heizt von unten. Es gibt keine Klimaanlage, und durch die kleinen Öffnungen in den Schiebefenstern dringt kaum frische Luft nach innen. Komfort: Fehlanzeige. Stattdessen: eine ganz besondere Stimmung, sagt Christine Marks – die Lokführerin, die sich gerade zur Abfahrt bereit macht.
"So die Gemütlichkeit hier drin finde ich irgendwie schön. Also es ist hier nicht so ernst, sag ich. Die Arbeit muss man schon ernst nehmen, weil ist ja ganz normal Eisenbahn. Aber ich finde, dass das hier so bisschen – ja, durch die Fahrgäste bisschen lockerer rüberkommt. Weil bei unseren anderen Triebwagen: da ist hinter uns die Tür zu, und dann ist Ruhe. Und hier haben wir dann doch bisschen andere Atmosphäre. Hier ist das schon schöner."
Den meisten Kollegen von Christine Marks liegt der in die Jahre gekommene Moorexpress nicht. Aber ihr machen die Wochenend-Fahrten Spaß. - Auch wenn man mehr im Auge haben muss als in einem modernen Zug, wo es eigentlich nur noch den Fahr-Brems-Hebel gibt. Die Lokführerin kennt die Strecke ganz genau; weiß, wo sie bremsen muss oder etwas Gas geben kann. Dabei achtet sie immer darauf, die alte Lok zu schonen.
"Also, der würde 90. Aber ich sag immer, weil er schon so ein alter Papa ist, da will ich den dann nicht so quälen. Fahrzeiten-mäßig kommen wir gut hin, und deswegen reichen 80 zu. Denn fühlt er sich nicht so gequält. Der soll ja noch ne Weile durchhalten, der kleine Kerl."
Je näher wir Worpswede kommen, desto langsamer muss Christine Marks fahren. Die Schienen sind alt, und es gibt viele Kurven auf der Strecke. Außerdem muss die Lokführerin oft hupen; wegen der vielen unbeschrankten Bahnübergänge. Nach einer knappen Stunde Fahrt – vorbei an grünen Wiesen, Pferdekoppeln und Kuhweiden, erreicht Kathrin Klugs Reisegruppe das Künstlerdorf Worpswede.
Die Touristen steigen aus dem alten Zug, aber sie bleiben in der alten Zeit. Der alte Bahnhof empfängt die Gäste heute noch fast so wie vor einhundert Jahren; rosa, Jugendstil, von Heinrich Vogeler entworfen.
"Damals hatte man schon im Blick, dass man hoffte, dass ganz viele Touristen nach Worpswede kommen. Heute wohnen in Worpswede 10.000 Leute, das ist schon ganz ordentlich. Und Worpswede verteilt sich schön über den Berg. Wir werden das gleich merken. Also die Bergbesteigung heute liegt bei 54 Metern. Gucken Sie auf Ihre Schuhe, das kriegen Sie hin. Und jetzt würde ich sagen: Los geht’s!"
Auf dem Weg zum Worpsweder Marktplatz, wo sich übrigens auch die Touristik-Zentrale befindet, kommen wir an den Gründerhäusern des kleinen Ortes vorbei. Von den ursprünglich sieben Bauernhöfen stehen noch sechs. "Erbaut 1217" ist auf einem der denkmalgeschützten Fachwerk-Gebäude zu lesen. Bis ins 18. Jahrhundert gab es nicht mehr als diese paar Häuser in Worpswede, weil der Ort wie eine Insel im Teufelsmoor lag. Dann allerdings ernannte der Kurfürst von Hannover Jürgen Christian Findorff zum Moor-Kommissar. Und der legte große Teile vom Teufelsmoor trocken und ließ sie besiedeln. Die Bauern hatten ein hartes Leben damals. Getreide wuchs schlecht, und der Handel mit Torf war mühsam. Aber die Landschaft war – und ist - einzigartig und zog Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Künstler an; zum Beispiel Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn.
"Die drei waren eigentlich so fasziniert von der Variante, Landschaftsmalerei in echt zu betreiben. Und sie machten etwas, was man damals auch gar nicht machte: sie malten auch Leute, die man eigentlich nicht malt; nämlich so komische "Normalos" würden wir heute sagen, so Arbeiter, Leute ohne Titel."
Kathrin Klug, die Reiseleiterin, zeigt ihrer Gruppe eine Kopie von Mackensens "Säugling". Das Bild zeigt eine Bauersfrau mit ihrem Kind. Die Frau sitzt auf einem hölzernen Karren und stillt ihr Baby. Mitten in der Natur, während sie vom Torf-Stechen pausiert.
"Also er hat so was von einfühlsam diese Leute hier gestaltet, dass es einen nicht wundert, dass er später Preise dafür bekommen hat. Fritz Mackensen ist der Erfolg nur zum Teil bekommen. Wenn Sie aus einer sehr armen Familie kommen, sind Sie natürlich auch sehr stolz, wenn dann das Geld fließt. Den anderen Künstlern ging er zu protzig mit dem Erfolg um. Und das eigentliche Drama war dann, als die Nationalsozialisten ihn entdeckten, fanden diese Bilder genau optimal."
Dass Mackensen sich für die Nationalsozialisten engagierte, trug zum Bruch zwischen den Künstlern bei. Heinrich Vogeler zum Beispiel war überzeugter Kommunist. Er machte aus seinem Anwesen, dem Barkenhoff, noch vor dem Zweiten Weltkrieg ein soziales Projekt und später ein Kinderheim. Aber die Künstlergemeinde zerbrach eigentlich schon vor der Hitlerzeit. Die Maler, Bildhauer und Schriftsteller hatten unterschiedlich viel Erfolg. Während Mackensen finanziell gut dastand, war Paula Modersohn-Becker ihr Leben lang von ihrem Ehemann abhängig. Ihre Bilder waren zu gewagt für die Zeit, zu ausdrucksstark. Erst später, Jahrzehnte nach ihrem Tod, fand sie die Anerkennung, die bis heute nachwirkt, und auf die die Worpsweder und Bremer noch heute stolz sind. So beschreibt es auch Renate Johanning, eine Touristin aus Bremen.
"Auch mit Gästen kommt man hier sehr gerne her. Dass man- wenn man jemanden zu Besuch hat – dass man sagt: Mensch, lass und mal eben kurz nach Worpswede rüberfahren."
Auch Max Schmidt, ihr Mann, besucht die Galerien in Bremen und Worpswede regelmäßig. Er ist gern hier, aber man muss auch realistisch bleiben, sagt er. Vom alten Künstlerdorf ist nicht mehr viel übrig.
"Na, ja, nicht mehr so, wie man sich das vorstellt. Es ist tatsächlich Tourismus geworden. Auf der anderen Seite: Der Ort muss ja von irgendwas leben. Und wenn man das mit Tourismus hinkriegt, ist es immer noch besser, als wenn man irgendwelche Industrie ansiedelt, nicht? Ja. An und für sich schad drum. Aber es geht wohl nicht anders."
Die Bergstraße, die die beiden Bremer gerade entlang laufen, gibt es erst seit dem vergangenen Jahr. Aus einer normalen Autostraße ist eine Fußgänger-Fahrrad-Auto-Strecke geworden. Schritttempo ist Vorschrift und die Fußgänger haben Vorrang. Eine Art Flanier-Meile, die an Cafés, Geschäften und Galerien vorbeiführt und die die Touristen zu einem Platz leitet, auf dem Pferdekutschen warten.
Nachdem die Reisegruppe auf zwei Kremsern Platz genommen hat, laufen die Pferde los. Nach Neu Helgoland, wo die Torfkähne in Richtung Osterholz-Scharmbeck ablegen. Die Tagesgäste erwartet eine Eineinhalb-Stunden-Tour auf der Hamme. Jörg Lorenz aus Hamburg weiß schon in etwa, was auf ihn zukommt.
"Ja, ich hab schon mal vor einiger Zeit in so einem Torfkahn gesessen. Das fühlt sich so ein bisschen an wie so ein Einbaum – so lang und schmal. Ist ne tolle Sache. Man ist direkt so in der Natur. Rechts und links ist es grün, weil es so kleine Kanäle sind in der Regel. Fühlt sich toll an. Einfach schön."
Heute sind Torfkahn-Fahrten ein Freizeitvergnügen für Touristen. Bis in die 1930er-Jahre hinein wurden die Kähne aber von Torf-Bauern genutzt, um vom Teufelsmoor nach Bremen zu kommen. Es gibt noch alte Fotografien, auf denen die Boote von damals abgebildet sind. Die Nachbauten von heute sind ihnen sehr ähnlich. Rund zehn Meter lang und eineinhalb Meter breit, mit Platz für 50 Körbe voll Torf. Oder heute: 16 Personen. Manfred Sievers schippert Touristen seit 30 Jahren durch das Teufelsmoor. Als alle sitzen, begrüßt er sie und gibt vor der Abfahrt noch ein paar Anweisungen.
"Eine Seite komplett aufstehen ist verboten, einzeln schon mal; nur nicht hier vor der Brücke, weil die Brücke einen sehr harten Eisenträger hat. So, denn fahren wir erst mal los."
Sievers lässt den kleinen Dieselmotor an. Vorne auf dem Torfkahn liegt zwar noch das typische braune Segel, aber heute gibt es nicht genug Wind, um es zu nutzen. Der Skipper trägt eine Schirmmütze, ein blau-weiß gestreiftes Seemannshemd und eine schwarze Cordweste, in der eine Taschenuhr steckt. Das Sinnbild eines Seebären. Er kommt hier aus der Gegend: aus Adolphsdorf. Anfangs bauten er und seine Freunde die Torfkähne nur zum Spaß nach, aber dann wurden es immer mehr, und inzwischen gibt es rund 25 Torfkähne im Teufelsmoor, erzählt der Rentner während der Fahrt. Für seine Arbeit als Skipper bekommt er nur einen kleinen Obolus. Aber es geht ohnehin nicht ums Geld, sagt er. Sondern darum, den Leuten die Geschichte vom Teufelsmoor und von den Torfbauern zu erzählen.
"So ne Tour nach Bremen hat fast zweieinhalb bis drei Tage gedauert. Man kann sich vorstellen, wenn man so einen Kahn zieht mit 6 Kubikmeter Torf, entspricht ungefähr, was wir jetzt an Leuten an Gewicht hier drauf haben. Man hat also zu zweit gezogen, meistens hat die Frau das Schiff gezogen - an dem Seil, was ich vorne drauf hab. Und hier unter der Bank habe ich so einen langen Staken. Aber das Staken ging hier nicht sehr gut, weil das hier so modderig war. So hat der Mann von oben gedrückt, und die Frau hat gezogen. Und so hat man gemeinsam das Schiff gemeinsam nach Bremen geschoben und gezogen, ne."
Von "fahren" konnte damals also gar keine Rede sein; außer natürlich für den Torf. Die Torf-Bauern liefen am Ufer entlang und zogen und schoben den Kahn mit einem Seil und einem langen Stab – tagelang, bis in die Hansestadt. Eine kleine Kajüte gab es auch auf dem Kahn. Darin verstauten die Menschen ein paar Strohsäcke und einen kleinen Herd. Weil im Moor kein Getreide wuchs, sondern nur Buchweizen, waren Buchweizen-Pfannkuchen ein häufiges Essen.
"Ist heute ne leckere Sache, aber früher ist das denen wahrscheinlich aus den Ohren rausgekommen. [Bookwickenpannkooek, op Platt, jo. Po do it dat ne leckere sak, ne. Met Preiselbeeren oder met en Stück Lachs do rin.] Ja. Das Segel hab ich da auch drauf liegen. In der Regel ist es so, dass wir Westwind haben, wenn wir schlechteres Wetter haben. Das heißt also, man konnte immer nur mit Rückenwind segeln. Und so wars, dass sie oftmals das Schiff nach Bremen voll gezogen haben und leer zurückgesegelt haben."
Am häufig feuchten Wetter und dem Westwind hat sich bis heute nichts geändert. Nach einer halben Stunde Torfkahn-Fahrt beginnt es zu regnen. Aber Manfred Sievers hat Regenhäute, belegte Brote und heißen Kaffee für alle dabei, sodass die Torfkahn-Touristen die dicken Tropfen gut aushalten können. Als wir in Osterholz-Scharnbeck ankommen, ist die Stimmung gut. Und auch wenn der Ausflugstag lang war – viele Gäste wissen schon jetzt, dass sie wiederkommen werden: ins Teufelsmoor und nach Worpswede.