Helmut Kohl
"Diese Pressekonferenz beschließt eine zweitägige Begegnung zwischen Präsident Gorbatschow und mir, den beiden Herrn Außenministern, den Finanzministern und unseren Delegationen. Eine Begegnung, von der ich glaube, dass sie in der Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen einen neuen Höhepunkt darstellt."
Helmut Kohl am 16. Juli 1990. Was der Bundeskanzler mit "Höhepunkt" umschrieb, kann 20 Jahre später getrost als Durchbruch im Verhandlungspoker um die deutsche Wiedervereinigung bezeichnet werden. Ein Foto der vorangegangenen Gespräche ging um Welt:
Ein massiver Holztisch in der Mitte, rechts daneben auf einem Holzstuhl sitzend der Bundeskanzler in Strickjacke und Hemd, in der Mitte der sowjetische Präsident, lachend und in Freizeitkleidung, links der deutsche Außenminister im Anzug. Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher verhandeln in der kaukasischen Heimat von Michail Gorbatschow auf dessen Datscha über die Bedingungen der deutschen Wiedervereinigung.
Am Ende der zweitägigen Gespräche billigte Gorbatschow überraschend die Vorschläge Deutschlands. Helmut Kohl damals gegenüber den internationalen Medien:
"Erstens: Die Einigung Deutschlands umfasst die Bundesrepublik, die DDR und Berlin. Zweitens: Wenn die Einigung vollzogen wird, werden die Viermächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten vollständig abgelöst. Damit erhält das geeinte Deutschland zum Zeitpunkt seiner Vereinigung seine uneingeschränkte und volle Souveränität. Drittens: Das vereinte Deutschland kann in Ausübung seiner uneingeschränkten Souveränität frei und selbst entscheiden, ob und welchem Bündnis es angehören will. Ich habe als die Auffassung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass das geeinte Deutschland Mitglied des atlantischen Bündnisses sein möchte. Und ich bin sicher, das entspricht auch der Ansicht der Regierung der DDR."
Nach zahlreichen Geheimverhandlungen unterzeichneten dann am 12. September 1990 in Moskau die Vier-Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR den sogenannten "Zwei-plus-Vier-Vertrag". Damit wurde Deutschlands Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten wiederhergestellt – 45 Jahre nach Kriegsende:
Äußerlich mutet das Abkommen eher bescheiden an: eine Präambel, zehn Artikel und eine Protokollnotiz. Doch was seinen Inhalt anging, erwies sich der Zwei-plus-Vier-Vertrag als von großer politischer Bedeutung:
Ulrich K. Preuß
"Es ist doch immerhin schließlich das Dokument, das die Folgen des Zweiten Weltkriegs endgültig regelt und zwar in einer Weise, die eigentlich alle Seiten befriedigt, keine unerfüllten Wünsche beziehungsweise Stachel zurücklässt, die zur Quelle späterer Konflikte werden können."
Ulrich Preuß, Berliner Verfassungsrechtler und Politologe:
Ulrich K. Preuß
"Ich finde nach wie vor das Bemerkenswerteste, dass ausdrücklich die Deutsche Frage als gleichsam historisch erledigt angesehen wird in zweierlei Hinsicht: Dass nämlich die Verantwortlichkeiten der vier Siegermächte in Bezug auf Deutschland als Ganzes beendet werden und zweitens die andere Seite, dass Deutschland seinerseits keinerlei Gebietsansprüche oder sonstige unbefriedigte Wünsche oder Ansprüche stellt, die offen bleiben, sondern es ist wirklich die endgültige Lösung der Deutschen Frage."
Selbstbestimmungsrecht, Völkerverständigung und Gewaltverzicht - so lauteten die zentralen Absichten des Vertrags. Dafür verzichtete Deutschland auf atomare, biologische und chemische Waffen. Des Weiteren musste das vereinte Deutschland seine Streitkräfte auf 370.000 Mann reduzieren. Im Gegenzug erklärte sich die Sowjetunion bereit, ihre in Ostdeutschland stationierten Truppen vollständig abzuziehen. Deutschland wurde das Recht auf freie Bündniswahl zugestanden. Und schließlich erkannten Deutschland und Polen die bestehende Oder-Neiße-Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag an.
Der Unterzeichnung vorausgegangen waren zahlreiche Verhandlungen:
"Es war nicht nur so, dass die beiden deutschen Staaten beteiligt werden sollten, sondern ich legte Wert darauf, dass die beiden deutschen Staaten mit den 'Vier' sprechen und nicht die 'Vier' mit den beiden deutschen Staaten."
Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesaußenminister:
"Deshalb heißt es Zwei-plus-Vier und nicht Vier-plus-Zwei, weil ich in jedem Fall den Eindruck vermeiden wollte, dass, nachdem das deutsche Volk in einer wirklichen friedlichen Freiheitsrevolution den Willen zur Einheit artikuliert hatte, sich bei der Durchsetzung dieses legitimen Zieles sozusagen unter der Verhandlungshoheit von vier Staaten zu bewegen hatte."
Immerhin wäre es völkerrechtlich auch möglich gewesen, dass die Alliierten alleine, also ohne die Beteiligung beider deutscher Staaten, über die Zukunft Deutschlands entschieden hätten. Allerdings mit einer Einschränkung: Die drei Westmächte hatten im Deutschlandvertrag von 1952 ausdrücklich formuliert, dass die Wiedervereinigung Deutschlands auch ihr politisches Ziel sei – fußend auf einer freiheitlich-demokratischen Verfassung und als Teil der Europäischen Gemeinschaft.
Gleichwohl zeigten sich die Westmächte zunächst uneinig über die Gestaltung ihrer zukünftigen Deutschlandpolitik. Insbesondere Frankreich und Großbritannien waren unsicher und besorgt – nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Erfahrung als zweimalige Kriegsgegner Deutschlands. Präsident Francois Mitterand befürchtete sogar, dass sich die Kräftebalance in Europa verschieben könnte:
"Mitterand war geprägt von der Geschichte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts."
Daniel Vernet, Deutschlandexperte der französischen Tageszeitung "Le Monde":
"Und seine Befürchtung war, und er hatte vielleicht nicht ganz Unrecht damit, dass Europa zum Anfang des Jahrhunderts, also vor Beginn des Ersten Weltkriegs zurückgehen könnte. Auf der anderen Seite wusste er, dass die Teilung Deutschlands unnatürlich war. Und dass die Wiedervereinigung, unterstützt von den Leuten in West- und Ostdeutschland, unwiderruflich war."
Ganz anders dagegen die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die ihre Distanz zum Zwei-plus-Vier-Vertrag nie ganz aufgab. Auch öffentlich hielt sie sich mit ihren Vorbehalten nicht zurück, wie in einem Interview am 18. Juni 1990:
"Im Falle der Wiedervereinigung würde die deutsche Bevölkerung auf 80 Millionen ansteigen. Deutschland hätte damit eine beherrschende Stellung. Sowohl durch seine Größe als auch durch seine wirtschaftliche und politische Macht. Sicher, Deutschland ist eine gute Demokratie gewesen. Doch da ist eine Angst, die ich verstehen kann. Viele schauen ein wenig ängstlich auf das vereinte Deutschland. Das kann auch nicht überraschen, wenn man auf die Geschichte dieses Jahrhunderts zurückblickt, schließlich hat Deutschland den Ersten und Zweiten Weltkrieg begonnen. Ich denke, es gibt darauf nur eine Antwort: Deutschland in der NATO zu behalten. Und ebenso ist es vollkommen richtig, dass Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft ist."
Alle Versuche Großbritanniens, den Prozess der Vereinigung zu bremsen, scheiterten in der Folgezeit nicht zuletzt an der konsequenten Haltung der Vereinigten Staaten. Sie waren es, die frühzeitig die Bedeutung des Mauerfalls erkannten:
"Ich glaube, die Amerikaner haben die geschichtliche Wichtigkeit und die Breite der Wichtigkeit dieses Ereignisses von Anfang an gesehen."
Christopher Mallaby, damals britischer Botschafter in Bonn:
"Haben nicht nur über Deutschland gedacht, sondern über Kalten Krieg, über Warschauer Pakt, über sowjetische Bedrohung und Abschreckung usw. Sie haben also wirklich geschichtlich oder strategisch gedacht. Und das war sehr wichtig und sehr positiv."
Unbestreitbar gehörte es zu den Verdiensten der USA, eine völkerrechtliche Vereinbarung zur deutschen Einheit vorangetrieben zu haben. Doch dies war nicht nur eine Freundschaftsgeste. Vielmehr war diese Deutschlandpolitik von handfesten eigenen Interessen geleitet. Die Vereinigten Staaten hatten sich von vornherein auf eine deutsche Mitgliedschaft in der NATO festgelegt, um den eigenen Einfluss zu sichern: die NATO als US-amerikanischer "Anker" in Mittel- und Osteuropa, der ohne Deutschland seine Wirksamkeit eingebüßt hätte.
Doch auf Seiten der westlichen Alliierten kam es zu erheblichen Irritationen, als Bundeskanzler Kohl am 28. November 1989 im Deutschen Bundestag seinen "10-Punkte-Plan" vorstellte – ohne die Westmächte vorher konsultiert zu haben. Er hatte der DDR eine umfassende Zusammenarbeit angeboten - unter der Bedingung, dass ein grundlegender Wandel im politischen und wirtschaftlichen System der DDR verbindlich beschlossen und unumkehrbar in Gang gesetzt werde. Erstmals war die Rede von einer "Vertragsgemeinschaft". Helmut Kohl 1999:
"Zum einen gab es hier den Vorwurf: Was machst Du denn da für Vorschläge, die sind ja überhaupt nicht abgesprochen? Wenn ich also viel herumtelefoniert hätte, wenn ich hier in Bonn große Sitzungen einberufen hätte in irgendwelchen Gremien bis hinzu Koalitionen, dann wäre das Ding kaputt gewesen. Es wäre dann sofort rausgetragen worden und in Diskussionen gezerrt worden. Und dann gab es ja auch stärkere Vorwürfe hier, als in etwa in Paris, in Washington oder anderswo: Du hast uns ja gar nicht gefragt! Das ist wahr, ich habe das bewusst nicht getan, denn ich hätte in einer Reihe von Fällen die Antworten voraussehen können. Und warum soll ich mich da mit negativen Antworten auseinandersetzen. Es war wichtiger ein fait à accompli in dieser Rede zu schaffen."
In Moskau traf Kohls 10-Punkte-Plan zunächst auf schroffe Ablehnung. Vor Beginn der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen wollte die Sowjetunion ihre Zustimmung zu einem vereinten Deutschland noch von dessen Bündnisfreiheit abhängig machen. So erklärte Michail Gorbatschow noch Anfang 1990 als Präsident der Sowjetunion und als Generalsekretär der KPdSU, dass der Beitritt Gesamtdeutschlands zur NATO unannehmbar sein. Doch schon bald musste die sowjetische Führung erkennen, dass ein Festhalten an dieser Position unrealistisch war. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der bisherige deutschlandpolitische Konsens innerhalb des Warschauer Paktes bröckelte.
So sprachen sich im Januar 1990 Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei und Rumänien für die Wiedervereinigung aus. Und sie wünschten – mit Ausnahme Rumäniens – den Abzug sowjetischer Truppen von ihrem Territorium. Zudem gaben immer mehr Verbündete des Warschauer Paktes bis Juli 1990 ihren Widerstand gegen eine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft auf.
Die Abkehr ihrer bisherigen Verbündeten sowie die Einigkeit der westlichen Alliierten blieben nicht ohne Wirkung auf die Sowjetunion. Im Kreml gab es eine einflussreiche Gruppierung alter KPdSU-Funktionäre um Valentin Falin, die sich gegen Gorbatschows Wende in der Deutschlandpolitik stellten. Einige erwogen sogar den Einsatz von Gewaltmaßnahmen. Das Taktieren und die Verzögerungsversuche des KP-Generalsekretärs lassen sich zumindest teilweise als Indiz für interne Machtkämpfe im Kreml erklären. Letztlich aber erkannte Gorbatschow die Gefahr, dass eine andauernde Blockadepolitik die Sowjetunion in die internationale Isolation führen würde. Deshalb war er bereit, gegen den massiven Widerstand im eigenen Lager politische Konsequenzen zu ziehen:
"Man muss sehen, dass ja in Moskau eine Revolution von oben stattgefunden hatte durch die Politik von Gorbatschow und Schewardnadse. Und diese Politik der Öffnung der Sowjetunion war nicht möglich ohne die Öffnung in den anderen Staaten. Und beide hatten richtig erkannt, dass eine Vertrauensbasis, eine Kooperationsbasis der Sowjetunion im Verhältnis zum Westen mehr Gewinn als Verlust brachte."
Das vereinte Deutschland in den Warschauer Pakt aufzunehmen, erschien immer unrealistischer – angesichts seines fortschreitenden Zerfalls. Zwar bestand auch der Sozialdemokrat und Außenminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung, Markus Meckel, auf einer Zustimmung der Sowjetunion zur Vereinigung...
"Aber hier galt für mich recht früh, was ich dann auch bei meinem ersten Besuch in Moskau Herrn Schewardnadse gesagt habe: Dass wir als neue demokratisch gewählte Regierung nicht mehr die Juniorpartner sind, auch nicht mehr Befehlen gehorchten. Ich habe ihm damals sehr klar gesagt: Die deutsche Einheit wird kommen und wenn ihr versucht, sie zu bremsen, dann wird sie ohne euch kommen - und dann haben wir gemeinsam ein Problem."
Schließlich kam es zwischen dem 14. und 16. Juli 1990 in Moskau und dann im Kaukasus zu einem persönlichen Treffen zwischen Kohl und Gorbatschow: Beide verständigten sich in der schwierigen Frage der deutschen NATO-Mitgliedschaft.
Gorbatschows Zustimmung zur Wiedervereinigung bedeutete den Durchbruch. Sie war keineswegs uneigennützig. Das Nachgeben des Generalsekretärs der KPdSU zielte auf Kooperation und internationale Entspannung, um sich im Innern der Lösung drängender Probleme widmen zu können: vor allem der Wirtschaftsreform und der Überwindung autoritärer Strukturen in Staat und Partei. Zudem bedrohten aufflackernde Nationalitätenkonflikte den Erhalt der Sowjetunion – und die baltischen Republiken waren dabei, sich abzuspalten.
Mit wirtschaftlichen und finanziellen Hilfen versuchte die Bundesregierung die Sowjetunion kompromissbereit zu stimmen. Nach umfangreichen Lebensmittellieferungen sorgte sie noch vor Kohls Kaukasus-Besuch für einen Finanzkredit von fünf Milliarden D-Mark. Er trug zum politischen Überleben Gorbatschows und seines Außenministers Schewardnadse auf dem 28. Parteitag der KPdSU mit bei. Um den Überleitungsvertrag nicht zu gefährden, wurden schließlich weitere 15 Milliarden D-Mark für die Aufenthalts- und Transportkosten des russischen Militärs in der DDR bereitgestellt sowie für den Bau neuer Unterkünfte in der Sowjetunion.
Der Eindruck, damit wäre die Zustimmung der UdSSR erkauft worden, sei aber falsch, betonte der damalige stellvertretende sowjetische Außenminister Jurij Kwizinskij 1993:
"Das, was die deutsche Seite bezahlt hat, waren verhältnismäßig kleine Summen für fest umrissene Zwecke. Das war der Wohnungsbau für unsere abzuziehende Armee. Das waren einige Milliarden die Finanzierung für den Verbleib der Truppen während der Übergangsperiode, weil es für die Sowjetunion schwierig gewesen wäre, diese Summen in Valuta aufzutreiben. Ansonsten gab's doch nichts. Man kann uns doch nicht vorwerfen jedenfalls, dass wir für irgendeine nennenswerte Summe die DDR an den Westen verkauft haben."
Politisch umstritten ist bis heute eine andere milliardenschwere Entscheidung der Bundesregierung: Die sowjetische Regierung, so Kanzler Kohl, habe der Wiedervereinigung und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag nur unter einer Bedingung zugestimmt: dass die Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone zwischen 1945 und 1949 nicht rückgängig gemacht werde. Folglich mussten nach dem Fall der Mauer auch keine Entschädigungen an die früheren Besitzer oder ihre Erben gezahlt werden. Das jedenfalls behauptet der frühere Bundeskanzler bis heute. Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt die Mühlheimer Politologin und CDU-Stadträtin Constanze Paffrath:
"Ich glaube, dass es keine Bedingung zur Wiedervereinigung gegeben hat, die da besagt hat: 'Wenn ihr das Eigentum an die Eigentümer zurückgebt, dann werden wir, also die Sowjetunion, der Wiedervereinigung nicht zustimmen!' Kohl hat ja, oder die Bundesregierung Kohl, und maßgebliche Vertreter haben ja über lange Jahre behauptet, dass dies zentrale Bedingung zur Wiedervereinigung gewesen ist. Und meine Forschungen lassen das nicht erkennen. Und insofern sagt da Helmut Kohl über lange Jahre die Unwahrheit."
Die Regierung Kohl hatte das Rückgabeverbot schon vor den offiziellen Zwei-plus-Vier-Verhandlungen geplant, also vor den Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und der DDR. Zu keiner Zeit wurde ernsthaft daran gedacht, den verfassungsmäßigen Auftrag der Entschädigung oder Rückgabe zu erfüllen. Die Regierung Kohl habe mit ihrer vorgetäuschten Zwangslage eigene Ziele verfolgt, so Constanze Paffrath:
"Ich glaube, dass es ein Plan gewesen ist, der schon relativ früh in den Köpfen einiger weniger innerhalb der Bundesregierung Kohl entstanden ist, dieses Vermögen, was man auf 600 Milliarden damals noch D-Mark geschätzt hat, erst einmal in die Hand des Staates zu bringen, es zu belassen. Und nur so konnte Kohl behaupten, dass die Einheit den deutschen Steuerzahler keinen Pfennig kosten würde – im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Lafontaine, der ja schon relativ genau von diesen möglichen Kostensummen sprach."
Blickt man aus der zeitlichen Distanz noch einmal auf die unterschiedlichen Interessen der Verhandlungspartner zurück, dann wird erst deutlich, welche Konflikte sich hinter den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen verbargen. Umso mehr muss auch heute noch das Ergebnis erstaunen, mit dem die Nachkriegsära endete. Es wurde erzielt in einem beispiellosen Verhandlungsmarathon, stets unter dem Druck der innerdeutschen Ereignisse und der steten Gefahr einer Gegenrevolution in Moskau. Noch immer beeindruckt, dass die Sowjetunion im Juli 1990 fast bedingungslos einer Vereinigung Deutschlands zugestimmt hat - nach westlichen Plänen, die sie jahrzehntelang strikt abgelehnt hatte. Ohne diese Wende in der sowjetischen Deutschlandpolitik würde es heute ein souveränes Deutschland als Mitglied der NATO nicht geben.
"Diese Pressekonferenz beschließt eine zweitägige Begegnung zwischen Präsident Gorbatschow und mir, den beiden Herrn Außenministern, den Finanzministern und unseren Delegationen. Eine Begegnung, von der ich glaube, dass sie in der Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen einen neuen Höhepunkt darstellt."
Helmut Kohl am 16. Juli 1990. Was der Bundeskanzler mit "Höhepunkt" umschrieb, kann 20 Jahre später getrost als Durchbruch im Verhandlungspoker um die deutsche Wiedervereinigung bezeichnet werden. Ein Foto der vorangegangenen Gespräche ging um Welt:
Ein massiver Holztisch in der Mitte, rechts daneben auf einem Holzstuhl sitzend der Bundeskanzler in Strickjacke und Hemd, in der Mitte der sowjetische Präsident, lachend und in Freizeitkleidung, links der deutsche Außenminister im Anzug. Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher verhandeln in der kaukasischen Heimat von Michail Gorbatschow auf dessen Datscha über die Bedingungen der deutschen Wiedervereinigung.
Am Ende der zweitägigen Gespräche billigte Gorbatschow überraschend die Vorschläge Deutschlands. Helmut Kohl damals gegenüber den internationalen Medien:
"Erstens: Die Einigung Deutschlands umfasst die Bundesrepublik, die DDR und Berlin. Zweitens: Wenn die Einigung vollzogen wird, werden die Viermächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten vollständig abgelöst. Damit erhält das geeinte Deutschland zum Zeitpunkt seiner Vereinigung seine uneingeschränkte und volle Souveränität. Drittens: Das vereinte Deutschland kann in Ausübung seiner uneingeschränkten Souveränität frei und selbst entscheiden, ob und welchem Bündnis es angehören will. Ich habe als die Auffassung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass das geeinte Deutschland Mitglied des atlantischen Bündnisses sein möchte. Und ich bin sicher, das entspricht auch der Ansicht der Regierung der DDR."
Nach zahlreichen Geheimverhandlungen unterzeichneten dann am 12. September 1990 in Moskau die Vier-Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR den sogenannten "Zwei-plus-Vier-Vertrag". Damit wurde Deutschlands Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten wiederhergestellt – 45 Jahre nach Kriegsende:
Äußerlich mutet das Abkommen eher bescheiden an: eine Präambel, zehn Artikel und eine Protokollnotiz. Doch was seinen Inhalt anging, erwies sich der Zwei-plus-Vier-Vertrag als von großer politischer Bedeutung:
Ulrich K. Preuß
"Es ist doch immerhin schließlich das Dokument, das die Folgen des Zweiten Weltkriegs endgültig regelt und zwar in einer Weise, die eigentlich alle Seiten befriedigt, keine unerfüllten Wünsche beziehungsweise Stachel zurücklässt, die zur Quelle späterer Konflikte werden können."
Ulrich Preuß, Berliner Verfassungsrechtler und Politologe:
Ulrich K. Preuß
"Ich finde nach wie vor das Bemerkenswerteste, dass ausdrücklich die Deutsche Frage als gleichsam historisch erledigt angesehen wird in zweierlei Hinsicht: Dass nämlich die Verantwortlichkeiten der vier Siegermächte in Bezug auf Deutschland als Ganzes beendet werden und zweitens die andere Seite, dass Deutschland seinerseits keinerlei Gebietsansprüche oder sonstige unbefriedigte Wünsche oder Ansprüche stellt, die offen bleiben, sondern es ist wirklich die endgültige Lösung der Deutschen Frage."
Selbstbestimmungsrecht, Völkerverständigung und Gewaltverzicht - so lauteten die zentralen Absichten des Vertrags. Dafür verzichtete Deutschland auf atomare, biologische und chemische Waffen. Des Weiteren musste das vereinte Deutschland seine Streitkräfte auf 370.000 Mann reduzieren. Im Gegenzug erklärte sich die Sowjetunion bereit, ihre in Ostdeutschland stationierten Truppen vollständig abzuziehen. Deutschland wurde das Recht auf freie Bündniswahl zugestanden. Und schließlich erkannten Deutschland und Polen die bestehende Oder-Neiße-Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag an.
Der Unterzeichnung vorausgegangen waren zahlreiche Verhandlungen:
"Es war nicht nur so, dass die beiden deutschen Staaten beteiligt werden sollten, sondern ich legte Wert darauf, dass die beiden deutschen Staaten mit den 'Vier' sprechen und nicht die 'Vier' mit den beiden deutschen Staaten."
Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesaußenminister:
"Deshalb heißt es Zwei-plus-Vier und nicht Vier-plus-Zwei, weil ich in jedem Fall den Eindruck vermeiden wollte, dass, nachdem das deutsche Volk in einer wirklichen friedlichen Freiheitsrevolution den Willen zur Einheit artikuliert hatte, sich bei der Durchsetzung dieses legitimen Zieles sozusagen unter der Verhandlungshoheit von vier Staaten zu bewegen hatte."
Immerhin wäre es völkerrechtlich auch möglich gewesen, dass die Alliierten alleine, also ohne die Beteiligung beider deutscher Staaten, über die Zukunft Deutschlands entschieden hätten. Allerdings mit einer Einschränkung: Die drei Westmächte hatten im Deutschlandvertrag von 1952 ausdrücklich formuliert, dass die Wiedervereinigung Deutschlands auch ihr politisches Ziel sei – fußend auf einer freiheitlich-demokratischen Verfassung und als Teil der Europäischen Gemeinschaft.
Gleichwohl zeigten sich die Westmächte zunächst uneinig über die Gestaltung ihrer zukünftigen Deutschlandpolitik. Insbesondere Frankreich und Großbritannien waren unsicher und besorgt – nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Erfahrung als zweimalige Kriegsgegner Deutschlands. Präsident Francois Mitterand befürchtete sogar, dass sich die Kräftebalance in Europa verschieben könnte:
"Mitterand war geprägt von der Geschichte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts."
Daniel Vernet, Deutschlandexperte der französischen Tageszeitung "Le Monde":
"Und seine Befürchtung war, und er hatte vielleicht nicht ganz Unrecht damit, dass Europa zum Anfang des Jahrhunderts, also vor Beginn des Ersten Weltkriegs zurückgehen könnte. Auf der anderen Seite wusste er, dass die Teilung Deutschlands unnatürlich war. Und dass die Wiedervereinigung, unterstützt von den Leuten in West- und Ostdeutschland, unwiderruflich war."
Ganz anders dagegen die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die ihre Distanz zum Zwei-plus-Vier-Vertrag nie ganz aufgab. Auch öffentlich hielt sie sich mit ihren Vorbehalten nicht zurück, wie in einem Interview am 18. Juni 1990:
"Im Falle der Wiedervereinigung würde die deutsche Bevölkerung auf 80 Millionen ansteigen. Deutschland hätte damit eine beherrschende Stellung. Sowohl durch seine Größe als auch durch seine wirtschaftliche und politische Macht. Sicher, Deutschland ist eine gute Demokratie gewesen. Doch da ist eine Angst, die ich verstehen kann. Viele schauen ein wenig ängstlich auf das vereinte Deutschland. Das kann auch nicht überraschen, wenn man auf die Geschichte dieses Jahrhunderts zurückblickt, schließlich hat Deutschland den Ersten und Zweiten Weltkrieg begonnen. Ich denke, es gibt darauf nur eine Antwort: Deutschland in der NATO zu behalten. Und ebenso ist es vollkommen richtig, dass Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft ist."
Alle Versuche Großbritanniens, den Prozess der Vereinigung zu bremsen, scheiterten in der Folgezeit nicht zuletzt an der konsequenten Haltung der Vereinigten Staaten. Sie waren es, die frühzeitig die Bedeutung des Mauerfalls erkannten:
"Ich glaube, die Amerikaner haben die geschichtliche Wichtigkeit und die Breite der Wichtigkeit dieses Ereignisses von Anfang an gesehen."
Christopher Mallaby, damals britischer Botschafter in Bonn:
"Haben nicht nur über Deutschland gedacht, sondern über Kalten Krieg, über Warschauer Pakt, über sowjetische Bedrohung und Abschreckung usw. Sie haben also wirklich geschichtlich oder strategisch gedacht. Und das war sehr wichtig und sehr positiv."
Unbestreitbar gehörte es zu den Verdiensten der USA, eine völkerrechtliche Vereinbarung zur deutschen Einheit vorangetrieben zu haben. Doch dies war nicht nur eine Freundschaftsgeste. Vielmehr war diese Deutschlandpolitik von handfesten eigenen Interessen geleitet. Die Vereinigten Staaten hatten sich von vornherein auf eine deutsche Mitgliedschaft in der NATO festgelegt, um den eigenen Einfluss zu sichern: die NATO als US-amerikanischer "Anker" in Mittel- und Osteuropa, der ohne Deutschland seine Wirksamkeit eingebüßt hätte.
Doch auf Seiten der westlichen Alliierten kam es zu erheblichen Irritationen, als Bundeskanzler Kohl am 28. November 1989 im Deutschen Bundestag seinen "10-Punkte-Plan" vorstellte – ohne die Westmächte vorher konsultiert zu haben. Er hatte der DDR eine umfassende Zusammenarbeit angeboten - unter der Bedingung, dass ein grundlegender Wandel im politischen und wirtschaftlichen System der DDR verbindlich beschlossen und unumkehrbar in Gang gesetzt werde. Erstmals war die Rede von einer "Vertragsgemeinschaft". Helmut Kohl 1999:
"Zum einen gab es hier den Vorwurf: Was machst Du denn da für Vorschläge, die sind ja überhaupt nicht abgesprochen? Wenn ich also viel herumtelefoniert hätte, wenn ich hier in Bonn große Sitzungen einberufen hätte in irgendwelchen Gremien bis hinzu Koalitionen, dann wäre das Ding kaputt gewesen. Es wäre dann sofort rausgetragen worden und in Diskussionen gezerrt worden. Und dann gab es ja auch stärkere Vorwürfe hier, als in etwa in Paris, in Washington oder anderswo: Du hast uns ja gar nicht gefragt! Das ist wahr, ich habe das bewusst nicht getan, denn ich hätte in einer Reihe von Fällen die Antworten voraussehen können. Und warum soll ich mich da mit negativen Antworten auseinandersetzen. Es war wichtiger ein fait à accompli in dieser Rede zu schaffen."
In Moskau traf Kohls 10-Punkte-Plan zunächst auf schroffe Ablehnung. Vor Beginn der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen wollte die Sowjetunion ihre Zustimmung zu einem vereinten Deutschland noch von dessen Bündnisfreiheit abhängig machen. So erklärte Michail Gorbatschow noch Anfang 1990 als Präsident der Sowjetunion und als Generalsekretär der KPdSU, dass der Beitritt Gesamtdeutschlands zur NATO unannehmbar sein. Doch schon bald musste die sowjetische Führung erkennen, dass ein Festhalten an dieser Position unrealistisch war. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der bisherige deutschlandpolitische Konsens innerhalb des Warschauer Paktes bröckelte.
So sprachen sich im Januar 1990 Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei und Rumänien für die Wiedervereinigung aus. Und sie wünschten – mit Ausnahme Rumäniens – den Abzug sowjetischer Truppen von ihrem Territorium. Zudem gaben immer mehr Verbündete des Warschauer Paktes bis Juli 1990 ihren Widerstand gegen eine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft auf.
Die Abkehr ihrer bisherigen Verbündeten sowie die Einigkeit der westlichen Alliierten blieben nicht ohne Wirkung auf die Sowjetunion. Im Kreml gab es eine einflussreiche Gruppierung alter KPdSU-Funktionäre um Valentin Falin, die sich gegen Gorbatschows Wende in der Deutschlandpolitik stellten. Einige erwogen sogar den Einsatz von Gewaltmaßnahmen. Das Taktieren und die Verzögerungsversuche des KP-Generalsekretärs lassen sich zumindest teilweise als Indiz für interne Machtkämpfe im Kreml erklären. Letztlich aber erkannte Gorbatschow die Gefahr, dass eine andauernde Blockadepolitik die Sowjetunion in die internationale Isolation führen würde. Deshalb war er bereit, gegen den massiven Widerstand im eigenen Lager politische Konsequenzen zu ziehen:
"Man muss sehen, dass ja in Moskau eine Revolution von oben stattgefunden hatte durch die Politik von Gorbatschow und Schewardnadse. Und diese Politik der Öffnung der Sowjetunion war nicht möglich ohne die Öffnung in den anderen Staaten. Und beide hatten richtig erkannt, dass eine Vertrauensbasis, eine Kooperationsbasis der Sowjetunion im Verhältnis zum Westen mehr Gewinn als Verlust brachte."
Das vereinte Deutschland in den Warschauer Pakt aufzunehmen, erschien immer unrealistischer – angesichts seines fortschreitenden Zerfalls. Zwar bestand auch der Sozialdemokrat und Außenminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung, Markus Meckel, auf einer Zustimmung der Sowjetunion zur Vereinigung...
"Aber hier galt für mich recht früh, was ich dann auch bei meinem ersten Besuch in Moskau Herrn Schewardnadse gesagt habe: Dass wir als neue demokratisch gewählte Regierung nicht mehr die Juniorpartner sind, auch nicht mehr Befehlen gehorchten. Ich habe ihm damals sehr klar gesagt: Die deutsche Einheit wird kommen und wenn ihr versucht, sie zu bremsen, dann wird sie ohne euch kommen - und dann haben wir gemeinsam ein Problem."
Schließlich kam es zwischen dem 14. und 16. Juli 1990 in Moskau und dann im Kaukasus zu einem persönlichen Treffen zwischen Kohl und Gorbatschow: Beide verständigten sich in der schwierigen Frage der deutschen NATO-Mitgliedschaft.
Gorbatschows Zustimmung zur Wiedervereinigung bedeutete den Durchbruch. Sie war keineswegs uneigennützig. Das Nachgeben des Generalsekretärs der KPdSU zielte auf Kooperation und internationale Entspannung, um sich im Innern der Lösung drängender Probleme widmen zu können: vor allem der Wirtschaftsreform und der Überwindung autoritärer Strukturen in Staat und Partei. Zudem bedrohten aufflackernde Nationalitätenkonflikte den Erhalt der Sowjetunion – und die baltischen Republiken waren dabei, sich abzuspalten.
Mit wirtschaftlichen und finanziellen Hilfen versuchte die Bundesregierung die Sowjetunion kompromissbereit zu stimmen. Nach umfangreichen Lebensmittellieferungen sorgte sie noch vor Kohls Kaukasus-Besuch für einen Finanzkredit von fünf Milliarden D-Mark. Er trug zum politischen Überleben Gorbatschows und seines Außenministers Schewardnadse auf dem 28. Parteitag der KPdSU mit bei. Um den Überleitungsvertrag nicht zu gefährden, wurden schließlich weitere 15 Milliarden D-Mark für die Aufenthalts- und Transportkosten des russischen Militärs in der DDR bereitgestellt sowie für den Bau neuer Unterkünfte in der Sowjetunion.
Der Eindruck, damit wäre die Zustimmung der UdSSR erkauft worden, sei aber falsch, betonte der damalige stellvertretende sowjetische Außenminister Jurij Kwizinskij 1993:
"Das, was die deutsche Seite bezahlt hat, waren verhältnismäßig kleine Summen für fest umrissene Zwecke. Das war der Wohnungsbau für unsere abzuziehende Armee. Das waren einige Milliarden die Finanzierung für den Verbleib der Truppen während der Übergangsperiode, weil es für die Sowjetunion schwierig gewesen wäre, diese Summen in Valuta aufzutreiben. Ansonsten gab's doch nichts. Man kann uns doch nicht vorwerfen jedenfalls, dass wir für irgendeine nennenswerte Summe die DDR an den Westen verkauft haben."
Politisch umstritten ist bis heute eine andere milliardenschwere Entscheidung der Bundesregierung: Die sowjetische Regierung, so Kanzler Kohl, habe der Wiedervereinigung und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag nur unter einer Bedingung zugestimmt: dass die Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone zwischen 1945 und 1949 nicht rückgängig gemacht werde. Folglich mussten nach dem Fall der Mauer auch keine Entschädigungen an die früheren Besitzer oder ihre Erben gezahlt werden. Das jedenfalls behauptet der frühere Bundeskanzler bis heute. Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt die Mühlheimer Politologin und CDU-Stadträtin Constanze Paffrath:
"Ich glaube, dass es keine Bedingung zur Wiedervereinigung gegeben hat, die da besagt hat: 'Wenn ihr das Eigentum an die Eigentümer zurückgebt, dann werden wir, also die Sowjetunion, der Wiedervereinigung nicht zustimmen!' Kohl hat ja, oder die Bundesregierung Kohl, und maßgebliche Vertreter haben ja über lange Jahre behauptet, dass dies zentrale Bedingung zur Wiedervereinigung gewesen ist. Und meine Forschungen lassen das nicht erkennen. Und insofern sagt da Helmut Kohl über lange Jahre die Unwahrheit."
Die Regierung Kohl hatte das Rückgabeverbot schon vor den offiziellen Zwei-plus-Vier-Verhandlungen geplant, also vor den Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und der DDR. Zu keiner Zeit wurde ernsthaft daran gedacht, den verfassungsmäßigen Auftrag der Entschädigung oder Rückgabe zu erfüllen. Die Regierung Kohl habe mit ihrer vorgetäuschten Zwangslage eigene Ziele verfolgt, so Constanze Paffrath:
"Ich glaube, dass es ein Plan gewesen ist, der schon relativ früh in den Köpfen einiger weniger innerhalb der Bundesregierung Kohl entstanden ist, dieses Vermögen, was man auf 600 Milliarden damals noch D-Mark geschätzt hat, erst einmal in die Hand des Staates zu bringen, es zu belassen. Und nur so konnte Kohl behaupten, dass die Einheit den deutschen Steuerzahler keinen Pfennig kosten würde – im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Lafontaine, der ja schon relativ genau von diesen möglichen Kostensummen sprach."
Blickt man aus der zeitlichen Distanz noch einmal auf die unterschiedlichen Interessen der Verhandlungspartner zurück, dann wird erst deutlich, welche Konflikte sich hinter den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen verbargen. Umso mehr muss auch heute noch das Ergebnis erstaunen, mit dem die Nachkriegsära endete. Es wurde erzielt in einem beispiellosen Verhandlungsmarathon, stets unter dem Druck der innerdeutschen Ereignisse und der steten Gefahr einer Gegenrevolution in Moskau. Noch immer beeindruckt, dass die Sowjetunion im Juli 1990 fast bedingungslos einer Vereinigung Deutschlands zugestimmt hat - nach westlichen Plänen, die sie jahrzehntelang strikt abgelehnt hatte. Ohne diese Wende in der sowjetischen Deutschlandpolitik würde es heute ein souveränes Deutschland als Mitglied der NATO nicht geben.