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Auf dem Weg zur individualisierten Vorsorge

Forscher der deutschen Wissenschaftsakademien haben eine Stellungnahme zu den Chancen und Risiken der sogenannten prädiktiven genetischen Diagnostik erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Genanalyse mit dem Ziel, das Risiko von Krankheiten frühzeitig zu bestimmen.

Von Marieke Degen | 10.11.2010
    Die Vorsorge ist das Rückgrat der modernen Medizin. Je früher der Arzt eine Krankheit entdeckt, desto besser lässt sie sich behandeln, und desto größer sind die Chancen, dass der Patient wieder ganz gesund wird. Darum gibt es zum Beispiel Programme zur Früherkennung von Krebs und den Gesundheits-Check, bei dem das Blut analysiert und nach Hinweisen auf Herzkrankheiten oder Diabetes untersucht wird.

    Ärzte können aber auch auf einer anderen Ebene nach Krankheiten fahnden: nämlich direkt im Erbgut der Patienten. Hier können sie die genetischen Anlagen für Krankheiten entdecken, schon lange bevor sie ausbrechen, und entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen. Das Ganze nennt man prädiktive genetische Diagnostik.

    Die Gene sind fast immer an der Entstehung von Krankheiten beteiligt - mal mehr, mal weniger. Manchmal reichen schon Mutationen in einem einzigen Gen aus, um eine Krankheit auszulösen. Man spricht dann von einer monogenen Erkrankung. Dazu zählen zum Beispiel bestimmte Formen von Brust- und Darmkrebs oder die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose. Auch bei Volkskrankheiten wie Allergien, Diabetes oder Herz-Kreislaufstörungen spielen Gene eine Rolle. Sie sind aber nur ein Faktor von vielen. Ein äußerst komplexes Zusammenspiel von Genen und Umwelteinflüssen entscheidet darüber, ob die Krankheit bei einem Patienten ausbricht oder nicht, und wie schwer sie verläuft. Dieses Zusammenspiel haben Forscher noch lange nicht durchschaut.

    Die prädiktive genetische Diagnostik kommt heute schon zum Einsatz, zumindest bei einigen monogenen Erkrankungen. Wenn eine Frau zum Beispiel an erblich bedingtem Brustkrebs erkrankt, dann können Humangenetiker nachschauen, ob ihre Schwestern oder Töchter die Genmutation ebenfalls in ihrem Erbgut tragen. Die Frauen können dann an einem besonderen Vorsorgeprogramm teilnehmen.

    Bei Krankheiten wie Herzinfarkt oder Diabetes funktioniert die genetische Diagnostik noch nicht. Sie sind zu komplex. Die Wissenschaft macht aber große Fortschritte auf dem Gebiet. Es wird immer einfacher und billiger, das gesamte Erbgut von einzelnen Patienten zu analysieren. Vielleicht gelingt es den Forschern eines Tages, die genetischen Grundlagen dieser Krankheiten besser zu verstehen. Möglicherweise können Genetiker die Risiken irgendwann für jeden einzelnen Patienten individuell berechnen. Wenn die Krankheit schon ausgebrochen ist, könnte man sie mit neuartigen Medikamenten behandeln, die genau auf das genetische Profil des Patienten abgestimmt sind.
    Die prädiktive genetische Diagnostik könnte ein wichtiger Baustein für die individualisierte Medizin werden. Aber bis dahin ist auch noch eine Menge Forschung nötig.