Deutschland hat seine Klimaziele angehoben und verbindliche Emissionsziele für die Jahre bis 2045 beschlossen. Der Bundestag hat am 24. Juni 2021 dem von der Regierungskoalition vorgelegten verschärften Klimaschutzgesetz zugestimmt. Das sieht unter anderem vor, dass Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreicht - statt wie zuvor geplant bis 2050.
Was sind die neuen Klimaziele?
Das neue Klimaschutzgesetzt sieht vor, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral ist, fünf Jahre früher als ursprünglich geplant. "Klimaneutral" bedeutet, dass nur noch so viel Treibhausgas ausgestoßen wird, wie von der Natur wieder aufgenommen werden kann. Die Konzentration von CO2 in der Atmospähre soll also nicht mehr steigen. Realistisch ist dabei allerdings nur eine Reduktion um etwa 97 Prozent. Die Kürzung des restlichen CO2-Ausstoßes soll etwa durch Aufforstungen oder durch unterirdische Speicherung erreicht werden.
Erstmals wird auch ein negatives Klimaziel gesetzlich festgeschrieben: Nach dem Jahr 2045 sollen demnach negative Emissionen erreicht werden. Im neuen Gesetz sind zudem verbindliche Emissions-Minderungsziele für die 20er- und 30er-Jahre festgelegt.
Emissions-Reduktionsziele (im Vergleich zu 1990):
- bis 2030: Reduktion um 65 Prozent
- bis 2035: Reduktion um 77 Prozent
- bis 2040: Reduktion um 88 Prozent
- bis 2045: Reduktion um 100 Prozent
Ursprünglich war geplant, die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Deutschland hatte sich bislang an den EU-Klimazielen orientiert und kein eigenes nationales Ziel für die Klimaneutralität festgelegt. Bis heute sind die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesunken.
In welchen Bereichen sollen die CO2-Emissionen sinken?
Das Klimaschutzgesetz unterscheidet zwischen sechs Wirtschaftssektoren: Energie, Industrie, Gebäude, Abfall, Verkehr und Landwirtschaft. Für jeden Sektor gibt es zulässige jährliche Emissions-Obergrenzen für die Jahre 2020 bis 2030 vor. Diese wurden weiter gesenkt. Die größten Reduktionen werden Energiewirtschaft und Industrie abverlangt - das sind die Sektoren mit den höchsten Emissionen.
- Bis 2030 soll der Energiesektor gut ein Drittel mehr CO2 einsparen als ursprünlich geplant und statt 175 nur noch 108 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Einheit für Klimagase) ausstoßen.
- Für die Industrie sinkt der Zielwert von bislang 140 auf 118 Millionen Tonnen.
- Im Verkehr ist 2030 nur noch ein Ausstoß von 85 Millionen Tonnen Treibhausgasen erlaubt, statt ursprünglich 95 Millionen Tonnen.
- Noch moderate sind die Anpassungen im Gebäudesektor und für die Landwirtschaft: Für den Gebäudesektor verringert sich die zulässige Emissionsmenge im Jahr 2030 von 70 auf 67 Millionen Tonnen, für die Landwirtschaft von 58 auf 56 Millionen Tonnen.
- Im Abfallsektor, in dem ohnehin die niedrigsten Ausstoßmengen vorgesehen sind, bleibt es bei dem Zielwert von fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalent am Ende des Jahrzehnts.
Wie sollen die Klimaziele erreicht werden?
Ein Sofortprogramm der Regierung mit einem Volumen von acht Milliarden Euro vorwiegend für 2022 soll die Umsetzung der neuen Klimaschutzziele unterstützen. Laut der Haushaltsplanung des Bundesfinanzministeriums, die am 23. Juni vom Kabinett beschlossen wurde, sind 5,5 Milliarden Euro für die Aufstockung der Förderung energetischer Gebäudesanierung vorgesehen, zudem 1,07 Milliarden Euro für den Verkehrsbereich und 0,86 Milliarden Euro für Klimaschutz im Sektor Industrie. Dazu kommen weitere Mittel aus dem Energie- und Klimafonds. Die Maßnahmen müssen ebenso wie der Haushalt 2022 vom nächsten Bundestag beschlossen werden.
Eingesetzt werden sollen die Mittel für die Mobilität: unter anderem für neue Radwege, die Digitalisierung der Schienenwege und neue Schnelladestationen. Außerdem soll es einen stärkeren Ausbau von Bus- und Bahnverbindungen sowie eine Reform der Kfz-Steuer geben. Diese könnte noch stärker am CO2-Ausstoß ausgerichtet werden.
Vorgesehen sind laut Bundsefinanzministerium zudem ein Investitionsförderprogramm für die Stahlindustrie zur Umstellung auf Wasserstoff und ein Investitionsförderprogramm für die chemische Industrie. Des weiteren soll ein Pilotprogramm für die Verwendung von "grünem Stahl" etwa in der Automobilindustrie aufgelegt werden
Wichtige Punkte zum Erreichen der Klimaziele sind zudem ein höherer CO2-Preis pro ausgestoßener Tonne CO2, ein neuer Zeitplan zum Kohleausstieg und neue Ausbauziele für Erneuerbare Energien. Das Energie- und Klimapaket, auf dass sich die Koalition am 21. Juni geeinigt hat, sieht vor, für 2022 die Ausschreibungsmengen für neue Windkraftanlagen an Land um 1,1 Gigawatt auf vier Gigawatt und für Solaranlagen um 4,1 Gigawatt auf sechs Gigawatt anzuheben. Erleichtert werden soll auch das Repowering vorhandener Anlagen. Weitere Erleichterungen betreffen neue Solaranlagen sowie den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft.
Neu im Gesetz ist auch ein Paragraf zur Klimawirkung natürlicher Ökosysteme, die im Einklang mit Natur- und Artenschutz gestärkt werden soll. Unter anderem durch die Renaturierung von Mooren soll bis 2030 ein Minderungseffekt von 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten erreicht werden, bis 2040 von 35 Millionen Tonnen und bis 2045 von mindestens 40 Millionen Tonnen.
Allerdings ist der neue Haushalt nur vorläufig, für was das Geld schließlich eingesetzt wird, entscheidet der neue Bundestag nach der Wahl im September.
Reichen die neuen Klimaziele aus, um die globale Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten?
Bei dieser Frage gehe es vor allem darum, welcher Maßstab angelegt wird, erklärt Dlf-Umweltexperte Georg Ehring im Podcast "Der Tag" am 6. Mai. Erklärtes Ziel des Pariser Klimaabkommen ist es, die Erderwärmung um deutlich unter zwei Grad zu halten, wenn möglich unter 1,5 Grad. Für das strengere dieser beiden Ziele - 1,5 Grad - reicht die nun festgelegte Emissionsreduktion von 65 Prozent bis 2030 nach Ansicht von Experten, wie dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ,immer noch nicht aus. Dazu wäre eine Einsparung von 70 Prozent, die beispielsweise die Umweltschutzorganisation WWF fordert, notwendig.
Das bestätigte auch
Niclas Höhne vom New Climate Instiute im Dlf
. Dabei gehe es auch um einen fairen Anteil Deutschlands am globalen Klimaziel, so Georg Ehring. Dieser Anteil bemisst sich unter anderem daran, dass Deutschland bisher relativ viel CO2 ausgestoßen hat. Rechne man auf dieser Basis einen Anteil aus, wieviel einzelne Staaten noch emittieren könnten, zeige sich, dass Deutschland die Einsparungsziele eigentlich immer noch erhöhen müsse.
Welche Kosten werden die neuen Energieziele verursachen und wie können diese verteilt werden?
Laut einer Studie der Boston Consulting Group müssen sich Unternehmen extrem umstellen, beispielsweise die Industrie, die mit Milliardenbeträgen in die Umstellung der Produktion investieren muss. "Da bräuchte es Anlagen zur Prozesswärmegewinnung, die komplett auf Gas, Kohle und Öl verzichten", erläutert
Dlf-Hauptstadtkorrespondentin Katharina Hamberger
. "25 Prozent der Stahlproduktion müssten aus klimaneutralen Verfahren kommen."
Auch der Energiesektor ist stark gefordert. So müsste laut Studie der Boston Consulting der Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen werden und der Zubau von Wind- und Photovoltaik-Anlagen verdoppelt werden. Auf Verbraucher sowie insbeosbesondere auf mittelständische und kleine Betriebe könnten zusätzliche Belastungen durch höhere Stromkosten zukommen.
Auch der Energiesektor ist stark gefordert. So müsste laut Studie der Boston Consulting der Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen werden und der Zubau von Wind- und Photovoltaik-Anlagen verdoppelt werden. Auf Verbraucher sowie insbeosbesondere auf mittelständische und kleine Betriebe könnten zusätzliche Belastungen durch höhere Stromkosten zukommen.
Entscheidend dürfte dabei der weitere Ausbau der Enereurbaren Energien wie Windkraft und Solarenergie werden, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nun vorantreiben möchte. Die Kosten dafür sollen nach Ansicht von Altmaier künftig nicht mehr auf den Strompreis umgelegt werden und diesen dadurch zusätzlich verteuern.
Der Bundeswirtschaftsminister will daher die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abschaffen. Stattdessen solle die Förderung der Erneuerbaren Energien über die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung finanziert werden.
Um eine faire Verteilung der Kosten sicherzustellen, schlagen Verbraucherschützer vor, die Steuereinnahmen aus der CO2-Bepreisung vollständig an die Verbraucher zurückzuerstatten.
CDU und CSU plädieren zudem für einen höheren CO2-Preis auf Sprit oder Heizöl als eigentlich in den nächsten Jahre geplant - was beide Parteien lange komplett abgelehnt hatten.
Keine Einigung gab es in der Koalition über eine Entlastung von Mieterinnen und Mietern. Diese sollen sich laut einem Kabinettsbeschluss die Mehrkosten durch die CO2-Bepreisung eigentlich künftig gleichmäßig mit dem Vermieter aufteilen. Diese von der SPD geforderte Regelung lehnte die Unionsfraktion jedoch ab.
Welche Kritik gibt es?
Akzeptanz in der Bevölkerung
Es gebe eine Akzeptanz der Klimaziele bei vielen Menschen in Deutschland, so die Einschätzung von Dlf-Umweltexperte Georg Ehring. In fast allen Umfragen befürworteten die Menschen Klimaschutz sowie das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens. Ginge es aber an die Umsetzung, zeige sich, dass viele keine höheren Benzin- oder Strompreise wollten und auch Kosten für beispielsweise die Wärmedämmung von Wohnungen und Häusern ablehnten. Es sei nun die Aufgabe der Politik, den Bürgern zu erklären, dass diese beiden Aspekte nicht zusammenpassten.
Ein weiterer problematischer Punkt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sei die Akzeptanz von Windrädern, meint Georg Ehring. Als Beispiel nennt er die Abstandsregeln für Windkraftanlagen, insbesondere die in Bayen geltende sogenannte 10-H-Regel. Diese sieht vor, dass die Mindestabstand eines Windrads von der nächsten Wohnbebauung das Zehnfache seiner Höhe betragen muss. Das führe dazu, dass in Bayern kaum Windräder gebaut werden können.
Die Einschätzung von Klimaforschern
Ungeachtet der deutlich strengeren Emissionsvorgaben stößt das neue Klimaschutzgesetz bei Klimawissenschaftlern auf Kritik. "Es ist alles viel zu wenig. Wir brauchen systemische Veränderungen", sagte der Klimaforscher Mojib Latif im Deutschlandfunk. Die Bundesregierung bleibe mit dem Gesetz und in weiteren klimapolitischen Vorlagen konkrete Aussagen über die für das Erreichen der strengeren Klimaziele erforderlichen Maßnahmen größtenteils schuldig, kritisierte der Experte des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel. Nötig sei jedoch eine "Transformation" der gesamten Wirtschaft. Dabei seien auch weitreichende staatliche Lenkungsmaßnahmen erforderlich.
Umweltverbände
Auch Umweltverbände sehen das 65-Prozent-Ziel als unzureichend an und fordern mindestens 70 Prozent weniger Treibhausgase und einen Ausstieg aus der Kohle bis 2030. Die Bundesregierung verpasse die Chancen, jetzt Maßnahmen einzuführen, die sofort das Klima wirksam schützen würden, kritisierte die BUND-Klimaexpertin Antje von Broock. Sie forderte etwa ein Tempolimit von 120 Stundenkilometer auf Autobahnen.
Kritik aus der Opposition
Widerspruch kommt auch von den Oppositionsparteien: So mahnen die Grünen, bei all den Jahresmarken die Umsetzung der Ziele nicht außer Acht zu lassen: Konkrete Maßnahmen seien dabei wichtiger als neue Ziele. Konkrete Maßnahmen benenne das Gesetz aber nicht, kritisierte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir
im Deutschlandfunk
, dass das Gesetz keine konkreten Maßnahmen benenne. Nur schärfere Ziele zu definieren, reiche nicht aus, sagte der Grünen-Politiker. Man müsse auch den Weg dorthin beschreiben.
Die Linke fordert, dass Deutschland schon bis 2035 klimaneutral werden müsse. Die FDP spricht dagegen von einem blinden Aktionismus.
Industrie- und Arbeitnehmerverbände
Auch die Industrie- und Arbeitnehmerverbände lehnen das neue Gesetz ab. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) plädierte stattdessen für eine europäische Lösung. Deutschland solle nicht vorauseilen, ohne dass andere Staaten in Europa und weltweit ihre Anstrengungen ebenfalls verstärkten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie erklärte, es fehle an "Konzept, Strategie und realistischer Planung, wie das für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen funktionieren soll."
Die IG Metall befürchtet vor allem direkte Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Autobranche. Laut einer Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) könnten 2025 mehr als 100.000 Stellen in der Branche auf dem Spiel stehen.
Von Gewerkschaften und Umweltverbänden kamen zudem Forderungen nach einer sozialen Ausgestaltung der Klimaschutz-Maßnahmen. Mehrkosten müssten fairer verteilt werden, etwa durch die Entlastung von Mieterinnen und Mietern.
Warum hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz noch vor der Bundestagswahl geändert?
Das überraschend schnelle Vorgehen hat vor allem zwei Gründe: Zum einen hat die EU ihr Klimaziel für 2030 verschärft (55 Prozent statt 40 Prozent). Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht Ende April das Klimagesetz von 2019 als unzureichend gerügt und bis Ende 2022 eine Reform verlangt. Die Richter hatten kritisiert, dass es für die Zeit nach 2030 keine konkreten Vorgaben mehr gebe und somit die jüngere Generation bei den Klimaschutzanstrengungen benachteiligt werde.
Zunächst war erwartet worden, dass die Regierungskoalition die Anpassung des Klimagesetzes der neuen Bundesregierung nach der Bundestagswahl im September überlassen werde. Die SPD sah sich durch das Bundesverfassungsgerichturteil aber in ihrer Position bestätigt, das Klimagesetz so zügig wie möglich zu verschärfen und die Union zog mit. Wohl auch weil die Klimapolitik zu den wichtigsten Wahlkampfthemen zählt: Wegen der guten Umfragewerte der Grünen stehen CDU/CSU unter Druck.
Deutschland und der weltweite Klimaschutz - wie ist das Vorgehen?
Klimaschutz gelingt nur, wenn alle Staaten an einem Strang ziehen – so die zentrale Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim 12. Petersberger Klimadialog. Die Staatengemeinschaft solle schnell und solidarisch gegen den Klimawandel vorgehen. Merkel warb dabei für einen weltweiten CO2-Preis und für weitere Klimahilfen für ärmere Staaten ab 2025.
Klimaschützer hätten allerdings sehr enttäuscht darauf reagiert, dass die Kanzlerin keine neuen Hilfzusagen für ärmere Staaten gemacht habe, so Dlf-Umweltexperte Georg Ehring: Man habe darauf gewartet, dass Merkel sich zur Finanzierung der Klimapolitik äußere, also zu einer möglichen Aufstockung des deutschen Beitrags zur internationalen Klimafinanzierung. Doch das habe die Bundeskanzlerin nicht getan.
(Quellen: Georg Ehring, dpa, Reuters, cs, og, ww)