In der Welt der Elektronen, Atome und Moleküle ist nichts wie im Alltag, deshalb eignen sich Quantenphänomene für Produkte, wie wir sie bislang nicht kennen: Magnetsensoren etwa, mit denen sich Computer per Gedanken steuern lassen, abhörsichere Verschlüsselungsverfahren, Quantencomputer, unfassbar mächtiger als heute der schnellste Superrechner. China, aber auch US-Konzerne wie Google und Microsoft, investieren bereits Unsummen in die Entwicklung. Nun will Europa den Anschluss finden und legt ein EU-weites Milliardenprogramm auf. Kritiker bezweifeln, dass das Geld sinnvoll angelegt ist. Andererseits: Ein großes Versprechen rechtfertigt einen hohen Einsatz. <hr></hr> Mr. Tompkins lag im Bett und schlummerte noch, als er plötzlich das Gefühl hatte, dass sich außer ihm noch jemand anderes im Raum befand. Er sah sich um und erblickte seinen alten Freund, den Professor, im Lehnstuhl sitzend und in das Studium einer Landkarte vertieft, die er auf seinen Knien ausgebreitet hatte. "Kommen Sie mit?" fragte der Professor und hob den Kopf. "Wohin?" erwiderte Mr. Tompkins und wunderte sich dabei noch immer darüber, wie der Professor in das Zimmer gekommen sein könnte. "Die Elefanten anschauen natürlich und die anderen Tiere des Quantendschungels." "Quantentechnologie ist ein hoch spannendes Gebiet. Es ist ein Gebiet, was weit rein reicht ins 21. Jahrhundert und darüber hinaus. Da wird noch richtig was kommen." "Es waren spektakuläre Resultate, die in diesem Forschungsgebiet herausgekommen sind. Die Augenöffner sind, die den Leuten zeigen: Hey, da geht was. Es geht voran." "Quantenrevolution 2.0." Nachdem der Professor und Sir Richard in den auf dem Rücken des Elefanten befestigten Korb geklettert waren und Mr. Tompkins seinen Platz am Nacken des Tieres eingenommen hatte, begann die Reise in den geheimnisvollen Dschungel. Ein schreckliches Gebrüll ließ die Luft erzittern und ihr Elefant machte so einen heftigen Satz, dass Mr. Tompkins beinahe abgeworfen worden wäre. Ein großes Rudel Tiger griff den Elefanten an und sprang gleichzeitig von allen Seiten auf ihn ein. Sir Richard griff schnell nach seiner Flinte, zielte genau zwischen die Augen des ihm am nächsten befindlichen Tieres und drückte ab. Gleich darauf hörte ihn Mr. Tompkins einen unter Jägern gebräuchlichen Fluch ausstoßen. Sir Richard hatte genau durch den Kopf des Tigers hindurchgeschossen, ohne das Tier dabei auch nur im Geringsten zu verletzen. "Schießen Sie weiter!" schrie der Professor. "Knallen Sie einfach wild um sich, egal wohin. Es ist nur ein Tiger, er hat sich jedoch rund um unseren Elefanten verschmiert." Die Ära der Quantentechnologie "Unsere einfache Vorstellung von Mechanik bezieht sich darauf, dass wir Objekte, wenn sie sich im Raum bewegen, durch einen Pfad beschreiben können. Wir wissen zu jedem Zeitpunkt, mit welcher Geschwindigkeit es sich an welchem Ort befindet." Dieter Meschede, Professor für Experimentalphysik an der Universität Bonn. "Das ist in der Quantenmechanik anders." Der Mikrokosmos der winzigsten Materieteilchen - Elektronen, Atome, Moleküle. Die Welt der Quanten, hier ist nichts wie im Alltag. Dinge verschmieren, man weiß nie genau, wo sie gerade sind. Teilchen mutieren zu Wellen, Wellen verwandeln sich in Teilchen. Objekte können vieles gleichzeitig sein. Kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch. Lässt sich dieses Treiben bändigen, kann man damit Märkte erobern? Ja, sagen manche Physiker und versprechen eine neue Ära - die Ära der Quantentechnologie. Magnetsensoren, mit denen sich Computer durch die Kraft der Gedanken steuern lassen. Navigationssysteme mit Millimeterpräzision. Verschlüsselungsverfahren, die absolut abhörsicher sind. Und: einen Computer, unfassbar mächtiger als die schnellsten Superrechner. "Der Quantencomputer verspricht, Probleme zu lösen, die wir mit keinem klassischen Computer lösen können, auch wenn wir sie noch viel größer machen." Die heutigen Rechner agieren mit Bits und Bytes. Für den nächsten Schritt braucht es eine Revolution, einen völlig neuen Ansatz. Eine Grundrecheneinheit, die nicht mehr auf Nullen und Einsen basiert, auf Schwarz und Weiß. Sondern die auch die Grauwerte nutzt. Quantenbit, so nennt sich die mächtige Recheneinheit. Zustände, die sich überlagern - und das Rechnen in parallelen Welten erlauben. Aber: "Überlagerungszustände sind sehr schwer zu erhalten und zu präparieren. Wann immer ich ein System anfasse - alleine durch das Anfassen verändert es sich schon." Quantenzustände schützen - und sie gleichzeitig kontrollieren und manipulieren Quanten sind Mimosen, sind hochsensibel. Schon der kleinste Kontakt zur Außenwelt genügt, und sie fallen in sich zusammen. Die große Herausforderung. "Man versucht, zwei Dinge miteinander zu kombinieren, die im Widerspruch stehen. Ich möchte diese Überlagerungszustände nutzen und sehr lange erhalten. Dazu muss ich sie von der Umgebung möglichst gut isolieren. Andererseits möchte ich damit arbeiten, ich möchte Zugriff darauf haben. Das steht völlig im Widerspruch miteinander." Quantenzustände schützen und behüten - und sie gleichzeitig kontrollieren und manipulieren. Das ist das Kernproblem auf dem Weg zur Quantentechnologie. Überall auf der Welt versuchen sich Forscher an der Lösung. Der Professor packte selbst ein Gewehr und das Knallen der Schüsse vermischte sich mit dem Gebrüll des Quantentigers. Eine der Kugeln traf den Punkt; zu Mr. Tompkins größtem Erstaunen wurde der Tiger - denn plötzlich war nur mehr ein einziger vorhanden - in einem gewaltigen Bogen durch die Luft geschleudert. Sein toter Körper landete irgendwo in einem weit entfernten Palmenhain. Knoten stabilisieren quantenmechanische Wellen 10. Dezember 2016. Im Konzerthuset von Stockholm händigt König Carl-Gustaf von Schweden drei Herren im Smoking Medaillen und Urkunden aus - den Physik-Nobelpreis. Die Namen der Laureaten: David Thouless, Duncan Haldane, Michael Kosterlitz. "Die haben zwei fundamental wichtige Konzepte zusammengeführt. Der eine Bereich kommt aus der Mathematik. Den nennt man Topologie." Alexander Altland, Professor für theoretische Physik, Universität Köln. "Und der andere Bereich ist ein physikalischer - die Quantenmechanik." Topologie - bildlich gesprochen ist das die Lehre von den Knoten. Wie zum Beispiel lässt sich ein Knoten in einen anderen überführen, ohne dabei die Schnur zu zerschneiden? Mathematische Seilkünste, die Thouless, Haldane und Kosterlitz in den 1970er- und 80er-Jahren auf die Physik übertrugen. Ihre Grundidee: Was passiert, wenn man einen Knoten in eine Welle macht, eine Quantenwelle? Der Effekt: verblüffend. "Wenn man einen Knoten in einer Welle hat, ist die Welle auf einmal viel stabiler. Wenn ein Knoten in was drin ist, kriege ich den nicht so schnell weg. Und damit ist der Mechanismus ausgehebelt, der quantenmechanische Wellen sehr empfindlich und sehr leicht zerstörbar macht. Sie werden auf einmal viel stabiler. Quantenmechanische Effekte, die eigentlich in der Alltagswelt sehr fremd sind und in die Welt des Mikroskopischen gehören, können auf einmal so stark stabilisieren, dass sie in die Alltagswelt Wirkung ausüben. Das ist praktisch der Hebel, den man braucht, um die Quantenmechanik dichter an den Alltag heranzuführen." Für gewöhnlich genügt es, ein Quantensystem schief anzuschauen - schon sind seine Quanteneigenschaften dahin, es wird zu einem Objekt der Alltagsphysik. "Aber wenn ein Knoten drin ist: Den Knoten können Sie anschauen, wie Sie wollen: Der geht nicht weg." Topologische Isolatoren sind machbar Solche Knoten können unter bestimmten Bedingungen entstehen - in exotischen Materialien. Die Wellensuppe im Material sollte sich dann regelrecht verheddern. Mit solchen Knoten glückte es Thouless, Haldane und Kosterlitz, bestimmte Phänomene zu beleuchten oder sogar zu erklären, etwa die Supraleitung. Und: Sie schufen die Grundlagen für ein völlig neues Material. "Ein topologischer Isolator ist ein Isolator, wie ein Stück Porzellan oder Holz." In Porzellan und Holz sind die Elektronen fixiert, können nicht fließen - und damit keinen elektrischen Strom leiten. Auch ein topologischer Isolator ist wie ein Stück Holz - bis auf die Oberfläche des Materials. "Die Oberfläche eines topologischen Isolators ist leitend. Anders als bei einem normalen Isolator, wo die Oberfläche genauso isolierend ist wie der Isolator selber, ist sie bei einem topologischen Isolator zum Beispiel ein Metall. Und das Metall ist ein sehr gutes Metall." Ein Stoff, der innen elektrischen Strom komplett blockiert, ihn aber außen extrem gut leitet. Unmöglich, meinten viele Physiker. Doch dann, 2005, veröffentlichte der US-Theoretiker Charles Kane ein Paper, das die Fachwelt elektrisierte. Kane hatte die Knotenlehre von Thouless, Haldane und Kosterlitz weiterentwickelt und war zum Ergebnis gekommen: Topologische Isolatoren sind machbar - es muss sich nur jemand finden, der sie herstellen kann. "Das Paper war eigentlich ziemlich kompliziert, jedenfalls für mich als Experimentator." Laurens Molenkamp, Experimentalphysiker an der Universität Würzburg. "Da wurde ein System vorgeschlagen, das eigentlich nicht realisierbar ist, oder sehr schlecht realisierbar." Quecksilbertellurid - erster topologischer Isolator der Welt Gemeinsam mit Theoretikern aus Stanford suchte Molenkamp nach einer chemischen Verbindung mit Aussicht auf Erfolg. "Wir haben dann hin und her geredet und haben gedacht: Wahrscheinlich kann es sein, dass sowas in Quecksilbertellurid tatsächlich möglich wäre. Zufälligerweise hatten wir zur gleichen Zeit diese Technologie entwickelt. Das passte eigentlich alles wunderbar zusammen." Quecksilbertellurid - eine Verbindung der Elemente Quecksilber und Tellur. Nur: Damit sich in diesem Material die Quanten verknoten können, muss es hochrein sein, muss in eine bestimmte Form gebracht werden. Der experimentelle Aufwand: beträchtlich. Wenn Laurens Molenkamp in sein Labor will, muss er sich in einer Schleuse umziehen: Schutzanzug, Haube, Spezialschuhe. "Weil hier Reinraum-Konditionen herrschen. Da muss man dafür sorgen, dass man keinen Staub nach innen bringt. Das möchte man nicht auf seiner Probe haben." Hinter der Schleuse: Räume voll mit Vakuumtöpfen, Belichtungsanlagen und Spezialmikroskopen. Kammern aus Edelstahl, verbunden durch eine Art Rohrpost-System. Kleine Bullaugen gewähren den Blick ins Innere, sie lassen die Apparatur wirken wie das Modell einer Raumstation. Eine Manufaktur für exotische Halbleiter - für Stoffe wie Quecksilbertellurid. "Man wächst erst eine Schicht in einer Anlage. Dann geht’s zurück in dieses Transportrohr zur anderen Anlage. Und dann wird das andere Materialsystem aufgedampft." In der Apparatur herrscht ein Ultrahochvakuum - Bedingungen wie im Weltraum. Molenkamp zeigt auf eines der Bullaugen. "Sie können mal reinschauen. Da sehen Sie, dass ein kleines Gleis eingebaut ist, wo ein kleiner Wagen hin- und hergeschoben werden kann. Dann können wir den Wagen per Hand hin- und herkübeln auf dieser Strecke hier." Die Forscher müssen Quecksilber und Tellur hauchfein auf eine Oberfläche aufdampfen - nur so kommen die Quantenknoten ins Material. Eine langwierige Prozedur. "Es kann bis einen Tag dauern. Man muss wirklich im Auge behalten, was da passiert. Sonst können Dinge komplett weglaufen." Mit dieser Methode gelang 2007 der Durchbruch. Als sie ihre Proben analysierten, merkten Molenkamp und seine Leute, dass an der Oberfläche des Materials plötzlich ein elektrischer Strom floss. Die Würzburger hatten den ersten topologischen Isolator der Welt geschaffen. "Dass es wichtig war, war gleich klar. Dass es so wichtig war, wie sich jetzt herausstellt, war nicht so leicht zu überblicken. Aber wir wussten schon, dass es etwas ganz Spezielles war." Ein neues Fachgebiet war geboren. Seitdem beschäftigen sich Forscherteams aus aller Welt mit dem Phänomen und finden immer neue Materialien, stabilisiert durch Quantenknoten. Und die versprechen einiges. "Damit könnte man Schalter hinkriegen. Man könnte Speicherbausteine herstellen, die kaum Strom verbrauchen." Vision: Quantencomputer Eines elektrisiert die Fachwelt besonders: Topologische Isolatoren könnten die Basis sein für einen neuen, revolutionären Rechnertyp - den Quantencomputer. "It could be quite revolutionary." Leo Kouwenhoven, Physiker an der TU Delft in den Niederlanden. "Im Alltag beobachten wir keine Quantenphänomene, weil sie instabil sind und schnell wieder verschwinden. Das ist die Herausforderung für den Bau des Quantencomputers: Man muss die Quantenbits stabil halten, sodass sie ihre Information nicht gleich wieder verlieren. Und das ist extrem schwierig." Genau hier sollen die topologischen Isolatoren helfen. "Das Schöne an dieser Idee: Gelänge es, eine Quanteninformation in so einem Material zu speichern, sollte sie überaus stabil sein. Sobald wir die ersten Quantenbits realisiert haben, müsste es möglich sein, sie rasch zu größeren Systemen zu verbinden. Das würde die Konstruktion eines Quantencomputers enorm vereinfachen." Ein Quantencomputer auf Basis von topologischen Isolatoren! Kouwenhovens Team versucht es mit einer Kombination aus Indium, Antimon und Niob. Und tatsächlich: In diesem Materialmix konnten die Physiker Anzeichen für ein stabiles Quantenverhalten finden. Anlass für Microsoft, massiv in die Forschung in Delft zu investieren - und das kommende Rechenwunder auf YouTube vollmundig anzupreisen. "We could attack global warming." "Machine learning." "Fighting diseases." "It’s really happening, progress is very fast. We’re building a quantum computer!" Die Vision: Magnetimpulse geben das Startsignal. Hunderte von Quantenbits legen los, sprechen miteinander, tauschen Informationen aus. Alles gleichzeitig und unfassbar schnell, statt die Befehle stupide nacheinander abzuarbeiten wie ein gewöhnlicher Prozessor. Und weil die Quanten verknotet sind, bleiben sie solange stabil, bis das Ergebnis ausgelesen ist. Doch hat das Team aus Delft und Kopenhagen schon solche stabilen Quantenbits gebaut? Mancher hat da seine Zweifel. "Das hat der immer noch nicht gezeigt. Also wir warten das ruhig ab." Sagt Laurens Molenkamp aus Würzburg. "Ich denke, dass Microsoft das haben möchte, weil die da viel Geld investiert haben. Ob sie's wirklich haben - ich hab's noch nicht gesehen." Auch Molenkamp tüftelt an topologischen Quantenbits, allerdings mit anderen Materialien. Der Trick mit den Knoten ist nur eine Möglichkeit, Quanten zu dressieren, sie stabil zu machen und damit nutzbar. Es gibt alternative Ansätze: Atome, in Fallen gesperrt, von der Außenwelt isoliert durch ein perfektes Vakuum. Kleine supraleitende Ringe, gekühlt auf minus 270 Grad und dadurch in einen Zustand versetzt, in dem Quantenströme ungestört kreisen. Oder Körnchen in einem Siliziumkristall, winzige Käfige für Elektronen. "Das ist die Situation, in der wir stecken: Es gibt kein ideales Material. Jedes Material hat bestimmte Vorzüge und bestimmte Nachteile. Vermutlich wird die Quantentechnologie darauf hinauslaufen, dass wir versuchen, die Vorteile von verschiedenen Dingen zu kombinieren. Ich wüsste im Moment kein einzelnes Material, wo man sagen würde: Das hat alles, was wir brauchen, schon parat." Ein Wettlauf der Systeme, meint Dieter Meschede. Ein Wettlauf, der zu einem Marathon werden dürfte. "Ich glaube nicht, dass es eine fundamentale Barriere gibt, warum wir nicht dahin kommen sollten, diesen Quantencomputer bauen zu können. Aber aus den Gründen, dass wir bisher kein Wundermaterial haben, wird das nicht so einfach und wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern." Interessante Anwendungen für die Industrie Die Ortsunschärfe eines Quantenelefanten bemerkt man nur, wenn man ihn unmittelbar aus der Nähe ansieht. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Konturen seiner Haut nicht sehr scharf sind und die Haut so aussieht, als wäre sie mit einem leichten Flaum bedeckt. Im Laufe der Jahre nimmt diese Unschärfe allmählich zu, und ich glaube, dies ist der Grund dafür, dass man sich erzählt, die alten Elefanten aus dem Quantendschungel besäßen ein dichtes, langhaariges Fell. "Was uns als Industrie daran interessiert, ist, dass das einige disruptive Elemente ausweist, die hochgradig interessante Anwendungen für die Industrie bieten." Michael Bolle, Forschungschef von Bosch in Stuttgart. "Das sind Dinge, wo wir als Industrie sagen: Wir müssen frühzeitig mit den Forschungsinstituten und Hochschulen zusammenarbeiten, um diese disruptive Technologie mittel- bis langfristig in Produkte zu bringen." Die Industrie hat Lunte gerochen. US-Konzerne wie Microsoft, Google, Intel und IBM investieren Unsummen in die Entwicklung eines Quantencomputers. Europäischen Firmen dagegen sind die Perspektiven noch zu vage. Unternehmen wie Bosch wollen sich auf Ziele konzentrieren, die schon bald erreichbar scheinen. "Quantensensoren werden wir sehen. Von daher glaube ich, dass wir diese Sensoren in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren im Markt sehen können." Diese Sensoren basieren auf demselben Grundprinzip wie das Quantenbit eines Quantencomputers: ein sensibles Gebilde, das auf geringste Störungen von außen reagiert - ideal für einen Sensor. "Insbesondere die Messung von sehr schwachen Hirnströmen, die man ausnutzen könnte, um die Absichten oder die Aufmerksamkeit von Menschen festzustellen, ohne über direkt am Kopf angebrachte Sensoren zu gehen. Sondern man könnte das über Distanz messen." Computer per Gedanken steuern Nach einem langen Arbeitstag in der Bank befand sich Mr. Tompkins auf dem Heimweg. Dieser führte ihn an einem Pub vorbei. Er fasste den Entschluss einzukehren, um ein Glas Bier zu trinken. Im Hintergrund des Lokals gab es ein Billardzimmer, in dem mehrere Männer mit hinaufgeschobenen Hemdsärmeln an einem in der Mitte des Raumes befindlichen Tisch spielten. Einer der Spieler legte eine Kugel auf den Tisch und versetzte ihr mit dem Queue einen Stoß. Computer per Gedanken steuern - das könnte mit den Quantensensoren machbar sein. An den Grundlagen wird bereits gearbeitet, etwa an der Uni Stuttgart. Hier sitzt der Physiker Philip Neumann in seinem Büro und hält ein Gittermodell eines Diamanten in der Hand. Reiner Kohlenstoff. "Das benutzen wir ziemlich häufig bei uns im Institut, um uns klarzumachen, wie der Diamant im Inneren aussieht. Die Kugeln sind die Atome, und die Stäbchen sind die Bindungen zwischen den Atomen. Eigentlich ein sehr schönes Gitter." Doch was Neumann und seine Leute interessiert, ist kein lupenreiner Diamant. "Viel interessanter wird es, wenn nicht alle diese Kügelchen Kohlenstoffatome sind. Sondern wenn dieses hier ein Stickstoff ist." Quantenmacken nutzen Neumann zeigt auf eines der Kügelchen im Gittermodell. Dann auf das daneben. "Und wenn das Kügelchen direkt daneben fehlt. Dann ist es ein sogenanntes Stickstoff-Fehlstellen-Zentrum." Ein Diamant mit einer Macke. Einer Quantenmacke. "Ein kleines Molekül, das im Diamantkristall gefangen ist und eine eigene kleine Persönlichkeit ist. Das können wir sehr gut als kleines Quantensystem verstehen und seine netten Eigenschaften nutzbar machen." Die Quantenmacke lässt sich von außen ansteuern, per Laser und mit Mikrowellen. Damit lässt es sich in einen Schwebezustand versetzen, abgeschirmt vom Kristallgitter des Diamanten. Damit ist der Schwebezustand stabil genug, um mit ihm arbeiten zu können - und zugleich so empfindlich, um als Sensor zu fungieren. Neumann zeigt eines seiner Experimente. Ein wuchtiger Tisch, darauf Linsen, Spiegel und Blenden - ein Labyrinth für Laserstrahlen. In der Mitte ein Heliumtank, darunter eine Röhre, in der ein Magnetfeld herrscht. "Das ist das, was uns den Zugang zur Quantenwelt ermöglicht." Das Untersuchungsobjekt: ein Diamant voller Quantenmacken. Neumann setzt sich an den Computer, die Schaltzentrale des Experiments. Sein Ziel ist es, die Probe abzuscannen und eine einzelne Quantenmacke aufzuspüren. "Das machen wir mit einem Mikroskop. Auf der Größenordnung des Durchmessers eines menschlichen Haares machen wir jetzt einen Scan." Auf dem Bildschirm zeichnet sich eine Art Karte ab, manche Bereiche heller, andere dunkler. "Jetzt sehen wir hier, wie einzelne Punkte entstehen." Ein Dutzend roter Farbkleckse, regellos verteilt auf blauem Hintergrund. Neumann zoomt ins Bild, nimmt einen der Punkte ins Visier und vergrößert ihn. "In der Mitte haben wir einen kleinen Kreis. Der hat auf unserer Karte einen Durchmesser von ungefähr einem halben Mikrometer. Wir sehen: Das ist ein einzelner Quanten-Emitter." Diesen Quantenpunkt anzusteuern, die Kontrolle über ihn zu gewinnen, ist alles andere als einfach. "Wir haben das Laserlicht, das grüne Laserlicht. Und wir haben Mikrowellen. Das Ganze brauchen wir, um eine Art Wechselwirkung-Kaskade von unserer Welt rein in die Quantenwelt aufzubauen." Neumann aktiviert Laserstrahlen und Mikrowellen, probiert, versucht und dreht an den Frequenzen. "Ah, jetzt sehen wir schon: Bei einer bestimmten Frequenz wird das System dunkler. Das ist die Frequenz, mit der wir unseren einzelnen Spin ansprechen können. Dann wird das System dunkler, das können wir hier schön sehen." Eine hochsensitive Technik, die bunten Quantenpunkte reagieren auf kleinste Magnetfelder - was die Sache auch für die Industrie interessant macht. Die Stuttgarter Physiker arbeiten bereits mit Bosch zusammen, und auch mit Festplattenherstellern. Die wollen den neuen Quantensensor nutzen, um ihre Schreib-Leseköpfe präzise zu vermessen und dadurch zu verbessern. Noch aber steckt das Verfahren im Laborstadium - wie das meiste in der Quantentechnologie. Wirtschaft glaubt an neue Möglichkeiten Der Spieler, der die Kugel gestoßen hatte, war offensichtlich Experte auf seinem Gebiet, denn sie traf, ganz wie beabsichtigt, eine zweite, die vor ihr lag. Der Zusammenprall verursachte einen lauten Ton, und beide Kugeln, die ruhende und die stoßende Kugel - Mr. Tompkins konnte dabei nicht auseinanderhalten, welche von beiden was war - stoben in alle möglichen Richtungen auseinander. Ja, es war wirklich seltsam! Man hatte nun nicht bloß zwei etwas patzig aussehende Kugeln vor sich, sondern es schien ihrer unzählig viele zu geben, und alle waren äußerst unscharf und verschwommen. Das Ganze glich einer seltsamen, sich vom Kollisionspunkt her ausbreitenden Welle. Die Welt der Quanten ist bizarr, wie ein total verrücktes Billardspiel. Mit unserer Erfahrungswelt hat sie wenig zu tun. Aber in den Instituten entsteht auf ihrer Basis eine neue Technologie - die Quantentechnologie. Allmählich klinkt sich die Wirtschaft ein, glaubt an neuen Möglichkeiten - und an neue Märkte. "Wir sind nicht so systematisch herangekommen wie zum Beispiel in den USA mit Quantum Computing passiert, mit großen Investitionen von Google, Microsoft, Intel, IBM." Tommaso Calarco, Physikprofessor an der Universität Ulm. "Oder in China mit großen Investitionen aus der Regierung Richtung Satelliten-Quantenkommunikation." In der Grundlagenforschung ist Europa top, sagt Calarco. Bei der Umsetzung in Produkte aber sind andere voraus, China und vor allem die USA. Hier investieren die Internetgiganten Hunderte von Millionen in die neue Technologie. "Weil wir in Europa nicht die Riesenprofite von der Internet-Revolution wie bei Google, Amazon und Microsoft haben. Es ist nicht so, dass unsere Industrie weniger visionär ist. Die Ressourcen sind aber eher begrenzt, weil wir den letzten Zug verpasst hatten. Deswegen ist es wichtig, dass jetzt die öffentlichen Geldgeber eingreifen und das unterstützen." Calarco hat ein Riesenprojekt mit ins Rollen gebracht. Ein europäisches Flaggschiff-Projekt für die Quantentechnologie, bei dem Firmen und Forscher gemeinsam marktfähige Prototypen entwickeln sollen. Verteilt über zehn Jahre soll eine Milliarde in die Forschung fließen - gut die Hälfte aus EU-Töpfen, der Rest von den Mitgliedstaaten. Die Ausschreibung läuft, Ende 2018 sollen die ersten Projekte starten. Und was ist das Ziel? Fertige Produkte, sagt Calarco. "Ich hoffe, dass wir ein quantensicheres Internet in Europa haben werden. Ich hoffe, dass wir die ersten Quantencomputer haben. Im Sinne der Sensorik erwarte ich, dass Sensoren basierend auf Quantensystemen auch in Handys verfügbar sind, und auch das Internet of Things sehr viel mit Quantenpräzision ausgestattet wird. Wir können erwarten, dass die Satellitennavigation durch Quantentechnologie eine gesteigerte Genauigkeit bekommt." Kritiker halten Versprechungen für verfrüht Dass alle diese Quanten-Tech-Dinge es innerhalb von zehn Jahren auf den Markt schaffen, kann sich Dieter Meschede aus Bonn kaum vorstellen. "Ich halte Vieles für zu optimistisch. Ich finde, wir machen gute Fortschritte. Aber zu glauben, dass wir innerhalb von zehn Jahren eine neue Technologie haben, mit der wir viel Geld verdienen, ist nicht die richtige Annahme." Meschede ist nicht der einzige Kritiker des Flaggschiff-Programms. "Kurz gesagt: Ich meine, es wird zu viel versprochen!" "Ich kriege den Eindruck, dass das alles schon vorgekocht ist. Das ist eine schlechte Sache." "Einige Initiativen haben krasse Versprechungen gemacht – Lösung sozialer Probleme der Europäischen Union mit Quantentechnologie." "Da mache ich mir Sorgen, dass das Geld für diese Quantentechnologien nicht richtig investiert wird, besonders in Deutschland." "Ich glaube, das tut uns als Community nicht gut. Ich glaube, man sollte vielleicht etwas weniger versprechen." Sagen Alexander Altland aus Köln und Laurens Molenkamp aus Würzburg. Die Befürchtung: Allzu rosige Versprechungen wecken übertriebene Erwartungen und bringen das Feld letztlich in Verruf. Wahrscheinlich, meint Alexander Altland, wird nicht jede der anvisierten Anwendungen kommen, wird man nicht jede Herausforderung meistern können. Die Forschung aber dürfte sich dennoch lohnen. "Vielleicht entwickelt sich etwas ganz anderes, das wir jetzt noch nicht absehen können." <hr></hr> Literaturzitate aus: "Mr. Tompkins' seltsame Reisen durch Kosmos und Mikrokosmos" von George Gamov
Archiv
Auf dem Weg zur Quantentechnologie
Knoten, die nicht platzen
Der Mikrokosmos wird von den seltsamen Regeln der Quantenphysik regiert. Dinge verschmieren, sie sind überall und nirgends. Lässt sich dieses Treiben bändigen? Ja, sagen manche Physiker und versprechen die Ära der Quantentechnologie.