Mitochondrien kleine Organe in unseren Zellen, die dort für die Energieversorgung verantwortlich sind. Sie besitzen ein eigenes, kleines Erbgut, das nur von der Mutter an ihre Kinder weitergegeben wird. Mutationen in den Mitochondrien-Genen können dazu führen, dass diese Zellkraftwerke nicht richtig funktionieren. Statistisch gesehen sind etwa zwei von 10.000 Menschen betroffen. Sie leiden unter Muskel- und Herzschwäche, manche sind blind, taub oder entwickeln früh eine Demenz. Alle mitochondriellen Erbkrankheiten sind nicht heilbar, sondern schreiten im Laufe des Lebens fort.
"In schweren Fällen sterben Kindern schon in den ersten Tagen ihres Lebens. Es ist wie Russisches Roulette."
Das sagt die britische Reproduktionsmedizinerin Mary Herbert von der Newcastle University. Sie erforscht Wege, wie sich solches Leid vielleicht eines Tages vermeiden lässt.
"Wenn es in unserer Macht steht, diese Leiden zu lindern, dann sehe ich darin eine ethische Verpflichtung das auch zu tun."
Wie das gelingen könnte, hat Mary Herbert schon vor zwei Jahren grundsätzlich gezeigt: Man muss alle defekten Mitochondrien in den Zellen durch gesunde Varianten ersetzen. Möglich ist das ganz am Anfang des Lebens, in der Eizelle – im Zuge einer künstlichen Befruchtung. Dafür wird aus einer Eizelle nur der Zellkern entnommen, während alle krankhaften Mitochondrien im Zellplasma zurückbleiben. Dieser Zellkern wird nun in eine zweite, zuvor entkernte Eihülle einer anderen Frau mit gesunden Mitochondrien gesetzt. Daraus kann sich ein Embryo entwickeln, dessen Mitochondrienerbgut freilich von der zweiten Mutter stammt.
Mary Herbert hat diese Technik bereits ansatzweise im Labor ausprobiert. Dafür nutzte sie Eizellen, die kurz zuvor künstlich befruchtet wurden. Die dabei erzeugten Embryonen zerstörte sie in einer sehr frühen Entwicklungsphase nach wenigen Tagen. Umfangreichere Versuche mit Embryonen erlaubt das britische Embryonenschutzgesetz bisher nicht.
Kürzlich sorgte ein anderer Forscher aus den USA für Aufsehen. Shoukrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University ist bei Experimenten zum Mitochondrienaustausch schon deutlich weiter gegangen – mit einer leicht abgewandelten Technik. Er entnahm aus unbefruchteten menschlichen Eizellen die sogenannte Spindel, das Knäuel der mütterlichen Chromosomen, und übertrug sie in andere Eizellen, deren Spindel er zuvor entfernt hatte. So entstanden wieder komplette Eizellen, bei denen ebenfalls das Mitochondrien-Erbgut von anderen Müttern stammte als die DNA im Zellkern.
Nach der Befruchtung ließ er die Embryos im Labor weiter wachsen, als Mary Herbert das in ihren Experimenten getan hatte, um nachzuweisen, dass sie sich auch dann normal entwickelten. In Versuchen mit Rhesusaffen ließ er Affenweibchen solche Embryos sogar austragen. Sie gebaren allesamt gesunde Affenkinder, die eine ganz gewöhnliche Entwicklung zeigten. Shoukrat Mitalipov will die US-Behörden nun davon überzeugen, dies auch bei Menschen probieren zu dürfen.
"Die Technik funktioniert ziemlich gut. Wir können die Mitochondrien-DNA in einer unbefruchteten Eizelle komplett austauschen. Das Verfahren ist effizient genug, um mit klinischen Versuchen zu beginnen."
Mitalipovs Aussage kommt harmlos daher, ist aber von einer enormen Tragweite und sorgt weltweit für Diskussionen. Denn was er propagiert, ist de-facto die Zulassung der sogenannten Keimbahntherapie beim Menschen. Durch den Eingriff in die Eizellen würden nicht nur Teile des Erbguts der damit geborenen Kinder dauerhaft verändert, sondern auch aller nachkommenden weiblichen Generationen und deren Kinder.
"Ein solcher genetischer Eingriff galt bisher als Tabu. Und es ist eine sehr klare Grenze, die weltweit von Wissenschaftlern beachtet wurde."
Sagt Marcy Darnovsky vom Center for Genetics and Society, einem kalifornischen Thinktank für bioethische Fragen.
Gegen Keimbahntherapien führen nicht nur Ethiker seit Jahren diverse Argumente ins Feld: Niemand könne wissen, wie sich eine solche Intervention auf folgende Generationen auswirkt. Damit würde es sich zwangsläufig um Humanexperimente handeln. Treten zum Beispiel bei den Korrekturen im Erbgut Fehler auf, können sich diese als neue Erbkrankheiten manifestieren. Keimbahntherapien könnten nicht nur eingesetzt werden, um Krankheiten zu heilen, sondern auch mit dem Ziel der Eugenik, um Eigenschaften des Menschen zu verändern, wie etwa seine Intelligenz, sein Aussehen oder die körperliche Leistungsfähigkeit. Auch aus den Religionen kommt Kritik: Dort bewertet man Keimbahntherapien als unzulässigen Eingriff in die Schöpfung.
Die Befürworter des Mitochondrien-Austausches sehen in diesem Verfahren allerdings einen Sonderfall. Sie betonen, dass es dabei gar nicht zu Gen-Manipulationen kommt, die den Menschen verändern. Die wesentlichen Gene im Zellkern blieben unangetastet. Es gehe nur darum, die Funktionsfähigkeit der Mitochondrien als Zellkraftwerke sicherzustellen und damit ein ansonsten unvermeidbares Leid abzuwenden.
"Viel hängt also ganz offensichtlich von der Beschreibung der jeweiligen Situation ab."
Sagt der evangelische Theologe Peter Dabrock, Mitglied im Deutschen Ethikrat.
"Da müssen wir uns noch klarer werden, ob es sich hier um eine Keimbahntherapie in diesem klassischen Sinne handelt, wo viele große Bedenken haben, oder ob es sich eher um eine Präimplantations-Therapie handelt, die aber eigentlich am genetischen Makeup der Person wenig ändert. Ich glaube das macht in der ethischen Einschätzung schon einen Unterschied aus. Es ändert aber nichts daran, dass wir in Deutschland gegenwärtig beides nicht erlauben würden."
Das deutsche Embryonenschutzgesetz schließt Keimbahntherapien, aber auch alle dafür nötigen, vorgelagerten Versuche völlig aus. Von Seiten der Politik seien derzeit keine Bestrebungen zu erwarten, daran etwas ändern zu wollen, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Rene Röspel.
"Die Grundsatzfrage bleibt eben, ist es verantwortbar, einen solchen manipulativen Eingriff im Bereich der Reproduktionsmedizin zuzulassen. Und da bleibe ich beim Nein."
Bei der Keimbahntherapie werden nicht nur Teile des Erbguts der damit geborenen Kinder dauerhaft verändert, sondern auch aller nachkommenden weiblichen Generationen und deren Kinder. Deshalb galt sie bislang als Tabu. Doch das ändert sich gerade.´
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Birgitt Bender, sieht keinen Diskussionsbedarf.
"Da ist auch ganz viel Versuch und Irrtum dabei. Und Lotterie im Umgang mit Leben. Und das gefällt mir gar nicht."
In Großbritannien wird die Debatte viel offener geführt. Schon im Frühsommer kam das Nuffield Council on Bioethics, eine gemeinnützige Organisation, die für Politik und Gesellschaft Gutachten zu bioethischen Fragen erstellt, zu dem Schluss: "Wenn für diese neuen Techniken angemessen nachgewiesen wird, dass sie als Behandlung sicher und wirksam sind, wäre es für betroffene Familien ethisch sie einzusetzen." Die Experten empfahlen, entsprechende weiterführende Studien unter strengen Auflagen zuzulassen.
Die für die Embryonenforschung zuständige britische Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) startete im September öffentliche Konsultationen, um das Meinungsbild der Bevölkerung zum potenziellen Einsatz der Mitochondrien-Austauschverfahren zu erfassen. Im Frühjahr nächsten Jahres will die Behörde auf Basis der Ergebnisse eine Empfehlung an die Regierung aussprechen.
Ethikrat-Mitglied Peter Dabrock rechnet damit,
"dass in England diese Technik, vielleicht nicht in zwei, drei, aber in fünf oder sechs Jahren erlaubt sein wird."
Sollten sich dann schnell Erfolge abzeichnen, könnte das seines Erachtens Forderungen laut werden lassen, auch mit anderen Formen der Keimbahntherapien freizügiger umzugehen.
"Wer entscheidet dann, dass wir auf der einen Seite eine Keimbahnintervention bei den Mitochondrien durchführen, aber beim Zellkern nicht mehr' Und das gebe ich zu, beunruhigt mich an dieser Stelle schon, dass wir einen großen Konsens, den wir über viele, viele Jahre hatten, nämlich dass es keine Intervention in die Keimbahn geben soll, weil man nicht weiß, wie eine solche Intervention sich in den folgenden Generationen auswirkt, dass dieser Konsens aufgegeben wird."
"In schweren Fällen sterben Kindern schon in den ersten Tagen ihres Lebens. Es ist wie Russisches Roulette."
Das sagt die britische Reproduktionsmedizinerin Mary Herbert von der Newcastle University. Sie erforscht Wege, wie sich solches Leid vielleicht eines Tages vermeiden lässt.
"Wenn es in unserer Macht steht, diese Leiden zu lindern, dann sehe ich darin eine ethische Verpflichtung das auch zu tun."
Wie das gelingen könnte, hat Mary Herbert schon vor zwei Jahren grundsätzlich gezeigt: Man muss alle defekten Mitochondrien in den Zellen durch gesunde Varianten ersetzen. Möglich ist das ganz am Anfang des Lebens, in der Eizelle – im Zuge einer künstlichen Befruchtung. Dafür wird aus einer Eizelle nur der Zellkern entnommen, während alle krankhaften Mitochondrien im Zellplasma zurückbleiben. Dieser Zellkern wird nun in eine zweite, zuvor entkernte Eihülle einer anderen Frau mit gesunden Mitochondrien gesetzt. Daraus kann sich ein Embryo entwickeln, dessen Mitochondrienerbgut freilich von der zweiten Mutter stammt.
Mary Herbert hat diese Technik bereits ansatzweise im Labor ausprobiert. Dafür nutzte sie Eizellen, die kurz zuvor künstlich befruchtet wurden. Die dabei erzeugten Embryonen zerstörte sie in einer sehr frühen Entwicklungsphase nach wenigen Tagen. Umfangreichere Versuche mit Embryonen erlaubt das britische Embryonenschutzgesetz bisher nicht.
Kürzlich sorgte ein anderer Forscher aus den USA für Aufsehen. Shoukrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University ist bei Experimenten zum Mitochondrienaustausch schon deutlich weiter gegangen – mit einer leicht abgewandelten Technik. Er entnahm aus unbefruchteten menschlichen Eizellen die sogenannte Spindel, das Knäuel der mütterlichen Chromosomen, und übertrug sie in andere Eizellen, deren Spindel er zuvor entfernt hatte. So entstanden wieder komplette Eizellen, bei denen ebenfalls das Mitochondrien-Erbgut von anderen Müttern stammte als die DNA im Zellkern.
Nach der Befruchtung ließ er die Embryos im Labor weiter wachsen, als Mary Herbert das in ihren Experimenten getan hatte, um nachzuweisen, dass sie sich auch dann normal entwickelten. In Versuchen mit Rhesusaffen ließ er Affenweibchen solche Embryos sogar austragen. Sie gebaren allesamt gesunde Affenkinder, die eine ganz gewöhnliche Entwicklung zeigten. Shoukrat Mitalipov will die US-Behörden nun davon überzeugen, dies auch bei Menschen probieren zu dürfen.
"Die Technik funktioniert ziemlich gut. Wir können die Mitochondrien-DNA in einer unbefruchteten Eizelle komplett austauschen. Das Verfahren ist effizient genug, um mit klinischen Versuchen zu beginnen."
Mitalipovs Aussage kommt harmlos daher, ist aber von einer enormen Tragweite und sorgt weltweit für Diskussionen. Denn was er propagiert, ist de-facto die Zulassung der sogenannten Keimbahntherapie beim Menschen. Durch den Eingriff in die Eizellen würden nicht nur Teile des Erbguts der damit geborenen Kinder dauerhaft verändert, sondern auch aller nachkommenden weiblichen Generationen und deren Kinder.
"Ein solcher genetischer Eingriff galt bisher als Tabu. Und es ist eine sehr klare Grenze, die weltweit von Wissenschaftlern beachtet wurde."
Sagt Marcy Darnovsky vom Center for Genetics and Society, einem kalifornischen Thinktank für bioethische Fragen.
Gegen Keimbahntherapien führen nicht nur Ethiker seit Jahren diverse Argumente ins Feld: Niemand könne wissen, wie sich eine solche Intervention auf folgende Generationen auswirkt. Damit würde es sich zwangsläufig um Humanexperimente handeln. Treten zum Beispiel bei den Korrekturen im Erbgut Fehler auf, können sich diese als neue Erbkrankheiten manifestieren. Keimbahntherapien könnten nicht nur eingesetzt werden, um Krankheiten zu heilen, sondern auch mit dem Ziel der Eugenik, um Eigenschaften des Menschen zu verändern, wie etwa seine Intelligenz, sein Aussehen oder die körperliche Leistungsfähigkeit. Auch aus den Religionen kommt Kritik: Dort bewertet man Keimbahntherapien als unzulässigen Eingriff in die Schöpfung.
Die Befürworter des Mitochondrien-Austausches sehen in diesem Verfahren allerdings einen Sonderfall. Sie betonen, dass es dabei gar nicht zu Gen-Manipulationen kommt, die den Menschen verändern. Die wesentlichen Gene im Zellkern blieben unangetastet. Es gehe nur darum, die Funktionsfähigkeit der Mitochondrien als Zellkraftwerke sicherzustellen und damit ein ansonsten unvermeidbares Leid abzuwenden.
"Viel hängt also ganz offensichtlich von der Beschreibung der jeweiligen Situation ab."
Sagt der evangelische Theologe Peter Dabrock, Mitglied im Deutschen Ethikrat.
"Da müssen wir uns noch klarer werden, ob es sich hier um eine Keimbahntherapie in diesem klassischen Sinne handelt, wo viele große Bedenken haben, oder ob es sich eher um eine Präimplantations-Therapie handelt, die aber eigentlich am genetischen Makeup der Person wenig ändert. Ich glaube das macht in der ethischen Einschätzung schon einen Unterschied aus. Es ändert aber nichts daran, dass wir in Deutschland gegenwärtig beides nicht erlauben würden."
Das deutsche Embryonenschutzgesetz schließt Keimbahntherapien, aber auch alle dafür nötigen, vorgelagerten Versuche völlig aus. Von Seiten der Politik seien derzeit keine Bestrebungen zu erwarten, daran etwas ändern zu wollen, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Rene Röspel.
"Die Grundsatzfrage bleibt eben, ist es verantwortbar, einen solchen manipulativen Eingriff im Bereich der Reproduktionsmedizin zuzulassen. Und da bleibe ich beim Nein."
Bei der Keimbahntherapie werden nicht nur Teile des Erbguts der damit geborenen Kinder dauerhaft verändert, sondern auch aller nachkommenden weiblichen Generationen und deren Kinder. Deshalb galt sie bislang als Tabu. Doch das ändert sich gerade.´
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Birgitt Bender, sieht keinen Diskussionsbedarf.
"Da ist auch ganz viel Versuch und Irrtum dabei. Und Lotterie im Umgang mit Leben. Und das gefällt mir gar nicht."
In Großbritannien wird die Debatte viel offener geführt. Schon im Frühsommer kam das Nuffield Council on Bioethics, eine gemeinnützige Organisation, die für Politik und Gesellschaft Gutachten zu bioethischen Fragen erstellt, zu dem Schluss: "Wenn für diese neuen Techniken angemessen nachgewiesen wird, dass sie als Behandlung sicher und wirksam sind, wäre es für betroffene Familien ethisch sie einzusetzen." Die Experten empfahlen, entsprechende weiterführende Studien unter strengen Auflagen zuzulassen.
Die für die Embryonenforschung zuständige britische Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) startete im September öffentliche Konsultationen, um das Meinungsbild der Bevölkerung zum potenziellen Einsatz der Mitochondrien-Austauschverfahren zu erfassen. Im Frühjahr nächsten Jahres will die Behörde auf Basis der Ergebnisse eine Empfehlung an die Regierung aussprechen.
Ethikrat-Mitglied Peter Dabrock rechnet damit,
"dass in England diese Technik, vielleicht nicht in zwei, drei, aber in fünf oder sechs Jahren erlaubt sein wird."
Sollten sich dann schnell Erfolge abzeichnen, könnte das seines Erachtens Forderungen laut werden lassen, auch mit anderen Formen der Keimbahntherapien freizügiger umzugehen.
"Wer entscheidet dann, dass wir auf der einen Seite eine Keimbahnintervention bei den Mitochondrien durchführen, aber beim Zellkern nicht mehr' Und das gebe ich zu, beunruhigt mich an dieser Stelle schon, dass wir einen großen Konsens, den wir über viele, viele Jahre hatten, nämlich dass es keine Intervention in die Keimbahn geben soll, weil man nicht weiß, wie eine solche Intervention sich in den folgenden Generationen auswirkt, dass dieser Konsens aufgegeben wird."